(Rom) Am vergangenen Samstag waren die Blicke auf die erste vatikanische Erklärung zum Fall McCarrick gerichtet, seit Erzbischof Viganò sein Dossier veröffentlichte. Am selben Tag ernannte Papst Franziskus aber auch neue Mitglieder und Consultoren für das Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben.
Das Dikasterium gehört zu den neuen, von Papst Franziskus errichteten Ministerien an der Römischen Kurie. Es übernahm am 1. September 2016 die Aufgaben des Päpstlichen Rates für die Familie und des Päpstlichen Rates für die Laien, die aufgelöst wurden. Zum Präfekten ernannte Franziskus den US-Bischof Kevin Farrell, den er in der Zwischenzeit auch zum Kardinal kreierte. Farrell gilt als Protegé von McCarrick, dem im vergangenen Juli die Kardinalswürde aberkannt wurde, nachdem sexuelle Mißbrauchsvorwürfe öffentlich wurden. Nuntius Viganò erhebt in seinem Dossier auch Vorwürfe gegen Farrell, den er der „Homo-Lobby“ in der Kirche zurechnet.
Die jüngsten Ernennungen für das Dikasterium „enthalten nicht wenige Überraschungen“, so der Vatikanist Sandro Magister.
Die Nichternannten
Unter den Neuernannten fehlt vor allem der Name von Kurienerzbischof Vincenzo Paglia. Paglia, war bis 2016 Vorsitzender des Päpstlichen Rates für die Familie und somit „Familienminister“ des Heiligen Stuhls. Bei der Neuordnung der Zuständigkeiten wurde er 2016 von Franziskus zum Vorsitzenden der Päpstlichen Akademie für das Leben und zum Großkanzler des Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Ehe und Familie ernannt. Beide Institutionen wurden von Paglia seither radikal umgebaut und auf Bergoglio-Kurs gebracht.
Auch der Kanzler der Akademie für das Leben, Msgr. Renzo Pegoraro, wurde von Franziskus nicht in das neue Dikasterium berufen, obwohl die Akademie und das Dikasterium laut neuen Statuten eng miteinander verbunden sind.
Dazu schrieb Magister:
„Ist das ein Zeichen, daß Paglias Ansehen in den Augen von Papst Franziskus sinkt? Oder für eine zunehmende Irritation im Staatssekretariat über seinen unkontrollierten Aktivismus und seine oft für den Heiligen Stuhl peinlichen Erklärungen? Oder gar für Reibereien zwischen Kardinal Kevin Farrell, dem Präfekten des Dikasteriums, und Paglia, die zu Themen der Sexualität, der Familie und der Bioethik tatsächlich sehr unterschiedliche und sich widersprechende Positionen haben?“
Am wahrscheinlichsten, so der Vatikanist, sind die zweite und dritte Begründung. Tatsache ist, daß die Nichtberufung Paglias auffällt. Das gilt auch für seine bisher nicht erfolgte Kreierung zum Kardinal. Der Gegensatz zu seinem Vorgänger als Vorsitzend der Akademie für das Leben ist offensichtlich. Elio Sgreccia wurde 2010 von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal erhoben und genoß erhebliches Gewicht, weil der deutsche Papst der Lebensrechtsfrage zentrale Bedeutung beimaß. Das hat sich geändert.
Für die Päpstliche Akademie für das Leben bedeutet es einen weiteren Bedeutungsverlust. Paglia köpfte Ende 2016 die gesamte Akademie und setzte alle Mitglieder vor die Tür, obwohl auf Lebenszeit ernannt waren. Mit der großen „Reinigung“ entledigte sich das derzeitige Pontifikat des Erbes von Papst Johannes Paul II., des Gründers der Akademie, und von Papst Benedikt XVI. Für beide hatten die Kultur des Lebens und die nicht verhandelbaren Werte Vorrang. Beim Rauswurf ging es nach Überzeugung einiger Mitglieder nicht um Personen, sondern um Positionen. Papst Franziskus gab im September 2013 nach einem mehrmonatigen Schweigen bekannt, daß für ihn die nicht verhandelbaren Werte, die dem vorherrschenden Denken der Welt widersprechen, keine Priorität hätten.
Konflikt Paglia – Farrell?
Magister verweist auf zunehmende Konflikte zwischen Kardinal Farrell und seinen Mitarbeitern, besonders seiner Untersekretärin Gabriella Gambino, auf der einen Seite und Kurienerzbischof Paglia und seinen Mitarbeiter, besonders dem Jesuiten Carlo Casalone, auf der anderen Seite. Casalone war zuvor Leiter des Kulturzentrums San Fedele des Jesuitenordens in Mailand, das unter seiner Führung und der des Moraltheologen Maurizio Chiodi als Werkstatt für irritierende bioethische Positionen auffiel. Casalone wurde unter Franziskus nach Rom berufen, wo er an der Seite eines weiteren Jesuiten, von Antonio Spadaro, dem Chefredakteur der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, zum innersten Kreis des Papstes gehört.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin bemühte sich bisher um Schlichtung nach dem Motto „divide et impera“, so Magister. Zu dieser „Schlichtung“ rechnet der Vatikanist auch die neuen Ernennungen für das Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben – ohne Paglia.
Nicht gelöst, sondern verschärft wird dadurch die Zweigleisigkeit in Sachen Bioethik, Familie und Leben. Im Vatikan werden künftig zwei unterschiedliche Institutionen wahrscheinlich noch stärker als bisher zu denselben Themen Stellungnahmen. Auf der einen Seite Kardinal Farrell als zuständiger Dikasterienleiter, auf der anderen Seite Erzbischof Paglia als Chef der Päpstlichen Akademie für das Leben und das tonangebender Großkanzler des ebenfalls von ihm neu ausgerichteten Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Ehe und Familie.
„Wir diese Zweigleisigkeit der vatikanischen Bioethik funktionieren gerade unter einem Papst, der persönlich im Unterschied zu seinen beiden Vorgängern in der Materie nicht versiert ist? Oder wird sie für Verwirrung unter den Bischöfen sorgen, die ad limina nach Rom kommen und bei ihrer Runde durch die Dikasterien Richtlinien und Klärung zu delikaten Fragen des Lebens, der Sexualität, der Zeugung, der Familie, der biomedizinischen Forschung und der Euthanasie suchen, die in ihren Ländern auftreten. Auf welche der beiden unterschiedlichen Stimmen werden sie hören?“
Die Ernannten
Magister macht noch auf einen zweiten Punkt aufmerksam. Die Liste der vom Papst ernannten Dikasterienmitglieder und Consultoren weist Namen auf, die heute Mitglieder der Akademie für das Leben sind bzw. nach der Entlassung aller Mitglieder wieder bestätigt wurden (Manfred Lütz, ein Freund von Papst Benedikt XVI.; Laura Palazzini; Msgr. Jacques Suaudeau). Unter den Neuernannten findet sich aber auch ein ehemaliges Akademiemitglieder, das bei der „Reinigung“ vor die Tür gesetzt wurde, nämlich der US-Amerikaner Thomas W. Hilgers, ein unerschrockener Verteidiger von Humanae vitae und Fachmann für bioethische Fragen.
Dazu die Frage Magisters:
„Bedeutet das, daß das Dikasterium beabsichtigt, sich im Unterschied zur Akademie für das Leben auf ‚traditionelle‘ Positionen der katholischen Bioethik zu begeben, und die ‚Öffnungen‘ zu kontroversen Themen oder der Pflege neuer Themen wie Robotik, Ökologie, künstliche Intelligenz Paglia zu überlassen?
Oder mit anderen Worten: Wird es beim Heiligen Stuhl zwei Stränge der Anthropologie und der Ethik des Lebens, der Sexualität und der Familie geben, die sich parallel oder sogar im Konflikt zueinander entwickeln?“
Nicht zu vergessen ist eine beachtliche Portion Geltungsdrang.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Dikasterium für Laien, Familie und Leben/MiL (Screenshots)