Vor kurzem bezeichnete ein afrikanischer Kardinal Fiducia supplicans als „ein Dokument, das man vergessen sollte“. Nun äußerte sich ein weiterer afrikanischer Kardinal in sehr ähnlicher Weise zu diesem Dokument.
Am vergangenen Freitag, dem 12. September, veröffentlichte Avvenire, die Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, ein Interview mit Kardinal Robert Sarah. Anlaß war der 80. Geburtstag des Purpurträgers aus Guinea, der unter Benedikt XVI. Vorsitzender des Päpstlichen Rats Cor Unum und unter Franziskus erstaunlicherweise – als „Betriebsunfall“ – Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung war. Angesprochen auf das vom Glaubensdikasterium mit Billigung von Papst Franziskus veröffentlichte Dokument Fiducia supplicans, das Homo-Segnungen erlaubt, sagte der Kardinal:
„Ich hoffe, daß der Inhalt von Fiducia supplicans besser geklärt und vielleicht auch neu formuliert werden kann. Die Erklärung ist theologisch schwach und daher nicht gerechtfertigt. Sie gefährdet die Einheit der Kirche. Es ist ein Dokument, das man vergessen sollte.“
Kardinal Sarah übte gleich nach der Veröffentlichung deutliche Kritik an Fiducia supplicans, indem er sagte, daß dieses Dokument „die Wahrheit verdunkelt“.
Kardinal Ambongo Besungu
Gestern äußerte sich ein weiterer afrikanischer Kardinal zu Fiducia supplicans. Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, Erzbischof von Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo und Vorsitzender des Symposiums der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM), war vom 11. bis 14. September als Redner beim 12. Friedensweg-Forum im polnischen Gnesen zu Gast. Im Rahmen dieser Veranstaltung veröffentlichte die US-Nachrichtenagentur OSV News am 16. September 2025 einen Artikel, der auf einem Interview mit Kardinal Ambongo basiert. Darin wird Kardinal Ambongo mit den Worten zitiert:
„Ich glaube, Fiducia supplicans ist ein schlechtes Kapitel in der Geschichte, ich würde sagen, von Papst Franziskus.“
Kardinal Ambongo, der den Widerstand gegen dieses römische Dokument anführte, verweist in dem Interview auch auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung: „Fiducia Supplicans wurde zwischen den beiden Sessionen der Synodalitätssynode veröffentlicht“.
„Das Mindeste, was wir erwartet hätten, wäre gewesen, daß es zumindest in der Synode diskutiert wird. Aber es wurde nicht diskutiert.“
Zum Inhalt des Dokuments sagte Kardinal Ambongo:
Es „hat den katholischen Gläubigen – und darüber hinaus – großen Schaden zugefügt“.
„Ich habe die Verantwortung selbst in die Hand genommen und Reaktionen von allen Seiten gesehen, darunter empörte Laien, Priester, Ordensmänner und ‑frauen sowie sehr verärgerte Bischöfe.“
„Ich habe an alle Bischofskonferenzen in Afrika geschrieben und ihnen mitgeteilt, daß wir nicht emotional reagieren sollten. Ich bat jede Bischofskonferenz, sich zu versammeln, das Dokument zu analysieren und mir ihre Reaktion mitzuteilen. Und genau das haben die Konferenzen getan.“
Das Ergebnis war ein siebenseitiges Dokument, das Kardinal Ambongo persönlich nach Rom zu Papst Franziskus brachte.
„Am Tag meiner Ankunft hat mich Papst Franziskus empfangen. Wir haben darüber gesprochen, und ich glaube, ab diesem Moment hat sich seine Sichtweise geändert. Seitdem wurde Fiducia supplicans nicht mehr thematisiert.“
Ambongo habe darauf die SECAM-Kritik an Fiducia supplicans „mit Erlaubnis des Papstes“ veröffentlicht:
Es war „keine Erklärung gegen den Papst, aber er hat verstanden, daß es ein Fehler seinerseits war“.
Auf die Frage von OSV News, ob Franziskus die Veröffentlichung von Fiducia supplicans bereut habe, antwortete Kardinal Ambongo:
„Ich kann nicht ins Detail gehen, da es sich um vertrauliche Informationen handelt“, aber der Papst habe ihn autorisiert, das SECAM-Dokument mit dem Titel „Nein zur Segnung homosexueller Paare in afrikanischen Kirchen“ zu veröffentlichen.
„Wenn er mich autorisiert hat, es zu veröffentlichen, kann ich daraus schließen, daß er zumindest unseren Standpunkt verstanden hat.“
Soweit das Interview von OSV News.
Klarheit und Eindeutigkeit verlangt
Kardinal Ambongo betonte damit erneut seine Position, für Afrika eine Ausnahmeregelung angestrebt und erreicht zu haben. Diese wurde von Franziskus gewährt, allerdings war beim argentinischen Papst von einer Einsicht in der Sache nichts zu vernehmen. Vielmehr erklärte er, wer Fiducia supplicans kritisiere, „ist ein Ideologe“. Kritik an dem Dokument sei „Heuchelei“. Und trotzig fügte er hinzu, ein Schisma nicht zu fürchten.
Vielmehr gehören mögliche Ausnahmen zur bergoglianischen Methode, wie sich schon bei Amoris laetitia zeigte. Das Ziel ist die Veränderung der kirchlichen Praxis. Progressive Bischöfe setzen die Neuerungen sofort um. Wo konservative Bischöfe regieren, wird deren Verweigerung aufgrund ihrer geistigen Enge und Retardierung geduldet in Erwartung, daß nach ihrer Emeritierung ein progressiver Bischof ernannt wird. Diese Strategie war die bergoglianische Antwort auf das halbe Jahrhundert teils harter Kämpfe zwischen Progressiven und Konservativen in der Kirche, in denen die meist unduldsamen Neuerer nicht im gewünschten Tempo und Ausmaß erreichen konnten, was sie erreichen wollten.
Ein Kardinal trägt Verantwortung für die Weltkirche. Entweder ist ein Dokument inhaltlich falsch, dann ist es für die gesamte Kirche falsch, unabhängig von geographischen, historischen oder kulturellen Besonderheiten. Dann ist auch Fiducia supplicans nicht nur für die Schwarzafrikaner falsch, sondern für die ganze Menschheit.
Andernfalls hätten Franziskus und sein Hofstaat recht, die herablassend auf die afrikanische Kritik reagierten. Franziskus selbst warb um Verständnis, daß man in Schwarzafrika eben noch etwas rückständig sei und somit nicht mit dem gleichen Tempo in den Fortschritt ziehen könne. Er meinte damit, auch Schwarzafrika habe diesen Weg zu gehen. Es werde eben langsamer nachkommen.
Tatsache ist, daß zwei Kardinäle Fiducia supplicans innerhalb weniger Tage vernichtend kritisiert haben: Kardinal Ambongo rief gleich am Beginn des Pontifikats von Leo XIV. in Erinnerung, daß das Thema Fiducia supplicans noch offen sei, und lieferte sich einen Schlagabtausch mit Kardinal Victor Manuel „Tucho“ Fernández, dem Autor des Dokuments. Nun nannte Kardinal Ambongo Fiducia supplicans ein „schlechtes Kapitel“ des Franziskus-Pontifikats. Kardinal Sarah bezeichnet den Inhalt als „zu vergessen“ und fordert, Fiducia supplicans umzuschreiben oder durch verbindliche Instruktionen einzuschränken.
Die Glaubenswahrheit und die daraus folgende Lehre der Kirche verlangen nach Klarheit und Eindeutigkeit, zumal das Dokument nicht allein zu sehen ist, sondern als integraler Teil eines Dammbruchs, den Franziskus und die Bergoglianer anstrebten: die Änderung der kirchlichen Lehre zur Homosexualität.
Mit Fiducia supplicans ist noch ein Aspekt verbunden, nämlich die Karriere des erwähnten Autors des Dokuments: Kardinal Victor Manuel „Tucho“ Fernández, Präfekt des Glaubensdikasteriums. Kardinal Joseph Zen forderte bereits im Januar 2024 seinen Rücktritt. Wie lange wird Fernández noch in seinem Amt geduldet?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
