(Rom) Papst Franziskus wiederholte am vergangenen Sonntag seine Kritik an der Proselytenmacherei. „Schluß mit dem Proselytismus, es ist ‚Silence‘-Zeit, auch für die katholischen Missionen“, faßte der Vatikanist Sandro Magister zusammen.
Wie hält es Papst Franziskus mit der Mission?
Die Gelegenheiten, an denen sich das katholische Kirchenoberhaupt gegen den „proselitismo“ wandte, lassen sich kaum mehr zählen. Staunend fragen sich aufmerksame Katholiken, wo denn diese katholische „Arroganz“ stattfinde, um solchermaßen die Aufmerksamkeit und den Zorn des Papstes zu verdienen? Gepaart mit der Aussage gegenüber Eugenio Scalfari, einem bevorzugten Gesprächspartner von Franziskus, er wolle den Atheisten aus freimaurerischer Familie „nicht bekehren“, ergibt sich ein doch irritierenderes Bild.
Sollte Papst Franziskus vielleicht jener Haltung liberaler protestantischer Gemeinschaften anhängen, der eine vor wenigen Tagen in der Washington Post veröffentlichte PEW-Studie gerade attestierte, diese Gemeinschaften in den Niedergang zu führen? Wie der Religions- und Kulturwissenschaftler David Millard Haskell ausführte, setzen liberale protestantische Gemeinschaften Mission mit Proselytismus gleich, den sie als „kulturell unsensibel“ ablehnen. Papst Franziskus spricht von „Arroganz“. Das kommt der Sache ziemlich nahe. Franziskus spricht auch von Mission, wenn auch seltener im Sinne von missionieren und evangelisieren. Vor allem stellt seine so dominant vorgetragene Proselytismus-Kritik den Missionsgedanken in den Schatten, um nicht zu sagen in die Schmuddelecke. Eine Förderung des missionarischen Eifers, wie in Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat, ist das nicht gerade.
Scorseses neuer Film „Silence“
Am 12. Januar startet in den Kinos verschiedener europäischer Länder Martin Scorseses neuester Spielfilm „Silence“ (Kinostart in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschschweiz ist am 2. März, in Österreich am 3. März). Die Premiere fand bereits am 29. November 2016 an einem ebenso ungewöhnlichen wie besonderen Ort statt: im Vatikan. Scorsese hatte zur Exklusivvorführung mehrere hundert Jesuiten eingeladen. Papst Franziskus empfing den Regisseur in Audienz, der in den 80er Jahren der Kirche wegen eines blasphemischen Jesus‑F ilms noch als „enfant terrible“ galt.
„Silence“ ist die Verfilmung eines Romans des katholischen, japanischen Schriftstellers Shusaku Endo, der 1996 verstorben ist. Er spielt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert inmitten der brutalen Christenverfolgung in Japan. Die Hauptfiguren sind zwei iberische Jesuiten, die 1638 von ihrem Orden nach Japan entsandt wurden, um ihren portugiesischen Mitbruder Christovao Ferreira, eine historische Figur, zurückzuholen. Dieser war 1609 als Missionar nach Japan gesandt worden, wo er Ordensprovinzial wurde. Schließlich gelangten Stimmen nach Europa, davon erzählt der Film, daß er vom Glauben abgefallen sei. Dem war in der Tat so. Nach mehrstündiger Folter verleugnete er 1633 seinen Glauben und wurde zum bekanntesten unter den sogenannten „Gefallenen Priestern“. Er nahm einen japanischen Namen an und schrieb sich, gemäß dem japanischen Gesetz, in ein buddhistisches Kloster ein. Laut Berichten soll er der „Zen-Sekte“ nahegestanden haben. In seinen Schriften hielt er „gottlos“ am Naturrecht fest. Am Ende des Films wird sogar einer der beiden Jesuiten, die ihn zurückholen sollten, dem Glauben unter Zwang abschwören in der Hoffnung, damit andere Christen vor einem grausamen Tod zu retten.
Treue zum Glauben im Angesicht des Martyriums
Der Titel „Silence“ meint das „Schweigen“ (Partnerlink) Gottes angesichts des Martyriums der ersten Christen Japans. Ein Motiv, das seit dem Zweiten Weltkrieg von Menschen im sich entchristlichenden Westen, denen die anthropologische Weisheit des Christentums und das christliche Verständnis des Leidens schwindet, wiederholt als Anklage gegen Gott formuliert wird.
„Das Buch von Shusaku Endo ist ein Gewühl an Grundsatzfragen zu den Gründen, ob man in einer Zeit der Verfolgung und des Martyriums am Glauben festhalten soll oder nicht“, so Magister. Die Jesuiten, die ihrem Glauben abschwören, tun es, so die Darstellung, aus Barmherzigkeit gegenüber den einfachen Christen, die hingegen aus Treue zu Christus zum Martyrium bereit sind. Für ihre Verleugnung des Glaubens erhalten die jesuitischen Apostaten prestigeträchtige Stellungen in der japanischen Gesellschaft, der sie sich unterwerfen. Ihr Verrat wird belohnt.
„Die aufgeworfenen Fragen sind von großer Dichte und Tiefe“, so Magister. Der Jesuit Ferdinando Castelli schrieb 1973 eine Rezension zu Endos Roman, der 1966 erschienen war (deutsche Erstausgabe 1992). Darin arbeitete Castelli, dessen Besprechung nun von der römischen Jesuitenzeitschrift neu veröffentlicht wurde, diese Fragen deutlich heraus. Umso erstaunlicher sei es, so Magister, daß im Film und ebensowenig in den anderen von der Civiltà Cattolica zum Filmstart veröffentlichen, begeisterten Beiträgen kaum etwas davon anklingt.
Magister erinnert daran, daß die römische Jesuitenzeitschrift nicht nur mit vorheriger Druckerlaubnis des Vatikans erscheint, sondern unter der Leitung von Pater Antonio Spadaro unmittelbar „das Denken von Papst Franziskus widerspiegelt“. Spadaro selbst veröffentlichte ein 22 Seiten langes Interview, das er mit Scorsese führte. Dem Film wird darin kaum mehr als eine Seite gewidmet. Der Regisseur und Jesuitenzögling benennt Kichjjiro als „faszinierendste“ Figur des Films, den japanischen Begleiter der beiden Jesuiten, der „konstant schwach“ ist und dazu neigt, sie zu verraten. Am Ende des Film dankt ihm der Jesuit, der dem Glauben abschwört, und bezeichnet ihn sogar als „Meister“.
Dient Film „heutigen kulturellen Eliten, die wankelmütige Christen bevorzugen“?
Der Weihbischof von Los Angeles, Msgr. Robert Barron, widmete dieser inhaltlichen Verarmung des Films gegenüber dem Roman eine kritische Besprechung bei Word on Fire:
„Was mich besorgt, ist, daß diese ganze Konzentration auf die Komplexität, Vielschichtigkeit und Zweideutigkeit der Handlung im Dienst der heutigen kulturellen Elite stehen könnte, die sich nicht sehr von der im Film gezeigten kulturellen Elite Japans vor 400 Jahren unterscheidet. Was ich damit sagen will: Das dominante laizistische Establishment bevorzugt immer die wankelmütigen Christen, die unsicher, zerrissen und bereit sind, ihre Religion zu privatisieren. Das Drehbuch eignet sich zu gut, die wirklich für ihren Glauben brennenden Menschen als gefährlich, gewalttätig – und laßt es mich sagen – auch wenig intelligent herabzusetzen. Es genügt, sich die Rede Ferreiras an Rodrigues anzuhören über die angebliche Einfalt des Christentums der japanischen Laien, um jeden Zweifel darüber abzulegen, was ich hier sage. Ich frage mich, ob uns Shusaku Endo (und vielleicht auch Scorsese) in Wirklichkeit nicht auffordern will, den Blick von den Priestern abzuwenden und uns vielmehr der wunderbaren Gruppe der mutigen, frommen und hingebungsvollen Laien zuzuwenden, die so lange gelitten und den christlichen Glauben unter unglaublichen Bedingungen lebendig bewahrt haben – und vor allem im entscheidenden Moment Christus mit ihrem eigenen Leben bezeugt haben. Während Ferreira und Rodrigues mit ihrer ganzen Spezialausbildung zu bezahlten Kurtisanen einer tyrannischen Regierung werden, blieben diese einfachen Menschen ein Stachel im Fleisch der Tyrannei.
Ich weiß, ich weiß: Scorsese zeigt die Leiche von Rodrigues in seinem Sarg, wie er mit seinen Händen ein kleines Kruzifix umfaßt, was – so vermute ich – zeigen will, daß der Priester doch irgendwie Christ geblieben ist. Dennoch und noch einmal: Das ist genau die Art von Christentum, die der heutigen Kultur gefällt: völlig privatisiert, versteckt und harmlos. Gut, also vielleicht ein halbes Hoch auf Rodrigues, aber unbedingt ein dreifaches, aus ganzer Seele kräftiges Hurra auf die am Meeresstrand gekreuzigten Märtyrer.“
Jesuitenzeitschrift verkündet „Paradigmenwechsel“ im Missionsverständnis
Um so bemerkenswerter, so Magister, ist das „aggiornamento“, das die Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica zur historischen Handlung von „Silence“ betreibt. In der jüngsten Ausgabe findet sich ein Artikel, der wiedergeben sollte, wie Mission im heutigen Japan stattfindet. Autor ist der japanische Jesuit Shun’ichi Takayanagi. Dieser schreibt jedoch über einen „Paradigmenwechsel im Verständnis von Mission und den Formen, sie auszuüben“. Laut Pater Takayanagi habe der frühere Typus des Missionars, wie er bis vor wenige Jahrzehnte auch in Japan wirkte, „auf sichtbare und konkrete Ergebnisse“ abgezielt. Er habe „eine große Zahl von Taufen“ gewollt. Heute hingegen, sei das nicht nur „nicht mehr möglich“, sondern überholt und zur Gänze zu ersetzen.
Wörtlich schreibt Takayanagi:
„Auch wenn die ‚Mission‘ im Japan des 16. Jahrhunderts ein großes Ergebnis erzielte, ist es nicht mehr möglich in den heutigen Zeiten, die von einem raschen Fortschritt der materiellen Kultur und von einem hohen Lebensstandard geprägt ist, einen vergleichbaren Erfolg zu erzielen. Gerade deshalb muß das antiquierte Missionsverständnis, das aus der Kolonialzeit des Westens des 19. Jahrhunderts herrührt und noch im Unterbewußtsein vieler Missionare, ausländischer wie einheimischer, fortlebt, durch ein neues Verständnis des Volkes ersetzt werden, mit dem und für das man arbeitet. Die neue Strategie der Verkündigung des Evangeliums muß zum Ausdruck des Bedürfnisses nach Religion der Menschen von heute werden. Der Dialog muß unser Verständnis der anderen Religionen und der gemeinsamen menschlichen Bedürfnisse nach religiösen Werten vertiefen.“
Multireligiöses Klima „ohne Zwang zu bestimmtem religiösen Bekenntnis“
Laut der Civiltà Cattolica, dem Sprachrohr des päpstlichen Denkens, ist also das „antiquierte“ Missionskonzept, „Proselyten zu machen und der Kirche Bekehrte zu verschaffen“ durch den „Dialog“ zu ersetzen, so Magister. Eine Aussage, die vor dem kulturell-religiösen Hintergrund Japans besondere Brisanz erhält, wo es üblich ist „ein schintoistisches Heiligtum aufzusuchen, an buddhistischen Feiern teilzunehmen und zu Weihnachten auch an der christlichen Liturgie“, ohne daß es mehr den „seltsamen Zwang“ gebe, „einem bestimmten religiösen Bekenntnis folgen zu müssen“, und das Ganze „in einer kulturellen Atmosphäre, die vage nicht monotheistisch ist“, wie Pater Takayanagi positiv vermerkt.
Am Ende seines Artikels betont der japanische Jesuit, daß die Japaner für den religiösen Pluralismus sehr aufgeschlossen seien, „aber von einigen brutalen Episoden, die auf religiöse Wurzeln zurückgeführt werden können, erschüttert werden“, womit er islamische Gewalt meint, aber nicht nur.
Abschließend schreibt Takayanagi nämlich:
„Gewiß, die Religion kann die Menschen wachsen und reifen lassen, aber in extremen Fällen kann die Zugehörigkeit zu einer Religion die menschliche Natur auch pervertieren. Ist das Christentum imstande den Fanatismus und diese Art von Perversion zu verhindern? Das ist für uns eine drängende Frage, die wir uns in Ausübung unserer missionarischen Aktivität stellen müssen. Die vergangene Geschichte des Christentums ist in dieser Hinsicht sicher nicht makellos. […] Besonders einige japanische Intellektuelle, wenn auch auf vage Weise und fast unbewußt und angelehnt an die polytheistische Kultur Japans, beginnen sich zu fragen, ob die monotheistischen Religionen sich letztlich wirklich als tolerant gegenüber den Angehörigen anderer Religionen erweisen können. […] Diese Intellektuellen sind der Ansicht, daß der kulturelle, polytheistische Boden des japanischen Schintoismus einen weicheren Ansatz gegenüber den anderen Religionen garantieren könne.“
Civiltà Cattolica und Osservatore Romano und das „fluide religiöse Bedürfnis“
Am 4. Januar wurden ausführliche Auszüge des Takayanagi-Artikels auch vom Osservatore Romano übernommen. „Was nicht verwundert, weil der Osservatore Romano bereits andere Male den Paradigmenwechsel in Sachen Mission vertreten hat, der auf ‚die gemeinsamen menschlichen Bedürfnisse nach religiösen Werten‘ abzielt“, wie ihn Spadaros Jesuitenzeitschrift vertritt, so Magister.
Ein besonderer „Markstein“ dieses Paradigmenwechsels war am 26. April 2016 die Veröffentlichung einer Rezension von Jan Assmanns Buch: „Il disagio dei monoteismi“ (Das Unbehagen der Monotheismen) aus der Feder von Marco Vannini. Vannini ist ein Mystik-Experte, dessen Positionen „meilenweit vom katholischen Bekenntnis entfernt sind“, wie Magister damals schrieb. Assmann wärmt in seinem Buch den Grundmythos der Aufklärung von der zivilisatorisch höherstehenden, heidnischen Antike auf, die durch die Ausbreitung des minderwertigen Christentums vernichtet worden sei. Während der deutsche Religionstheoretiker Assmann die monotheistischen Religionen, besonders aber das Christentum als gewalttätig abstempelt, sei die polytheistische Götterwelt der vorchristlichen Antike ein Hort des Friedens und der kulturellen Höhenfluges gewesen. Die Realität sieht freilich anders aus. Die heidnische Antike war grausam und unmenschlich, wie jüngst der britische Historiker Tom Holland in Erinnerung rief.
Erstaunlicher ist, daß einer so ideologisch motivierten und zutiefst christenfeindlichen Haltung im Osservatore Romano unkritischer Raum geboten wird, und der Nicht-Katholik Vannini sich Assmanns Thesen zu eigen machen kann: „In einer Zeit erneuter Gewalt im Namen Gottes kann eine wahre religiöse Toleranz, die imstande ist die Relativität anzuerkennen, ohne in die Banalität abzurutschen, nur durch Überwindung der mosaischen Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Religion bestehen.“
„Kurzum, es ist ‚Silence‘-Zeit, auch für die katholischen Missionen“, und das trotz dem Konzilsdekret Ad gentes, dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi von Paul VI. und der Missionsenzyklika Redemptoris missio von Johannes Paul II., so Magister über den neuen Wind in Rom.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Silence (Trailer)/Vatican.va/Wikicommons (Screenshots)
„Paradigmenwechsel im Missionsverständnis“? Wenn man gegen Mission ist, soll man es wenigstens offen sagen.
Um das Bild abzurunden könnte man auch noch auf das apostolische Schreiben „Evangelii Gaudium“ von 2013 hinweisen, in welchem Papst Franziskus die Evangelisierung als Hauptaufgabe der Kirche bezeichnet.