(Rom) Austen Ivereigh, einst Pressesprecher von Kardinal Cormac Murphy O’Connor, ist heute einer der „Schattensprecher“ von Papst Franziskus. Als Papst-Biograph enthüllte der überzeugte Bergoglianer unter der Bezeichnung Team Bergoglio als erster die Existenz des innerkirchlichen Geheimzirkels von Sankt Gallen, den seine Mitglieder „die Mafia“ nannten. In unregelmäßigen Abständen tritt Ivereigh an die Öffentlichkeit, um vor „Verschwörungen“ zum Sturz von Papst Franziskus zu warnen, so auch in seinem Interview mit der chilenischen Tageszeitung La Tercera vom 10. August. Darin sagte er, die Kritik an Franziskus sei „außergewöhnliche Grausamkeit“. Das Zentrum des Widerstandes sei „das Umfeld“ von Benedikt XVI., der „manipuliert“ werde, und der Anführer sei Kardinal Gerhard Müller.
Ivereigh gehört zu den aktivsten und loyalsten Medienvertretern, die für Jorge Mario Bergoglio tätig sind. Am 25. November 2014 konnte der Brite die erste von Franziskus autorisierte Biographie vorlegen. Unter dem Buchtitel „The Great Reformer“ skizzierte er das Porträt eines „radikalen Papstes“. Nun legt Ivereigh ein neues Buch vor. „Wounded Shepherd“ wird Anfang November in den Buchhandel kommen.
Auf „Der große Reformer“ folgt „Der verwundete Hirte“. Der Titel klingt wie eine Antwort auf das Buch von Phil Lawler „Der verlorene Hirte – eine kritische Analyse des Pontifikats von Papst Franziskus“ . Im Untertitel heißt es bei Ivereigh gewagt: „Papst Franziskus und sein Kampf um die Bekehrung der katholischen Kirche“ . Ivereigh, der sich gerade aus anderen Gründen in Chile aufhält, sprach in einem Interview mit La Tercera über sein neues Buch.
Es läßt sich nicht genau sagen, ob Ivereigh dabei seine eigenen Gedanken oder jene von Papst Franziskus wiedergibt. Wie bereits in der Vergangenheit zeigt der britische Journalist mit dem Finger auf den tatsächlichen oder vermeintlichen Widerstand, dem sich Franziskus seit seiner Wahl im März 2013 ausgesetzt sehe. Als die vier Kardinäle Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia vorlegten, bezichtigte Ivereigh sie lautstark, „die Früchte des Heiligen Geistes stürzen zu wollen“.
Anfang März 2016, wenige Wochen nach der Amtseinführung von Donald Trump als Präsident der USA, konnte Ivereigh Papst Franziskus auf den Seiten der New York Times als „Anti-Trump“ präsentieren, als eigentlichen globalen Gegenspieler des neuen Staats- und Regierungschefs im Weißen Haus.
Laut Ivereigh ziele der innerkirchliche Widerstand gegen Franziskus darauf ab, „jeden Monat“ eine Rakete gegen Papst Bergoglio abzufeuern. Eine ständige Quelle der Spaltung sei dabei der Kreis um Benedikt XVI. Als „Anführer“ des Widerstandes nennt der Brite Kardinal Gerhard Müller, den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation. Ihn bezeichnet er abschätzig als „Wachhund“ der Glaubenslehre und als „emeritierten Beamten“. Als notwendige Maßnahme gegen den Widerstand nennt Ivereigh, „das Umfeld von Benedikt XVI. unter Kontrolle zu bringen“. Gemeint dürfte damit sein, daß Benedikt XVI. für das Umfeld von Papst Franziskus zuviel Spielraum besitzt und zu aktiv ist.
Vielleicht ist es an dieser Stelle doch angebracht, nachzufragen, warum sich Ivereigh gerade in Südamerika befindet. Die Beantwortung legt eine Vernetzung offen und zeigt, welche Türen sich für ihn öffnen: Der Journalist wurde eingeladen, eine Rede an der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile zu halten und bei Einkehrtagen für die chilenischen Jesuiten zu sprechen.
In seiner Darstellung des „chilenischen Wendepunktes“ im derzeitigen Pontifikat sagt Ivereigh kein Wort, daß Papst Franziskus dreieinhalb Jahre alle Hinweise zum Fall Barros als „Verleumdung“ abtat und Kritiker entsprechend denunzierte.
Das Interview
La Tercera: In Ihrem Buch sprechen Sie den Widerstand an, dem Papst Franziskus in der Kirche gegenübersteht: Ist diese Widerstandsbewegung gewachsen?
Ivereigh: Was die Zahl betrifft, weiß ich nicht, ob sie gewachsen ist, aber sie ist immer noch sehr laut und stark in dem Sinne, daß sie mehrere Kardinäle und sehr reiche und starke Organisationen in den Vereinigten Staaten umfaßt. Sie haben die Krise des vergangenen Jahres als Chance gesehen. In Chile sahen sie, daß der Papst schwach war, und so nutzten sie das mit ungewöhnlicher Grausamkeit. Aber diejenigen, die ihn angegriffen haben, angeführt von Viganò[1], sind dieselben, die das apostolische Schreiben Amoris laetitia abgelehnt haben. Einige Leute in der Nähe des Papstes sagen, daß diese Gruppe sehr gut organisiert ist und beschlossen hat, jeden Monat eine Bombe zu zünden, etwas, das versucht, den Papst zu diskreditieren. Diese Taktik ist typisch für die Vereinigten Staaten, für die Methoden der Konservativen gegen Obama.
La Tercera: Kardinal Gerhard L. Müller, der ehemalige Präfekt für die Glaubenslehre, ist eine sehr kritische Stimme für den Papst: Welche Rolle spielt er in dieser Gruppe?
Ivereigh: Kardinal Müller ist zum Anführer, zur Hauptfigur der Opposition geworden. Seine Taktik besteht darin, die Menschen glauben zu machen, daß es in der Kirche Verwirrung gibt, und daß nur er sie lösen kann. Er versucht, die Rolle zurückzugewinnen, von der er glaubte, sie unter Franziskus spielen zu sollen, was ihm von Franziskus aber nicht erlaubt wurde. Jetzt, da er frei ist, gibt er vor, der Wachhund der Glaubenslehre zu sein. Er ist aber letztlich nur ein emeritierter Beamter der Kurie, das heißt, er hat keine Stellung mehr in der Kirche.
La Tercera: Ist dieses Klima des Konfliktes in der katholischen Kirche beispiellos?
Ivereigh: Der Vorwurf der Ketzerei hat nie gefehlt. Was beispiellos ist, ist, daß ein ehemaliger Beamter der Kurie einen Papst so offen angreift. Ich halte die Grausamkeit der Kritik und die unverhohlene Art und Weise, wie sie gemacht wird, für neuartig. Es scheint, daß einige konservative Katholiken vergessen haben, daß der traditionelle Katholik das päpstliche Lehramt respektiert.
La Tercera: Was denken Sie: Warum geschieht das so?
Ivereigh: Die heftige Opposition beginnt mit der Synode. Durch die Synode schuf der Papst einen Raum und gab die Möglichkeit der Veränderung. Was geschaffen wurde, war ein Unterscheidungsmechanismus, der festlegte, daß der Papst, wenn es am Ende einen Konsens gibt, ihn respektieren würde.[2] Dies verursachte Wut bei einigen, die sich einbilden, die Lehre der Kirche zu besitzen. Seitdem fühlen sie sich machtlos und wütend.
La Tercera: Sehen Sie bestimmte Privilegien gefährdet?
Ivereigh: Weit mehr: Die Religion verleiht dir bestimmte Privilegien oder Macht. Es geht um die Vorstellung, daß du die Wahrheit besitzt. Und wenn sie dir das wegnehmen, wirst du sauer.
La Tercera: Einige sprechen von einer Spaltung zwischen Papst Franziskus und dem emeritierten Papst: Gibt es diese Spaltung?
Ivereigh: Ich sehe einen emeritierten Papst, der immer sehr loyal zu Franziskus ist. Sie sind sich viel näher, als die Leute denken. Aber ich sehe auch einen Hofstaat um den emeritierten Papst, der sehr stark mit dem Widerstand gegen den Papst verbunden ist, und der viel Schaden anrichtet, weil sie die Figur des emeritierten Papstes manipulieren. Wir müssen einen Weg finden, um sein Umfeld zu kontrollieren, das heute eine Quelle des Ärgernisses und der Spaltung ist.
La Tercera: Was bedeutet Ihrer Meinung als großer Geschichtsschreiber von Franzisku die Reise nach Chile für dieses Papsttum?
Ivereigh: Der Papst mußte auf diesem Weg viel lernen, und Chile war zweifellos der Schlüssel dazu. Ich beschreibe es so in dem Buch: Vor Chile sah er das Thema als eine Reihe von notwendigen politischen Entscheidungen. Aber ich denke, Chile hat ihn gelehrt, daß dort, wo es eine sehr große Korruption gibt, diese Politik unzureichend ist, und das Einzige, was eine Institution davon abhalten wird, ist ein sehr großer Schock. In seinem Fall war es der Schock von Iquique[3] und der Sturm der Kritik, den er erlebte. Aber es war vor allem der Scicluna-Bericht, der alles zum Vorschein brachte.
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: La Tercera/Wikicommons (Screenshots)
[1] Erzbischof Carlo Maria Viganò, ehemaliger Apostolischer Nuntius in den USA, der am 26. August 2018 ein Dossier (Zeugnis) vorlegte, in dem er Papst Franziskus im Zusammenhang mit dem Fall McCarrick und einer Homo-Lobby im Vatikan schwer belastete und seinen Rücktritt forderte.
[2] Was Ivereigh hier meint, ist die Apostolische Konstitution Episcopalis communio, mit der Papst Franziskus am 18. September 2018 die Regeln für Bischofssynoden änderte.
[3] Zum „Schock von Iquique“ und Temuco im Rahmen des Chile-Besuches von Papst Franziskus im Januar 2018 siehe: Vatikanisten von mangelnder Begeisterung der Chilenen überrascht und Papst Franziskus stärkt Bischof Barros den Rücken. Noch auf dem Rückflug nach Rom verteidigte er Bischof Barros: Papst Franziskus verteidigt Bischof Barros und Kardinal Maradiaga. Erst die darauf folgende massive, internationale Kritik weltlicher Medien führte zu einem Umdenken.