(Santiago de Chile) Die bürgerlich-konservative, chilenische Tageszeitung La Tercera veröffentlichte zum letzten Besuchstag von Papst Franziskus in Chile auf zwei ganzen Seiten den ausführlichen Artikel: „Vatikanisten sind über mangelnde Begeisterung der Chilenen überrascht“.
La Tercera schreibt:
„Laut den Journalisten, die üblicherweise Papst Franziskus begleiten, überrascht die Situation in Chile, weil es als ein katholisches Land gilt“.
In Temuco war der Platz, wo Papst Franziskus die zweite Messe seines Chile-Besuches zelebrierte, auf 400.000 Teilnehmer ausgerichtet. Laut Angaben der Carabineros (Polizei), die das Organisationskomitee erhalten hat, sind nur halb so viele gekommen.
Geringes Interesse erstaunt
Das habe, so die Zeitung bei den „Veteranen“ unter den Vatikanisten Diskussionen über „die geringe Begeisterung“ ausgelöst, die durch die Anwesenheit von Franziskus in Chile ausgelöst wird. Die Zeitung zitiert die argentinische Vatikanistin und Papst-Biographin Elisabetta Piqué (Franziskus. Leben und Revolution).
„Es ist der sechste Besuch des Papstes in Lateinamerika, das sagt schon alles. Die Wahrheit ist aber, daß es sehr verwundert, denn wir sind in einem katholischen Land, das, wie es scheint, gar nicht so katholisch ist.“
Der päpstliche Hausvatikanist Andrea Tornielli, der bereits an die zehn Bücher über das derzeitige Pontifikat veröffentlicht hat, sieht es nicht anders.
„Man sieht, daß diese Kirche ein Problem hat. Wir sind in Lateinamerika und ich habe nicht so viele Leute in den Straßen gesehen wie in Kolumbien, Ecuador, Bolivien, Paraguay und Brasilien. Das Bild ist sehr anders“.
Während in Kolumbien soviel Menschen die Straßen säumten, daß der päpstliche Konvoi nur schwer vorwärts gekommen sei, so Piqué, haben man am Weg zur Explanada de Maquehue in Temuco streckenweise nur Carabineros gesehen.
Tornielli sieht den Grund für die „nicht besonders hohe Meinung“ vieler Chilenen von der Kirche in schwachen Bischöfen, denn „in der Zeit der Diktatur hatte sie große Bischöfe“.
Kein Zauberstab
Piqué geht noch weiter. Sie meint, eine „elitäre, klerikale“ Kirche bezahle in Chile nun für die „Mißbrauchsskandale“. Die Papst-Freundin, aus der Zeit als Franziskus noch Erzbischof von Buenos Aires war, ist überzeugt, daß der Papst eine andere Kirche sichtbar mache, indem er wegen der Mißbrauchsfälle von „Schande“ sprach und den „Klerikalismus“ und eine vom Volk „abgehobene“ Kirche hart kritisierte.
Natürlich werde sich auch nach dem Papstbesuch nicht alles ändern, so die Vatikanistin.
„Auch Franziskus hat keinen Zauberstab.“
Ihr pflichtet der Argentinier Sergio Rubin bei, der mit „Der Jesuit“, die erste Franziskus-Biographie nach der Papstwahl publizierte. In Sachen Pädophilie sei Franziskus „sehr klar“ gewesen. Er habe „die Linie von Benedikt XVI. fortgesetzt und durch die Errichtung einer Kommission zum Schutz der Minderjährigen vertieft“.
Angriffe gegen Kirchen
Besonders überrascht sind zahlreiche Vatikanisten über die antikirchlichen Spannungen, die sogar zu Zwischenfällen führten. Piqué dazu:
„Diese Spannungen, die wir erleben, die Zwischenfälle, das alles haben wir vorher noch nirgends erlebt.“
Es sei das erste Mal, so die Vatikanistin, daß dieser Papst in ein katholisches Land komme „und es werden Kirchen angegriffen“. In Ägypten habe es Angriffe „von islamischen Fundamentalisten“ gegeben, aber das sei „kein katholisches Land“. Nach einer Pause, so die Tageszeitung, fügte sie noch hinzu:
„Es ist mehr: Auch in nicht-katholischen Ländern gab es nie eine solche Spannung“.
In Temuco habe der Papst aufgefordert, der Gewalt eine Absage zu erteilen.
Franziskus ist ein „politisches Tier“
Dann aber resümierte Elisabetta Piqué:
„Aber von diesen Spannungen, die wir jetzt gesehen haben, einmal abgesehen, glaube ich, daß Franziskus die Chilenen erobert hat, weil sie ihn gesehen haben, wie er ist, daß er der Papst der Armen ist, der sich in einem normalen Auto bewegt, daß er authentisch ist.“
Und weil er
„ein politisches Tier ist“.
„Er ist ein Mann des Gebets, aber er macht keinen Stich ohne Faden, er weiß genau, was er tut, und warum er es tut. Das heißt aber nicht, daß er ein einstudiertes Drehbuch hat. Er hat keine Medienstrategie. Er ist einfach nur er selbst… Benedikt XVI. sagte von sich, ich bin kein Regierungsmensch. Dieser Papst ist ein Regierungsmensch.“
„Deshalb hat Piqué“, so La Tercera, auch „keinen Zweifel, daß Bergoglio genau wußte, wohin er kommt.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Tercera/El Comercio (Screenshots)
Die Chilenen sind eben klug und reif genug um auf diese brandgefährliche Klassenkampfprogrammatik mit pseudoreligiöser Ummantelung nicht hereinzufallen. Die Piqué als Haus- u. Hofhagiographin bietet die typischen Erklärungssujets auf, die hinlänglich bekannt sind für offiziöse, ideologische Berichterstatter.
So ist es. Franziskus ist einfach unbeliebt in Chile, das ist der wahre Grund. Wer häretische Positionen vertritt, sich mit Freimaurern und Abtreibungsaktivisten umgibt und täglich nur eine kommunistische Tageszeitung liest, muss sich über eine mangelnde Resonanz nicht wundern.