(Buenos Aires) Kardinal Mario Aurelio Poli, der Erzbischof von Buenos Aires und Primas von Argentinien, begeht heute seinen 75. Geburtstag. Laut Kirchenrecht muß er damit dem Papst seinen Rücktritt anbieten, was er bereits getan haben soll. Ist damit der Weg an die Spitze der Kirche in Argentinien frei für Msgr. Victor Manuel Fernández, den Protegé und Ghostwriter von Papst Franziskus?
Erzbischof, Primas und Kardinal
Die gesamte bischöfliche Karriere von Msgr. Poli geht auf Jorge Mario Bergoglio zurück. Auf seinen Wunsch als Erzbischof von Buenos Aires hatte er 2002 Poli als Weihbischof erhalten. Auf seine Empfehlung hin war Poli 2008 zum Bischof von Santa Rosa ernannt worden. Als Kardinal Bergoglio 2013 zum Papst gewählt wurde, betraf seine erste wichtige Personalentscheidung die Ernennung eines Nachfolgers für Buenos Aires. Die Wahl war schnell getroffen und fiel auf Msgr. Poli. 2014 kreierte er seinen Nachfolger auch zum Kardinal.
Im Bischofsamt verhielt sich Msgr. Poli mehr wie ein treuer Statthalter denn als eigeninitiativer Oberhirte. Wo er ausnahmsweise Akzente setzte, zeigte er sich als Gefolgsmann seines Landsmanns auf dem Papstthron, so z. B. 2015, als bekannt wurde, daß er für die Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) einen Antrag auf staatliche Registrierung als Teil der katholischen Kirche unterstützt hatte. Dieser Schritt sorgte für einiges Aufsehen, entsprach jedoch der päpstlichen Linie gegenüber der Tradition. Zur Erinnerung: Papst Franziskus will die Tradition nicht unbedingt meucheln, aber restriktiv in ein Reservat verbannen. Als Idealvariante liebäugelte Santa Marta zunächst mit der Idee, die Piusbruderschaft zur exklusiven Vertreterin der Tradition aufzuwerten. Parallel sollte der Vormarsch des überlieferten Ritus durch das Motu proprio Summorum Pontificum unter bisher neurituellen Priestern und Gläubigen rückgängig gemacht werden. In einem weiteren Schritt galt es, die in voller Einheit mit Rom stehenden Gemeinschaften der Tradition zu beseitigen, die durch das Motu proprio Ecclesia Dei entstanden waren. Ob in einem dritten Schritt auch vorgesehen war, die in Teilen der Kirche ohnehin als „halbschismatisch“ betrachtete Piusbruderschaft nach einer Provokation mit einem Federstrich zu eliminieren, sei einmal dahingestellt. Es kam dann zwar ganz so, doch der erste Schritt wurde von Papst Franziskus mit dem Motu proprio Traditionis custodes umgesetzt und der zweite zumindest de jure.
International wurde Msgr. Poli 2016 bekannt, als er mit den Bischöfen seiner Kirchenprovinz Richtlinien zur Umsetzung des umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia vorlegte, die den uneingeschränkten Beifall von Franziskus fanden. Diese Richtlinien seien nicht nur eine „authentische Interpretation“ seiner Intention, so das Kirchenoberhaupt, sondern „die einzig mögliche Interpretion“. Das war wenig erstaunlich, da die Richtlinien in enger Absprache mit Santa Marta zustande gekommen waren. Poli ermöglichte es Franziskus, ein Modell zu schaffen, ohne selbst direkt damit in Verbindung gebracht zu werden, das anderen Bischöfen zum Vorbild dienen sollte.
Das Corona-Versagen von Kardinal Poli muß nicht eigens erwähnt werden, da es fast durchgehend für die kirchliche Hierarchie gilt. Erinnert sei nur daran, daß er als Erzbischof von Buenos Aires Kirchen für den Gottesdienst schließen und in Notlazarette umwandeln ließ – die freilich wie überall auf der Welt vergeblich auf Patienten warteten. Sichtbar wurde daran allerdings die Prioritätensetzung.
Protegés mit sinkendem und aufsteigendem Stern
Im Widerstand gegen die zersetzende Gesellschaftspolitik der linksperonistischen Regierungen erwies sich Poli zwar etwas weniger zaudernd als sein Vorgänger Bergoglio, aber auch nicht mutig. Die päpstliche Agenda wurde so detailliert umgesetzt, daß auch Poli als Primas von Argentinien es 2015–2019 nicht an Kälte gegenüber der bürgerlichen Regierung von Mauricio Macri fehlen ließ.
Doch zuletzt schien es, daß Polis Stern bei Franziskus im Sinken war. Gemäß der Gepflogenheit des regierenden Papstes müßte der von ihm ernannte Poli automatisch für weitere zwei Jahre, eher länger, im Amt bestätigt werden. Auch Benedikt XVI. hatte Bergoglio bereits zwei zusätzliche Jahre im Amt belassen. Doch danach sieht es derzeit für Msgr. Poli nicht aus.
Zudem wartet schon seit einigen Jahren ein möglicher Nachfolger in den Startlöchern, ein anderer Protegé von Franziskus: Msgr. Victor Manuel Fernández genannt „Tucho“, dem Franziskus bereits ein bemerkenswerte Karriere verschaffte, die noch „bergoglianischere“ Seiten aufweist als jene Polis.
Die Verbindung zu Fernández reicht schon in Bergoglios Verbannungszeit in Córdoba zurück, wo „Tucho“ am Priesterseminar studierte, und sollte nicht mehr abbrechen. Als Bergoglio 1998 Erzbischof von Buenos Aires wurde, riet er Fernández davon ab, das Angebot anzunehmen, nach Kolumbien zu gehen, um dort ein theologisches Institut aufzubauen, und holte ihn stattdessen nach Buenos Aires, wo er Aufgaben für die Argentinische Bischofskonferenz übernahm. In Wirklichkeit wurde er vor allem Bergoglios Redenschreiber. „Tucho“ war 2007 auch der eigentliche Autor des „Dokuments von Aparecida“ der 5. Konferenz der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM), das Papst Franziskus besonders wichtig ist.
Gegen starke Bedenken der römischen Kongregation für das katholische Bildungswesen setzte Bergoglio es durch, daß Fernández 2011 Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien wurde. Als Papst rächte er sich dann für die Widerstände, indem er „Tucho“ zwei Monate nach der Papstwahl zum Titularerzbischof ernannte und die Führungsebene der römischen Kongregation vor die Tür setzte. Weitere Beförderungen folgten: Fernández wurde von Franziskus zum Consultor des Päpstlichen Kulturrates und auch der Kongregation für das katholische Bildungswesen ernannt. Franziskus hat einen besonderen Sinn für solche Gesten, die Triumph und Vergeltung signalisieren.
Vernichtendes Urteil
Fernández war dann auch der Schattenautor von Amoris laetitia. 2017 erklärte er gegen alle anderslautenden Beschwichtigungen aus dem Vatikan, daß Franziskus mit dem nachsynodalen Schreiben „die Disziplin der Kirche geändert“ habe, „und zwar irreversibel“. Kardinal Gerhard Müller, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, bezeichnete Fernández im Juni 2016, ohne ihn beim Namen zu nennen, nur wenige Monate nach der Veröffentlichung von Amoris laetitia als „häretisch“.
2018 stand „Tucho“ im Mittelpunkt einer anderen Vergeltungsaktion von Franziskus. Dieser emeritierte den Erzbischof von La Plata Héctor Rubén Aguer, sobald dieser sein 75. Lebensjahr vollendet hatte. Msgr. Aguer war zugleich mit Bergoglio Weihbischof von Buenos Aires gewesen. Bis heute ist ungeklärt, aufgrund welcher Empfehlungen Papst Johannes Paul II. sich 1997 für Bergoglio und nicht für Aguer als künftigen Erzbischof von Buenos Aires entschied. Es war eine Weichenstellung mit weitreichenden Folgen. Während Bergoglio Primas von Argentinien wurde und die Kardinalswürde erhielt, wurde Aguer zum Erzbischof des zweitwichtigsten Metropolitensitzes in Argentinien, aber eben nur des zweitwichtigsten. Aguer und Bergoglio wurden zu Gegenspielern in der Argentinischen Bischofskonferenz, in der Aguer die konservative Fraktion anführte.
Franziskus übte Vergeltung an seinen Widersachern, indem er in schneller Folge Bischöfe der Aguer-Fraktion aus ihren Ämtern entfernte. Aguer selbst wurde zwar bis zum Erreichen der Altersgrenze geschont, aber keinen Tag länger im Amt belassen. Die Demütigung folgte stehenden Fußes, indem Franziskus seinen Protegé Fernández zum Nachfolger Aguers ernannte. Damit war sichergestellt, daß dessen Werk eliminiert würde, und vor allem: Aguer sollte das wissen und miterleben. Die Vorgehensweise erinnert an jene von Franziskus gegenüber Benedikt XVI. Vor laufender Kamera werden Freundlichkeiten vermittelt, doch in Wirklichkeit muß Benedikt Zeuge sein, wie sein Pontifikat demontiert wird.
Fernández nahm als Erzbischof von La Plata vorweg, daß der Wind gegen die Tradition eisiger wurde. Wenige Monate nach seiner Amtsübernahme eliminierte „Tucho“ in seinem Bistum das Motu proprio Summorum Pontificum. Das war Anfang 2019, also lange vor dem Motu proprio Traditionis custodes, das von Erzbischof Aguer als „beklagenswerter Rückschlag“ bezeichnet wurde.
Als 2020 der Dokumentarfilm „Francesco“ eines homosexuellen israelischen Filmemachers für Aufsehen sorgte, weil sich Papst Franziskus darin erschreckend homophil äußerte, versuchten einige Kirchenkreise die Sache wieder einmal herunterzuspielen. Es wurde behauptet, Franziskus habe als „Privatperson“ gesprochen, als gäbe es eine solche Option für einen Papst. Sein Freund und Ghostwriter Fernández, der es wissen muß, sagte hingegen unverblümt, Franziskus habe „schon immer diese Meinung“ gehabt.
Die Einblicke von Sergio Rubin
Gestern veröffentlichte die argentinische Tageszeitung Clarín einen Artikel zur Zukunft im Erzbistum Buenos Aires. Autor ist Sergio Rubin, der Mitautor des 2010 veröffentlichten Buches „El Jesuita“ („Der Jesuit. Gespräche mit Kardinal Jorge Bergoglio“). Was in diesem Buch steht, war 2013 weltweit mehr oder weniger das einzige, was man vom neuen Papst wußte. Sergio Rubin kennt Bergoglio seit den frühen 90er Jahren, als dieser Weihbischof von Buenos Aires wurde.
Rubin schreibt, daß mit dem letzten Tag vor Erzbischof Polis 75. Geburtstag „die Zeit der Abrechnung“ begonnen habe. Das Rücktrittsschreiben habe der Primas von Argentinien „bei Franziskus bereits eingereicht“. Der Papst könne die Entscheidung über die Nachfolge um Monate oder auch Jahre hinauszögern, es werde jedoch mit einer eher raschen Entscheidung gerechnet. Entsprechende Spekulationen gebe es schon seit einiger Zeit, so Rubin. Katholisches.info berichtete darüber im vergangenen Mai, siehe „Beispielloser Vorgang“ im Erzbistum Buenos Aires.
„Zu den Namen, die für seine Nachfolge gehandelt werden, gehören der 66jährige Erzbischof von Bahía Blanca, Carlos Azpiroz, der in Buenos Aires geboren wurde und dem Dominikanerorden angehört, gefolgt vom Erzbischof von San Juan, Jorge Lozano, 67, ehemaliger Weihbischof von Buenos Aires zu Zeiten Bergoglios und derzeitiger Generalsekretär des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM), und dem Erzbischof von La Plata, Víctor Manuel Fernández, 60, der aus Córdoba stammt.“
Zudem schreibt Rubin, daß Franziskus 2013, als er zum Konklave nach Rom flog, als seinen Nachfolger Poli bereits in pectore hatte. Er wollte ihn dem Vatikan auf alle Fälle vorgeschlagen, da er selbst bereits im 77. Lebensjahr stand.
Trotz der nach außen demonstrierten Eintracht war das Verhältnis zwischen Franziskus und Kardinal Poli zuletzt nicht mehr so harmonisch. Grund dafür sind wirtschaftliche Angelegenheiten. Franziskus ließ im vergangenen Jahr eine Prüfung der Finanzen des Erzbistums durchführen. Im Abschlußbericht hieß es, Immobilien im Kirchenbesitz seien nicht nach den kirchlichen Normen verkauft oder vermietet worden. Vor allem fand sich eine ungewöhnliche Stelle im Bericht. „Unbedingt erforderliche Transaktionen“ im Zusammenhang mit den umstrittenen Immobiliengeschäften seien zeitgerecht durchzuführen, da der Rücktritt von Kardinal Poli am 29. November wirksam werden sollte. Handelte es sich dabei nur um eine Ungeschicklichkeit der Verfasser, oder um deren Unkenntnis des Kirchenrechts und der kirchlichen Gepflogenheiten?
Unter anderem wurde im Bericht nahegelegt, daß die Erzdiözese bei Transaktionen von mehr als 300.000 Dollar den Heiligen Stuhl zu konsultieren sollte. Ein beispielloser Eingriff in die Jurisdiktion einen Diözesanbischofs.
Während in Europa kaum Notiz davon genommen wurde, war die Empörung in Argentinien groß. Hunderte von Priestern gingen in Buenos Aires auf die Straße, um die Ehre von Kardinal Poli zu verteidigen. Zugleich gab der Kardinal eine Ehrenerklärung für die im vatikanischen Bericht kritisierten Priester ab und erklärte, daß sie Opfer einer „Infamie sind, die auf subjektiven und verleumderischen Anschuldigungen beruht und weit vom Geist des Evangeliums entfernt ist, der unter Christen herrschen sollte“.
Jemand scheint schon seine Koffer packen zu können, um in die argentinische Hauptstadt zu übersiedeln und demnächst auch den Kardinalspurpur in Empfang nehmen zu können.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/Wikicommons (Screenshots)
Liebe Redaktion von Katholisches.info,
wäre es nicht eine gute Sache, sich mal in einem Artikel damit zu befassen, wie sich in den verschiedenen Weltregionen und Ländern die Zahlen der Neupriester und Seminaristen entwickelt haben seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus? Ich vermute ja, dass sie ‑zumindest in Europa, Nord‑, Mittel- und Südamerika- stark rückläufig sind. Aber vielleicht ist es ja auch anders?