„Islam ist nicht Gewalt“ – Dialektik des Großimams von Al-Azhar mit Papst-Zitaten


Papst Franziskus und Großimam Al-Tayyib bei der "Friedenskonferenz" in Kairo (28. April 2017)
Papst Franziskus und Großimam Al-Tayyib bei der "Friedenskonferenz" in Kairo (28. April 2017)

(Kai­ro) Knapp mehr als eine Woche nach der Rück­kehr von Papst Fran­zis­kus aus Ägyp­ten unter­nimmt der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster den Ver­such, eine erste Bilanz zu zie­hen, wie die isla­mi­sche Sei­te den Besuch wahr­ge­nom­men hat.

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Aus­gangs­punkt dafür ist die Rede des Groß­i­mams von Al-Azhar, Ahmad Al-Tay­yeb. Die auf ara­bisch gehal­te­ne Rede wur­de offi­zi­ell auch in eng­li­scher Spra­che veröffentlicht.

Nicht Islam, sondern Waffenhandel und „moderne Zivilisation“ an Gewalt schuld

Am 28. April fand in Kai­ro an der Al-Azhar, der bedeu­tend­sten Rechts­schu­le des sun­ni­ti­schen Islams, eine „Frie­dens­kon­fe­renz“ statt. Sie war der eigent­li­che Grund für den Ägyp­ten­be­such von Papst Fran­zis­kus. Der Papst führ­te in sei­ner Rede, ohne dabei den Islam nament­lich zu nen­nen, die im Namen der Reli­gi­on ver­üb­te Gewalt auf eine „göt­zen­die­ne­ri­sche Ver­fäl­schung Got­tes“ zurück.

Anders der Groß­i­mam, der  als eigent­li­che Grün­de „den Waf­fen­han­del“ aus­mach­te und das Ver­ges­sen, das die „moder­ne Zivi­li­sa­ti­on“ über die „gött­li­chen Reli­gio­nen und ihre unver­än­der­lich fest­ge­leg­ten Ethi­ken“ gelegt habe.

Damit leug­ne­te der Groß­i­mam jeden ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen Islam und Gewalt, auch zwi­schen der aus­drück­lich im Namen des Islam began­ge­nen Gewalt. Viel­mehr kehr­te er den Vor­wurf um, denn dann kön­ne man den­sel­ben Vor­wurf, so Al-Tay­yeb, auch dem Chri­sten­tum und dem Juden­tum machen. Auch die­se hät­ten Anhän­ger, die Gewalt ver­üben im Namen des Kreu­zes oder der Leh­ren des Moses.

Auf die blu­ti­ge Chri­sten­ver­fol­gung durch zahl­rei­che isla­mi­sche Dschi­had-Mili­zen und Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen ging der Groß­i­mam nicht ein.

Der dialektische Rückgriff auf Aussagen von Franziskus und Benedikt XVI.

Unüber­hör­bar griff Al-Tay­yeb damit Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus und Papst Bene­dikt XVI. auf und bau­te sie in sei­ne Rede ein. Letzt­lich leug­ne­te er, unter Zuhil­fe­nah­me eines dia­lek­ti­schen Kunst­grif­fes, jeden ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen Islam und Gewalt durch Zita­te aus Papst-Reden, denen er sei­ne eige­ne Les­art gab.

Auch Papst Fran­zis­kus wei­gert sich, wie Al-Tayyib, jeden ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen dem isla­mi­schen Ter­ro­ris­mus und dem Islam her­zu­stel­len. Mehr­fach sprach er viel­mehr vom „Waf­fen­han­del“ als Haupt­ur­sa­che dahin­ter. Genau die­sen Waf­fen­han­del nann­te Al-Tay­yeb nun als ersten Grund für die Gewalt im Namen der Religion.

Papst Bene­dikt XVI. kri­ti­sier­te 2006, kurz nach sei­ner berühm­ten Regens­bur­ger Rede und den dar­auf fol­gen­den Pro­te­sten, aber auch Dia­log­an­ge­bo­ten, die „Gott­ver­ges­sen­heit des Westens“. Sie nann­te Al-Tay­yeb nun als zwei­ten Grund für die Gewalt.

Aller­dings hat­te Bene­dikt XVI. das genaue Gegen­teil gesagt denn der voll­stän­di­ge Satz lautete:

„Die Gott­ver­ges­sen­heit des Westens dient heu­te gewis­sen Kräf­ten in der isla­mi­schen Welt als Vor­wand, Gewalt als Teil der Reli­gi­on zu propagieren.“

Was der Groß­i­mam als Begrün­dung anführ­te, nann­te Bene­dikt XVI. nur einen „Vor­wand“.

Kritik am Großimam von islamischer Seite

Gegen die Rede des Groß­i­mam erhob der ägyp­ti­sche Intel­lek­tu­el­le Islam Al-Behairy sei­ne Stim­me in einem Inter­view mit Asia­News, dem Nach­rich­ten­dienst des Päpst­li­chen Insti­tuts für die aus­wär­ti­gen Mis­sio­nen. Wegen sei­ner frü­he­ren Kri­tik an Al-Azhar wur­de er wegen „Belei­di­gung des Islams“ bereits zu einem Jahr Gefäng­nis ver­ur­teilt, aber vom Mili­tär­macht­ha­ber und der­zei­ti­gen Staats­prä­si­den­ten Al-Sisi begna­digt. Al-Behairy hat­te damals eine „reli­giö­se Revo­lu­ti­on“ gefor­dert, die den Islam rei­ni­gen und einer „Auf­klä­rung“ unter­zie­hen solle.

Nun kri­ti­sier­te er Al-Tay­yebs Begrün­dung der Gewalt im Zusam­men­hang mit Reli­gi­on als „Schein­ar­gu­men­te“:

„Wenn die Grün­de für den reli­giö­sen Ter­ro­ris­mus das post­mo­der­ne Den­ken und der Waf­fen­han­del sind, leben wir in einer Traumwelt.“

Islam Al-Behairy
Islam Al-Behairy

In Wirk­lich­keit, so Al-Behairy, „gibt es Tex­te unse­rer klas­si­schen Recht­spre­chung, die zur Gewalt auf­ru­fen. Wir erle­ben Men­schen, die sich in die Luft spren­gen und Dut­zen­de von Men­schen töten, gera­de weil sie Tex­te gele­sen haben, die ihnen freie Hand zum belie­bi­gen Töten geben.“

„Von wegen Waf­fen­han­del!“, so der sun­ni­ti­sche Intel­lek­tu­el­le, der zugleich die ägyp­ti­sche Regie­rung auf­for­der­te, die Aus­sa­gen des Groß­i­mams zu prü­fen. „Auf­grund sei­nes Den­kens wird der Staat andern­falls nie in der Lage sein, die Gewalt zu beenden.“

Al-Behairy unter­nimmt in dem Inter­view den Ver­such, den „wah­ren Islam“ von einem Islam „gewis­ser mit­tel­al­ter­li­cher Ima­me“ zu rei­ni­gen, der „den Men­schen und dem Islam gro­ßen Scha­den zuge­fügt“ habe. Ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen. Der Isla­mi­sche Staat (IS) fol­ge den Tex­ten die­ser Ima­me genau auf Punkt und Bei­strich. Der Groß­i­man, so Al-Behairy, wol­le aber nichts davon hören und sei daher „Quel­le stän­di­ger Widersprüche“:

„In einer an den Westen gerich­te­ten Erklä­rung sag­te er: Der Islam for­dert nicht die Tötung der Apo­sta­ten. In Ägyp­ten aber sagt er, der Islam ermu­tigt dazu.“

Al-Azhar „Friedenskonferenz“ mit Papst Franziskus „eine Komödie“

Magi­ster macht auf eine „beein­drucken­de Ähn­lich­keit“ auf­merk­sam zwi­schen den Aus­sa­gen von Groß­i­mam Al-Tay­yeb und der von Al-Behairy dar­an geüb­ten Kri­tik auf der einen Sei­te und Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus und der kurz vor der Ägyp­ten-Rei­se von zwei Jesui­ten, Pater Hen­ri Bou­lad und Pater Samir Kha­lil Samir, dar­an geüb­ten Kri­tik. Pater Bou­lad erläu­ter­te dar­in die west­li­che Vor­stel­lung eines „gemä­ßig­ten Islams“ als „Häre­sie“.

Al-Tay­yeb gehör­te 2007 zu den Unter­zeich­nern, des „Brie­fes der 138 isla­mi­schen Gelehr­ten“ an Bene­dikt XVI., mit dem auf sei­ne Regens­bur­ger Rede reagiert wur­de. Der­sel­be Groß­i­mam brach 2011 die Bezie­hun­gen zwi­schen Al-Azhar und dem Vati­kan ab, weil Papst Bene­dikt XVI. es „gewagt“ hat­te, für die zahl­rei­chen getö­te­ten Chri­sten zu beten, die am Neu­jahrs­tag Opfer eines isla­mi­schen Atten­tats auf die kop­ti­sche Mar­kus-und-Peters­kir­che in Alex­an­dria gewor­den waren.

Mehr­fach war er bereits Gast der inter­re­li­giö­sen Frie­dens­tref­fen der Gemein­schaft von Sant’Egidio (zu denen auch die umstrit­te­nen Assi­si-Tref­fen mit päpst­li­cher Betei­li­gung gehö­ren). Beim Tref­fen 2004, das in Mai­land statt­fand, recht­fer­tig­te er öffent­lich die in Isra­el gegen Zivi­li­sten, auch Kin­der, ver­üb­ten Terroranschläge.

2015, als der Isla­mi­sche Staat (IS) öffent­lich einen gefan­ge­nen, jor­da­ni­schen Pilo­ten ver­brann­te, ver­ur­teil­te Al-Tay­yeb die Tat als „unis­la­misch“. Im Gegen­zug for­der­te er gleich­zei­tig, daß den IS-Tätern „Hän­de und Füße abge­schla­gen“ und sie dann „gekreu­zigt“ wer­den sollten.

Das erklärt die Skep­sis von Al-Behairy gegen­über der „Frie­dens­kon­fe­renz“, die von Al-Azhar mit Papst Fran­zis­kus orga­ni­siert wurde.

„Die­se Frie­dens­kon­fe­renz führt nir­gend­wo­hin. Das ist eine Komö­die, die von der Wirk­lich­keit weit ent­fernt ist.“

Die Forderung Benedikts XVI. (2006) an den Islam

Papst Bene­dikt XVI. mach­te im Dezem­ber 2006 einen „Vor­schlag von außer­ge­wöhn­li­cher Aktua­li­tät“, so Magi­ster, „der auch in der katho­li­schen Kir­che zu sehr in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist“:

„Bei einem ver­stärkt zu füh­ren­den Dia­log mit dem Islam wer­den wir vor Augen hal­ten müs­sen, daß die isla­mi­sche Welt heu­te mit gro­ßer Dring­lich­keit sich vor einer ganz ähn­li­chen Auf­ga­be fin­det, wie sie den Chri­sten seit der Auf­klä­rung auf­er­legt ist und vom II. Vati­ka­ni­schen Kon­zil als Frucht eines lan­gen Rin­gens für die katho­li­sche Kir­che zu kon­kre­ten Lösun­gen geführt wur­de. Es geht um die Stel­lung der Gemein­schaft der Glau­ben­den ange­sichts der Ein­sich­ten und For­de­run­gen, die in der Auf­klä­rung gewach­sen sind. Einer­seits gilt es, einer Dik­ta­tur der posi­ti­vi­sti­schen Ver­nunft zu wider­spre­chen, die Gott aus dem Leben der Gemein­schaft und aus den öffent­li­chen Ord­nun­gen aus­schließt und dabei den Men­schen sei­ner Maß­stä­be beraubt. Ande­rer­seits müs­sen die wah­ren Errun­gen­schaf­ten der Auf­klä­rung, die Men­schen­rech­te und dabei beson­ders die Frei­heit des Glau­bens und sei­ner Aus­übung als wesent­li­che Ele­men­te gera­de auch für die Authen­ti­zi­tät der Reli­gi­on auf­ge­nom­men wer­den. Wie es in der christ­li­chen Gemein­schaft ein lan­ges Rin­gen um den rech­ten Stand­ort des Glau­bens die­sen Ein­sich­ten gegen­über gab, das frei­lich nie ganz zu Ende ist, so steht auch die isla­mi­sche Welt mit ihrer eige­nen Über­lie­fe­rung vor der gro­ßen Auf­ga­be, hier die ange­mes­se­nen Lösun­gen zu fin­den. Inhalt des Dia­logs von Chri­sten und Mus­li­men wird es in die­sem Augen­blick vor allem sein müs­sen, sich in die­sem Mühen zu begeg­nen und die rech­ten Lösun­gen zu fin­den. Die Gott­ver­ges­sen­heit des Westens dient heu­te gewis­sen Kräf­ten in der isla­mi­schen Welt als Vor­wand, Gewalt als Teil der Reli­gi­on zu pro­pa­gie­ren. Wir Chri­sten wis­sen uns soli­da­risch mit all denen, die gera­de von ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gung als Mus­li­me her gegen die Gewalt und für das Mit­ein­an­der von Glau­be und Ver­nunft, von Reli­gi­on und Frei­heit ein­tre­ten. In die­sem Sinn grei­fen die bei­den Dia­lo­ge, von denen ich sprach, eng ineinander.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
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2 Kommentare

  1. Wir haben einen Papst, der den Islam nicht kri­ti­sie­ren will. Wie oft hat er schon euro­päi­schen Poli­ti­kern beleh­ren­de Vor­trä­ge gehal­ten. Flücht­lings­la­ger in Euro­pa wer­den gleich­ge­setzt mit Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, aber kei­ne Ver­ur­tei­lung der Chri­sten­ver­fol­gung in isla­mi­schen Län­dern. Die­se gibt es für Ihn nicht. Dazu passt die Äuße­rung von Ihm, dass Islam und Chri­sten­tum das glei­che sind. 

  2. Drin­gend ist eine Kor­rek­tur von Nost­ra aet­a­te. Allah ist nicht der drei­fal­ti­ge Gott!

    Jesus hat kei­nen Dia­log mit Satan geführt, Er hat gesagt „Es steht geschrieben.…“

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