
(Kinshasa) Kardinal Fridolin Ambongo, der Vorsitzende des Symposiums der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM, französisch SCEAM), kritisiert einen „kulturellen Kolonialismus“ des Westens, um in Afrika und in der katholischen Kirche Afrikas die Homosexualität zu etablieren. Ein starkes Interview mit deutlichen Schwächen.
Kardinal Ambongo, der Erzbischof von Kinshasa, ist auch Vorsitzender des Zusammenschlusses aller afrikanischen Bischofskonferenzen und vertritt zugleich Afrika im C9-Kardinalsrat von Papst Franziskus. Er führte ganz Schwarzafrika gegen die römische Homo-Erklärung Fiducia supplicans zusammen. Einzig die von europäischen Bischöfen geleiteten kleinen Ortskirchen im arabisch-islamischen Nordafrika scherten nach entsprechendem Druck aus Rom aus und stellten sich auf die Seite von Santa Marta.
Kardinal Ambongo wurde durch die SECAM-Erklärung gegen Fiducia supplicans mit einem Schlag weltbekannt. In Rom reagierte man herablassend. Papst Franziskus selbst äußerte, daß Afrika eben etwas der Entwicklung hinterherhinke. Das sei „kulturell“ bedingt. Man müsse dafür Verständnis und Geduld haben. Diese abschätzige Behandlung der Kirche in Schwarzafrika kam dort nicht sehr gut an und schwingt auch in einem Interview nach, das Kardinal Fridolin Ambongo dem französischen Fernsehsender KTO gab.
Insgesamt ging Rom aber ab Ende Januar wieder in die Offensive. Das Gespräch mit Kardinal Ambongo enthüllt die Hintergründe.
KTO ist ein offizieller katholischer Fernsehsender, der 1999 auf Initiative des damaligen Erzbischofs von Paris Kardinal Jean-Marie Lustiger gegründet wurde und sich faktisch unter bischöflicher Kontrolle befindet. Er beliefert auch die französischsprachigen Gebiete außerhalb Frankreichs (in der Schweiz, in Belgien und in Afrika). Das Interview mit Kardinal Ambongo führte Philippine de Saint-Pierre, die seit 2014 Generaldirektorin des Senders ist.
„Westlicher Imperialismus, der anderen Völkern aufgezwungen werden soll“
Ab etwa Minute 4:00 spricht der Kardinal über die Erklärung Fiducia supplicans, die Segnungen für „Homo-Paare und Paare in irregulären Situationen“ vorsieht.
Der Vatikan will mit Fiducia supplicans alles ändern, erklärt aber nach den heftigen Widerständen aus verschiedenen Erdteilen zugleich, daß in der Lehre zur Homosexualität alles bleibe, wie es immer war. Diese Trickserei, die zum eigentlichen Problem noch die Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, förderte neuen Widerstand, aber offenbar nicht jenen des afrikanischen Kardinals.

Kardinal Ambongo bekräftigte in dem gestern ausgestrahlten Interview, daß Homo-Segnungen und insgesamt die Homosexualität in einem „direkten Widerspruch zur kulturellen Ethik der afrikanischen Völker“ stehen. Daher würden Homo-Segnungen „Verwirrung stiften“.
Der Kardinal kritisierte auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung von Fiducia supplicans, die inmitten der Synodalitätssynode erfolgte, also zwischen der ersten und der zweiten Sitzungsperiode, die erst im kommenden Oktober stattfinden wird, also während die Reflexion der Synode noch im Gange ist, aber ohne deren Ergebnisse abzuwarten. Hinzu komme aber besonders der Inhalt des Dokuments, denn „das Problem“, so der Kardinal „ist der Segen für homosexuelle Verbindungen“.
Fiducia supplicans wurde in Afrika, so Kardinal Ambongo, wie eine Form der „kulturellen Kolonialisation“ und als „westlicher Imperialismus“ wahrgenommen. Was im Westen als „normal“ angesehen werde, will man „anderen Völkern aufzwingen“.
Das erkläre die heftige Reaktion Afrikas.
Seit dem heftigen Widerstand, vor allem aus Afrika, versuchte Santa Marta immer neue Wege, um die Homo-Agenda doch durchzubringen, aber Afrika irgendwie ruhigzustellen.
- Zunächst wurde erklärt, daß keine Diözese Homo-Segnungen durchführen müsse, die dies nicht wolle.
- Als dies nicht genügte, wurde erklärt, es ändere sich nichts an der Lehre, denn es würden nicht Homo-Paare gesegnet, sondern nur Einzelpersonen. Im Klartext: Ein Paar kommt zum Priester und will sich segnen lassen, doch der Priester ignoriert für kurze Zeit, daß ein Paar vor ihm steht und als Paar gesegnet werden will. Er soll sich einfach einbilden, zwei Einzelpersonen vor sich zu haben, die rein zufällig gerade zusammen vor ihm stehen. Man denke sich die Welt einfach, wie sie einem gefällt. Eine Trickserei, die im negativen Sinn, etwa durch die Polemik von Blaise Pascal, als „jesuitisch“ bekannt wurde.
- Als Variante kam schließlich noch ein „Sondermoratorium“ für Afrika hinzu. Die Weltkirche wird in die Homo-Agenda hineingeführt, doch Afrika erhält eine Ausnahme gewährt. Afrika ist damit zufriedengestellt, während aus westlicher Perspektive die Ausnahme als vorübergehendes Zugeständnis verstanden werden kann, eben solange, bis Schwarzafrika „kulturell“ auch soweit sei, die westlichen Homo-Standards zu akzeptieren.
Damit werden neben den starken Seiten des Interviews auch seine Schwächen erkennbar.
Die Schwächen des Interviews
Kardinal Ambongo betonte, daß mit der Veröffentlichung von Fiducia supplicans mit einem Schlag eine heftige Opposition „gegen den Papst entstanden ist, wo die Menschen den Papst ein Jahr zuvor noch geliebt haben“. Da habe er sich in der Verantwortung gesehen, zu handeln und zur Vorsicht zu mahnen:
„Wir riskieren die Kontrolle über die Situation zu verlieren.“
Weil er nicht nur Vorsitzender des SECAM, sondern als C9-Mitglied auch Berater des Papstes ist, schrieb er Franziskus nach der Veröffentlichung von Fiducia supplicans einen persönlichen Brief, in dem er ihm die Reaktionen und die Situation schilderte. Der Papst habe ihn empfangen und sich alles angehört und auch Kardinal Victor Manuel Fernández, den Präfekten des Glaubensdikasteriums und Verantwortlichen von Fiducia supplicans, hinzugezogen.
Es sei um zwei Ziele gegangen, so Kardinal Ambongo: „die Gläubigen des afrikanischen Kontinents zu beruhigen, die sich in ihrem Glauben verletzt fühlten, und gleichzeitig die Gemeinschaft mit dem Nachfolger von Petrus zu retten“.
Auf die noch nicht zufriedenstellende Note von Kardinal Fernández von Anfang Januar seien weitere Klarstellungen zu Fiducia supplicans erfolgt. Kardinal Ambongo spricht mehrfach von „Dokumenten“ im Plural:
„Diese Dokumente brachten Frieden und Ruhe und seitdem haben wir nicht mehr über Fiducia supplicans gesprochen in bezug auf die Heftigkeit der Opposition gegen Rom, gegenüber dem Heiligen Vater.“
Der französischsprachige afrikanische Kardinal ist in dem Interview sehr darauf bedacht, daß er mit einem französischen, also westlichen, offiziellen Kirchensender spricht. In der Tat tritt Philippine de Saint Pierre auch entsprechend auf, ohne daß der Kardinal reagiert, etwa wenn sie rundweg erklärt, in Afrika gelte in den meisten Staaten ein „Haß gegen Homosexualität“.
Aus dem Interview geht hervor, daß von Kardinal Ambongo die unehrliche Lesart von Santa Marta bezüglich der Dichotomie, sich Paare einfach als Einzelpersonen zu denken, und ein Sondermoratorium für Afrika offenbar akzeptiert wurde. Damit seien, was er als die beiden „Ziele“ nannte, die afrikanischen Gläubigen beruhigt und die Gemeinschaft mit dem Papst gewahrt.
Tatsächlich wird in dem Interview, wie man es von westlichen Prälaten gewohnt ist, das Thema Homosexualität selbst, vor allem als Sünde gegen die Schöpfungsordnung und unter dem Heilsaspekt, nicht thematisiert, weder von Philippine de Saint Pierre noch von Kardinal Ambongo. Die Aussagen bleiben auf der Ebene „kultureller“ Unterschiede zwischen dem Westen und Afrika stehen. Haben Papst Franziskus und sein Hofstaat also recht mit ihrer Einschätzung, daß Afrika einfach nur dem Westen „hinterherhinkt“?
Die Aussagen des Kardinals erklären auch, weshalb Santa Marta ab Ende Januar wieder offensiver auftritt. 40 Tage lang hatte Franziskus nach der Veröffentlichung von Fiducia supplicans geschwiegen, um die Reaktionen abzuwarten und entsprechend zu handeln. Erst am 26. Januar nahm er erstmals Stellung, indem er sich demonstrativ neben Kardinal Victor Manuel Fernández, seinen Lieblings-Protegé, zeigte und sich ebenso eindeutig vor diesen stellte. Dabei gab er zu verstehen, daß keine Kurskorrektur in Sicht ist, betonte jedoch, daß die Homo-Segnungen „natürlich unter Berücksichtigung des Kontextes, der Sensibilität, der Orte, an denen sie leben“ zu erfolgen hätten.

und Kardinal Fernández wieder heiter
Nicht einmal von einer Entlassung von Kardinal Fernández konnte mehr die Rede sein. Natürlich nicht, denn Fernández ist seit 25 Jahren das Lieblingsprojekt von Franziskus. Die Besetzung der Präfektenstelle der verhaßten Glaubenskongregation (inzwischen in Glaubensdikasterium umbenannt) mit „Tucho“ Fernández gehört zur besonderen Pikanterie dieses Pontifikats, die Franziskus offenbar schelmisch liebt. Fernández selbst dürfte sich bereits als potentieller Franziskus-Nachfolger sehen, womit das „Projekt Fernández“ seinen krönenden Abschluß fände.
Wenige Tage später klang die Sache noch deutlicher. In einem Interview mit der italienischen Wochenzeitung Credere warf Franziskus erstaunlich selbstsicher den Kritikern von Fiducia supplicans „Heuchelei“ vor.
Was in der Zwischenzeit geschehen war, enthüllte Kardinal Ambongo gestern in dem KTO-Interview. Neben den römischen „Dokumenten“ und Erklärungen fand auch eine Sitzung des C9-Kardinalsrates statt. Mit dem „Sondermoratorium“ für Afrika, das Philippine de Saint Pierre erwähnte, wurde der afrikanische Kontinent ruhiggestellt, was es Franziskus erlaubt, im Rest der Welt wieder offensiver aufzutreten. Auf der Strecke bleibt, daß die kirchliche Lehre über die Homosexualität nicht mehr vermittelt wird. So hatte das Pontifikat von Franziskus begonnen, als er im Juli 2013, erstmals öffentlich mit der Homo-Frage konfrontiert, lapidar und verschwommen antwortete, die Lehre der Kirche zur Homosexualität sei ohnehin bekannt, weshalb sie nicht eigens erwähnt werden müsse. Dabei ist es bis heute geblieben. Die kirchliche Lehre zur Homosexualität wurde in der Weltkirche tabuisiert – auch mit Hilfe von Kardinal Ambongo, der dieses Spiel in einem Kompromiß akzeptiert zu haben scheint.
Afrika und wer sonst nicht will, bleibe ausgenommen, der Rest segnet Homo-Paare und damit die Homosexualität, ergo die Sünde. Kardinal Ambongo nahm Schwarzafrika um diesen Grundwiderspruch aber aus dem Spiel. Ein wesentlicher Punktesieg für Franziskus.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube/kto/Vatican.va (Screenshots)