(Abu Dhabi) Die Errichtung des sogenannten Abrahamic Family House, ein „Haus der Abrahamitischen Familie“, das auf der Insel Saadiyat in Abu Dhabi gebaut wird, schreitet voran. 20 Prozent des Bauwerks, das in einer gemeinsamen Anlage eine Moschee, eine Synagoge und eine katholische Kirche vereinen wird, sind verwirklicht. Die Eröffnung der ersten gemeinsamen Tempelanlage der monotheistischen Religionen ist für 2022 geplant.
Die Baufortschritte seien genau im Zeitplan, gab die Pressestelle des Projekts in Abu Dhabi bekannt. Dazu stellte sie eine Luftaufnahme der Baustelle zur Verfügung, die den aktuellen Stand der Bauarbeiten dokumentiert. Bauträger ist das Hohe Komitee für die Brüderlichkeit aller Menschen. Dieses Komitee betreibt auch die offizielle Internetseite des Projekts.
Zudem wurden die Namen bekanntgegeben, welche die drei Kultstätten tragen werden. Die islamische Gebetsstätte wird Moschee Imam Al-Tayyeb heißen und nach Ahmad Mohammed al-Tayyeb, dem Erbscheich der Sufi-Bruderschaft und Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo, benannt sein, der mit Papst Franziskus am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen unterzeichnete.
- Die Unterzeichnung des Dokuments bildete den Auftakt zu einem ganzen Paket von Initiativen.
- Dazu gehört ein Hohes Komitee für die Brüderlichkeit aller Menschen, das im August 2019 von Papst Franziskus und Al-Tayyeb ins Leben gerufen wurde, um das Dokument umzusetzen.
- Im November 2019 wurde Al-Tayyeb von Papst Franziskus im Vatikan empfangen, um das große Bauprojekt Haus der Abrahamitischen Familie vorzustellen.
- Am 3. Oktober 2020 unterzeichnete Papst Franziskus in Assisi seine dritte Enzyklika Fratelli tutti („Alle Brüder“), die die „Brüderlichkeit aller Menschen“ zum Thema hat.
- Das „Video vom Papst“ im Januar 2021 widmete Franziskus der „universalen Brüderlichkeit“.
- Im Februar 2021 wurde auf dem Kapitol in Rom in Anwesenheit von Papst Franziskus, des UNO-Generalsekretärs und des Großimams Al-Tayyeb der erste Internationale Tag der Brüderlichkeit aller Menschen begangen.
- Künftig soll in dem Tempelkomplex der Religionen der hochdotierte Human Brotherhood Award, der „Preis für die menschliche Brüderlichkeit“ verliehen werden.
Die drei Kultzentren, Moschee, Synagoge und Kirche, werden in Abu Dhabi „dem individuellen Gebet“ dienen. Sie sind oberirdisch durch eine Gartenanlage verbunden, unterhalb durch ein Gangsystem. Dieses verbindet sie mit einem vierten Teil, einem gemeinsamen Studienzentrum, das die Idee der Brüderlichkeit aller Menschen fördern und verbreiten soll.
Die jüdische Gebetsstätte wird Synagoge Moises Ben Maimon heißen, benannt nach Moses Maimonides, einem mittelalterlichen Rabbi, Rechtsgelehrten, Arzt und Philosophen, der 1135 oder 1138 in Cordoba geboren wurde und 1204 in Kairo gestorben ist. Maimonides gilt als führender Talmud-Gelehrter und spielt für das nachchristliche, rabbinische Judentum eine zentrale Rolle. Zudem gilt er als Repräsentant jener „goldenen“ Zeit der arabisch-muslimischen Herrschaft in Spanien, die allerdings eine Erfindung der Aufklärung ist, deren Zweck es war, die katholische Kirche anzugreifen. Das Dokument von Abu Dhabi wurde im Februar 2019 von keinem jüdischen Vertreter unterzeichnet.
Die Kirche wird, so die Presseerklärung, nach dem „heiligen Franziskus“ benannt („St. Francis Church“), was nach katholischem Verständnis nur bedeuten kann, daß sie diesen Heiligen zum Patron erhält, also ihm geweiht ist. Die Anspielung auf Papst Franziskus in Analogie zu Al-Tayyeb, dem anderen Unterzeichner des Abu-Dhabi-Dokuments, ist offensichtlich. Papst Franziskus ist allerdings nicht heiliggesprochen. Es ist unklar, welcher „heilige Franziskus“ gemeint ist. In der Bekanntgabe wurde nicht näher benannt, ob die Kirche dem heiligen Franz von Assisi oder einem anderen „heiligen Franziskus“ geweiht ist. Ersteres läge nahe wegen der einmaligen Vorrechte, die durch die Begegnung des Heiligen aus Assisi mit Sultan Al Malik al-Kamil im Jahr 1219 dem Franziskanerorden in der islamischen Welt eingeräumt wurden. Genau im Jahr 2019, in dem der Startschuß zur „Brüderlichkeit aller Menschen“ erfolgte, wurde dieser Begegnung vor 800 Jahren gedacht. Zeitungen in den Emiraten am Persischen Golf berichten es allerdings anders. Gulf Today, eine Tageszeitung in Bahrein, schrieb am Dienstag:
„Die drei Kultstätten wurden nach Dr. Ahmed al-Tayyeb, dem Großimam von Al-Azhar, Papst Franziskus, Oberhaupt der katholischen Kirche, und Moses Ben Maimon, jüdischer Philosoph des 12. Jahrhunderts, benannt.“
So berichteten es auch andere arabische Medien. Das Bauprojekt fand insgesamt in den Tageszeitungen am Persischen Golf große Aufmerksamkeit. Die National News in den Vereinigten Arabischen Emiraten veröffentlichte ein großformatiges Foto der Luftaufnahme des aktuellen Bauzustandes. Papst Franziskus ist das Aushängeschild des Projekts. Die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate ist die treibende Kraft dahinter. Sie stellte den Grund zur Verfügung und finanziert die „Brüderlichkeit aller Menschen“.
Gulf Today titelte: „Namen der drei Kultstätten des Abrahamitischen Hauses enthüllt“. Ähnlich Gulf News in den Vereinigten Arabischen Emiraten: „Namen der drei Kultstätten im Haus der Abrahamitischen Familie bekanntgegeben.“ Khaleej Times, ebenfalls aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, schrieb: „Ein Haus, verschiedene Glaubensbekenntnisse“. Die englische Sektion von VaticanNews titelte am 15. Juni „Haus der Abrahamitischen Familie in Abu Dhabi wird 2022 eröffnet“.
Da es sich um ein Projekt handelt, das Papst Franziskus besonders wichtig ist, erstaunt die geringe Aufmerksamkeit, die von den vatikanischen Medien der Sache gewidmet wurde.
Erfreut und zufrieden zeigte sich die Freimaurerei, die Papst Franziskus im Oktober 2020 ein Lob aussprach für die „Analogien“ in seiner Enzyklika Fratelli tutti zu den Prinzipien der Freimaurerei (siehe auch hier). Ein Kapitel der Enzyklika ist dem Motto der Französischen Revolution von 1789: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ gewidmet. Es fällt die Ähnlichkeit zu Aussagen der Sozialistin Michelle Bachelet auf, der ehemaligen Präsidentin von Chile und nunmehrigen Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Am 1. Dezember sagte sie bei einem gemeinsamen Festakt der Großloge von Chile und der Frauen-Großloge von Chile zum Jahrestag der Menschenrechtserklärung: „Wir brauchen freimaurerische Prinzipien wie die Brüderlichkeit, um als eine Menschheit zusammenzukommen, denn das sind wir.“
Teils scharfe Kritik kam hingegen aus den Reihen der katholischen Kirche. Die erste „Klarstellung“ kam bereits wenige Tage nach der Unterzeichnung des Abu-Dhabi-Dokuments von Msgr. Athanasius Schneider, dem Weihbischof von Astana: „Die Vielfalt der Religionen ist nicht gottgewollt“. Fast zeitgleich bezeichnete der österreichische Philosoph Josef Seifert die zentrale Passage des Dokuments als „Häresie der Häresien“. Im November 2019 protestierten hochrangige Kirchenvertreter, darunter mehrere Kardinäle, Contra recentia sacrilegia, gegen jüngste sakrilegische Aktionen von Papst Franziskus. Der Protest richtete sich primär gegen den Pachamama-Kult im Vatikan rund um die Amazonassynode, aber auch gegen das Abu-Dhabi-Dokument. Der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, sprach davon, daß der „Neo-Modernismus die Kirche tyrannisiert“.
Beim Parallel- oder Konkurrenzprojekt in Berlin, der Kontext ist nicht klar, dem House of One – Haus des Einen, erfolgte vor drei Wochen die Grundsteinlegung. Dort werden eine Synagoge, eine Moschee und eine protestantische Kirche unter einem gemeinsamen Dach errichtet. Die Grundidee der Vereinigung der drei monotheistischen Religionen ist jedoch dieselbe. Die Initiative in Berlin geht von evangelischer Seite aus und wird von politischer Seite, der Regierung von Berlin und der Bundesrepublik Deutschland, mit Steuergeldern großzügig finanziert. Es besteht aber kein Zweifel, daß das Abu-Dhabi-Projekt die Nase vorne hat und der erste vereinigte monotheistische Tempelkomplex der Welt sein wird.
Die zeitliche Parallelität der beiden Projekte erstaunt allerdings und läßt eine unsichtbare Verbindung vermuten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: forhumanfraternity.org (Screenshots)