(Rom) Während sich die Reaktionen auf das Motu proprio Traditionis custodes von Papst Franziskus überschlagen, machte sich der Vatikanist Andrea Gagliarducci auf die Suche nach dem direkten Ursprung des neuen Motu proprio, mit dem Franziskus nach allgemeiner Meinung einen Vernichtungsfeldzug gegen den überlieferten Ritus und die Tradition begonnen hat.
Neben den Instituten der Tradition, den direkt betroffenen Ecclesia-Dei-Gemeinschaften, aber auch der Piusbruderschaft, nahmen auch traditionsfreundliche Bischöfe wie Kardinal Raymond Burke, Weihbischof Athanasius Schneider und der emeritierte Weihbischof Marian Eleganti Stellung. Währenddessen setzen amtierende Diözesanbischöfe in verschiedenen Weltgegenden das Motu proprio bereits um, das mit der Verlautbarung am 16. Juli sofort in Kraft getreten ist, indem sie den überlieferten Ritus verbieten. Während sich das Generalat der Petrusbruderschaft sehr zurückhaltend gab und Erstaunen und Betrübnis zum Ausdruck brachte, stellt der Generalobere der Piusbruderschaft, P. Davide Pagliarani, in seinem Brief die Frage nach dem Grund, „warum diese Messe sogar im Innern der Kirche zum Zeichen des Widerspruchs geworden“ ist:
„Die Antwort ist einfach und zeichnet sich immer klarer ab. Nach fünfzig Jahren leuchten die Elemente dieser Antwort jedem Christen guten Willens ein: die tridentinische Messe äußert und vermittelt eine gewisse Auffassung des christlichen Lebens, und infolgedessen auch der Kirche, die mit der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils völlig unvereinbar ist. Das Problem stellt sich nicht nur auf liturgischer, ästhetischer oder rein formaler Ebene. Das Problem liegt gleichzeitig auf lehrmäßiger, moralischer, geistiger, ekklesiologischer und liturgischer Ebene. In einem Wort: Das Problem berührt ausnahmslos alle Aspekte des kirchlichen Lebens – es handelt sich um eine Frage des Glaubens.“
Der Ursprung von Traditionis custodes und die Benediktinerhochschule Sant’Anselmo
Gagliarducci, Mitarbeiter zahlreicher katholischer Medien wie Korazym.org, National Catholic Register, CNA und AciStampa, bemüht sich in einem von CNA veröffentlichten Artikel um eine Erklärung über den wahrscheinlichen Ursprung des Motu proprio Traditionis custodes, mit dem Papst Franziskus die von seinen Vorgängern Benedikt XVI. und Johannes Paul II. erlassenen Dekrete Summorum Pontificum (2007) und Ecclesia Dei (1988) bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt und entstellt hat. Dem Teil der organisierten Tradition, der sich in der vollen Einheit mit Rom befindet, wurde von Franziskus die Rechtsgrundlage entzogen.
Gagliarducci kann oder will es sich nicht leisten, Papst Franziskus und dessen ganz persönliche Abneigung gegen den überlieferten Ritus beim Namen zu nennen. Er sucht daher die Schuldigen woanders. Dennoch ist seine Spurensuche durchaus interessant, um die Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten, nicht nur seit dem Zweiten Vaticanum, sondern auch schon davor, zu verstehen.
Der Vatikanist zeigt in seiner Analyse mit dem Finger auf das Päpstliche Athenaeum Sant’Anselmo, jene 1888 in Rom gegründete und mit der gleichnamigen Abtei verbundene Hochschule des Benediktinerordens mit dem besonderen Schwerpunkt Liturgiewissenschaft. Träger der Hochschule ist die Confoederatio Benedictina, in der seit Ende des 19. Jahrhunderts benediktinische Kongregationen, derzeit neunzehn, sowie sechs Abteien, die keiner Kongregation angehören, zusammengeschlossen sind. Der Abtprimas der Konföderation hat seinen Sitz in der Abtei Sant’Anselmo, die den Status der Primatialabtei hat.
Gagliarduccis Wink scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein. Sind die Benediktiner, der älteste Orden des Abendlandes, nicht der lebende Ausdruck der Zeitlosigkeit und besonderen Pflege der Liturgie? Ein erster Blick in die jüngere Kirchengeschichte liefert einen wichtigen Hinweis. Als 1969 unter Papst Paul VI. die Liturgiereform von Annibale Bugnini eingeführt wurde, war ein Benediktiner Präfekt der römischen Ritenkongregation, aus der mit der Liturgiereform die heutige Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hervorging. Es handelt sich um den Schweizer Benediktiner Benno Gut, der bis 1959 Abt von Einsiedeln, dann bis 1967 Abtprimas in Sant’Anselmo war. Als solcher nahm er als Konzilsvater am Zweiten Vaticanum teil.
Im Juni 1967 wurde er von Paul VI. als Präfekt der Ritenkongregation an die Römische Kurie berufen. Damit wurde Gut auch Vorsitzender des Consilium zur Ausführung der Liturgiekonstitution des Konzils, das unter seinem Sekretär Annibale Bugnini die Liturgiereform vorbereitete. Paul VI. hatte ihn 19 Tage vor der Berufung an den Heiligen Stuhl bereits zum Titularerzbischof ernannt und drei Tage davor zum Kardinal kreiert.
Es klingt nach einer Laune der Geschichte, daß das Consilium sich 1964 weigerte, seinen Sitz in den Räumlichkeiten der Ritenkongregation aufzuschlagen, und daher im damaligen Hospitium Sanctae Marthae tagte, dem heutigen Gästehaus des Vatikans, also just dort, wo seit 2013 Papst Franziskus wohnt.
Als Gut 1969 Präfekt der neuerrichteten Gottesdienstkongregation wurde, wurde Bugnini deren Sekretär. Am 8. Dezember 1970 verstarb Gut im Alter von 73 Jahren.
Die liturgischen Angelegenheiten kontrolliert Sant’Anselmo
Nach diesem Vorspann nun zu den Ausführungen Gagliarduccis. Sein erster Hinweis bezieht sich auf die Tatsache, daß sowohl der neue Sekretär der Gottesdienstkongregation, Erzbischof Vittorio Viola OFM, als auch der neue Untersekretär Bischof Aurelio Garcia Macias an der Benediktinerhochschule Sant’Anselmo studiert haben. Beide wurden von Franziskus am vergangenen 27. Mai ernannt, drei Tage nachdem der Papst hinter verschlossenen Türen vor der Italienischen Bischofskonferenz eine „Neuinterpretation“ des Motu proprio Summorum Pontificum angekündigt hatte. Gagliarducci schreibt:
„Die liturgische Schule des Päpstlichen Athenaeums Sant’Anselmo hat einen wachsenden Einfluß auf die liturgischen Normen, die aus dem Vatikan kommen.“
Die Hochschule, die von Papst Leo XIII. 1887 anerkannt wurde, hat ihren Sitz seit 1896 auf dem Aventin in Rom. Das Päpstliche Liturgische Institut wurde 1961 von Papst Johannes XXIII. gegründet und der Benediktiner-Konföderation anvertraut. Der Heilige Stuhl errichtete es zu diesem Zweck als eigene Fakultät für die heilige Liturgie am Päpstlichen Athenaeum Sant’Anselmo.
„Es liegt nur wenige Meter von der römischen Kirche Santa Sabina entfernt, in der die Päpste, darunter Papst Franziskus, jedes Jahr traditionell am Aschermittwoch die Messe feiern.“
Gagliarducci sagt es nicht, doch schon die Gründung stand im Zusammenhang mit der angestrebten Liturgiereform. Dafür schreibt er:
„Während der Diskussionen um die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils und deren anschließender Umsetzung wurde das Päpstliche Institut zu einem Bezugspunkt für alle liturgischen Debatten und vertrat häufig die ‚progressive‘ Seite.“
Ein „stolzer Alumnus“, so Gagliarducci, „ist Erzbischof Piero Marini, der Zeremonienmeister des amtierenden Papstes für dessen Italien-Reisen und ehemaliger Zeremonienmeister von Papst Johannes Paul II.
„Piero Marini wurde für die extravaganten liturgischen Gewänder verantwortlich gemacht, die Johannes Paul II. in späteren Jahren tragen mußte.“
Nach seinem Amtsantritt schob Papst Benedikt XVI. Marini schnell in ein anderes Amt ab.
Absolventen und Dozenten und der „Oberliturgiker“ Andrea Grillo
Ein Absolvent des Liturgischen Instituts von Sant’Anselmo ist auch der andere Untersekretär der Gottesdienstkongregation, der Montfortaner Corrado Maggioni, der dieses Amt, ebenfalls von Papst Franziskus ernannt, seit November 2014 innehat.
Einer der bekanntesten Dozenten am Päpstlichen Liturgischen Institut von Sant’Anselmo ist der Theologe Andrea Grillo, „ein energischer Verteidiger des Motu proprio Traditionis custodes“. Mehr noch: Grillo machte aus seiner Abneigung gegen den überlieferten Ritus nie ein Hehl. Entsprechend häufig waren seine Angriffe gegen das Motu proprio Summorum Pontificum.
Im April 2019 forderte er in Richtung Santa Marta, „den Zugang zum überlieferten Ritus einzuschränken“. Entsprechend begeistert gab sich der Liturgiewissenschaftler im April 2020, als bekannt wurde, daß der Heilige Stuhl bei den Diözesanbischöfen weltweit eine Erhebung über die Umsetzung von Summorum Pontificum durchführte. Katholisches.info schrieb damals, wenn Grillo sich freut, ist das „ein Grund zur Sorge“. Franziskus begründet heute mit dem Ergebnis dieser Umfrage sein radikales Eingreifen durch Traditionis custodes.
Grillo regte auch ein Totschweigen von Benedikt XVI. an, um dessen eventuelle Einflußnahme auf die Kirche zu unterbinden, und attackierte scharf die vier Kardinäle, die 2016 Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia äußerten. Selbst das Requiem für den verstorbenen Kardinal Joachim Meisner nützte Grillo zur Polemik.
Der Einfluß des Liturgischen Instituts von Sant’Anselmo läßt sich noch genauer nachweisen. Sowohl Maggioni als auch Erzbischof Piero Marini waren Mitglieder der Kommission, die das Motu proprio Magnum Principium verfaßte, das von Papst Franziskus am 3. September 2017 promulgiert wurde. Er übertrug darin unter dem Schlagwort „Dezentralisierung“ Vollmachten zur Übersetzung der liturgischen Texte an die einzelnen Bischofskonferenzen.
„Damit war der Politik des Vatikans, einheitliche Übersetzungen zu schaffen, ein Ende gesetzt.“
Franziskus annullierte die Bestrebungen von Johannes Paul II. zu Übersetzungen in die Volkssprachen und vor allem das Bemühen von Benedikt XVI., die defizitäre Übersetzung der Wandlungsworte (pro multis nicht mehr als „für alle“, sondern als „für viele“ zu übersetzen) zu korrigieren.
Während der letzten Vorbereitungen des Motu proprio Magnum Principium war das Buch von Kardinal Robert Sarah „Die Kraft der Stille“ mit einem Nachwort von Benedikt XVI. erschienen. Andrea Grillo, der in Santa Marta geschätzte „Oberliturgiker“ von Sant’Anselmo, tobte. Den Kardinal beschimpfte er als „inkompetent“ und Benedikt XVI. beschuldigte er, für das „Scheitern“ der Kirche verantwortlich zu sein.
Hinter den Kulissen, so damals Riccardo Cascioli, der Chefredakteur der Nuova Bussola Quotidiana, wirkte Grillo bereits als „eine Schlüsselfigur, die hinter dem Rücken von Kardinal Sarah und mit Zustimmung des Papstes an liturgischen Veränderungen arbeitet, die der ‚Reform der Reform‘ widersprechen, die Benedikt XVI. so wichtig war“.
Kardinal Sarah, damals noch Präfekt der Gottesdienstkongregation, aber zu diesem Zeitpunkt bereits isoliert und marginalisiert, reagierte auf einer Liturgie-Tagung mit dramatischen Worten:
„Es ist diabolisch (…), sie zerstören die Kirche.“
„Das liberale Institut von Sant’Anselmo hat die Kontrolle übernommen“
Mit der Ernennung von Msgr. Viola zum Sekretär und von García Macias zum Untersekretär der Gottesdienstkongregation Ende Mai „war Kennern klar“, so Gagliarducci, „daß das sehr liberale Institut Sant’Anselmo die Kontrolle über die meisten liturgischen Angelegenheiten übernommen hatte“.
Die Absolventen und Dozenten von Sant’Anselmo sitzen inzwischen in zahlreichen Institutionen und können dort Einfluß nehmen: Msgr. Maurizio Barba ist Offizial der Glaubenskongregation, der Karmelit Giuseppe Midili ist Leiter des Liturgischen Amtes der Diözese Rom, um nur einige zu nennen.
P. Midili gilt seit einiger Zeit als möglicher Nachfolger von Msgr. Guido Marini als Zeremonienmeister des Papstes. Ein weiterer Kandidat für dieses Amt ist P. Pietro Muroni, ein weiterer Absolvent von Sant’Anselmo, der heute Dekan der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Urbaniana und Consultor des Amtes für die liturgischen Feiern des Papstes ist.
Nicht alle Absolventen des Päpstlichen Liturgischen Instituts von Sant’Anselmo folgen dem Bugnini-Kurs wie Erzbischof Viola OFM, der sogar Bugninis Bischofsring trägt. Zu den ehemaligen Studenten gehört auch Msgr. Guido Marini, der Zeremonienmeister von Papst Benedikt XVI., der von Franziskus bis heute an seinem Platz belassen wurde.
Gagliarduccis Resümee:
„Aber der wachsende Einfluß der Positionen von Sant’Anselmo auf liturgische Fragen ist auch in den Reihen der Kurie nicht unbemerkt geblieben. Und einige Insider sagen, daß die Kohorte des Instituts hinter dem Motu proprio Traditionis custodes von Papst Franziskus steht, mit dem die Befreiung der Zelebration der Messen gemäß dem Missale von Papst Johannes XXIII. von 1962 wieder aufgehoben wurde.“
Großkanzler des Päpstlichen Athenaeums Sant’Anselmo ist seit 2016 Abtprimas Gregory J. Polan (Abtei Neu-Engelberg, USA), Rektor der Hochschule ist seit 2019 der Österreicher P. Bernhard Eckerstorfer (Abtei Kremsmünster).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Alchetron/CFM.SCJ Archiv Alexandria (Screenshots)
Sehr gute Analyse
ich denke Papst Franziskus ist es nicht wirklich, denn ihm ist Liturgie eigentlich egal Hauptsache er kann den Sozialismus predigen.
er ist völlig frei von Tradition und die Kirche beginnt mit dem Konzil
Alles was vorher war ist zu vernichten.
Eine oft wiederholte Irrlehre ist ja das Dogmen und konzilien etwas fuer die damalige Zeit gelehrt haben, aber das gilt heute nicht mehr, man muss sich der Zeit anpassen.
Einer der prominentesten Vertreter dieser Lehre ist übrigens Josef Ratzinger gewesen.
Ich denke, das ist zu einfach gesehen. Natürlich muss man sich in der Zeit anpassen. Ratzinger hat eine grosse Verantwortung vor der Vergangenheit und greift oft weit zurück in seinen Argumentationen. Er versucht dann überholte Auffassungen zu benennen. Die Demut ist dabei gross. Er ist ja Hauptverantwortlicher für den Katechismus der katholischen Kirche gewesen. Der Katechismus ist ein Gemeinschaftswerk einer Komission, die zuweilen ganz anderer Auffassung war als Ratzinger. Trotzdem hat er sich dem gebeugt.
Das Christentum ist nach Nikolaus von Cusa der direkteste Weg zur Wahrheit und zum Licht, weil es sich an dem einzigen orientiert, der die ganze Wahrheit hatte. Sogesehen ist es in der Verantwortung des Christen immer nach der Wahrheit zu suchen. Wie das geht findet sich bei Paulus. Ich denke dieses Prinzip wendet Ratzinger durchgehend an. Ein Schematisieren, eine Vereinfachung ohne Analyse findet sich bei ihm nicht.