Hat Papst Franziskus die Freude an seinen „Volksbewegungen“ verloren?

Brüche und politische Veränderungen


Papst Franziskus hielt sich am 20. September nur kurz bei einem Symposium seiner "Volksbewegungen" auf. Hat Franziskus die Freude an seinen linksradikalen Freunden verloren?
Papst Franziskus hielt sich am 20. September nur kurz bei einem Symposium seiner "Volksbewegungen" auf. Hat Franziskus die Freude an seinen linksradikalen Freunden verloren?

Die soge­nann­ten „Volks­be­we­gun­gen“ sind in den Vati­kan zurück­ge­kehrt, „aber Fran­zis­kus liebt sie nicht mehr“, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. Die Volks­be­we­gun­gen sind eine bun­te Samm­lung links­ra­di­ka­ler Grup­pie­run­gen, die Fran­zis­kus am Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats um sich schar­te. Der Main­stream schwieg dazu oder zwin­ker­te der Ent­wick­lung zu, wäh­rend auf­merk­sa­me Katho­li­ken sich ungläu­big die Augen rie­ben. Der Groß­teil der Gläu­bi­gen und der rest­li­chen Mensch­heit bekam davon eher wenig mit. Am ver­gan­ge­nen 20. Sep­tem­ber ver­sam­mel­ten sich die Volks­be­we­gun­gen erneut im Vati­kan zu einem Sym­po­si­um, „um den zehn­ten Jah­res­tag ihrer ersten Begeg­nung mit Papst Fran­zis­kus zu fei­ern“. Doch Fran­zis­kus scheint sei­ne Freu­de dar­an ver­lo­ren zu haben. Alles geschah nur in einem sehr klei­nen Rah­men und Fran­zis­kus beschränk­te sei­ne Teil­nah­me auf eine bemer­kens­wert kur­ze Anwe­sen­heit und eine Rede, die im Ver­gleich zu frü­he­ren Anspra­chen von über­schau­ba­rer Län­ge war. Sei­ne Wor­te wur­den bis­her vom Vati­kan auch nur in ita­lie­ni­scher und spa­ni­scher Fas­sung zugäng­lich gemacht. Was ist geschehen?

Anzei­ge

Der argen­ti­ni­sche Papst ist lau­nisch. Er begei­stert sich an einer neu­en Idee, beginnt sie umzu­set­zen – oft zu einem sehr hohen Preis für die Kir­che –, ver­liert aber auch schnell die Freu­de an einem „Spiel­zeug“, wenn es nicht so läuft, wie er will.

Ähn­lich geschah es mit sei­nen Kon­tak­ten zu US-ame­ri­ka­ni­schen Frei­kirch­lern am Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats. Die­se fühl­ten sich geschmei­chelt und bega­ben sich in den Vati­kan, ein nicht klei­ner Schritt, wenn man bedenkt, daß es noch nicht so lan­ge her ist, daß Frei­kirch­ler ganz in der Dik­ti­on Mar­tin Luthers von Rom als der „Hure Babels“ spra­chen. Doch spä­te­stens Ende 2015 war das „Spiel“ schon wie­der aus, als die Frei­kirch­ler, meist kon­ser­va­ti­ver Prä­gung, fest­stell­ten, daß Fran­zis­kus nicht nur eine ganz ande­re Hal­tung zur US-Innen­po­li­tik ein­nimmt, son­dern Ein­fluß auf die US-Wah­len zu neh­men ver­such­te. Als der Umar­mungs­ver­such geschei­tert war, eröff­ne­te die römi­sche Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca das Feu­er gegen die „Reli­giö­se Rech­te“ in den USA. Mit dem über­ra­schen­den Wahl­sieg Donald Trumps im Herbst 2016 ging die Rech­nung aber nicht auf.

Fran­zis­kus bemüh­te sich nicht wenig um die Posi­ti­on, zum neu­en „Anfüh­rer der glo­ba­len Lin­ken“ zu wer­den, als den ihn das Wall Street Jour­nal nach der Nie­der­la­ge der Demo­kra­ten in den USA bezeich­ne­te. Aller­dings begann sich Fran­zis­kus zu die­ser Zeit längst mehr und immer offe­ner in Rich­tung der glo­ba­li­sti­schen Macht­zir­kel zu bewe­gen. Die radi­ka­le Lin­ke, die ihm sicher per­sön­lich sym­pa­thisch ist, fand immer weni­ger sei­ne Aufmerksamkeit.

Die politische Linke und päpstliche Launen?

Sind das nur Lau­nen? Ein Spiel­zeug, das man fin­det und wie­der weg­legt? Oder steckt Kal­kül dahin­ter? Bei­des dürf­te zutref­fen. Der „Spielzeug“-Effekt ist bei Fran­zis­kus sicher gege­ben, da sei­ne Lau­nen und Ideen sprung­haft sind. Doch sein Den­ken ist kal­ku­lie­rend, wenn­gleich sei­ne Rech­nun­gen bei wei­tem nicht immer auf­ge­hen. Sie gehen dort auf, wo er auf­grund sei­ner Macht­be­fug­nis­se durch­grei­fen kann, und das ist in der katho­li­schen Kir­che. Außer­halb ist er auf den Spiel­raum ange­wie­sen, den ihm ande­re Mäch­ti­ge und Mäch­ti­ge­re zuwei­sen. Und da traf Fran­zis­kus eine kla­re Ent­schei­dung, indem er die Rol­le akzep­tier­te und aus­füllt, die man ihm zuge­wie­sen hat, indem er die mora­li­sche Auto­ri­tät, der Segen­spen­der für die glo­ba­li­sti­sche Macht­eli­te wur­de (Stich­wör­ter: Migra­ti­on, Kli­ma­wan­del, Coro­na). Ein ein­zi­ger Wider­spruch flackert auf: Fran­zis­kus schielt mit gro­ßer Sym­pa­thie nach Chi­na, das er den USA vor­zu­zie­hen scheint. Doch dazu gibt es die The­se, daß glo­ba­li­sti­sche Macht­eli­ten bereits das glei­che täten. Doch das ist ein ande­res The­ma, das zu weit weg­füh­ren wür­de. Oder doch nicht?

Tat­sa­che ist, daß sich ein Teil der nicht ortho­do­xen radi­ka­len Lin­ken vor weni­gen Tagen im Vati­kan ver­sam­mel­te, doch Fran­zis­kus auf­fal­lend wenig Zeit für sie hat­te. Was Fran­zis­kus unter dem harm­los klin­gen­den Begriff Volks­be­we­gun­gen am Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats sam­mel­te, war die ins Stot­tern gera­te­ne anti­ka­pi­ta­li­sti­sche radi­ka­le Lin­ke, die sich um 2000 in Seat­tle und Por­to Aleg­re ver­sam­melt hat­te und auch als „No Glo­bal“ bekannt wur­de – ein Begriff, der damals noch etwas anders besetzt war als heute.

Nun aber war mit dem Papst nur mehr „eine Bot­schaft“ geplant, wie es in der Ankün­di­gung weni­ge Tage zuvor hieß, die vom römi­schen Dik­aste­ri­um mit dem sper­ri­gen Namen ver­brei­tet wur­de, dem Dik­aste­ri­um für den Dienst zugun­sten der ganz­heit­li­chen Ent­wick­lung des Men­schen. Was genau dar­un­ter zu ver­ste­hen ist, wis­sen selbst im Vati­kan die mei­sten nicht zu erklä­ren. Prä­fekt die­ser von Fran­zis­kus geschaf­fe­ne Kuri­en­be­hör­de ist der Jesu­it Micha­el Czer­ny, einer der eng­sten Ver­trau­ten des Pap­stes. Die­ser belohn­te den gebür­ti­gen Tsche­chen mit müt­ter­li­cher­seits jüdi­scher Abstam­mung, der jedoch in Kana­da auf­wuchs und dort und in den USA im Jesui­ten­or­den sozia­li­siert wur­de. Sei­ne Dis­ser­ta­ti­on schrieb Czer­ny 1978 in Chi­ca­go über Lud­wig Feu­er­bach und Karl Marx. Das war zur „Hoch­zeit“, als Tei­le des Jesui­ten­or­dens sich mit Nach­druck um eine Ver­ei­ni­gung von Chri­sten­tum und Sozia­lis­mus bemüh­ten. Man­che Ordens­män­ner grif­fen sogar zur Kalasch­ni­kow, um sich in Latein­ame­ri­ka mar­xi­sti­schen Gue­ril­la­or­ga­ni­sa­tio­nen anzu­schlie­ßen. Fran­zis­kus, der erste Jesu­it auf dem Stuhl Petri, reha­bi­lier­te sie durch meh­re­re spek­ta­ku­lä­re Gesten – auch in die­sem Fall unter dem betre­te­nen Schwei­gen der übri­gen Kir­che. Czer­ny, der zur päpst­li­chen Zufrie­den­heit des­sen Migra­ti­ons-Agen­da umsetzt, wur­de von Fran­zis­kus 2019 in den Kar­di­nals­rang erhoben.

Noch deut­li­cher wur­de das gerin­ge Inter­es­se von Fran­zis­kus an sei­nen „Volks­be­we­gun­gen“, als das Sym­po­si­um vom 20. Sep­tem­ber nicht ein­mal in den Ver­an­stal­tungs­hin­wei­sen des vati­ka­ni­schen Pres­se­am­tes auftauchte.

„Die­se Her­ab­stu­fung ist über­ra­schend, wenn man bedenkt, daß Jor­ge Mario Berg­o­glio den Begeg­nun­gen mit den Volks­be­we­gun­gen in den ersten Jah­ren sei­nes Pon­ti­fi­kats gro­ße Bedeu­tung bei­gemes­sen hat“, bemerk­te dazu der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster, ein auf­merk­sa­mer Beob­ach­ter der römi­schen Welt.

Das erste Tref­fen im Okto­ber 2014 war das spek­ta­ku­lär­ste. Die kirch­li­chen Krei­se, die davon erfuh­ren, kamen aus dem Stau­nen kaum her­aus. Plötz­lich tum­mel­ten sich aller­lei Mar­xi­sten, Kom­mu­ni­sten und Mao­isten in den hei­li­gen Hal­len. Die links­ra­di­ka­len Poli­ti­ker gaben sich im Vati­kan ein Stell­dich­ein nach dem ande­ren. Schon vor jenem gro­ßen Tref­fen. Nicht min­der über­ra­schend waren die Ver­mitt­ler die­ser Begeg­nun­gen mit dem Papst. So war es der lang­jäh­ri­ge Vor­sit­zen­de der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Öster­reichs (KPÖ) Wal­ter Bai­er, der im Sep­tem­ber 2014 eine Audi­enz für Alexis Tsi­pras ver­mit­tel­te, den Anfüh­rer der grie­chi­schen radi­ka­len Lin­ken und damals auch inter­na­tio­nal auf­stei­gen­den Stern und gro­ßen Hoff­nungs­trä­ger die­ses poli­ti­schen Seg­ments. Wal­ter Bai­er, inzwi­schen Vor­sit­zen­der der Euro­päi­schen Lin­ken (EL), war zuletzt Anfang 2024 im Vati­kan, um für „das gemein­sa­me Enga­ge­ment von Chri­sten und Mar­xi­sten“ zu wer­ben. Die Euro­päi­sche Lin­ke umfaßt 15 Par­tei­en, dar­un­ter Die Lin­ke (BRD), KPÖ (A), die Par­tei der Arbeit (CH), und bil­det im EU-Par­la­ment die Frak­ti­on Die Lin­ke, mit aktu­ell 46 Abge­ord­ne­ten. Zum voll­stän­di­gen Ver­ständ­nis ist dem noch hin­zu­zu­den­ken, wen vom poli­ti­schen Spek­trum Fran­zis­kus mei­det und nie in den Vati­kan einlädt.

Das zweite große Treffen und die Papistische Internationale

Das zwei­te gro­ße Tref­fen der „Volks­be­we­gun­gen“ fand dann im Juli 2015 in Boli­vi­en statt. Dem war eine links­ra­di­ka­le Tagung in Bue­nos Aires vor­aus­ge­gan­gen, auf der der mar­xi­sti­sche ita­lie­ni­schen Phi­lo­soph Gian­ni Vat­ti­mo zur Bil­dung einer Papi­sti­schen Inter­na­tio­na­le auf­rief, die zur neu­en Kom­mu­ni­sti­schen Inter­na­tio­na­le wer­den sol­le. Der radi­ka­len Lin­ken feh­le der füh­ren­de Kopf, Papst Fran­zis­kus, so Vat­ti­mo, sei der Mann, der die­se Rol­le über­neh­men kön­ne. Neben ihm saß Kuri­en­bi­schof Mar­ce­lo Sanchez Sor­on­do, der dama­li­ge poli­ti­sche Arm von Fran­zis­kus, ohne mit der Wim­per zu zucken. Fran­zis­kus selbst bemüh­te sich nach Kräf­ten bei sei­ner Latein­ame­ri­ka­rei­se, in deren Rah­men das zwei­te Tref­fen der Volks­be­we­gun­gen statt­fand, die­ser Rol­le gerecht zu wer­den, indem er sich demon­stra­tiv auf die poli­tisch lin­ke Sei­te stell­te und rech­te Staats­män­ner igno­rier­te, abkan­zel­te oder des­avou­ier­te, wie den dama­li­gen Staats­prä­si­den­ten Para­gu­ays. Die Wahr­heits­fra­ge schien den Papst in die­sem poli­ti­schen Klein­geld­krieg wenig zu inter­es­sie­ren. Die Ana­ly­se der päpst­li­chen Anspra­chen bei den gro­ßen Tref­fen ließ den lin­ken Zun­gen­schlag erken­nen, aller­dings auch eine Rich­tungs­än­de­rung – sofern man nicht ins­ge­samt anneh­men will, daß die „Volks­be­we­gun­gen“ a prio­ri den Zweck hat­ten, durch den Papst einen Teil der links­ra­di­ka­len Bewe­gung auf­zu­fan­gen, zu kana­li­sie­ren und umzulenken.

Fran­zis­kus läßt sich zum klei­ne Sym­po­si­um der „Volks­be­we­gun­gen“ brin­gen, das dem ersten gro­ßen Tref­fen mit ihnen 2014 gewid­met war

Jeden­falls erklär­te Fran­zis­kus in sei­ner Rede, einer dif­fus umris­se­nen Schar der „Aus­ge­sto­ße­nen“, dank ihres erhoff­ten Auf­stiegs zur Macht „jenseits der logi­schen Ver­fah­ren der for­ma­len Demo­kra­tie“, „die Zukunft der Mensch­heit“ anzu­ver­trau­en. Dabei gab Fran­zis­kus die Paro­le der drei T aus: „Tier­ra, Techo, Tra­ba­jo“, Land, ein Dach über dem Kopf und Arbeit für alle und sofort. Was aber mein­te Fran­zis­kus mit der Macht­über­nah­me „jen­seits der logi­schen Ver­fah­ren der for­ma­len Demo­kra­tie“? Der Phan­ta­sie sind kei­ne Gren­zen gesetzt. Die Kir­che tat, was sie unter Fran­zis­kus immer tut, sie schwieg, wäh­rend ande­re Beob­ach­ter dar­in sogar die Gut­hei­ßung einer gewalt­sa­men Macht­über­nah­me sahen.

Die päpst­li­chen Anspra­chen waren jeden­falls vie­le, vie­le Sei­ten lang und hat­ten jeweils den Cha­rak­ter poli­ti­scher Mani­fe­ste. In der Kir­che selbst tat man frei­lich so, als wür­de das alles nicht gesche­hen. Berg­o­glia­ni­sche Aus­sa­gen über die angeb­lich „ange­bo­re­ne“ Weis­heit der Armen als drit­te Quel­le der Offen­ba­rung waren wohl eher nur popu­li­sti­sche Zuga­ben des Papstes.

Bei bei­den Tref­fen, 2014 und 2015, saß der „Coca­le­ro“ Evo Mora­les in der ersten Rei­he. Damals war Mora­les Staats­prä­si­dent von Boli­vi­en und im zwei­ten Fall sogar Gast­ge­ber. Mora­les stand zwar im offe­nen Kon­flikt mit den Bischö­fen sei­nes Lan­des, doch mit Fran­zis­kus ver­band ihn eine demon­stra­tiv gezeig­te Freund­schaft. Ähn­li­ches erleb­te in den fol­gen­den Jah­ren auch Nica­ra­gua mit dem dor­ti­gen Staats­prä­si­den­ten Dani­el Orte­ga, bis das Regime so bru­tal gegen die Kir­che vor­ging, daß die „Freund­schaft“ nicht mehr zu hal­ten war. Ob „Sozia­lis­mus des drit­ten Jahr­tau­sends“, „San­di­nis­mus“, „Boli­va­ris­mus“ oder wie immer sich die radi­ka­le Lin­ke auch nen­nen mag, Fran­zis­kus brach­te ihr ein­deu­ti­ge Sym­pa­thien ent­ge­gen (sie­he dazu auch: Ist der Papst Kom­mu­nist? und Der Papst, der Kom­mu­nist und die „inte­gra­le Öko­lo­gie“).

Ein drit­tes gro­ßes Tref­fen folg­te noch im Novem­ber 2016 in Rom. Dann aber wur­de es ruhig.

Juan Grabois und die Reibereien

San­dro Magi­ster sieht als Grund dafür vor allem „Rei­be­rei­en“ mit einer der Haupt­fi­gu­ren, die für Fran­zis­kus die „Volks­be­we­gun­gen“ mobi­li­siert hat­ten, mit sei­nem argen­ti­ni­schen Lands­mann Juan Gra­bo­is.

Auch am 20. Sep­tem­ber spiel­te Gra­bo­is beim Sym­po­si­um wie­der eine wich­ti­ge Rol­le zusam­men mit dem Bra­si­lia­ner João Pedro Sté­di­le, dem Grün­der des Movi­men­to dos Tra­bal­ha­dores Rura­les Sem Ter­ra, der Bewe­gung der land­lo­sen Land­ar­bei­ter. Genau das aber sei, so Magi­ster, der Grund gewe­sen, wes­halb Fran­zis­kus der Ver­an­stal­tung fernblieb.

Der heu­te 41 Jah­re alte Gra­bo­is ist der Sohn eines bekann­ten Pero­ni­sten­füh­rers. Mit Fran­zis­kus ergab sich ab 2005 eine enge Zusam­men­ar­beit, als Jor­ge Mario Berg­o­glio Vor­sit­zen­der der Argen­ti­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz war. Als Papst berief er Gra­bo­is als Con­sul­tor in meh­re­re Gre­mi­en, dar­un­ter auch das von Kar­di­nal Czer­ny gelei­te­te Dik­aste­ri­um mit dem sper­ri­gen Namen. Für sei­ne Fähig­keit, die „Volks­be­we­gun­gen“ zu mobi­li­sie­ren, ver­zieh ihm Fran­zis­kus auch sei­ne „Jugend­sün­den“, als er hand­fest Stra­ßen­blocka­den durch­führ­te, Haus­be­set­zun­gen vor­nahm und Streik­po­sten in Fabri­ken orga­ni­sier­te, wo es dann durch­aus gewalt­tä­tig zuge­hen konnte.

„Doch nach dem drit­ten Tref­fen im Jahr 2016 begann es zwi­schen den bei­den zu kri­seln“, so Magi­ster. Ein vier­tes Tref­fen war für Herbst 2017 in Vene­zue­la geplant, einem ande­ren sozia­li­sti­schen „Para­dies“. Doch, wegen der unru­hi­gen Situa­ti­on dort, wur­de es abge­sagt. Statt­des­sen ging man zur Über­brückung dazu über, regio­na­le Tref­fen zu orga­ni­sie­ren. Das war ein erstes Indiz dafür, daß der Schwung abflach­te. Oder viel­mehr, was jedoch nicht bekannt war, die Unter­stüt­zung durch Fran­zis­kus nachließ.

Gra­bo­is sprach von einer sinn­vol­len Alter­na­ti­ve zu dem jähr­lich abge­hal­te­nen Welt­so­zi­al­fo­rum (WSF) als links­ra­di­ka­ler Gegen­ver­an­stal­tung zum Welt­wirt­schafts­fo­rum (WEF). Das Welt­so­zi­al­fo­rum sei „zu einer Abfol­ge von Ritua­len und tou­ri­sti­schen Akti­vi­tä­ten für Mili­tan­te ver­kom­men“, so Gra­bo­is. Was Magi­ster auf einen eher per­sön­li­chen Kon­flikt redu­ziert, hat­te einen tie­fe­ren Grund. Tat­säch­lich war weit mehr gesche­hen. Es war zu einer neu­en Alli­anz zwi­schen den glo­ba­li­sti­schen Eli­ten und erheb­li­chen Tei­len der orga­ni­sier­ten radi­ka­len Lin­ken gekom­men. Das Welt­so­zi­al­fo­rum wur­de zum Aus­lauf­mo­dell, weil füh­ren­de Kräf­te dahin­ter, beson­ders die Grup­pen der soge­nann­ten „anti­fa­schi­sti­schen“ Lin­ken, nicht mehr „ant­ago­ni­stisch“ zum Welt­wirt­schafts­fo­rum sind, son­dern zu des­sen Stie­fel­trup­pen wur­den. Man beach­te, seit wann die­se Kräf­te nicht mehr in Davos gegen das Welt­wirt­schafts­fo­rum demon­strie­ren und wel­che Bedeu­tung Fran­zis­kus dem Davo­ser Tref­fen bei­mißt – im Gegen­satz zu sei­nen Vor­gän­gern (sie­he auch: Welt­wirt­schafts­fo­rum in Davos for­dert mehr Bevöl­ke­rungs­kon­trol­le).

Im Vati­kan wur­de Gra­bo­is‘ Idee nicht unter­stützt. Laut Vitto­rio Agno­let­to, ehe­ma­li­ger Spre­cher des Welt­so­zi­al­fo­rums und Mit­glied des inter­na­tio­na­len Rates des WSF und von Fran­zis­kus als Exper­te zu die­sem The­ma hin­zu­ge­zo­gen, befürch­te­te man in San­ta Mar­ta, daß „eine Struk­tu­rie­rung durch ter­ri­to­ria­le Netz­wer­ke von Volks­be­we­gun­gen zu einer Rei­he von ‚lee­ren Kästen‘ in Kon­kur­renz zum Welt­so­zi­al­fo­rum füh­ren wür­de“. Das läßt sich auch so lesen, daß Fran­zis­kus kei­ne effi­zi­en­te Wie­der­be­le­bung des Welt­so­zi­al­fo­rums woll­te. Betrach­tet man die Ent­wick­lung, die seit­her im Ver­hält­nis zwi­schen der glo­ba­li­sti­schen Hoch­fi­nanz und der radi­ka­len Lin­ken statt­fand, ver­steht man den Gesamtzusammenhang.

Beim ersten Regio­nal­tref­fen der „Volks­be­we­gun­gen“ im Janu­ar 2017, das in Mode­sto in Kali­for­ni­en statt­fand, ließ sich Fran­zis­kus noch per Video zuschal­ten und hielt eine Rede, die an die vor­he­ri­gen anknüpf­te. Schon beim zwei­ten Regio­nal­tref­fen, das in Coch­abam­ba in Boli­vi­en folg­te, war Fran­zis­kus aber nicht mehr dabei.

Der Bruch mit Grabois

Die Miß­stim­mung zwi­schen Fran­zis­kus und Gra­bo­is wei­te­te sich aus. Fran­zis­kus mach­te sei­nem jun­gen Freund Vor­hal­tun­gen, weil die­ser am Vor­abend der Papst­rei­se nach Chi­le den argen­ti­ni­schen Prä­si­den­ten Mau­ricio Macri scharf ange­grif­fen hat­te. Die Chi­le-Rei­se im Janu­ar 2018 war für Fran­zis­kus ein Spieß­ru­ten­lauf wegen des Schla­mas­sels, das er selbst dort durch sei­ne „Art“ der Miß­brauchs­be­kämp­fung ver­ur­sacht hat­te. Fran­zis­kus hat­te so lan­ge einen von ihm ernann­ten Bischof geschützt, der im Ver­dacht stand, in einen gro­ßen homo­se­xu­el­len Miß­brauchs­skan­dal ver­wickelt zu sein, daß die gesam­te Kir­che in Chi­le in Miß­kre­dit geriet. Ent­spre­chend leer blie­ben die Stra­ßen und Plät­ze, auf denen Fran­zis­kus auf­trat. In die­ser Situa­ti­on konn­te Fran­zis­kus einen Kon­flikt mit Macri nicht brau­chen, da die Medi­en im Zusam­men­hang mit Gra­bo­is immer auf des­sen enge Freund­schaft mit dem Papst ver­wie­sen und die­sen dadurch in den Kon­flikt hin­ein­zo­gen. Die Aver­si­on des Pap­stes gegen Argen­ti­ni­ens nicht-pero­ni­sti­schen Staats- und Regie­rungs­chef waren satt­sam bekannt. Schließ­lich hat­ten Gra­bo­is‘ Angrif­fe gegen Macri in den Jah­ren zuvor kei­nes­wegs die Miß­bil­li­gung des Pap­stes gefunden.

Von da an paß­te zwi­schen Gra­bo­is und Fran­zis­kus nichts mehr. Selbst die Anwe­sen­heit Gra­bo­is’ mit 500 Anhän­gern der Volks­be­we­gun­gen bei einer Papst­mes­se in Chi­le wur­de zum Ärgernis.

Die Argen­ti­ni­sche Bischofs­kon­fe­renz gab eine Erklä­rung her­aus, mit der sie jene scharf ver­ur­teil­te, die ihre Freund­schaft mit dem Papst miß­brau­chen. Beim Namen wur­de zwar nie­mand genannt, doch der Zusam­men­hang war klar. Dafür sorg­ten Hin­wei­se auf die „Volks­be­we­gun­gen“ und den „Land, Dach, Arbeit“-Dreiklang in der Erklä­rung. Eine sol­che Maß­nah­me war nicht ohne Rück­spra­che mit der Apo­sto­li­schen Nun­tia­tur und Rom denk­bar. Um genau zu sein: Der Auf­trag zu die­ser Distan­zie­rung kam von ganz oben.

Erst 2020 soll­te es wie­der zu einer Berüh­rung mit den Volks­be­we­gun­gen kom­men, indem Fran­zis­kus ihnen einen kur­zen offe­nen Brief mit einer selt­sa­men Oster­bot­schaft zukom­men ließ. Dar­in wur­de aber nie­mand von den bis­he­ri­gen Orga­ni­sa­to­ren erwähnt noch wur­de eine Wie­der­auf­nah­me der Tref­fen nach der von ande­ren päpst­li­chen Freun­den orga­ni­sier­ten Coro­na-Pseu­do­pan­de­mie in Aus­sicht gestellt.
Die Kurz­bot­schaft wur­de am Oster­sonn­tag ver­öf­fent­licht, ent­hielt aber kei­nen Hin­weis auf den auf­er­stan­de­nen Herrn und auch kei­ne guten Wün­sche zum Fest­tag. Statt­des­sen for­der­te Fran­zis­kus ein „gene­rel­les Grund­ein­kom­men“ für alle.

Zum Jah­res­en­de 2020 folg­te schließ­lich der direk­te Bruch mit Gra­bo­is. In einem hand­ge­schrie­be­nen Brief an eine Grup­pe ehe­ma­li­ger argen­ti­ni­scher Akti­vi­sten distan­zier­te sich der Papst von sei­nem ein­sti­gen Freund und erbat sich Infor­ma­tio­nen über diesen:

„Dr. Gra­bo­is ist seit Jah­ren Mit­glied des Dik­aste­ri­ums für den Dienst zugun­sten der ganz­heit­li­chen Ent­wick­lung des Men­schen. Bezüg­lich des­sen, was er angeb­lich sagt (daß er mein Freund ist, daß er mit mir in Kon­takt steht, usw.), bit­te ich Sie um einen Gefal­len, der mir wich­tig ist. Ich brau­che eine Kopie der Aus­sa­gen, in denen er die­se Din­ge sagt. Es wird für mich sehr nütz­lich sein, sie zu erhalten.“

In Argen­ti­ni­en wis­se man näm­lich nicht, so Fran­zis­kus, was er „Tag für Tag sage“, so kön­ne irgend­wer etwas in Umlauf set­zen, „und so kommt man bei die­ser Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on, bei der jeder etwas hin­zu­fügt oder abzieht, zu unwahr­schein­li­chen Ergeb­nis­sen, wie bei der Geschich­te von Rot­käpp­chen, die damit endet, daß Rot­käpp­chen und sei­ne Groß­mutter einen köst­li­chen Ein­topf essen, der mit dem Fleisch des Wol­fes gekocht wurde.“

Der Brief, der eine unge­wöhn­li­che Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on eines Pap­stes ent­hüllt, wur­de von der Grup­pe jedoch voll­in­halt­lich veröffentlicht.

San­dro Magi­ster schließt aus der Epi­so­de, daß dies erklä­re, war­um Fran­zis­kus so vie­le Inter­views gebe, damit „wir jedes Mal direkt von ihm hören“, was er sagt, „ohne Vermittler“.

Dar­aus lie­ße sich aber auch noch ande­res fol­gern. Im Fall Gra­bo­is und der Volks­be­we­gun­gen ist der welt­po­li­ti­sche, rec­te glo­ba­le Zug längst in eine ande­re Rich­tung abge­fah­ren und für Fran­zis­kus in sei­ner ursprüng­li­chen Form nicht mehr inter­es­sant. Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­form, mit Men­schen den direk­ten Kon­takt zu pfle­gen und die­sen es ein­sei­tig zu über­las­sen, die Welt dar­über zu infor­mie­ren, was „der Papst denkt und sagt“, wur­de und wird von Fran­zis­kus hin­ge­gen bewußt und aus­gie­big genutzt. Man den­ke an die Ret­tungs­ak­ti­on, mit der Joe Biden vor der Fest­stel­lung der Exkom­mu­ni­ka­ti­on bewahrt wur­de, und als „Klas­si­ker“ die zahl­rei­chen Kon­tak­te mit Euge­nio Scal­fa­ri, der anschlie­ßend als eine Art „Papst­spre­cher“ auf­tre­ten konn­te, ohne daß Fran­zis­kus oder der Vati­kan je ein ernst­haf­te Distan­zie­rung vor­ge­nom­men hät­ten. Glei­ches gilt auch für Chia­ra Ami­ran­te, die seit Juni 2018 eine Hal­tungs­än­de­rung von Fran­zis­kus gegen­über Med­jug­or­je pro­pa­gier­te und sich dabei auf Fran­zis­kus beru­fen konn­te, weil er sie in Audi­enz emp­fan­gen hatte.

Was Fran­zis­kus wirk­lich denkt, das steht auf einem ganz ande­ren Blatt geschrie­ben und wird wahr­schein­lich in vie­lem ein Rät­sel blei­ben. Zuzu­stim­men ist hin­ge­gen einer wei­te­ren Ein­schät­zung Magisters:

„Was sei­ne unzäh­li­gen hand­ge­schrie­be­nen Brie­fe angeht, so wer­den sie, wenn sie in Zukunft gesam­melt und ver­öf­fent­licht wer­den, eine Fund­gru­be für die Histo­ri­ker die­ses Pon­ti­fi­kats sein.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shots)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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1 Kommentar

  1. Zu Graband­al ist nur wich­tig, daß nicht die höch­ste Stu­fe aner­kannt ist. Es gibt also kei­ne Bau­ge­neh­mi­gung und der Ort wird in Ruhe gelas­sen. Die Beden­ken, die Herr Nar­di gegen­über even­tu­el­len kom­men­den Schi­ka­nen aus Rom hat, habe ich nicht.

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