Kardinal Müller: „Mir hat das ganze Lob der Freimaurer für Papst Franziskus nicht gefallen“

Das Interview


Kardinal Gerhard Müller: „Was heißt Klerikalismus? Homosexuelle Neigungen sind schuld am Großteil der Fälle von sexuellem Mißbrauch durch Kleriker“
Kardinal Gerhard Müller: „Was heißt Klerikalismus? Homosexuelle Neigungen sind schuld am Großteil der Fälle von sexuellem Mißbrauch durch Kleriker“

(Rom) Wäh­rend Papst Fran­zis­kus in Abu Dha­bi (Ver­ei­nig­te Ara­bi­sche Emi­ra­te) sich auf die Unter­zeich­nung eines Doku­ments „über die mensch­li­che Brü­der­lich­keit“ vor­be­rei­te­te, unter das er gestern mit dem isla­mi­schen Groß­i­mam von Al-Azhar, einer Auto­ri­tät des sun­ni­ti­schen Islams, sei­ne Unter­schrift setz­te, ver­öf­fent­lich­te Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na am ver­gan­ge­nen Sonn­tag ein Inter­view mit Ger­hard Kar­di­nal Mül­ler, dem ehe­ma­li­gen Prä­fek­ten der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on. Dar­in kri­ti­siert der deut­sche Kar­di­nal erneut die „Klerikalismus“-These und sprach über „den wah­ren Grund“ für den sexu­el­len Miß­brauch durch Kle­ri­ker, aber auch über „das größ­te Pro­blem“, das die Kir­che heu­te habe. Er weist Behaup­tun­gen zurück, es gebe „ein Kom­plott“ gegen Fran­zis­kus und macht kein Hehl dar­aus, daß ihm das „gro­ße Lob“ der Frei­mau­rer für Fran­zis­kus nicht gefällt.

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NBQ: Kar­di­nal Mül­ler, in 20 Tagen wird im Vati­kan der Gip­fel über den sexu­el­len Miß­brauch statt­fin­den, einem Skan­dal, der das Bild der Kir­che ver­dun­kelt, aber auch intern vie­le Span­nun­gen provoziert…

Kar­di­nal Mül­ler: Ich den­ke, daß die­ses The­ma vor allem in sei­ner wirk­li­chen Dimen­si­on ver­stan­den wer­den muß. So sehr es sich um einen schwer­wie­gen­den Skan­dal han­delt, ist es unge­recht, zu ver­all­ge­mei­nern, weil der Miß­brauch nur einen sehr begrenz­ten Teil der Prie­ster betrifft. Ich möch­te allen Bischö­fen, Prie­stern und Dia­ko­nen und ande­ren Mit­ar­bei­tern der katho­li­schen Kir­che dafür dan­ken, die nach den Kri­te­ri­en unse­rer christ­li­chen Spi­ri­tua­li­tät leben, und dafür, wie sie sich der von Jesus anver­trau­ten Auf­ga­be wid­men. Es ist rich­tig, daß sich die öffent­li­che Mei­nung die­ser guten Arbeit und der Opfer bewußt wird, die unse­re guten Hir­ten für vie­le Men­schen lei­sten, die nach der Wahr­heit ihres Lebens suchen, die die Wahr­heit Got­tes in Jesus Chri­stus suchen. Zwei­tens müs­sen wir aner­ken­nen, daß die­ses Phä­no­men bereits in den 70er und 80er Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts sei­nen Höhe­punkt hat­te, auch als Fol­ge der sexu­el­len Revo­lu­ti­on. Seit­her ist viel getan wor­den, und die Zahl der Fäl­le ist heu­te stark zurück­ge­gan­gen. Zudem muß man sich fra­gen, war­um die öffent­li­che Mei­nung ver­an­laßt ist, nur davon zu spre­chen und nicht von allen Miß­brauchs­fäl­len und Ver­bre­chen gegen die Kin­der und die Jugend­li­chen, die es in der Welt gibt: Nicht nur von den sexu­el­len, die auch zum Groß­teil außer­halb der Kir­che began­gen wer­den, son­dern auch von den ande­ren Ver­bre­chen wie der Abtrei­bung oder der vie­len ver­wei­ger­ten Mög­lich­keit, mit ihrem Vater, ihrer Mut­ter, ihren Geschwi­stern zu leben usw.

NBQ: Das stimmt, aber die Kir­che steht einem besorg­nis­er­re­gen­den Phä­no­men gegen­über, und sie tut sich, wie der Fall des Ex-Kar­di­nals McCar­ri­ck zeigt, noch immer schwer, die Ver­gan­gen­heit zu beurteilen.

Kar­di­nal Mül­ler: Natür­lich ist es furcht­bar für die Kir­che, daß Prie­ster ver­wickelt sind: Män­ner, die anstatt ein vor­bild­li­ches Leben zu füh­ren, ihren Auf­trag miß­brau­chen; Ver­tre­ter von Jesus Chri­stus, dem guten Hir­ten, die wie Wöl­fe han­deln. Das ist eine Per­ver­tie­rung ihres Auftrags.

NBQ: Was aber sind die Grün­de für den Miß­brauch von Minderjährigen?

Kar­di­nal Mül­ler: Wer miß­braucht, erkennt mit Sicher­heit die Wür­de eines Min­der­jäh­ri­gen nicht an, der ein Mensch ist, und wie alle Men­schen von glei­cher Wür­de ist. Es gibt aber auch eine nicht beherrsch­te Sexua­li­tät. Der Mensch ist geru­fen, sei­ne Sexua­li­tät im vom Schöp­fer gewoll­ten Sinn zu gebrau­chen, wie er am Anfang der Gene­sis beschrie­ben ist.

„Homosexualität ist eine Erfindung, die keine Grundlage in der menschlichen Natur hat“

NBQ: Beim größ­ten Teil der von Kle­ri­kern began­ge­nen Miß­brauchs­fäl­le han­delt es sich in Wirk­lich­keit um homo­se­xu­el­le Handlungen.

Kar­di­nal Mül­ler: Es ist eine Tat­sa­che, daß mehr als 80 Pro­zent der min­der­jäh­ri­gen Miß­brauchs­op­fer männ­lich und Jugend­li­che sind. Wir müs­sen die­se Rea­li­tät zur Kennt­nis neh­men. Das sind sta­ti­sti­sche Anga­ben, die nicht geleug­net wer­den kön­nen. Jene, die die­se Wirk­lich­keit nicht sehen wol­len, beschul­di­gen jene, die die Wahr­heit sagen, etwas gegen die Homo­se­xu­el­len zu haben. Die Homo­se­xu­el­len gibt es aber nicht, das ist eine Erfin­dung. Offen­sicht­lich spre­chen sie davon, um ihre eige­nen Inter­es­sen zu ver­decken.
Keh­ren wir aber zur Gene­sis zurück: Es exi­stiert eine weib­li­che und eine männ­li­che Sexua­li­tät, nichts ande­res. Der Mann ist für die Frau erschaf­fen und die Frau für den Mann, wie der Hei­li­ge Pau­lus im Ersten Brief an die Korin­ther sagt (1 Kor 11). In der Schöp­fungs­ord­nung gibt es kei­ne Homo­se­xua­li­tät. Das ist eine Erfin­dung, die kei­ner­lei Grund­la­ge in der mensch­li­chen Natur hat. Die homo­se­xu­el­len Nei­gun­gen sind kein onto­lo­gi­scher, son­dern ein psy­cho­lo­gi­scher Fak­tor. Bestimm­te Per­so­nen wol­len hin­ge­gen aus der Homo­se­xua­li­tät etwas Onto­lo­gi­sches machen.

NBQ: Aus dem Codex des Kir­chen­rechts von 1983 ist der Canon ver­schwun­den, der im vor­her­ge­hen­den bestimm­te, daß Kle­ri­ker, die sich homo­se­xu­el­ler Hand­lun­gen schul­dig machen, aus dem Amt ent­fernt, aller Pri­vi­le­gi­en ent­klei­det und in beson­ders schwer­wie­gen­den Fäl­len lai­siert wer­den. Auch das macht es heu­te schwie­ri­ger, in Fäl­len wie dem von Ex-Kar­di­nal McCar­ri­ck ein­zu­grei­fen. Wer woll­te die Strei­chung die­ses Canons und warum?

Kar­di­nal Mül­ler: Ich weiß nicht wer, aber ich den­ke, daß es das Ergeb­nis der all­ge­mei­nen Stim­mung jener Zeit war: Man will nicht die Per­so­nen bestra­fen, son­dern auf das Posi­ti­ve abzie­len. Die Absicht ist sicher gut, aber man kann die Wirk­lich­keit der mensch­li­chen Schwä­che nicht leug­nen. Die Per­so­nen wer­den ermahnt, um ihnen zu hel­fen, das Rich­ti­ge zu tun. Vor allem kann die Kir­che unter Prie­stern kein schlech­tes Ver­hal­ten akzep­tie­ren, das dem Wil­len Got­tes wider­spricht, denn so zer­stört sie die eige­ne Glaub­wür­dig­keit. Lei­der gibt es sol­che, die sich die Homo-Ideo­lo­gie zu eigen gemacht haben. Wie kann man nur die Falsch­heit der Welt akzep­tie­ren und sie in die Kir­che hin­ein­tra­gen? Wir müs­sen uns am Wort Got­tes, an der Schrift, der Tra­di­ti­on und dem Lehr­amt näh­ren. Das sind die Eck­punk­te des katho­li­schen Den­kens. Wir müs­sen der Moder­ne die gute Ant­wort geben, die von Gott kommt. Es ist die Welt, die des Heils bedarf und nicht Gott, der die Ret­tung durch die Welt braucht.

„Petition gegen Homo-Netzwerk in der Kirche ist legitim“

NBQ: In den ver­gan­ge­nen Tagen wur­de eine Peti­ti­on gestar­tet, um die Väter, die am Gip­fel­tref­fen im Vati­kan teil­neh­men, auf­zu­for­dern, das Homo-Netz­werk zu stop­pen. Einer der Punk­te betrifft die Wie­der­ein­füh­rung des Canons, der homo­se­xu­el­le Hand­lun­gen bestraft.

Kar­di­nal Mül­ler: Ich den­ke, daß die­se Peti­ti­on legi­tim ist. Es gibt in der Kir­che Per­so­nen, die die sta­ti­sti­sche Wahr­heit leug­nen wol­len, daß die über­gro­ße Mehr­heit der von Prie­stern began­ge­nen Miß­brauchs­fäl­le homo­se­xu­el­le Hand­lun­gen waren. Die­ser Rea­li­tät ent­kommt man aber nicht. Wer sie leug­net, will das Pro­blem nicht lösen. Auch der Miß­brauch, der an Semi­na­ri­sten began­gen wur­de, ist nicht zu unter­schät­zen. Das ist eine enor­me Sün­de, ein Ver­bre­chen gegen die Wür­de die­ser Män­ner, aber auch gegen die Eltern, die ihre Söh­ne dem Prie­ster­stand anver­trau­en, gegen den Bischof und gegen das Semi­nar. Ein Bischof, der so tief fällt, ist ein unge­heu­rer Skan­dal. Stel­len wir uns vor, was Jesus getan hät­te, wenn einer sei­ner Apo­stel, das ande­ren Jün­gern ange­tan hät­te? Es ist gera­de­zu absurd, so etwas zu den­ken.
Ich befürch­te jedoch, daß auch die­se Initia­ti­ve der Lai­en neu­tra­li­siert wird, indem man sie als Rebel­li­on gegen den Papst abstem­peln wird.

NBQ: Das ist eine fixe Idee: Auch Kar­di­nal Kas­per hat sich in die­sen Tagen mehr­fach zu Wort gemel­det und ein Kom­plott zum Rück­tritt von Papst Fran­zis­kus behauptet.

Kar­di­nal Mül­ler: Lei­der gibt es im Vati­kan sol­che, die alles, was in der Kir­che geschieht, damit erklä­ren, daß es Fein­de des Pap­stes gibt, die mit Hil­fe von Inter­net­sei­ten ein Kom­plott orga­ni­sie­ren: aus Ita­li­en, den USA, Deutsch­land, Frank­reich, alle zusam­men, nur um dem Papst Pro­ble­me zu machen. Das ist ver­rückt. Ich ken­ne nicht alle Beweg­grün­de von ande­ren, aber ein Katho­lik ist immer an der Sei­te des Pap­stes, auch wenn er ande­re Mei­nun­gen zu Din­gen haben soll­te, über die man dis­ku­tie­ren kann. Die wah­ren Freun­de des Pap­stes sind jene, die die Wahr­heit sagen, die ihm dabei hel­fen, den rich­ti­gen Weg zu fin­den, und nicht jene, die ihn in die eige­ne Rich­tung drän­gen wollen.

„Klerikalismus? Was ist das? Wollen wir wirklich in diese Polemik gegen uns selbst einsteigen?“

Kar­di­nä­le Kas­per und Marx

NBQ: Zu die­sem Punkt zei­gen der Papst und sei­ne eng­sten Mit­ar­bei­ter, wenn sie von Miß­brauchs­fäl­len spre­chen, mit dem Fin­ger auf den Klerikalismus.

Kar­di­nal Mül­ler: Das ist ein miß­ver­ständ­li­ches Wort. Was ist Kle­ri­ka­lis­mus? Wer defi­niert ihn? Wer ist kle­ri­kal? Das Wort stammt aus dem 19. Jahr­hun­dert, aus Frank­reich und Ita­li­en, und dien­te dazu, die Kir­che als Feind der moder­nen Gesell­schaft anzu­grei­fen. Wol­len wir wirk­lich in die­se Pole­mik gegen uns selbst ein­stei­gen? Oder wol­len wir Jesus ankla­gen, den Kle­rus ein­ge­setzt zu haben? Kle­rus ist ein grie­chi­scher Begriff, den wir in der Apo­stel­ge­schich­te fin­den, als die elf Apo­stel das Los war­fen, um Judas zu erset­zen, und sei­nen „Anteil“ – cle­ros – auf Mat­ti­as über­tru­gen. Cle­ros ist also kei­ne Grup­pe von Per­so­nen, son­dern die Teil­ha­be an der Auto­ri­tät von Jesus Chri­stus, die den Apo­steln und ihren Nach­fol­gern über­tra­gen wur­de. Das ist mit Sicher­heit nicht Kle­ri­ka­lis­mus, der sich der Sün­de gegen das 6. Gebot schul­dig macht. Wirk­li­cher Macht­miß­brauch ist die Simo­nie, der Kar­rie­ris­mus, oder den Höf­ling am Hof des Pap­stes zu machen, um die Mitra zu erlan­gen und prä­miert zu wer­den. Wenn Machia­vel­li in der Kir­chen­po­li­tik mehr zählt als das Evan­ge­li­um, das ist Macht­miß­brauch. Von Kle­ri­ka­lis­mus zu spre­chen, oder den Zöli­bat unter Ankla­ge zu stel­len, ist der fal­sche Weg, der vom wirk­li­chen Grund für das Pro­blem ablenkt.

NBQ: In der Tat sind es nicht weni­ge, die den Zöli­bat als Ant­wort auf die Miß­brauchs­fäl­le in Fra­ge stellen.

Kar­di­nal Mül­ler: Wir müs­sen ganz im Gegen­teil das 6. Gebot ernst­neh­men: die Keusch­heit als Hal­tung und Tugend. Das ist nicht leicht in die­ser sexua­li­sier­ten Kul­tur, aber es ist not­wen­dig, wenn wir einen Aus­weg aus die­sem Desa­ster fin­den wol­len, das übri­gens die gesam­te Gesell­schaft betrifft. Die Kir­che weist einen Weg: Wir müs­sen wie­der unse­re Anthro­po­lo­gie auf­grei­fen. Die Kir­che ist nicht als Orga­ni­sa­ti­on zu sehen, die Macht und Pre­sti­ge ver­teilt. Sie ist Fami­lie Got­tes, die Ver­traut­heit zwi­schen uns allen mit sich bringt, Ver­ant­wor­tung des einen für den ande­ren und Respekt gegen­über den Kin­dern und der Jugend. Die ande­re Per­son ist nie als Objekt der Gier zu betrach­ten. Der ande­re ist immer Sub­jekt, nie Objekt. Er ver­dient Respekt.

NBQ: Mit Blick auf den Gip­fel Ende Febru­ar gibt es bereits sol­che, die davon zu pro­fi­tie­ren ver­su­chen und behaup­ten, daß die Homo­se­xua­li­tät anzu­er­ken­nen sei: Es sei nicht wich­tig, ob ein Prie­ster homo­se­xu­el­le Nei­gun­gen habe, wich­tig sei, daß er keusch lebe. In Deutsch­land gibt es Bischö­fe, die sich bereits in die­sem Sinn erklärt haben.

Kar­di­nal Mül­ler: Das wäre ein Ver­bre­chen gegen die Kir­che: Die Sün­de zu instru­men­ta­li­sie­ren, um eine Sün­de gegen das 6. Gebot zu eta­blie­ren oder zu nor­ma­li­sie­ren, ist ein Ver­bre­chen. Es gibt kei­nen Weg, der zu einer Legi­ti­mie­rung homo­se­xu­el­ler oder auch unge­ord­ne­ter sexu­el­ler Hand­lun­gen füh­ren kann. Wenn wir an Gott glau­ben, glau­ben wir, daß die Zehn Gebo­te direk­ter Aus­druck des heil­brin­gen­den Wil­lens Got­tes uns gegen­über sind. Das sind kei­ne äußer­li­chen Gebo­te wie die posi­ti­ven Geset­ze, die der Staat erläßt. Sie sind die Sub­stanz der Mora­li­tät des Men­schen und sei­nes Glücks. Sie sind Aus­druck des Lebens und der Wahr­heit Gottes.

„Einige wollen die christliche Anthropologie umstürzen“

NBQ: Man ris­kiert also die christ­li­che Anthro­po­lo­gie umzustürzen…

Kar­di­nal Mül­ler: Das ist es, wor­auf eini­ge abzie­len: Sie wol­len, daß der Mensch sich selbst defi­niert. Gott ist für sie nur ein Bezugs­punkt für die eige­ne Selbst­recht­fer­ti­gung. Eini­ge Per­so­nen haben mir geschrie­ben, daß sie in ihrer Jugend bestimm­te homo­se­xu­el­le Erfah­run­gen gemacht haben, dann aber alles über­wun­den haben und nun glück­lich in einer Ehe leben. Das sind nicht Ideen, son­dern wirk­li­che Erfah­run­gen von Men­schen, auf die wir hören müs­sen. Wenn die Sexua­li­tät erwacht, kann es Momen­te der Ver­wir­rung geben, aber das heißt nicht, daß es ver­wur­zel­te Nei­gun­gen gibt. Eini­ge wol­len aber aus der Homo­se­xua­li­tät eine onto­lo­gi­sche Gege­ben­heit machen. 

NBQ: Das bringt uns zu jenem Pasto­ral­do­ku­ment für die Per­so­nen mit homo­se­xu­el­len Nei­gun­gen, das 1986 von der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on ver­öf­fent­licht wur­de, in dem bereits ein Homo-Netz­werk in- und außer­halb der Kir­che beklagt wur­de, das den Umsturz der katho­li­schen Glau­bens­leh­re zum Ziel hat.

Kar­di­nal Mül­ler: Ja, nor­ma­ler­wei­se geben sie sich nicht öffent­lich zu erken­nen, aber man kann sie an eini­gen selt­sa­men Ver­hal­tens­wei­sen erken­nen, an der Art, mit der sie sich prä­sen­tie­ren, an bestimm­ten Mei­nun­gen. Sie unter­stüt­zen sich gegen­sei­tig, grei­fen jene per­sön­lich an, die ihrer Agen­da im Weg ste­hen, ver­bie­gen die Leh­re der Kir­che für ihre Zwecke und pole­mi­sie­ren stän­dig gegen die recht­gläu­bi­gen Katho­li­ken. Das ent­tarnt sie. Auf die­se Wei­se zer­stö­ren sie aber nicht nur die Glau­bens­leh­re, son­dern auch die Men­schen, von denen sie behaup­ten, ihnen hel­fen zu wol­len. Sie gebrau­chen die Men­schen, die homo­se­xu­el­le Nei­gun­gen haben, um ihrer Ideo­lo­gie zum Sieg zu ver­hel­fen. Sie miß­brau­chen die­se Men­schen ideologisch.

„Ein päpstliches Dokument kann nicht die in Gottes Schöpfung grundgelegte Anthropologie ändern“

NBQ: Sogar der Avve­ni­re, die Tages­zei­tung der ita­lie­ni­schen Bischö­fe, behaup­tet, daß es in der Kir­che eine Wen­de zur Homo­se­xua­li­tät gege­ben hat, daß es kei­nen mora­li­schen Tadel mehr gibt, und daß das aus dem Apo­sto­li­schen Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia zu ent­neh­men sei.

Kar­di­nal Mül­ler: Das stimmt nicht, aber auch wenn dem so wäre, kann ein päpst­li­ches Doku­ment nicht die in der Schöp­fung Got­tes grund­ge­leg­te Anthro­po­lo­gie ändern. Es ist mög­lich, daß ein päpst­li­ches Doku­ment oder das Lehr­amt der Kir­che die Fak­ten der Offen­ba­rung und der Schöp­fung nicht gut erklärt, aber das Lehr­amt ist nicht die christ­li­che Glau­bens­leh­re. Es gibt die Art, das Lehr­amt zu ver­ste­hen, als habe es nichts mit der katho­li­schen Tra­di­ti­on zu tun. Der Papst wird behan­delt, als sei er ein Ora­kel. Was immer er sagt, wird zur unbe­streit­ba­ren Wahr­heit. Dem ist aber nicht so: Vie­le Din­ge sind Pri­vat­mei­nun­gen des Pap­stes, Din­ge also, über die man dis­ku­tie­ren kann. Wenn der Papst heu­te sagen wür­de, daß die Tei­le mehr sind als das Gan­ze, hät­ten wir die Struk­tu­ren der Mathe­ma­tik, der Geo­me­trie geän­dert. Das ist lächer­lich. Oder wenn der Papst heu­te sagen wür­de, daß wir kein Tier­fleisch mehr essen dür­fen, wäre den­noch für kei­nen Katho­li­ken das Essen von Fleisch verboten.

NBQ: Sie wol­len sagen, hypo­the­tisch gedacht: Soll­te der Papst eine „vega­ne“ Enzy­kli­ka schrei­ben, wäre sie für kei­nen Katho­li­ken ver­bind­lich? Wie das?

Kar­di­nal Mül­ler: Weil das nicht Teil der mate­ria fidei ist. Die Auto­ri­tät des Pap­stes ist sehr begrenzt. Eini­ge sehen nur sei­ne öffent­li­che Auto­ri­tät, das, was von den Mas­sen­me­di­en berich­tet wird, und sie gebrau­chen ihn nach ihrem eige­nen Den­ken. In Wirk­lich­keit aber akzep­tie­ren sie die Auto­ri­tät des Pap­stes, wie sie in unse­rer Ekkle­sio­lo­gie begrün­det ist, nicht.

„Es gibt eine krasse Ignoranz, sogar unter Kardinälen“

Fran­zis­kus mit dem „Mönch“ Enzo Bianchi

NBQ: Apro­pos Ekkle­sio­lo­gie. In den ver­gan­ge­nen Tagen haben wir auf La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na den Fall einer öku­me­ni­schen Mes­se in Mai­land beklagt, bei der eine bap­ti­sti­sche „Pasto­rin“ das Evan­ge­li­um ver­kün­de­te, pre­dig­te und die Eucha­ri­stie ver­teil­te, nach­dem sie bei der Wand­lung an der Sei­te des Prie­sters stand. Und der Pfar­rer sag­te, daß die Trans­sub­stan­tia­ti­on nur eine von meh­re­ren Mög­lich­kei­ten sei, die Eucha­ri­stie zu ver­ste­hen. Lei­der ist die­se Art von Öku­me­ne kein Einzelfall.

Kar­di­nal Mül­ler: Und ein Bischof hät­te die Pflicht ein­zu­grei­fen, weil es unter Prie­stern, Bischö­fen und sogar Kar­di­nä­len lei­der eine kras­se Igno­ranz gibt: Sie sind Die­ner des Wor­tes Got­tes, aber sie ken­nen es nicht, und sie ken­nen die Glau­bens­leh­re nicht. Wenn wir von Trans­sub­stan­tia­ti­on spre­chen, haben das Vier­te Late­r­an­kon­zil, das Triden­ti­num und auch das Zwei­te Vati­ca­num sowie eini­ge Enzy­kli­ken wie Myste­ri­um Fidei (1965) erklärt, daß die Kir­che mit die­sem Begriff die Rea­li­tät der wirk­li­chen Ver­wand­lung des Bro­tes und des Wei­nes in die Sub­stanz des Lei­bes und des Blu­tes Jesu Chri­sti zum Aus­druck bringt. Die Luthe­ra­ner glau­ben an die Real­prä­senz, aber nicht im katho­li­schen Sinn. Sie glau­ben nicht an die Ver­wand­lung von Brot und Wein. Das ist nicht irgend­ein klei­ner Unter­schied. In Eng­land zur Zeit von Edu­ard VI. und Eli­sa­beth I., im 16. Jahr­hun­dert, galt die Todes­stra­fe für jene, die an die Trans­sub­stan­tia­ti­on glau­ben. Vie­le Katho­li­ken haben das Mar­ty­ri­um erlit­ten, und es war nicht so, daß sie ihr Leben nur für eine von vie­len Mög­lich­kei­ten ver­lo­ren haben, wie man die Eucha­ri­stie sehen könn­te, son­dern für die Rea­li­tät des Sakra­ments.
Der hei­li­ge Tho­mas [von Aquin] sag­te, daß es eine schwe­re Sün­de ist, wenn die Bischö­fe und die Prie­ster die Glau­bens­leh­re der Kir­che nicht ken­nen. Das ist ihre Pflicht. Natür­lich wer­den die Prie­ster, wie der in Mai­land, irgend etwas von dritt­klas­si­gen Theo­lo­gen gele­sen haben, die Müll schrei­ben und reden, ohne die Glau­bens­leh­re zu ken­nen. Das kann aber nicht einen gera­de­zu blas­phe­mi­schen Akt recht­fer­ti­gen. Die Pro­te­stan­ten akzep­tie­ren in ihrem Glau­ben das Wei­he­sa­kra­ment nicht, des­halb kön­nen sie nicht an der Sei­te eines katho­li­schen Prie­sters ste­hen. Wenn der Pfar­rer das zuläßt, leug­net er auch das Wei­he­sa­kra­ment und macht sich zum Pro­te­stan­ten. Auch mit den Ortho­do­xen, deren sakra­men­ta­les Prie­ster­tum wir aner­ken­nen, ist eine Kon­ze­le­bra­ti­on nicht mög­lich, weil die vol­le Ein­heit fehlt.

NBQ: Was aber kann ein Gläu­bi­ger tun, wenn er sich in einer sol­chen Mes­se befindet?

Kar­di­nal Mül­ler: Er muß öffent­lich pro­te­stie­ren. Er hat das Recht weg­zu­ge­hen oder, wenn er dazu imstan­de ist, kann er etwas sagen: „Ich pro­te­stie­re gegen die­se Ent­hei­li­gung der Hei­li­gen Mes­se“; „Ich bin gekom­men, um die katho­li­sche Mes­se mit­zu­fei­ern, nicht um an einem Kon­strukt eines Pfar­rers teil­zu­neh­men, das nichts mit dem katho­li­schen Glau­ben zu tun hat“. Was in der Mai­län­der Pfar­rei gesche­hen ist, hat nichts mit Öku­me­ne zu tun. Es ist viel­mehr ein Schlag gegen die ech­te Ökumene.

NBQ: Wel­che ist die ech­te Ökumene?

Kar­di­nal Mül­ler: Es gibt das Dekret des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils Unita­tis red­in­te­gra­tio, das in den ersten bei­den Kapi­teln die Grund­sät­ze der katho­li­schen Öku­me­ne beschreibt. Es gibt kei­ne all­ge­mei­ne Öku­me­ne, son­dern eine Öku­me­ne nach den Grund­sät­zen des katho­li­schen Glau­bens; und die ande­ren haben eine Öku­me­ne nach ihren Grund­sät­zen. Mit den ande­ren christ­li­chen Kon­fes­sio­nen gibt es nicht nur eine Ver­schie­den­heit in den Glau­bens­in­hal­ten, son­dern auch in der Her­me­neu­tik des Glaubens.

„Mißbrauch um die Kirche zu protestantisieren und zu islamisieren“

NBQ: Für die Katho­li­ken sind Jah­res­ta­ge gefähr­lich gewor­den. Nach dem Jubi­lä­um der luthe­ri­schen Refor­ma­ti­on mit all sei­ner fal­schen Öku­me­ne fol­gen nun die 800 Jah­re der Begeg­nung des hei­li­gen Franz von Assi­si mit dem Sul­tan: Und schon begin­nen die Islam-Kur­se in den Pfar­rei­en und die Ima­me wer­den in die Kir­chen ein­ge­la­den, um zu erklä­ren, wer Jesus ist – für den Islam.

Kar­di­nal Mül­ler: Gewiß, aber ich wet­te, daß der Pfar­rer nicht in die Moschee geht, um das Kon­zil von Nicäa zu erklä­ren. Für uns ist es eine Belei­di­gung, zu behaup­ten, daß Jesus nur ein Mensch ist und nicht der Sohn Got­tes. Wie kann man jemand in eine Kir­che ein­la­den, um sich belei­di­gen zu las­sen? Heu­te gibt es in der Katho­li­zi­tät lei­der ein schlech­tes Gewis­sen wegen des eige­nen Glau­bens und man kniet immer vor den ande­ren nie­der. Zuerst das Luther-Jahr, jetzt das des hei­li­gen Franz von Assi­si: Sie wer­den miß­braucht, um die Kir­che zu pro­te­stan­ti­sie­ren und zu isla­mi­sie­ren. Das ist kein ech­ter Dia­log. Eini­ge von uns haben den Glau­ben ver­lo­ren und wol­len sich zu Skla­ven der ande­ren machen, um geliebt zu werden.

NBQ: Was ist heu­te das größ­te Pro­blem für die Kirche?

Kar­di­nal Mül­ler: Die Rela­ti­vie­rung des Glau­bens. Es scheint heu­te kom­pli­ziert, den katho­li­schen Glau­ben in sei­ner Voll­stän­dig­keit und mit einem rech­ten Gewis­sen zu ver­kün­di­gen. Auch die Welt von heu­te ver­dient aber die Wahr­heit, und die Wahr­heit ist die Wahr­heit von Gott Vater, die Wahr­heit von Jesus Chri­stus und die Wahr­heit des Hei­li­gen Gei­stes. Die fal­schen Kom­pro­mis­se nüt­zen dem Men­schen von heu­te nichts. Anstatt den Glau­ben zu ver­kün­den, die Men­schen zu erzie­hen, den Men­schen zu leh­ren, neigt man dazu, zu rela­ti­vie­ren, und sagt immer ein biß­chen weni­ger, weni­ger, weni­ger, weni­ger… Ein Bei­spiel: Anstatt den Sinn der Ehe und ihre Unauf­lös­lich­keit zu erklä­ren, sucht man Aus­nah­men und geht rück­wärts. Anstatt von der Wür­de des Prie­ster­tums, sei­ner Ehre und dem Strah­len der Wahr­heit der Sakra­men­te zu spre­chen, wird alles auf eine Gele­gen­heit redu­ziert, zusam­men­zu­sein. Es gibt eine Ver­fla­chung des Chri­sten­tums. Es wird auf eine Form redu­ziert, um den Men­schen von heu­te zu gefal­len. So aber betrü­gen wir die Men­schen. Wenn wir uns mit Men­schen ande­rer Reli­gio­nen zusam­men­fin­den, kön­nen wir uns nicht in einem all­ge­mei­nen Glau­ben zusam­men­schlie­ßen. Der Glau­be wird dadurch auf einen phi­lo­so­phi­schen Glau­ben redu­ziert, Gott zu einem tran­szen­den­ten Wesen, und dann sagen wir, daß Allah oder Gott, der Vater von Jesus Chri­stus, das­sel­be sei. Auch der Gott des Deis­mus hat nichts mit dem Gott der Chri­sten zu tun.

„Christliche Brüderlichkeit hat nicht die Brüderlichkeit der französischen Revolution zum Maßstab“

NBQ: Der Papst beharrt sehr auf dem Kon­zept einer uni­ver­sa­len Brü­der­lich­keit. Wie muß sie ver­stan­den wer­den, um die­se Ver­wir­rung zu vermeiden?

Kar­di­nal Mül­ler: Mir hat das gan­ze gro­ße Lob der Frei­mau­rer für den Papst nicht gefal­len. Ihre Brü­der­lich­keit ist nicht die Brü­der­lich­keit der Chri­sten in Jesus Chri­stus, sie ist viel weni­ger. Wir dür­fen nicht das als Maß­stab für Brü­der­lich­keit neh­men, was aus der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on kommt. Das ist Ideo­lo­gie wie der Kom­mu­nis­mus. Wer defi­niert, wer mein Bru­der ist? Wir sind unter­ein­an­der Brü­der, weil wir Kin­der Got­tes sind, weil wir Chri­stus aner­ken­nen, der Mensch gewor­den ist. Das ist die Grund­la­ge der Brü­der­lich­keit.
Im Sin­ne der Schöp­fung sind wir alle Kin­der Got­tes. In die­sem Sin­ne spre­chen wir auch von uni­ver­sa­ler Brü­der­lich­keit: Man darf nicht töten; auch im Krieg ist der, den ich töte, mein Bru­der. Alle haben wir einen Vater im Him­mel, aber die­ser Vater hat sich im Hei­li­gen Land dem Moses, den Pro­phe­ten und am Ende in Jesus Chri­stus offen­bart. Wenn wir die natür­li­che Brü­der­lich­keit des Men­schen nicht zur Brü­der­lich­keit in Jesus Chri­stus erhe­ben, ver­wer­fen wir die über­na­tür­li­che Dimen­si­on und ver­na­tür­li­chen die Gna­de. Eine uni­ver­sa­le Reli­gi­on gibt es nicht, es gibt eine uni­ver­sa­le Reli­gio­si­tät, eine reli­giö­se Dimen­si­on, die jeden Men­schen zum Myste­ri­um drängt. Manch­mal hört man absur­de Ideen wie jene, der Papst sei das „Ober­haupt einer Welt­ein­heits­re­li­gi­on“, aber das ist lächer­lich. Petrus ist Papst wegen sei­ner con­fes­sio, sei­nem Bekennt­nis des Glau­bens: „Du bist Chri­stus, der Sohn des leben­di­gen Got­tes“. Das ist der Papst, und nicht der Chef der UNO.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: NBQ

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1 Kommentar

  1. Vergelt’s Gott an Kar­di­nal Muel­ler fuer sei­ne Klar­stel­lung, sei­nen Mut, sein Stand­hal­ten in einer so ver­wirr­ten Zeit mit
    einem Papst, fuer den man nur noch beten kann, sonst packt einem ja der hei­li­ge Zorn.

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