Eine Verteidigung, die wie eine Anklage wirkt

Der Vatikan und Kardinal Ouellet reagieren auf das Viganò-Dossier


Papst Franziskus
Kardinal Ouellet verteidigt in einem offenen Brief Papst Franziskus gegen das Viganò-Dossier. Die wortstarke Verteidigung wirkt aber wie eine Anklage.

(Rom) Der Hei­li­ge Stuhl schweigt wei­ter­hin zum Viganò-Dos­sier. Zum Fall McCar­ri­ck nahm er jedoch Stel­lung: ein­mal offi­zi­ell, ein­mal inoffiziell.

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Am ver­gan­ge­nen Sams­tag ver­öf­fent­lich­te das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt eine Stel­lung­nah­me zu Ex-Kar­di­nal Theo­do­re McCar­ri­ck. Gestern, Sonn­tag, folg­te Kar­di­nal Marc Ouel­let mit einem offe­nen Brief, mit dem er dem ehe­ma­li­gen Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in den USA, Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò, antwortete.

Msgr. Viganò hat­te am 27. Sep­tem­ber in sei­nem zwei­ten Schrei­ben Kar­di­nal Ouel­let, den Prä­fek­ten der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, direkt ange­spro­chen. Der Nun­ti­us, der in sei­nem Dos­sier vom 26. August schwe­re Anschul­di­gun­gen gegen Papst Fran­zis­kus erhob und sei­nen Rück­tritt for­dert, rief Kar­di­nal Ouel­let auf, die Bewei­se zur Bestä­ti­gung der Anschul­di­gun­gen vor­zu­le­gen, über die sein Dik­aste­ri­um ver­fü­ge. Dort, so der ehe­ma­li­ge vati­ka­ni­sche Spit­zen­di­plo­mat, lie­ge die gesam­te Doku­men­ta­ti­on auf, die den Wahr­heits­ge­halt sei­ner Aus­sa­gen bestä­ti­ge. Den römi­schen Prä­fek­ten, dem er atte­stier­te, nicht in den Fall McCar­ri­ck invol­viert zu sein, for­der­te er zugleich auf, „Zeug­nis für die Wahr­heit zu geben“.

Kar­di­nal Ouel­let tat das Gegen­teil, oder fast. Mit sei­nem offe­nen Brief ver­tei­digt er Papst Fran­zis­kus gegen die Anschul­di­gun­gen von Erz­bi­schof Viganò – die er gleich­zei­tig bestä­tig­te. Doch der Rei­he nach.

Die Erklärung des vatikanischen Presseamtes von Samstag

In der Vati­kan-Erklä­rung von Sams­tag heißt es, Papst Fran­zis­kus sei „besorgt über die Ver­wir­rung, die die­se Anschul­di­gun­gen“ gegen Erz­bi­schof (vor­mals Kar­di­nal) Theo­do­re McCar­ri­ck „in den Gewis­sen der Gläu­bi­gen“ provoziere.

Ohne auf die Aus­sa­gen von Erz­bi­schof Viganò ein­zu­ge­hen, der eben­so­we­nig erwähnt wur­de wie sein Dos­sier, behaup­tet der Vati­kan in der Erklä­rung, erst im Sep­tem­ber 2017 erste Hin­wei­se auf ein Fehl­ver­hal­ten von Kar­di­nal McCar­ri­ck erhal­ten zu haben. Auf­grund die­ser Hin­wei­se ord­nungs­ge­mäß geprüft und schließ­lich gehan­delt zu haben.

Mit Han­deln ist die Aberken­nung der Kar­di­nals­wür­de Ende Juli 2018 gemeint, die aller­dings nicht nach den Hin­wei­sen von Sep­tem­ber 2017 erfolg­te, son­dern erst Ende Juli 2018, nach­dem die New York Times in zwei Arti­keln das Dop­pel­le­ben McCar­ri­cks aus­ge­brei­tet hatte.

Nun­ti­us Viganò hin­ge­gen wirft Fran­zis­kus vor, mit Sicher­heit bereits seit Juni 2013 detail­liert infor­miert gewe­sen zu sein, näm­lich durch den Nun­ti­us per­sön­lich. Der Papst habe den­noch nichts unter­nom­men, son­dern McCar­ri­ck viel­mehr die von Papst Bene­dikt XVI. gegen McCar­ri­ck ver­häng­ten Sank­tio­nen auf­ge­ho­ben und den US-Prä­la­ten zu sei­nem engen Ver­trau­ten für die USA gemacht.

Der offene Brief von Kardinal Ouellet

Am Sonn­tag folg­te ein offe­ner Brief von Kar­di­nal Marc Ouel­let, dem Prä­fek­ten der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, der sich als direk­te Ant­wort auf den offe­nen Brief von Nun­ti­us Viganò ver­steht, in dem die­ser ihn auf­ge­for­dert hat­te, ihn in der „Ver­tei­di­gung der Wahr­heit“ zu unter­stüt­zen. Der kana­di­sche Pur­pur­trä­ger, den Erz­bi­schof Viganò in sei­nem Schrei­ben vom 27. Sep­tem­ber nament­lich als Kron­zeu­gen der Ankla­ge benann­te, ant­wor­tet jedoch in einem ande­ren Sinn.

„Mit der not­wen­di­gen päpst­li­chen Erlaub­nis gebe ich hier mein per­sön­li­ches Zeug­nis“ zum Fall McCar­ri­ck, so der Kar­di­nal. Zugleich gab er bekannt, daß die im Archiv der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on vor­han­de­nen Doku­men­te zu McCar­ri­ck „der­zeit Gegen­stand einer Unter­su­chung sind, um die­sen tri­sten Fall zu klären“.

Der Brief ist von zwei Aspek­ten geprägt: der Ver­tei­di­gung von Papst Fran­zis­kus und einer schar­fen Kri­tik an Erz­bi­schof Viganò. Der ehe­ma­li­ge Nun­ti­us in den USA, so Kar­di­nal Ouel­let, ver­tre­te der­zeit, „extrem tadelns­wer­te und unver­ständ­li­che Posi­tio­nen“. Sei­ne öffent­li­chen Anschul­di­gun­gen sei­en „sehr schädlich“.

Der Kar­di­nal bekann­te sich auch aus­drück­lich zu sei­nem Schwenk in Sachen Amo­ris lae­ti­tia, gemeint ist die Zulas­sung von in irre­gu­lä­ren Situa­tio­nen leben­den Men­schen zur Kom­mu­ni­on, die ihm Erz­bi­schof Viganò zum Vor­wurf machte.

„Mei­ne Inter­pre­ta­ti­on von Amo­ris lae­ti­tia, die Du beklagst, fällt unter die Treue zur leben­di­gen Tra­di­ti­on, von der Fran­zis­kus uns mit der jüng­sten Ände­rung des Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che zur Fra­ge der Todes­stra­fe ein Bei­spiel gege­ben hat.“

Kar­di­nal Ouel­let wider­sprach aber der Aus­sa­ge Viganòs nicht, Papst Fran­zis­kus am 23. Juni 2013 über das „per­ver­se und dia­bo­li­sche“ Dop­pel­le­ben von Kar­di­nal McCar­ri­ck infor­miert zu haben. Im Gegen­teil. Er nimmt die­se Aus­sa­ge des ehe­ma­li­gen Nun­ti­us als Tat­sa­che an. Aller­dings exkul­pier­te er den Papst, denn die­ser habe an jenem Tag erst­mals eine Rei­he von Nun­ti­en in Audi­enz emp­fan­gen und wer­de von ihnen „eine so gro­ße Men­ge an Infor­ma­tio­nen“ erhal­ten haben, daß er sich beim besten Wil­len nicht alle Namen und Anlie­gen gemerkt haben wer­de können.

Eine Verteidigung, die wie eine Anklage wirkt

Auch die wei­te­re Argu­men­ta­ti­on Ouel­lets ist kei­ne Wider­le­gung von Viganòs Anschul­di­gun­gen, son­dern der Ver­such einer Rela­ti­vie­rung. Den Papst, so der Kar­di­nal sinn­ge­mäß, wer­de der Fall eines damals bereits 82jährigen Kar­di­nals in den USA zu jenem Zeit­punkt ein­fach nicht son­der­lich inter­es­siert haben.

Und noch eine Bestä­ti­gung lie­fer­te Kar­di­nal Ouel­let in sei­nem offe­nen Brief. Die Instruk­tio­nen, mit denen Erz­bi­schof Viganò 2011als Nun­ti­us nach Washing­ton ent­sandt wur­de, hät­ten nichts über McCar­ri­ck ent­hal­ten. Viganò hat­te nichts gegen­tei­li­ges gesagt, son­dern im Rück­blick den Vor­wurf erho­ben, daß die römi­sche Akte von McCar­ri­ck im Lau­fe von Jahr­zehn­ten wie­der­holt „gerei­nigt“ wor­den sein muß, um sie „blü­ten­rein“ zu halten.

Und sogar noch eine drit­te Bestä­ti­gung erfolg­te durch den römi­schen Dik­aste­ri­en­lei­ter: Kar­di­nal Ouel­let bestä­tig­te, daß Papst Bene­dikt XVI. 2010 gegen McCar­ri­ck vor­läu­fi­ge Sank­tio­nen ver­häng­te, bis die Ermitt­lun­gen gegen ihn abge­schlos­sen und die Rom zu Ohren gekom­me­nen Gerüch­te geklärt sei­en. Für Bene­dikt XVI. waren die Anschul­di­gun­gen schwer­wie­gen genug, um McCar­ri­ck „öffent­li­che Auf­trit­te“ zu unter­sa­gen und eben­so gegen ihn ein „Rei­se­ver­bot“ aus­zu­spre­chen. Kar­di­nal Ouel­let bestä­tig­te damit als erste vati­ka­ni­sche Stel­le und als zustän­di­ger Kar­di­nal­prä­fekt, daß es die­se Sank­tio­nen durch Bene­dikt XVI. tat­säch­lich gab. Bis­her stand ledig­lich die Behaup­tung von Erz­bi­schof Viganò im Raum, des­sen Glaub­wür­dig­keit von papst­na­hen Medi­en und Kir­chen­ver­tre­tern pro toto in Zwei­fel gezo­gen wurde.

Trotz die­ser Bestä­ti­gung von Viganòs Behaup­tun­gen, rela­ti­vier­te Ouel­let aller­dings, daß man die­se Auf­la­gen nicht als „Sank­tio­nen“ bezeich­nen kön­ne. Damals habe es näm­lich noch nicht wie heu­te die „Bewei­se“ für McCar­ri­cks Schuld gegeben.

Auch an die­ser Stel­le ver­wun­dert die Stra­te­gie Ouel­le­tes, mit der er Papst Fran­zis­kus ver­tei­digt, aber eigent­lich die Ankla­ge stützt. Wie konn­te es näm­lich sein, daß für Bene­dikt XVI. 2010 die Anschul­di­gun­gen so schwer­wie­gend waren, gegen McCar­ri­ck Auf­la­gen zu ver­hän­gen, sich 2011 aber nichts gegen McCar­ri­ck in den Instruk­tio­nen für den zustän­di­gen Nun­ti­us in den USA fand.

Doch damit nicht genug:

Kar­di­nal Ouel­let ging auch auf die Fra­ge ein, wie jemand wie McCar­ri­ck in die höch­sten Ämter beför­dert wer­den konn­te. Das „erstau­ne“ ihn heu­te selbst, so der Prä­fekt der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on. Aller­dings hät­ten sich alle Ent­schei­dun­gen auf den jeweils damals vor­han­de­nen Wis­sens­stand gestützt, und der sei ein ganz ande­rer gewe­sen als heu­te. „Es scheint mir unge­recht, dar­aus zu fol­gern, daß unter den Per­so­nen, die mit der Aus­wahl betraut waren, Kor­rup­ti­on herrschte.“

Papst Fran­zis­kus zu beschul­di­gen, eine Miß­brauchs­tä­ter geschützt und gedeckt zu haben, sei sogar „unglaub­lich“. Der Kar­di­nal füg­te hin­zu, nicht glau­ben zu kön­nen, wie Nun­ti­us Viganò sich zu einer „so mon­strö­sen Anschul­di­gung“ ver­stei­gen habe können.

Was Kardinal Ouellet ausklammerte

Eines tat Kar­di­nal Ouel­let aller­dings nicht: Er ging nicht auf die Fra­ge ein, war­um Papst Fran­zis­kus am Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats die Sank­tio­nen gegen McCar­ri­ck auf­hob. Um Sank­tio­nen auf­he­ben zu kön­nen, müs­sen sie zunächst ein­mal exi­stie­ren. Ouel­let bestä­tig­te gestern erst­mals offi­zi­ell ihre Exi­stenz. Zwei­tens bedarf es zur Auf­he­bung eines offi­zi­el­len päpst­li­chen Ent­schei­des, was vor­aus­setzt, daß Fran­zis­kus über die Sank­tio­nen infor­miert war, und auch über die Grün­de, wes­halb sie ver­hängt wurden.

Die Auf­he­bung läßt sich aber nicht mehr mit Über­la­stung oder momen­ta­nem Des­in­ter­es­se des Pap­stes erklä­ren, wie es Ouel­let im Zusam­men­hang mit der Audi­enz von Erz­bi­schof Viganò im Juni 2013 versuchte.

Erst recht nicht ging Kar­di­nal Ouel­let auf den Vor­wurf ein, daß Papst Fran­zis­kus Kar­di­nal McCar­ri­ck nicht nur von den Sank­tio­nen Bene­dikts XVI. befrei­te, son­dern ihn zu einem per­sön­li­chen Ver­trau­ten für die USA machte.

Wie läßt sich das erklä­ren? Kar­di­nal Ouel­let unter­nahm sicher­heits­hal­ber erst gar kei­nen Versuch.

Ist ein vor­ge­setz­ter Ver­ant­wort­li­cher, dem sein zustän­di­ger Unter­ge­be­ner detail­liert Bericht erstat­tet, über­haupt wegen Über­la­stung oder man­geln­dem Inter­es­se zu entschuldigen?

Kar­di­nal Ouel­let stell­te in sei­nem offe­nen Brief Erz­bi­schof Viganò an den Pran­ger, wäh­rend er am Ver­hal­ten von Papst Fran­zis­kus nichts Kri­tik­wür­di­ges aus­zu­ma­chen scheint. Liest man den Brief auf­merk­sam, könn­te man ihn auch anders ver­ste­hen. Bei allen ver­ba­len Attacken gegen den ehe­ma­li­gen Nun­ti­us in den USA, bestä­tig­te Kar­di­nal Ouel­let als Prä­fekt der zustän­di­gen Kon­gre­ga­ti­on – mehr geht gar nicht mehr – Viganò in einer gan­zen Rei­he von Punkten.

Bis­her stand ein muti­ger, aber ein­sa­mer Nun­ti­us allein als Anklä­ger des Pap­stes. Nun gesell­te sich mit Kar­di­nal Ouel­let indi­rekt einer der höch­sten Kir­chen­ver­tre­ter hin­zu, wenn auch in der unge­wöhn­li­chen Kon­struk­ti­on vor­der­grün­dig den Papst zu verteidigen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: InfoVaticana

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