Die brüderliche Zurechtweisung gegenüber dem Vorgesetzten ist nur in der katholischen Kirche wirklich möglich, weil in ihr nach dem Willen Gottes der Primat der Wahrheit gilt. Die brüderlichen Korrekturen an Papst Franziskus richten sich nicht gegen ihn, sondern sind für ihn (und für uns), damit er die Mission, deren Einhaltung er am Tag seiner Wahl auf den Stuhl Petri geschworen hat, treu erfülle.
Von Cronicas de Papa Francisco
Unser Herr Jesus Christus wollte, daß Seine Kirche monarchisch und hierarchisch ist, doch nur sie kann den Staaten, insbesondere den modernen, Lektionen in Sachen Demokratie erteilen.
Seit den Anfängen der Kirche haben wir Beispiele dafür, daß Untertanen ihre Vorgesetzten zurechtwiesen. Das erste Beispiel ist der Widerstand des heiligen Paulus gegen den ersten Stellvertreter Christi, den heiligen Petrus, als dieser die judaisierende Irrlehre unterstützte (vgl. Gal 2,11). Im Laufe der Jahrhunderte hat Gott sehr oft Heilige gesandt, die der untersten Stufe der hierarchischen Leiter angehörten, um die Irrtümer – lehrmäßige und moralische – der Hirten zu korrigieren. Es war eine ungebildete Frau (allerdings reich an Erkenntnis durch die ihr geschenkte Gnade), die heilige Katharina von Siena, die den Papst nach mehr als 70 Jahren aus dem Avignoner Exil nach Rom zurückbrachte.
Die brüderliche Zurechtweisung des Vorgesetzten ist nur in der katholischen Kirche wirklich möglich, weil in ihr gemäß göttlichem Willen der Primat der Wahrheit herrscht. Es ist die heilige Pflicht aller Christen, vom Papst bis zum letzten Getauften, das Depositum fidei durch Katechese zu verteidigen und weiterzugeben – so sieht es auch das Kirchenrecht vor (can. 212, Art. 3). Die Hierarchie hat in besonderer Weise durch den Auftrag Christi (vgl. Lk 10,16) die Aufgabe, die Gläubigen durch das Lehramt im Glauben zu bestärken (vgl. Lk 22,32).
Wenn also die Hirten aus dem einen oder anderen Grund ihren göttlichen Auftrag nicht erfüllen, können die Untergebenen sie nicht nur brüderlich korrigieren, sondern müssen es sogar. Natürlich ist die Korrektur gegenüber dem Oberen in der Kirche nicht die Revolte gegen den Führer, wie sie die großen Revolutionen der vergangenen fünf Jahrhunderte unter den Völkern und Nationen verbreitet haben. Christen machen keine Revolutionen, und sie delegitimieren auch keine Oberen, nicht einmal zivile, geschweige denn kirchliche. Deshalb können – und müssen – sie sich dem Vorgesetzten widersetzen, der unter Mißbrauch seiner Autorität etwas vorschreibt, was gegen den Glauben oder die Moral verstößt; aber man kann und darf sich nicht dem Oberen widersetzen, der eine Anweisung für das eigene Leben gibt.
Während dieses Pontifikats waren leider einige brüderliche Zurechtweisungen notwendig. Während Papst Franziskus die Kirche mit eiserner Faust regiert, hat er Spaltungen verursacht und die Verwirrung verstärkt, weil sein vornehmlich pastorales Lehramt absichtlich zweideutig ist.
Aber wie kann man die theologischen Irrtümer des Papstes korrigieren oder sich seiner autokratischen Herrschaft widersetzen?
Erstens, indem man ihn stets als rechtmäßigen Stellvertreter Christi anerkennt und die Heiligkeit seines Amtes – jenseits der persönlichen Heiligkeit des Menschen – niemals mißachtet, weil man niemals Böses mit Bösen vergelten oder korrigieren kann. Die Legitimität des Papstes zu mißachten, bedeutet, in ein Schisma zu verfallen, und ihn zu verleumden ist eine ebenso tödliche Sünde. Ein Vater, selbst der schlechteste Vater, bleibt immer ein Vater, und Gott erlaubt keine Ausnahmen vom Gehorsam gegenüber dem vierten Gebot.
„Und selbst wenn der Papst ein fleischgewordener Teufel wäre statt eines gütigen Vaters“, schrieb die heilige Katharina von Siena in einem ihrer Briefe, „darf ich meinen Kopf nicht gegen ihn erheben“1. Und sie war sehr streng mit den Päpsten ihrer Zeit!
So wie der Obere den Untergebenen aus Liebe zu korrigieren hat, so muß auch der Untergebene den Vorgesetzten aus Liebe korrigieren, niemals aber aus Verachtung. In diesen neun Jahren gab es unglücklicherweise Beispiele dafür, daß einige Papst Franziskus delegitimiert und verachtet haben, aber es gab auch leuchtende Beispiele dafür, daß man den Papst – wer auch immer er ist – lieben kann und muß, auch wenn er Fehler macht.
Die vier Kardinäle der fünf Dubia zu Amoris Laetitia haben sich mit brüderlichem Respekt an den Papst gewandt, obwohl ihnen unflätig vorgeworfen wurde, gegen ihn zu sein, weil sie erkannt hatten, daß nur er der Verwirrung ein Ende setzen kann, die durch dieses zweideutige apostolische Schreiben entstanden ist. Und als sie Franziskus um eine Audienz baten, aber wiederum keine Antwort erhielten, wollten sie schwarz auf weiß bekräftigen, daß sie ihn als den rechtmäßigen 265. Nachfolger des heiligen Apostels Petrus anerkennen.
„Wir möchten vor allem unsere absolute Hingabe und bedingungslose Liebe für den Stuhl Petri und für Eure erhabene Person erneuern, in der wir den Nachfolger Petri und den Stellvertreter Jesu erkennen: den ‚süßen Christus auf Erden‘, wie die heilige Katharina von Siena zu sagen pflegte“, schrieb Carlo Kardinal Caffarra am 25. April 2017, auch im Namen seiner Brüder im Kardinalsrang Brandmüller, Burke und Meisner. „Wir gehören nicht im Geringsten zu denen, die den Stuhl Petri für vakant halten, und auch nicht zu denen, die die unteilbare Verantwortung des petrinischen ‚munus‘ auch anderen zuschreiben wollen. Uns bewegt nur das Bewußtsein der großen Verantwortung, die sich aus dem ‚munus‘ des Kardinals ergibt: dem Nachfolger Petri in seinem souveränen Amt beratend zur Seite zu stehen.“
Kardinal Caffarra starb am 6. September desselben Jahres. Man kann sagen, daß sein letzter öffentlicher Akt darin bestand, indem er seinen Widerstand gegen die theologische und pastorale Zweideutigkeit von Amoris Laetitia wiederholte, noch einmal seine Loyalität und Unterordnung unter den Papst zu bekräftigen.
Am 11. Juli 2017 wurde die berühmte Correctio Filialis De Haeresibus Propagatis, die von einem Bischof, einigen Priestern und mehreren Laien aus der ganzen Welt unterzeichnete Korrektur der von Papst Franziskus verbreiteten Irrlehren, in Santa Marta übergeben. Der Titel ist sehr wichtig, weil er Franziskus als rechtmäßigen Papst anerkennt und damit die Unterwerfung unter ihn als Söhne in Christus bekräftigt. Natürlich wurden die von seinem zweideutigen Lehramt verbreiteten Irrlehren nicht verschwiegen, und er wurde aufgefordert, seinen Kurs zum Wohl der Seelen und zu seinem eigenen so bald wie möglich zu korrigieren.
Es wurde auch nicht geschwiegen, als die Pachamama am 4. (Fest des heiligen Franz von Assisi) und 7. Oktober (Rosenkranzfest) 2019 in einer Prozession in den Vatikan getragen und inthronisiert wurde. Am darauffolgenden 9. November wurde dem Heiligen Stuhl ein formeller Protest gegen die frevelhaften Handlungen vorgelegt, der von Katholiken aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde.
Was war die Reaktion von Papst Franziskus? So wie ich ihn in den letzten neun Jahren kennengelernt habe, kann man davon ausgehen, daß es ihm nicht gefallen hat, aber er konnte gegen keinen von ihnen einen Finger rühren – außer sie selbstgefällig zu ignorieren –, weil er genau weiß, daß sie nichts getan haben, was nicht von der Kirche erlaubt ist.
Die Gläubigen „haben das Recht und bisweilen sogar die Pflicht“, so der oben genannte Codex des kanonischen Rechts, „ihre Meinung, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen“, unbeschadet der „Ehrfurcht gegenüber den Hirten“ (can. 212,3)2.
Erst vor wenigen Tagen erklärte Athanasius Schneider, Weihbischof von Astana (Kasachstan): „Wir sind keine Angestellten des Papstes, wir sind Brüder. Wenn ich mit gutem Gewissen das Gefühl habe, daß etwas nicht richtig oder zweideutig ist, muß ich es ihm respektvoll und brüderlich sagen“.3 Er, der Papst Franziskus bei der Begegnung mit dem Episkopat, dem Klerus, den Diakonen und den Seminaristen Kasachstans mit aufrichtiger Zuneigung begrüßte,4 äußerte auf diese seine Verwunderung über die Teilnahme des Nachfolgers Petri an dem von der Regierung seines Landes veranstalteten Kongreß der Führer der Weltreligionen.
Denn abgesehen von dem hehren Ziel des Kongresses, den gegenseitigen Respekt zu fördern, „wird letztlich das Bild einer Art Mustermesse des Heiligen, eines Supermarktes der Religionen vermittelt, in dem alle Religionen gleichberechtigt sind“.5 Das von Msgr. Schneider verwendete Bild ist treffend und drückt gut „die heute vorherrschende Tendenz aus, die Religionsfreiheit als die Situation eines Kunden vor dem Regal zu betrachten“, so der Philosoph und Sozialethiker Stefano Fontana.6
Deshalb hat Msgr. Schneider selbst bei einem Besuch ad limina apostolorum im Jahr 2019 Franziskus gebeten, die Abu-Dhabi-Erklärung über den von Gott gewollten religiösen Pluralismus zu korrigieren. Auf dieses Dubium antwortete der Papst, was die Sache nur noch schlimmer machte …
Dennoch sind diese Zurechtweisungen nicht auf taube Ohren gestoßen – zumindest nicht vollständig –, denn in Kasachstan wurde das vom Papst unterzeichnete Dokument überarbeitet, das zwar die religiöse Pluralität anerkennt, aber von Erlaubnis und nicht von Willen spricht.7 Es ist ein Kompromiß. Ist er gut? Offensichtlicherweise nicht, aber es ist ein Zeichen dafür, daß etwas – vielleicht mit Verärgerung – verstanden worden ist.
Die jüngste brüderliche Zurechtweisung, die notwendig geworden ist, steht im Einklang mit der ersten, denn sie betrifft den richtigen Empfang der Eucharistie.
Am 16. Juli 2021 verkündete Papst Franziskus das Motu proprio Traditionis custodes, mit dem er das Motu proprio Summorum Pontificum von Benedikt XVI. aufhob, die Verwendung des Missale des heiligen Pius V. in den Pfarreien verbot und den Priestern die Befugnis entzog, ohne Erlaubnis des Bischofs den Vetus Ordo zu zelebrieren. Da Franziskus mit der Anwendung von Traditionis custodes durch die Bischöfe unzufrieden war, erhöhte er den Druck und veröffentlichte am 29. Juni dieses Jahres das Apostolische Schreiben Desiderio desideravi, in dem er auch seinen Plan für die Kirchenreform zusammenfaßte. Am Samstag, dem 17. September, wurde auf der amerikanischen Nachrichtenseite LifeSiteNews die von vier Bischöfen (darunter Msgr. Athanasius Schneider), Priestern, Ordensleuten und Laien aus der ganzen Welt unterzeichnete Erklärung zu der vom Konzil von Trient verurteilten Lehre von Papst Franziskus über den Empfang der heiligen Eucharistie veröffentlicht.
Darin bitten sie den Heiligen Vater respektvoll und demütig, Punkt 5 von Desiderio desideravi zu korrigieren – die „keine unfehlbare Lehre ist“, so die Unterzeichner, „weil sie nicht die notwendigen Bedingungen für die Ausübung der päpstlichen Unfehlbarkeit erfüllt“ –, wo es heißt, daß man, um Zugang zum Hochzeitsmahl zu erhalten, „nur das Hochzeitskleid des Glaubens braucht, das aus dem Hören auf Sein Wort kommt“.
Da „die unmittelbare Bedeutung dieser Worte darin besteht, daß die einzige Voraussetzung, die ein Katholik erfüllen muß, um die heilige Eucharistie würdig zu empfangen, der Besitz der Tugend des Glaubens ist, durch den er an die von Gott geoffenbarte Lehre Christi glaubt“, schreiben die Unterzeichner, widerspricht dies leider „dem Glauben der katholischen Kirche“. Nach den Canones des dogmatischen – und damit unfehlbaren – Konzils von Trient müssen die Katholiken die sakramentale Absolution empfangen, um die heilige Eucharistie würdig und ohne Sünde empfangen zu können“.
Eine Lehre, die auch in den Codex des kanonischen Rechts aufgenommen wurde (Nr. 915–916).
Auch Msgr. Nicola Bux hatte auf diesen Irrtum hingewiesen und daran erinnert, daß das Hochzeitskleid (vgl. Mt 22,1–14) nach der unfehlbaren Lehre der Kirche nicht der Glaube, sondern die Gnade ist.8
Abschließend wiederholen wir, daß diese Bitten und Zurechtweisungen an Papst Franziskus nicht gegen ihn gerichtet sind, sondern für ihn sind (und für uns), damit er die Mission, deren Einhaltung er am Tag seiner Wahl auf den Stuhl Petri geschworen hat, treu erfüllen kann.
Heiliger Vater, wir wünschen uns sehnlichst, daß Ihr uns im Glauben der Kirche bestärkt, damit wir in Euch den rechtmäßigen Stellvertreter Christi auf Erden erkennen können.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshots)
1 Katharina von Siena, Brief 270, abgedruckt in: Caterina von Siena, Sämtliche Briefe. An die Männer der Kirche II, hrsg. von Werner Schmid, Kleinhain 2005, S. 418.
2 Canon 212,3 des Codex Iuris Canonici von 1983.
3 „Non siamo dipendenti“. L’avvertimento del vescovo al Papa („Wir sind keine Angestellten“. Die Warnung des Bischofs an den Papst), Il Giornale, 18. September 2022.
4 Nur-Sultan, Begegnung mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Diakonen und Seminaristen, Vatican News, 15. September 2022.
5 As pope Kazakhstan visit ends, conservative critic speaks out (Nach dem Besuch des Papstes in Kasachstan meldet sich ein konservativer Kritiker zu Wort), Reuters, 15. September 2022.
6 Stefano Fontana: Papa Francesco al „supermercato delle religioni“ (Papst Franziskus im „Supermarkt der Religionen“), in: La Nuova Bussola Quotidiana, 19. September 2022.
7 P. Serafino Lanzetta: Dio non è sincretista (Gott ist kein Synkretist), in: Catholica Fides, 19. September 2022.
8 Don Nicola Bux: „Desiderio desideravi?“ Eresia o errore? (Häresie oder Fehler?), in: Il pensiero cattolico vom 13. August 2022.