Von Wolfram Schrems*
Dieser Teil schließt direkt an den ersten Teil vom 24. Oktober 2022 an. Zunächst eine Korrektur. An einer Stelle wurde der volle Name Arrupes falsch geschrieben: „Pedro Arrupe y Gondas“. Es muß heißen: „Pedro Arrupe y Gondra“. –
Seit der Veröffentlichung des ersten Teils dieser Serie explodierte der Skandal um den Jesuiten P. Marko Ivan Rupnik. Katholisches brachte im Dezember diesen Überblick über die allmählich zu Tage tretenden Ereignisse. Lifesitenews publizierte am 19.12.2022 einige Details, die eine der geweihten Frauen aus Rupniks Kommunität berichtete. Die Vorgänge sind abstoßend und widerlich.
Per 10.01.2023 sieht es zudem so aus, als würde die kirchliche Obrigkeit (in der Person von Kardinalvikar Angelo De Donatis im Auftrag von Papst Franziskus weiterhin) jede gründliche Untersuchung verhindern. Damit wird auch die gebotene Aufarbeitung mit allen Konsequenzen verhindert.
An dieser Stelle nur das: Dieser Greuel illustriert das, was an kritischen Worten über den Jesuitenorden schon geschrieben worden sind. Er zeigt, was in der Praxis passiert, wenn in der Theorie, etwa in der akademischen Theologie, die Moral vernichtet wird. Die Implosion der Moraltheologie im Jesuitenorden hatte folgerichtig die Implosion der Moral zur Folge.
Dabei kommt im Fall Rupnik dazu, daß sich die Obrigkeit schwere disziplinäre Versäumnisse zuschulden kommen ließ, einschließlich der skandalösen Rolle von Papst Franziskus.
Das hat mit unserem Thema, Generalat von Pater Pedro Arrupe und seiner intendierten Seligsprechung, insofern zu tun, als Pater Rupniks Formation (Eintritt ins Noviziat 1973) in die Regierungszeit Arrupes fällt. Der 1983 gewählte Generalobere P. Peter-Hans Kolvenbach führte die ideologische Linie Arrupes weiter. Der Boden war für die im Fall Rupnik jetzt sichtbare Dekadenz vorbereitet.
Und weil mittlerweile Papst emeritus Benedikt XVI. verstorben ist: Auch er hat wie seine Vorgänger im Papstamt den ihm direkt unterstellten Jesuitenorden nicht zum überlieferten, katholischen und ignatianischen Standard zurückführen können oder wollen. Man wird wohl sagen müssen, daß ihm wie auch Paul VI. und Johannes Paul II. die eigene Gespaltenheit in Fragen der Doktrin und des II. Vaticanums im Weg stand.
Damit zum Generalat von Pater Arrupe.
Wahl zum Generaloberen und Explosion der Revolution
Auf der 31. Generalkongregation im Jahr 1965 wurde Arrupe nach dem Tod des Generaloberen Jean-Baptiste Janssens (1889–1964, General ab 1946) zum neuen Pater General gewählt. Nach Malachi Martin The Jesuits war Arrupe ein Kompromißkandidat zwischen einem „traditionalistischen“ und einem „progressistischen“ Kandidaten.
Erste Anzeichen einer Abkehr vom traditionellen Verständnis des Führungsstils zeigten sich bereits im Vorfeld der 31. Generalkongregation: Noch bevor nämlich der neue Generalobere gewählt wurde, hatte die Kongregation beschlossen, dem zu wählenden Generaloberen vier Generalassistenten zur Seite zu stellen. Diese sollten die Macht des Generaloberen quasi einhegen. Damals existierte bereits die Einrichtung der Regionalassistenten, insgesamt zwölf, die den General mit Informationen aus den Provinzen und Assistenzen versorgen und beraten.
Nun ist die Einrichtung eines weiteren Beratungsgremiums angesichts stark steigender Mitgliederzahlen, nämlich von über 36.000 Ordensmitgliedern, und damit der zahlreichen Mitarbeiter in vielen Werken eine vertretbare Idee. Die Absicht scheint eine Art „Demokratisierung“ gewesen zu sein, zumindest eine „Einhegung“ der durch die Konstitutionen garantierten praktisch unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeit des Generaloberen. Das lag, folgt man den historischen Darstellungen, in der Dynamik des damaligen Zeitgeistes, der in die Kirche eingeführt worden war. De facto dienten alle nachkonziliaren Gremien in der Kirche der Behinderung der Amtsträger, vor allem der „konservativen“. Insofern kann man vermuten (ohne natürlich die Absichten der Protagonisten zu kennen), daß die Initiatoren dieser Neuerung für die Wahl eines „konservativen“ Generaloberen vorsorgen wollten.
Die Generalkongregation wurde bald nach der Wahl des Oberen abgebrochen und vertagt: Da zur ersten Phase der 31. Generalkongregation noch das II. Vatikanische Konzil tagte, beschlossen die Jesuiten eine Vertagung der laufenden Generalkongregation auf den Herbst 1966. Malachi Martin schrieb dazu, daß die in Rom wirkenden, „progressiven“ Jesuiten den allzu ungestüm wirkenden Pedro Arrupe erst in die Kunst der romanità, also der im kirchlichen Betrieb Roms üblichen Form der Diplomatie und Kunst der Intrige, abseits des Scheinwerferlichts einer Generalkongregation einführen wollten, damit er die Revolution nicht frühzeitig vermassle.
Man wollte darüber hinaus den Abschluß des Konzils abwarten und Eingaben der Ordensangehörigen sammeln, um sie dann ausführlich und in Ruhe besprechen zu können.
Dabei zeichnete sich eine nicht anders als „revolutionär“ zu bezeichnende Stimmung ab.
Der Rausch der „Moderne“
Ganz offensichtlich traten untergründige Strömungen nun an die Oberfläche. Man kann sie mit „weltzugewandtem Optimismus“ charakterisieren. Das war freilich nicht auf den Orden beschränkt. Die gesamte Kirche wurde nach Malachi Martin von zwei Stürmen erfaßt: von einem destruktiven Hurrikan, der tiefe Verwüstungen anrichtete, einerseits, von einem Sturm der Euphorie und des Enthusiasmus andererseits. Der zweite Sturm war wie ein Drogenrausch. Das Lebensgefühl der späten 60er und der 70er Jahre war die Begeisterung für abartige Kirchenbauten, verrückte sakrale Kunst, banale Musik, triviale Liturgie und „Dialog mit der Welt“. Der gesunde Menschenverstand und die Unterscheidung der Geister waren plötzlich suspendiert, wer nur Pieps gegen die konziliaren Veränderungen sagte, verfiel der Ächtung.
Nach Malachi Martin verfiel man zur Zeit des Ausbruchs dieser Verwirrung im Orden auf die Manie, nun plötzlich nach dem „ursprünglichen Charisma“ zu suchen. Wußte man nicht mehr, was Ignatius wollte? Oder stellte man sich dumm? Wie konnte es zudem sein, daß derjenige Orden, der die Unterscheidung der Geister auf besondere Weise lehrt und dazu natürlich auch zu Selbstkritik und Nüchternheit anhält, nun selbst der unnüchternen, ja rauschhaften Euphorie einer „neuen Zeit“ verfiel?
Wie auch immer: Alles Überlieferte wurde plötzlich in Frage gestellt. Der Orden begann, um sich selbst zu kreisen. Umfragen, Untersuchungen, soziologische Studien und das Faible für Psychologie traten innerhalb des Ordens zahlreich und kontaminierend wie im Labor hergestellte Viren auf.
Die Folgen blieben nicht aus: Die Anzahl der Jesuiten begann schon bald nach Arrupes Amtsantritt durch zahlreiche Austritte zu schrumpfen.
Mit Papst Paul VI. kam es zu Spannungen. Paul VI., selbst eine zutiefst zwiespältige Persönlichkeit, insistierte gegenüber den Jesuiten auf deren ursprünglicher Sendung als Verteidigern von Kirche und Papst.1
Arrupe ermutigte zu neuen Formen des Jesuitenlebens. Die Zentren der Formation, Noviziat und Scholastikat, wurden aus ländlicher Abgeschiedenheit in die Städte transferiert, an manchen Orten wurden Wohngemeinschaften eingerichtet. Die Armutsregeln werden aufgeweicht, die Disziplin erschlaffte, damit zwangsläufig auch die Beobachtung der Keuschheit.
Protest (weniger) traditioneller Jesuiten
Aufsehen erregte eine Initiative von etwa hundert „konservativen“ spanischen Jesuiten (von insgesamt 3500 zu jener Zeit), die in Rom um Unabhängigkeit von der lokalen Jesuitenhierarchie in Spanien ansuchten. Das hätte im Endeffekt einen eigenen Zweig des Ordens bedeutet, der nur dem Generaloberen verantwortlich wäre. Diese spanischen Jesuiten wollten bei den Prinzipien des hl. Ignatius bleiben und entsprechend lehren und predigen. Die spanischen Bischöfe unterstützten im Dezember 1969 mit knapper Mehrheit dieses Ansuchen. Offenbar hat man im Vatikan immerhin zwei Monate lang darüber nachgedacht. Hätte man diesem Ansuchen stattgegeben, wäre das nach Meinung mancher einem Mißtrauensvotum gegenüber dem Generaloberen Arrupe gleichgekommen und hätte eine schwere Krise innerhalb des Ordens ausgelöst.
Wie auch immer: Die im Orden neu entdeckte Begeisterung für den „Dialog“ mit allen und jeden galt nicht für diese – traurigerweise ja nur sehr wenigen – spanischen Jesuiten. Es war wie in der Gesamtkirche: Kein Untergebener konnte sich mehr auf den überlieferten Glauben und die Sitten berufen, nur mehr der tyrannische Wille der Neuerer zählte. Pater Arrupe ließ sich die Personalakten der vermeintlichen Rebellen kommen, suchte sie mit Vertrauten einzeln heim und brachte sie zum Schweigen, nach Malachi Martin „wie Bluthunde, die einen Hasen einkreisen“ (like bloodhounds surrounding a rabbit).2
Die nächste Generalkongregation: die permanente Revolution im Dienst der „Gerechtigkeit“
In dieser spannungsreichen und nervösen Situation wurde im Jahr 1974 die 32. Generalkongregation begonnen, obwohl die 31. erst 1966 zu Ende gegangen war und natürlich kein neuer Generaloberer zu wählen war. Dieses Muster atemloser Konferenzen und Sitzungen wiederholt sich heutzutage in der Gesamtkirche mit ihren zahllosen großen und kleinen „Synoden“, bis hin zu der Idiotie einer „Synode zur Synodalität“. Wie man sieht, wurde hier eine Technik der „permanenten Revolution“ (Trotzky) installiert.
Die 32. Generalkongregation wurde besonders für die Formulierung bekannt, nach der sich der Orden dem „Dienst am Glauben, der die Förderung der Gerechtigkeit notwendig mit einschließt“ widme. Diese „Förderung der Gerechtigkeit“ war dem Zeitgeist der 70er Jahre gemäß immer in irgendeiner Weise – mangels besseren Ausdrucks – „links“ orientiert.
Es war die Zeit der Euphorie für die „Dritte Welt“ und die dortigen „Befreiungsbewegungen“. Es war die Zeit der kommunistischen Subversion in Lateinamerika. Die Regierungszeit von Francisco Franco in Spanien und Antonio de Oliveira Salazar in Portugal, beide unter den neuen Umständen von Kirchenführung und Jesuiten nicht wohlgelitten, ging zu Ende. „Befreiung“ hatte einen marxistischen Einschlag bekommen, aufgrund des Wirkens der „Frankfurter Schule“ auch einen freudianisch-sexuellen. In diesem Milieu wurde „Gerechtigkeit“ in weiten Teilen der westlichen Welt zu einem Codewort für marxistische Ideen, faktisch. Höchstwahrscheinlich hatte bei dieser Propaganda, genauso wie beim „Frieden“, die Sowjetunion eine Rolle gespielt.
Im nächsten Teil geht es um die konkrete theologische und politische Ausrichtung der Gesellschaft Jesu in der Arrupe-Ära.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro Lifer, reiche Erfahrung mit der Gesellschaft Jesu
Bild: Wikicommons/MiL/verschiedene jesuitische Quellen
1 Paul VI. insistierte auch, daß das ordensinterne System der Grade (nur Jesuiten mit den vier feierlichen Gelübden können höhere Obere werden, unter diesen stehen „spirituelle Koadjutoren“ mit drei einfachen Gelübden und „zeitliche Koadjutoren“, also Laienbrüder) nicht angetastet werde. Der Orden stellte aber genau dieses System nun in Frage und ließ entgegen dem päpstlichen Verbot darüber (probeweise) abstimmen.
2 Hochinteressant ist übrigens ein Interview von Papst Franziskus mit Jesuitenjournalisten im Mai 2022 (hier ein Bericht auf der englischsprachigen Seite von Civiltà cattolica). US-Journalist George Neumayr kommentiert das in The American Spectator und kommt dabei auf die konservativen spanischen Jesuiten, die 1970 offenbar doch nicht völlig niedergemacht worden waren, und die Rolle des damaligen Paters Bergoglio zu sprechen: „[Papst Franziskus] lobte [bei der Konferenz mit den Jesuitenjournalisten im Mai 2022] Pedro Arrupe, das Oberhaupt des Jesuitenordens während einer Periode liberaler Gärung von 1965 bis 1968, daß er den Orden in eine progressive Richtung lenkte. ‚Sie waren damals noch nicht geboren, aber ich wurde 1974 Zeuge der Qual von Pater General Pedro Arrupe während der 32. Generalkongregation‘, sagte er. ‚Zu der Zeit gab es eine konservative Reaktion, um die prophetische Stimme Arrupes zu blockieren! Heute ist dieser General für uns ein Heiliger, aber er hatte viele Angriffe zu ertragen.“
Nach Neumayr spielte Arrupe eine wichtige Rolle in Bergoglios Aufstieg innerhalb des Jesuitenordens. Arrupe ernannte ihn zum Provinzial in Argentinien im Alter von 36 Jahren (1972). Neumayr bringt den englischen Journalisten, ehemaligen Mitarbeiter von Kardinal Cormac Murphy‑O’Connor (London) und Biographen Bergoglios Austen Ivereigh ins Spiel. Ivereigh zufolge habe Arrupe Bergoglios Hilfe bei der Niederschlagung der Proteste von spanischen Jesuiten bei der 32. Generalkongregation in Anspruch genommen. „Am Vorabend der Generalkongregation haben [die konservativen Jesuiten] ein neues Netzwerk gegründet, Jesuitas in Fidelidad (Jesuiten in Treue), das sowohl gegen die [Generalkongregation] als auch gegen Arrupe lobbyiert hatte“, schreibt Ivereigh in The Great Reformer. „Bergoglio befahl einem der Anführer der Gruppe, Rom zu verlassen, und ging dann zum Bahnhof [in Rom], um die anderen Mitglieder der Gruppe, die aus Spanien ankamen, wieder nach Hause fahren zu lassen.“
In der Reihe bisher erschienen:
Vielen Dank für diesen Artikel und auch für die vielen Bezüge auf Malachi Martin‚s Buch Jesuits, das leider immer noch nur in der nicht leicht lesbaren englischen Version verfügbar ist.
Vielen Dank an den exzellenten Verfasser Wolfgang Schrems, der immer wieder hilft, Hintergründe zu analysieren und durchzublicken.
Da ist eine Begebenheit, die ich aus dem Familienkreis weiland des letzten wirklich konservativen Jesuitengenerals, HH Pater Graf Ledóchowski, erfuhr:
Schon in den 30-er Jahren waren da ganz klandestine Versuche, den Jesuitenorden ideologisch zu unterwandern. Natürlich wollte man das vor dem strengen und alteren alten Jesuitengeneral verheimlichen. Dieser jedoch hatte eine wunderbare, wie vom Hl. Geist geführte Angewohnheit:
In seiner Bescheidenheit trug er abgetragene Soutanen und machte sehr oft- von vielen Jesuiten, die nach Rom kamen- Dienst als Pförtner. So war es ihm mehrere Male möglich, Gespräche von „infiltrierenden“ Jesuiten und ihre Gesinnung zu erfahren und er konnte noch einigermaßen gegensteuern. Er stellte dann auch die verblüfften Akteure, die ihn an der Pforte natürlich nicht erkannten, in der offiziellen Terminaudienz bei ihm als Ordensgeneral scharf zur Rede. Leider starb der fromme und energische Jesuitengeneral im Jahre 1942.
Die marxistische Welt-Agenda läuft seit 1917 mit der Lenin-Revolution usw., es war nicht von ungefähr, daß der Himmel mit der Fatima-Erscheinung 1917 eine Warnung aussprach.
Auch der gottselige, engelsgleiche Papst Pius XII. war sich dieser Bedrohung bewusst und tat alles Menschenmögliche, um solche Unterwanderungen abzuwehren. Allein, es war auch ihm nur bedingt möglich und mit seinem Tod war auch da dann „freie Bahn“ für viele Irrlichter.
Daß ein Pastoralkonzil (V2) einberufen wurde, war per se notwendig und auch eine gute Idee von Papst Pius XII. Daß dort alle Fragen der Moderne gestellt wurden, war auch notwendig, richtig und gut. Nur durch die Unterwanderung wurde Irrung, Wirrung, Schwammigkeit etc. in fataler Weise ins Konzil gebracht und viele Konzilstexte wurde durch die unterwandernde Manipulation entweder zu wenig klar formuliert oder mit begleitendem Getöse einer gewollten (Falsch)-Interpretation durch die unterwandernden Akteure in die Welt hinausposaunt.
Wenn einmal eine solche sprichwörtliche „Büchse der Pandora“ geöffnet ist, so ist es schwer, sie wieder zu schliessen und den Schaden an Verwirrung und Irrung auszumärzen. Die Eigendynamiken und unterwandernden Akteure waren viel zu stark, die Konservativen extrem geschwächt.
Weiland Papst Benedikt XVI. hat in löblicher Weise versucht, hier später wieder zugunsten der katholischen Ordnung gegenzulenken, allein auch ihm war das dann naturgemäß so auch nicht mehr möglich.