
Die sogenannten „Volksbewegungen“ sind in den Vatikan zurückgekehrt, „aber Franziskus liebt sie nicht mehr“, so der Vatikanist Sandro Magister. Die Volksbewegungen sind eine bunte Sammlung linksradikaler Gruppierungen, die Franziskus am Beginn seines Pontifikats um sich scharte. Der Mainstream schwieg dazu oder zwinkerte der Entwicklung zu, während aufmerksame Katholiken sich ungläubig die Augen rieben. Der Großteil der Gläubigen und der restlichen Menschheit bekam davon eher wenig mit. Am vergangenen 20. September versammelten sich die Volksbewegungen erneut im Vatikan zu einem Symposium, „um den zehnten Jahrestag ihrer ersten Begegnung mit Papst Franziskus zu feiern“. Doch Franziskus scheint seine Freude daran verloren zu haben. Alles geschah nur in einem sehr kleinen Rahmen und Franziskus beschränkte seine Teilnahme auf eine bemerkenswert kurze Anwesenheit und eine Rede, die im Vergleich zu früheren Ansprachen von überschaubarer Länge war. Seine Worte wurden bisher vom Vatikan auch nur in italienischer und spanischer Fassung zugänglich gemacht. Was ist geschehen?
Der argentinische Papst ist launisch. Er begeistert sich an einer neuen Idee, beginnt sie umzusetzen – oft zu einem sehr hohen Preis für die Kirche –, verliert aber auch schnell die Freude an einem „Spielzeug“, wenn es nicht so läuft, wie er will.
Ähnlich geschah es mit seinen Kontakten zu US-amerikanischen Freikirchlern am Beginn seines Pontifikats. Diese fühlten sich geschmeichelt und begaben sich in den Vatikan, ein nicht kleiner Schritt, wenn man bedenkt, daß es noch nicht so lange her ist, daß Freikirchler ganz in der Diktion Martin Luthers von Rom als der „Hure Babels“ sprachen. Doch spätestens Ende 2015 war das „Spiel“ schon wieder aus, als die Freikirchler, meist konservativer Prägung, feststellten, daß Franziskus nicht nur eine ganz andere Haltung zur US-Innenpolitik einnimmt, sondern Einfluß auf die US-Wahlen zu nehmen versuchte. Als der Umarmungsversuch gescheitert war, eröffnete die römische Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica das Feuer gegen die „Religiöse Rechte“ in den USA. Mit dem überraschenden Wahlsieg Donald Trumps im Herbst 2016 ging die Rechnung aber nicht auf.
Franziskus bemühte sich nicht wenig um die Position, zum neuen „Anführer der globalen Linken“ zu werden, als den ihn das Wall Street Journal nach der Niederlage der Demokraten in den USA bezeichnete. Allerdings begann sich Franziskus zu dieser Zeit längst mehr und immer offener in Richtung der globalistischen Machtzirkel zu bewegen. Die radikale Linke, die ihm sicher persönlich sympathisch ist, fand immer weniger seine Aufmerksamkeit.
Die politische Linke und päpstliche Launen?
Sind das nur Launen? Ein Spielzeug, das man findet und wieder weglegt? Oder steckt Kalkül dahinter? Beides dürfte zutreffen. Der „Spielzeug“-Effekt ist bei Franziskus sicher gegeben, da seine Launen und Ideen sprunghaft sind. Doch sein Denken ist kalkulierend, wenngleich seine Rechnungen bei weitem nicht immer aufgehen. Sie gehen dort auf, wo er aufgrund seiner Machtbefugnisse durchgreifen kann, und das ist in der katholischen Kirche. Außerhalb ist er auf den Spielraum angewiesen, den ihm andere Mächtige und Mächtigere zuweisen. Und da traf Franziskus eine klare Entscheidung, indem er die Rolle akzeptierte und ausfüllt, die man ihm zugewiesen hat, indem er die moralische Autorität, der Segenspender für die globalistische Machtelite wurde (Stichwörter: Migration, Klimawandel, Corona). Ein einziger Widerspruch flackert auf: Franziskus schielt mit großer Sympathie nach China, das er den USA vorzuziehen scheint. Doch dazu gibt es die These, daß globalistische Machteliten bereits das gleiche täten. Doch das ist ein anderes Thema, das zu weit wegführen würde. Oder doch nicht?
Tatsache ist, daß sich ein Teil der nicht orthodoxen radikalen Linken vor wenigen Tagen im Vatikan versammelte, doch Franziskus auffallend wenig Zeit für sie hatte. Was Franziskus unter dem harmlos klingenden Begriff Volksbewegungen am Beginn seines Pontifikats sammelte, war die ins Stottern geratene antikapitalistische radikale Linke, die sich um 2000 in Seattle und Porto Alegre versammelt hatte und auch als „No Global“ bekannt wurde – ein Begriff, der damals noch etwas anders besetzt war als heute.
Nun aber war mit dem Papst nur mehr „eine Botschaft“ geplant, wie es in der Ankündigung wenige Tage zuvor hieß, die vom römischen Dikasterium mit dem sperrigen Namen verbreitet wurde, dem Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Was genau darunter zu verstehen ist, wissen selbst im Vatikan die meisten nicht zu erklären. Präfekt dieser von Franziskus geschaffene Kurienbehörde ist der Jesuit Michael Czerny, einer der engsten Vertrauten des Papstes. Dieser belohnte den gebürtigen Tschechen mit mütterlicherseits jüdischer Abstammung, der jedoch in Kanada aufwuchs und dort und in den USA im Jesuitenorden sozialisiert wurde. Seine Dissertation schrieb Czerny 1978 in Chicago über Ludwig Feuerbach und Karl Marx. Das war zur „Hochzeit“, als Teile des Jesuitenordens sich mit Nachdruck um eine Vereinigung von Christentum und Sozialismus bemühten. Manche Ordensmänner griffen sogar zur Kalaschnikow, um sich in Lateinamerika marxistischen Guerillaorganisationen anzuschließen. Franziskus, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri, rehabilierte sie durch mehrere spektakuläre Gesten – auch in diesem Fall unter dem betretenen Schweigen der übrigen Kirche. Czerny, der zur päpstlichen Zufriedenheit dessen Migrations-Agenda umsetzt, wurde von Franziskus 2019 in den Kardinalsrang erhoben.
Noch deutlicher wurde das geringe Interesse von Franziskus an seinen „Volksbewegungen“, als das Symposium vom 20. September nicht einmal in den Veranstaltungshinweisen des vatikanischen Presseamtes auftauchte.
„Diese Herabstufung ist überraschend, wenn man bedenkt, daß Jorge Mario Bergoglio den Begegnungen mit den Volksbewegungen in den ersten Jahren seines Pontifikats große Bedeutung beigemessen hat“, bemerkte dazu der Vatikanist Sandro Magister, ein aufmerksamer Beobachter der römischen Welt.
Das erste Treffen im Oktober 2014 war das spektakulärste. Die kirchlichen Kreise, die davon erfuhren, kamen aus dem Staunen kaum heraus. Plötzlich tummelten sich allerlei Marxisten, Kommunisten und Maoisten in den heiligen Hallen. Die linksradikalen Politiker gaben sich im Vatikan ein Stelldichein nach dem anderen. Schon vor jenem großen Treffen. Nicht minder überraschend waren die Vermittler dieser Begegnungen mit dem Papst. So war es der langjährige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) Walter Baier, der im September 2014 eine Audienz für Alexis Tsipras vermittelte, den Anführer der griechischen radikalen Linken und damals auch international aufsteigenden Stern und großen Hoffnungsträger dieses politischen Segments. Walter Baier, inzwischen Vorsitzender der Europäischen Linken (EL), war zuletzt Anfang 2024 im Vatikan, um für „das gemeinsame Engagement von Christen und Marxisten“ zu werben. Die Europäische Linke umfaßt 15 Parteien, darunter Die Linke (BRD), KPÖ (A), die Partei der Arbeit (CH), und bildet im EU-Parlament die Fraktion Die Linke, mit aktuell 46 Abgeordneten. Zum vollständigen Verständnis ist dem noch hinzuzudenken, wen vom politischen Spektrum Franziskus meidet und nie in den Vatikan einlädt.
Das zweite große Treffen und die Papistische Internationale
Das zweite große Treffen der „Volksbewegungen“ fand dann im Juli 2015 in Bolivien statt. Dem war eine linksradikale Tagung in Buenos Aires vorausgegangen, auf der der marxistische italienischen Philosoph Gianni Vattimo zur Bildung einer Papistischen Internationale aufrief, die zur neuen Kommunistischen Internationale werden solle. Der radikalen Linken fehle der führende Kopf, Papst Franziskus, so Vattimo, sei der Mann, der diese Rolle übernehmen könne. Neben ihm saß Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, der damalige politische Arm von Franziskus, ohne mit der Wimper zu zucken. Franziskus selbst bemühte sich nach Kräften bei seiner Lateinamerikareise, in deren Rahmen das zweite Treffen der Volksbewegungen stattfand, dieser Rolle gerecht zu werden, indem er sich demonstrativ auf die politisch linke Seite stellte und rechte Staatsmänner ignorierte, abkanzelte oder desavouierte, wie den damaligen Staatspräsidenten Paraguays. Die Wahrheitsfrage schien den Papst in diesem politischen Kleingeldkrieg wenig zu interessieren. Die Analyse der päpstlichen Ansprachen bei den großen Treffen ließ den linken Zungenschlag erkennen, allerdings auch eine Richtungsänderung – sofern man nicht insgesamt annehmen will, daß die „Volksbewegungen“ a priori den Zweck hatten, durch den Papst einen Teil der linksradikalen Bewegung aufzufangen, zu kanalisieren und umzulenken.

Jedenfalls erklärte Franziskus in seiner Rede, einer diffus umrissenen Schar der „Ausgestoßenen“, dank ihres erhofften Aufstiegs zur Macht „jenseits der logischen Verfahren der formalen Demokratie“, „die Zukunft der Menschheit“ anzuvertrauen. Dabei gab Franziskus die Parole der drei T aus: „Tierra, Techo, Trabajo“, Land, ein Dach über dem Kopf und Arbeit für alle und sofort. Was aber meinte Franziskus mit der Machtübernahme „jenseits der logischen Verfahren der formalen Demokratie“? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Kirche tat, was sie unter Franziskus immer tut, sie schwieg, während andere Beobachter darin sogar die Gutheißung einer gewaltsamen Machtübernahme sahen.
Die päpstlichen Ansprachen waren jedenfalls viele, viele Seiten lang und hatten jeweils den Charakter politischer Manifeste. In der Kirche selbst tat man freilich so, als würde das alles nicht geschehen. Bergoglianische Aussagen über die angeblich „angeborene“ Weisheit der Armen als dritte Quelle der Offenbarung waren wohl eher nur populistische Zugaben des Papstes.
Bei beiden Treffen, 2014 und 2015, saß der „Cocalero“ Evo Morales in der ersten Reihe. Damals war Morales Staatspräsident von Bolivien und im zweiten Fall sogar Gastgeber. Morales stand zwar im offenen Konflikt mit den Bischöfen seines Landes, doch mit Franziskus verband ihn eine demonstrativ gezeigte Freundschaft. Ähnliches erlebte in den folgenden Jahren auch Nicaragua mit dem dortigen Staatspräsidenten Daniel Ortega, bis das Regime so brutal gegen die Kirche vorging, daß die „Freundschaft“ nicht mehr zu halten war. Ob „Sozialismus des dritten Jahrtausends“, „Sandinismus“, „Bolivarismus“ oder wie immer sich die radikale Linke auch nennen mag, Franziskus brachte ihr eindeutige Sympathien entgegen (siehe dazu auch: Ist der Papst Kommunist? und Der Papst, der Kommunist und die „integrale Ökologie“).
Ein drittes großes Treffen folgte noch im November 2016 in Rom. Dann aber wurde es ruhig.
Juan Grabois und die Reibereien
Sandro Magister sieht als Grund dafür vor allem „Reibereien“ mit einer der Hauptfiguren, die für Franziskus die „Volksbewegungen“ mobilisiert hatten, mit seinem argentinischen Landsmann Juan Grabois.
Auch am 20. September spielte Grabois beim Symposium wieder eine wichtige Rolle zusammen mit dem Brasilianer João Pedro Stédile, dem Gründer des Movimento dos Trabalhadores Rurales Sem Terra, der Bewegung der landlosen Landarbeiter. Genau das aber sei, so Magister, der Grund gewesen, weshalb Franziskus der Veranstaltung fernblieb.
Der heute 41 Jahre alte Grabois ist der Sohn eines bekannten Peronistenführers. Mit Franziskus ergab sich ab 2005 eine enge Zusammenarbeit, als Jorge Mario Bergoglio Vorsitzender der Argentinischen Bischofskonferenz war. Als Papst berief er Grabois als Consultor in mehrere Gremien, darunter auch das von Kardinal Czerny geleitete Dikasterium mit dem sperrigen Namen. Für seine Fähigkeit, die „Volksbewegungen“ zu mobilisieren, verzieh ihm Franziskus auch seine „Jugendsünden“, als er handfest Straßenblockaden durchführte, Hausbesetzungen vornahm und Streikposten in Fabriken organisierte, wo es dann durchaus gewalttätig zugehen konnte.
„Doch nach dem dritten Treffen im Jahr 2016 begann es zwischen den beiden zu kriseln“, so Magister. Ein viertes Treffen war für Herbst 2017 in Venezuela geplant, einem anderen sozialistischen „Paradies“. Doch, wegen der unruhigen Situation dort, wurde es abgesagt. Stattdessen ging man zur Überbrückung dazu über, regionale Treffen zu organisieren. Das war ein erstes Indiz dafür, daß der Schwung abflachte. Oder vielmehr, was jedoch nicht bekannt war, die Unterstützung durch Franziskus nachließ.
Grabois sprach von einer sinnvollen Alternative zu dem jährlich abgehaltenen Weltsozialforum (WSF) als linksradikaler Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Das Weltsozialforum sei „zu einer Abfolge von Ritualen und touristischen Aktivitäten für Militante verkommen“, so Grabois. Was Magister auf einen eher persönlichen Konflikt reduziert, hatte einen tieferen Grund. Tatsächlich war weit mehr geschehen. Es war zu einer neuen Allianz zwischen den globalistischen Eliten und erheblichen Teilen der organisierten radikalen Linken gekommen. Das Weltsozialforum wurde zum Auslaufmodell, weil führende Kräfte dahinter, besonders die Gruppen der sogenannten „antifaschistischen“ Linken, nicht mehr „antagonistisch“ zum Weltwirtschaftsforum sind, sondern zu dessen Stiefeltruppen wurden. Man beachte, seit wann diese Kräfte nicht mehr in Davos gegen das Weltwirtschaftsforum demonstrieren und welche Bedeutung Franziskus dem Davoser Treffen beimißt – im Gegensatz zu seinen Vorgängern (siehe auch: Weltwirtschaftsforum in Davos fordert mehr Bevölkerungskontrolle).
Im Vatikan wurde Grabois‘ Idee nicht unterstützt. Laut Vittorio Agnoletto, ehemaliger Sprecher des Weltsozialforums und Mitglied des internationalen Rates des WSF und von Franziskus als Experte zu diesem Thema hinzugezogen, befürchtete man in Santa Marta, daß „eine Strukturierung durch territoriale Netzwerke von Volksbewegungen zu einer Reihe von ‚leeren Kästen‘ in Konkurrenz zum Weltsozialforum führen würde“. Das läßt sich auch so lesen, daß Franziskus keine effiziente Wiederbelebung des Weltsozialforums wollte. Betrachtet man die Entwicklung, die seither im Verhältnis zwischen der globalistischen Hochfinanz und der radikalen Linken stattfand, versteht man den Gesamtzusammenhang.
Beim ersten Regionaltreffen der „Volksbewegungen“ im Januar 2017, das in Modesto in Kalifornien stattfand, ließ sich Franziskus noch per Video zuschalten und hielt eine Rede, die an die vorherigen anknüpfte. Schon beim zweiten Regionaltreffen, das in Cochabamba in Bolivien folgte, war Franziskus aber nicht mehr dabei.
Der Bruch mit Grabois
Die Mißstimmung zwischen Franziskus und Grabois weitete sich aus. Franziskus machte seinem jungen Freund Vorhaltungen, weil dieser am Vorabend der Papstreise nach Chile den argentinischen Präsidenten Mauricio Macri scharf angegriffen hatte. Die Chile-Reise im Januar 2018 war für Franziskus ein Spießrutenlauf wegen des Schlamassels, das er selbst dort durch seine „Art“ der Mißbrauchsbekämpfung verursacht hatte. Franziskus hatte so lange einen von ihm ernannten Bischof geschützt, der im Verdacht stand, in einen großen homosexuellen Mißbrauchsskandal verwickelt zu sein, daß die gesamte Kirche in Chile in Mißkredit geriet. Entsprechend leer blieben die Straßen und Plätze, auf denen Franziskus auftrat. In dieser Situation konnte Franziskus einen Konflikt mit Macri nicht brauchen, da die Medien im Zusammenhang mit Grabois immer auf dessen enge Freundschaft mit dem Papst verwiesen und diesen dadurch in den Konflikt hineinzogen. Die Aversion des Papstes gegen Argentiniens nicht-peronistischen Staats- und Regierungschef waren sattsam bekannt. Schließlich hatten Grabois‘ Angriffe gegen Macri in den Jahren zuvor keineswegs die Mißbilligung des Papstes gefunden.
Von da an paßte zwischen Grabois und Franziskus nichts mehr. Selbst die Anwesenheit Grabois’ mit 500 Anhängern der Volksbewegungen bei einer Papstmesse in Chile wurde zum Ärgernis.
Die Argentinische Bischofskonferenz gab eine Erklärung heraus, mit der sie jene scharf verurteilte, die ihre Freundschaft mit dem Papst mißbrauchen. Beim Namen wurde zwar niemand genannt, doch der Zusammenhang war klar. Dafür sorgten Hinweise auf die „Volksbewegungen“ und den „Land, Dach, Arbeit“-Dreiklang in der Erklärung. Eine solche Maßnahme war nicht ohne Rücksprache mit der Apostolischen Nuntiatur und Rom denkbar. Um genau zu sein: Der Auftrag zu dieser Distanzierung kam von ganz oben.
Erst 2020 sollte es wieder zu einer Berührung mit den Volksbewegungen kommen, indem Franziskus ihnen einen kurzen offenen Brief mit einer seltsamen Osterbotschaft zukommen ließ. Darin wurde aber niemand von den bisherigen Organisatoren erwähnt noch wurde eine Wiederaufnahme der Treffen nach der von anderen päpstlichen Freunden organisierten Corona-Pseudopandemie in Aussicht gestellt.
Die Kurzbotschaft wurde am Ostersonntag veröffentlicht, enthielt aber keinen Hinweis auf den auferstandenen Herrn und auch keine guten Wünsche zum Festtag. Stattdessen forderte Franziskus ein „generelles Grundeinkommen“ für alle.
Zum Jahresende 2020 folgte schließlich der direkte Bruch mit Grabois. In einem handgeschriebenen Brief an eine Gruppe ehemaliger argentinischer Aktivisten distanzierte sich der Papst von seinem einstigen Freund und erbat sich Informationen über diesen:
„Dr. Grabois ist seit Jahren Mitglied des Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Bezüglich dessen, was er angeblich sagt (daß er mein Freund ist, daß er mit mir in Kontakt steht, usw.), bitte ich Sie um einen Gefallen, der mir wichtig ist. Ich brauche eine Kopie der Aussagen, in denen er diese Dinge sagt. Es wird für mich sehr nützlich sein, sie zu erhalten.“
In Argentinien wisse man nämlich nicht, so Franziskus, was er „Tag für Tag sage“, so könne irgendwer etwas in Umlauf setzen, „und so kommt man bei dieser Art der Kommunikation, bei der jeder etwas hinzufügt oder abzieht, zu unwahrscheinlichen Ergebnissen, wie bei der Geschichte von Rotkäppchen, die damit endet, daß Rotkäppchen und seine Großmutter einen köstlichen Eintopf essen, der mit dem Fleisch des Wolfes gekocht wurde.“
Der Brief, der eine ungewöhnliche Art der Kommunikation eines Papstes enthüllt, wurde von der Gruppe jedoch vollinhaltlich veröffentlicht.
Sandro Magister schließt aus der Episode, daß dies erkläre, warum Franziskus so viele Interviews gebe, damit „wir jedes Mal direkt von ihm hören“, was er sagt, „ohne Vermittler“.
Daraus ließe sich aber auch noch anderes folgern. Im Fall Grabois und der Volksbewegungen ist der weltpolitische, recte globale Zug längst in eine andere Richtung abgefahren und für Franziskus in seiner ursprünglichen Form nicht mehr interessant. Die Kommunikationsform, mit Menschen den direkten Kontakt zu pflegen und diesen es einseitig zu überlassen, die Welt darüber zu informieren, was „der Papst denkt und sagt“, wurde und wird von Franziskus hingegen bewußt und ausgiebig genutzt. Man denke an die Rettungsaktion, mit der Joe Biden vor der Feststellung der Exkommunikation bewahrt wurde, und als „Klassiker“ die zahlreichen Kontakte mit Eugenio Scalfari, der anschließend als eine Art „Papstsprecher“ auftreten konnte, ohne daß Franziskus oder der Vatikan je ein ernsthafte Distanzierung vorgenommen hätten. Gleiches gilt auch für Chiara Amirante, die seit Juni 2018 eine Haltungsänderung von Franziskus gegenüber Medjugorje propagierte und sich dabei auf Franziskus berufen konnte, weil er sie in Audienz empfangen hatte.
Was Franziskus wirklich denkt, das steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben und wird wahrscheinlich in vielem ein Rätsel bleiben. Zuzustimmen ist hingegen einer weiteren Einschätzung Magisters:
„Was seine unzähligen handgeschriebenen Briefe angeht, so werden sie, wenn sie in Zukunft gesammelt und veröffentlicht werden, eine Fundgrube für die Historiker dieses Pontifikats sein.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshots)
Zu Grabandal ist nur wichtig, daß nicht die höchste Stufe anerkannt ist. Es gibt also keine Baugenehmigung und der Ort wird in Ruhe gelassen. Die Bedenken, die Herr Nardi gegenüber eventuellen kommenden Schikanen aus Rom hat, habe ich nicht.