
„Die Segnung von Regenbogenpaaren ist eine Häresie. Die belgischen Bischöfe können sie nicht legitimieren, indem sie sich auf angebliche Aussagen des Papstes berufen. Selbst wenn er dies gesagt hätte, liegt es nicht in seiner Kompetenz, die Offenbarung zu ändern“. Mit klaren Worten rückte Kardinal Gerhard Müller, bis 2017 Präfekt der römischen Glaubenskongregation, die Koordinaten in der Kirche zurecht und legte damit offen, wo es schwerwiegende Fehlentwicklungen gibt, vor allem in Deutschland, aber auch in Rom. Ebenso stellte er klar: „Den alten Ritus anzugreifen ist absurd.“
Nico Spuntoni von La Nuova Bussola Quotidiana führte ein Interview mit Kardinal Gerhard Müller anläßlich der Veröffentlichung der italienischen Ausgabe seines Buches „Der Papst. Sendung und Auftrag“. Die deutsche Ausgabe war 2017 erschienen.
NBQ: Eminenz, warum haben Sie die Worte von Pius XI., der die Entstehung von Nationalkirchen verurteilte, als „wahrhaft prophetische Worte bezeichnet, die auch in der heutigen Konfrontation mit mediengesteuerten totalitären Ansprüchen ihre Bedeutung behalten“?
Kardinal Müller: Die Nationalkirche ist ein vollkommener Widerspruch zu Gottes Willen, die ganze Menschheit zu retten und alle Menschen im Heiligen Geist zu vereinen. Man kann den Glauben nicht auf eine einzige Nation reduzieren, wie es die Orthodoxen mit der Autokephalie tun. Das ist kein katholisches Prinzip. Wir sind die katholische Kirche, d. h. universal, für alle Völker.
NBQ: Der Gedanke geht unweigerlich zu dem, was in ‚Ihrem‘ Deutschland geschieht. Befürchten Sie, daß die Ergebnisse des deutschen Synodalen Weges die nächste Synode über die Synodalität anstecken könnten?

Kardinal Müller: Ja, natürlich. Die Befürworter und Unterstützer des deutschen Synodalen Wegs wollen sich nicht von der katholischen Kirche trennen, sondern im Gegenteil zu ihrer Lokomotive werden. Ihre Agenda ist seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt und ist immer noch die des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Sie sind nicht die wahre Vertretung der deutschen Laien, sondern Funktionäre, die seit Jahrzehnten gegen den priesterlichen Zölibat, gegen die Unauflöslichkeit der Ehe und für die Ordination von Frauen kämpfen.
NBQ: Diese Vorschläge wurden während der synodalen Aktivität als Lösung für das Problem des Kindesmißbrauchs durch Kleriker präsentiert. Haben das Schuldeingeständnis und der Rücktritt wegen ihres Versagens in dieser Sache von deutschen Bischöfen, die Hauptakteure dieses Weges waren, nicht die Glaubwürdigkeit dieses Narrativs untergraben?
Kardinal Müller: Die Wahrheit ist, daß in Deutschland diese traurigen Ereignisse, die von einigen Priestern begangen wurden, in hohem Maße instrumentalisiert wurden, um eine Agenda durchzusetzen, die es schon vorher gab und die nichts mit dieser Tragödie zu tun hat. Auf der anderen Seite tun die Mainstream-Medien in Deutschland nichts anderes, als die durch den Synodalen Weg geförderten Veränderungen in der Lehre zu preisen. Für sie ist nur die Frankfurter Versammlung gut in der Kirche, während alles andere verleumdet wird und dazu Etiketten wie konservativ oder sogar faschistisch eingesetzt werden! Die Mehrheit der deutschen Presse ist für den Synodalen Weg, nicht um die Kirche zu verbessern, sondern um sie zu zerstören. Es ist kein Zufall, daß sie über Fälle von Pädophilie, die von Priestern begangen wurden, spricht, während sie über solche, die im Sport, an Universitäten oder in der Politik begangen wurden, wo der Prozentsatz der Verbrechen noch höher ist, schweigt. Diejenigen, die schon immer gegen den priesterlichen Zölibat und gegen die Sexualmoral der Kirche waren, haben nun in der Tragödie des Kindesmißbrauchs durch Priester ein Instrument gefunden, um zu zerstören, was sie schon immer zerstören wollten.
NBQ: Was den deutschen Synodalen Weg betrifft: Haben Sie die Intervention des Bischofs von Antwerpen Msgr. Johan Bonny gehört, der die Segnung homosexueller Paare unterstützte, indem er das von der Belgischen Bischofskonferenz nach Rom gebrachte Schema propagierte? Angeblich sagten die römischen Behörden den belgischen Bischöfen, daß es ihre Entscheidung sei, und sogar der Papst habe ihnen gesagt: „Es ist eure Entscheidung, ich kann das verstehen“.
Kardinal Müller: Wer heute heterodoxe Positionen vertritt, versucht sich mit dem Verweis auf angebliche Aussagen oder Interviews von Franziskus zu legitimieren. Doch damit überschreiten sie ihre Kompetenzen. In der Geschichte hat es viele häretische Bischöfe gegeben. Dieses Pro-Regenbogen-Segen-Schema ist eine klare Häresie. Um es zu legitimieren, können sie sich nicht auf einen Moment berufen, an dem der Papst etwas zu ihnen gesagt hätte. Selbst wenn der Papst es tatsächlich gesagt hätte, können sie niemals die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare einführen, als wäre es eine Ehe. Das ist absolut unmöglich. Es liegt nicht in der Kompetenz eines Papstes, die Offenbarung und die Grundlage der christlichen und katholischen Moral zu ändern. Und schon gar nicht kann eine Bischofskonferenz dies tun. Das sind Handlungen gegen die Kirche.
NBQ: Meinen Sie, daß das Dikasterium für die Glaubenslehre eingreifen sollte, um den Bischof von Antwerpen abzumahnen?
Kardinal Müller: Ja, es muß eingreifen.
NBQ: Wenn Sie noch Präfekt wären, hätten Sie dann eingegriffen?
Kardinal Müller: Vielleicht wollten sie mich gerade deshalb nicht mehr als Präfekt, weil ich eingegriffen hätte (lacht, Anm d. Red.). Das ist die Aufgabe des Präfekten der Glaubenskongregation. Man kann nicht nur mit einer politischen oder diplomatischen Logik argumentieren. Die Zeit ist gekommen, die Wahrheit zu bekennen.
NBQ: In Ihrem Buch schreiben Sie über das Zweite Vatikanische Konzil, daß es „nur eine Hermeneutik der Reform und der Kontinuität geben kann“. Vor einigen Tagen sagte Kardinal Arthur Roche, um die Einschränkungen gegen die sogenannte tridentinische Messe zu rechtfertigen, daß „sich die Theologie der Kirche verändert hat“. Wie beurteilen Sie diese Worte?
Kardinal Müller: Als Theologe bin ich nicht glücklich über diese Aussage von Kardinal Roche. Der Glaube ist immer derselbe. Wir können den Glauben nicht ändern. Die Theologie entwickelt sich, aber immer auf der Grundlage desselben Glaubens. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Glauben an das Sakrament der Eucharistie nicht verändert. Die Eucharistie ist die sakramentale Vergegenwärtigung des Opfers Jesu Christi, die Realpräsenz Jesu Christi. Nur die liturgischen Formen haben sich entwickelt aus dieser guten Idee der aktiven Teilnahme aller Gläubigen heraus. Die äußere Form der Liturgie hat sich entwickelt, aber es gibt keine substantiellen Veränderungen. Ich glaube, um sich auszudrücken, sollte man das mit einem tiefen Verständnis der Theologie der Entwicklung der Messe und der Liturgie tun. Die großen Konzilien über die Eucharistie – das Konzil von Trient und das Zweite Vatikanische Konzil – lehren, daß es in der katholischen Kirche nie nur einen Ritus gegeben hat.
NBQ: Sie sehen also in der sogenannten tridentinischen Messe keine Bedrohung für die Einheit der Kirche?
Kardinal Müller: Nein, als solche nicht. Es gibt einige, die sagen, daß dies die einzige orthodoxe Form ist und daß die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelte Form ungültig ist. Das sind Extremisten. Aber man sollte nicht so reagieren, daß man einige wenige Extremisten auf extremistische Weise treffen will und dafür die große Mehrheit dieser Gemeinschaften bestraft, die die Kirche, den Papst und die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils lieben. Extremisten gibt es auf beiden Seiten: Auf der einen Seite gibt es jene, die sagen, daß die Orthodoxie nur vom Ritus abhängt. Die Griechisch-Katholischen haben also keine wahre Messe? Das ist absurd. Diese öffentlichen Erklärungen werden ohne tiefes Nachdenken abgegeben.
NBQ: Würden Sie dem Heiligen Vater raten, die Einschränkungen in dem von Kardinal Roche unterzeichneten Rescriptum ex audientia zurückzunehmen?
Kardinal Müller: Es wäre besser, sich an die Linie von Benedikt XVI. zu halten, dem größten Kenner der Liturgie und auch dem größten Theologen. Die höchste Autorität der Kirche muß immer die Versöhnung suchen. Es bedarf einer Dialektik, um einen Weg zum Frieden zu finden. Die Kirche ist in Christus das Symbol für die Einheit der Menschheit. Und ich füge noch etwas hinzu.
NBQ: Bitte…
Kardinal Müller: Diese Gemeinschaften, die der sogenannten lateinischen Messe verbunden sind, leiden unter dem Vorurteil, sie seien Feinde des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aber es gibt Bischöfe in Deutschland, die das Zweite Vatikanum offen leugnen! Sie stellen es in Frage oder sagen, es sei nur eine Etappe in der Vergangenheit. Sie akzeptieren die Lehre des Konzils nicht.
Was ist die Reaktion Roms darauf? Warum wird gegen die eine Seite mit aller Autorität reagiert, während gegen die andere Seite – die zum Beispiel die Segnung homosexueller Paare fördert – praktisch keine Reaktion erfolgt?
NBQ: Im Jahr 2022 erblickte die lang erwartete Reform der Römischen Kurie das Licht der Welt, die in den Generalkongregationen vor dem Konklave im Jahr 2013 beschlossen wurde. In Ihrem Buch schreiben Sie, daß „man das Ziel verfehlt, wenn man auf einen Plan von Experten aus Politik, Finanzen und Wirtschaft wartet, um sie zu reformieren“. Sie sind also nicht einverstanden mit der Neuerung von Praedicate Evangelium, daß auch Laien Dikasteriumsleiter werden können.
Kardinal Müller: Wenn man das Dikasterium als eine Art zivile Institution des Vatikans betrachtet, kann der Laie auch Minister sein. Aber die Römische Kurie ist etwas anderes als der Staat der Vatikanstadt. Sie ist eine kirchliche Einrichtung. Die Kongregationen werden jetzt ‚Dikasterien‘ genannt, um einen ekklesiologischen Begriff zu vermeiden. Ich bin gegen die Säkularisierung der römischen Kurie. Der Leiter des Kommunikationsdikasteriums kann ein kompetenter Laie sein. Aber es muß klar unterschieden werden zwischen den Institutionen der Vatikanstadt, die ein Staat ist und der die Kirche nicht regieren kann. Der Vatikan hat nichts mit der Kirche zu tun.
NBQ: Im Klartext: Ein Laie kann Statthalter des Staates der Vatikanstadt sein, aber nicht das ehemalige Heilige Offizium leiten?
Kardinal Müller: Genau. Die Grundlage der römischen Kurie ist das Kardinalskollegium. Es gibt eine römische Kurie, die dem Papst bei seinem Dienst an der Weltkirche dient. Ich denke, daß jene, die diese Neuerungen entworfen haben, nicht über all dies nachgedacht haben. Wir haben uns mit den Finanzskandalen beschäftigt, aber nicht genug darüber nachgedacht, was die römische Kurie auf theologischer Ebene wirklich ist. Das Zweite Vaticanum spricht von der römischen Kurie, aber als ekklesiologisches Gremium: Was die Kirche berührt, ist Aufgabe unserer Kongregationen und des Papstes als Papst, nicht als Staatsoberhaupt.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ
Wenn ich zum Beispiel auf katholischen Internetseiten in den USA kommentiere (verwiesen sei auf LifeSiteNews), fühle ich mich oft gedrängt zu versichern, dass der Kurs der Deutschen Bischofskonferenz viele deutsche Katholiken zutiefst beschämt, dass nicht alle deutschen Katholiken ihren Bischöfen begeistert auf dem „Synodalen Weg“ folgen. – Die Antwort, die ich vor kurzem erhielt: „Wir wissen das, und wir wissen um die Sicht des großartigen Kardinal Müller.“
Ich gehe davon aus, dass Kardinal Müller für seine Haltung in harter Weise angegangen wird, dass er wohl auch bedroht wird. Ich danke Kardinal Müller für seine Klarheit, ich bewundere den Mut, dessen es heute bedarf, für das einzutreten, was seit den Anfängen der Kirche als Glaubenswahrheit gelehrt wurde.