(Rom) Wie man Glaubwürdigkeit verspielen kann, wird gerade vom Jesuitenorden vorexerziert – mit Unterstützung von Papst Franziskus. Als von eher obskurer Seite Anschuldigungen gegen den Jesuiten Pater Marko Ivan Rupnik erhoben wurden, mauerte der Orden, gab dann ein wenig zu, um dieses aber zu relativieren, und gab nun bekannt, daß Rupnik sogar exkommuniziert wurde. Warum das Versteckspiel? Vertrauen wird damit nicht gewonnen.
Pater Marko Ivan Rupnik, ein slowenischer Jesuit und Theologe, ist vor allem als Künstler international bekannt. Vatikanische Kunstverantwortliche kürten ihn sogar zu einem Modell für die zeitgenössische Sakralkunst. Darüber wurde sehr kontrovers diskutiert, da ihm vorgeworfen wurde, die Kirchen mit einer pseudo-naiven Kunst zu füllen. Rupnik wird als „großer Enfant-prodige-Narzißt“ beschrieben, doch die schützende Hand des Vatikans und seines Ordens blieb ihm erhalten.
Anfang Dezember tauchten schwere Anschuldigungen gegen den Jesuiten auf, die inhaltlich aber vage blieben. Auch die Rolle von Papst Franziskus in der Sache wurde gegensätzlich dargestellt. Einerseits hieß es, der Papst habe Rupnik, da beide Jesuiten, gedeckt, ja sogar seine Exkommunikation latae sententiae „verhindert“. Andererseits wurde gesagt, Franziskus habe bei einer Audienz im vergangenen Januar seinen Mitbruder Rupnik über die gegen ihn verhängten Sanktionen informiert.
Vertuscher oder Saubermann?
Das schiefe Licht entsteht, weil Franziskus Rupnik zu Jahresbeginn in offizieller Audienz empfing. Warum diese Nähe? Doch der Reihe nach.
In der Sache mauerte der Jesuitenorden zunächst. Gegen Rupnik liege nichts vor, hieß es. Als weitere Medien die Anschuldigungen aufgriffen und die Sache internationale Wogen schlug, wurde die Darstellung differenzierter. Nun veröffentlichten die Jesuitenoberen für Rom und Slowenien zwei weitgehend gleichlautende Stellungnahmen. Es wurde eingestanden, daß vor langer Zeit etwas vorgefallen ist, doch habe es nichts mit Minderjährigen zu tun gehabt und sei bereits verjährt. Zudem wurde zugegeben, daß gegen Rupnik Sanktionen verhängt wurden, doch sei dies nicht kanonisch durch die Kirche, konkret die Glaubenskongregation erfolgt, sondern als interne Vorsichtsmaßnahme des Jesuitenordens. Was sich Rupnik zuschulden kommen hatte lassen, wurde nicht gesagt.
Aus den Stellungnahmen der beiden Jesuitenoberen mußte der offenbar beabsichtigte Eindruck entstehen, daß Rupnik das Opfer einer Schmutzkübelkampagne wurde und sich jemand persönlich an ihm rächen wollte.
Die Lawine war aber ins Rollen gekommen. Es wurden Fragen gestellt. Am Ende interessierten sich auch zwei der drei tonangebenden Presseagenturen für die Angelegenheit. Der Vatikankorrespondent von Reuters, Philipp Pullella, sprach mit dem deutschen Jesuiten Pater Hans Zollner, der Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission ist, und die Vatikankorrespondentin von Associated Press (AP), Nicole Winfield, kontaktierte den Generaloberen des Jesuitenordens, Pater Arturo Sosa.
Was plötzlich ans Licht kam, ist erstaunlich.
General Sosa gab zu, daß Rupnik exkommuniziert wurde. Der Künstlerpriester erteilte „einem Komplizen“ die Absolution:
„Deshalb wurde er exkommuniziert.“
Der Generalobere schob sogleich eine Frage hinterher, um sie selbst zu beantworten: „Wie hebt man eine Exkommunikation wieder auf? Die Person hat das, was sie getan hat, zuzugeben und zu bereuen.“ Nach dem jüngsten Verwirrspiel könnten manchem auch an der neuen Darstellung Zweifel kommen, da sie nicht überzeugend klingt. General Sosa hatte in einem ersten Interview nämlich angedeutet, daß der Vorfall behandelt wurde, als handle es sich um einen Verstoß gegen das Sechste Gebot, der einvernehmlich zwischen Erwachsenen stattgefunden habe. Es wurde ausgeschlossen, daß es sich, unabhängig vom Alter, um Mißbrauch einer wehrlosen Person handelte.
Die Zahl der Ordensfrauen, die Rupnik sexuell mißbraucht habe, wird inzwischen mit „mindestens“ neun angegeben. Die Rede ist von Rupnik und seinem „Harem“, den sich die Künstlernatur gehalten habe.
Nach einer entsprechenden Anzeige ermittelte die Glaubenskongregation und stellte 2019 die Schuld Rupniks fest. Für die katholische Kirche gilt auch eine sexuelle Beziehung zwischen Erwachsenen, die in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis stehen, also Vorgesetzte – Untergebene, als eine Form des Mißbrauchs, nämlich des Macht- und Autoritätsmißbrauchs.
Rupnik war latae sententiae exkommuniziert, da er einer Frau die Absolution erteilte, mit der er ein sexuelles Verhältnis hatte. Durch die Begehung der Tat tritt automatisch die Exkommunikation ein, ohne daß eine kirchliche Autorität eine solche verhängen muß. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß zumindest der Vorwurf, Papst Franziskus habe eine solche Exkommunikation „verhindert“, ins Leere geht. Eine solche Verhinderung ist gar nicht möglich.
Rupnik wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten vom Vatikan über die Maßen gefördert. Seine Werke finden sich in Fatima, Lourdes, San Giovanni Rotondo, Madrid und Rom. Papst Franziskus ließ von seinem Mitbruder das Logo für das Heilige Jahr der Barmherzigkeit und das Weltfamilientreffen 2022 entwerfen. 2022?
Das Verwirrspiel des Jesuitenordens
Fassen wir zusammen: 2021 war die Anzeige bei der Glaubenskongregation eingegangen. Eine Voruntersuchung habe jedoch ergeben, daß die Vorwürfe verjährt seien, wie im vergangenen Oktober festgestellt wurde. So zumindest steht es in den Stellungnahmen der italienischen und slowenischen Jesuitenprovinziale. Die „Vorsichtsmaßnahmen“ des Jesuitenordens sind aber erstaunlich hart: Rupnik darf weder die Beichte hören noch Exerzitien leiten noch die geistliche Führung von Personen übernehmen. Zudem sind Rupnik öffentliche Aktivitäten nur mit ausdrücklicher Erlaubnis seiner Ordensoberen erlaubt.
Doch bei den Zeitangaben paßt etwas nicht zusammen. Während die beiden Stellungnahmen besagen, daß die Anzeige gegen Rupnik erst 2021 bei der Glaubenskongregation eingegangen ist, erklärte General Sosa nun, daß Rupnik von der Glaubenskongregation bereits 2019 verurteilt wurde. Es geht somit um zumindest zwei getrennte Verfahren, was von den beiden Provinzoberen noch vor wenigen Tagen verschwiegen wurde.
Die gegen Rupnik verhängten Sanktionen gehen auf eine frühere Untersuchung zurück, nicht auf jene von 2021, von der die beiden Jesuitenoberen den Schein erweckten, als sei alles verjährt, vergessen und vergeben. Wurde nun in der Causa 2019 oder 2021 eine Exkommunikation latae sententiae festgestellt, oder stimmt die Darstellung, daß Rupnik 2019 in Wirklichkeit vom zuständigen Kirchengericht „einstimmig“ schuldig gesprochen und exkommuniziert wurde. Dann würde sich auch die Rolle von Papst Franziskus anders darstellen. Demnach hätte Franziskus wenige Stunden nach der Urteilsverkündung die Exkommunikation entgegen der Entscheidung des Gerichts aufgehoben und die Jesuiten, die bereits eine Presseerklärung zum Urteil vorbereitet hatten, gestoppt.
Maurizio Blondet erinnert an den Fall von Erzbischof Michel Aupetit von Paris. Der Erzbischof war beschuldigt worden, mit einer Frau einvernehmlich geflirtet zu haben. Mehr wurde nicht bekannt. Der Erzbischof bestritt den Vorwurf. Es kam nie zu einem Verfahren. Papst Franziskus emeritierte Msgr. Aupetit 2021 und ernannte einen neuen Erzbischof.
Ganz anders im Fall Rupnik. Obwohl der Mitbruder des Papstes offenbar 2019 in einem kanonischen Verfahren exkommuniziert wurde, empfing ihn Franziskus im Jänner 2022 in offizieller Audienz zu einer Zeit, als bei der Glaubenskongregation noch ein weiteres Verfahren gegen Rupnik anhängig war. Wie kann das sein? Blondet formulierte es so: „Seit wann ermpfängt der Papst irgendeinen Priester, der schwerwiegender Straftaten beschuldigt ist?“
P. Hans Zollner: „Kann verstehen, daß sich die Opfer betrogen fühlen“
Die Aussagen von Pater Zollner von der Päpstlichen Kinderschutzkommission, mit dem Philipp Pullella sprach, lassen erkennen, daß der Mißbrauch Rupniks im Jesuitenorden schon seit 1998 bekannt gewesen sein dürfte. Damals hätte der Orden die Beschwerde einer Ordensfrau erhalten. Zollner scheint auch zu bestätigen, daß es Vorgesetzte gab, welche die Vorwürfe unter den Tisch kehrten:
„Um der Transparenz willen müssen wir wissen, wer was wann wußte und was danach geschah. (…) Wir hätten etwas über die verschiedenen Verantwortungsebenen lernen können, was all das hätte verhindern können.“
Der Fall Rupnik geht damit über die Person des Jesuitenkünstlers hinaus. Wer wußte, wer vertuschte?
Pater John Dardis, ein Sprecher des Jesuitenordens, erklärte gegenüber Reuters, „nichts in den Archiven“ des Ordens über eine Beschwerde von 1998 gefunden zu haben.
Zollner bestätigte auch, daß strafrechtlich eine Verjährungsfrist gilt, „aber die rechtliche Frage ist nicht die einzige“. Zudem stelle sich die Frage, warum die Verjährungsfrist „nicht aufgehoben wurde“. Er könne daher verstehen, „daß sich die Opfer betrogen fühlen“.
War das große künstlerische Ansehen Rupniks ausschlaggebend, ihn und nicht die Opfer zu schützen?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Maurizio Blondet/Vatican.va (Screenshots)