(Rom) Der nachlassende Gesundheitszustand von Papst Franziskus und sein angezogenes Tempo bei der „Revolution der Barmherzigkeit“ lassen in Rom das nächste Konklave aus unterschiedlichen Richtungen immer öfter ins Blickfeld rücken. Die einen wollen Bergoglio zu einem Zwischenspiel degradieren und so gründlich als möglich beenden, die anderen wollen sein Pontifikat in einer Neuauflage unbedingt fortsetzen. Es ist schwer zu sagen, wer von beiden Seiten sich also vor dem nächsten Konklave mehr fürchtet.
Nun meldete sich Alberto Melloni, der gewichtige Leiter der progressiven „Schule von Bologna“, mit einem Artikel in dem linken Politikmagazin Il Mulino zu Wort und regt eine Änderung der Konklaveregeln an.
Zur Begründung nennt Giuseppe Alberigos Lieblingsschüler die Risiken und Gefahren eines Konklaves in Zeiten von KI und Algorithmen und dem verstärkten Auftreten „neoimperialistischer Mächte“. Melloni sagt zwar nicht genau, wen er damit meint, läßt es aber erahnen. Er warnt vor möglicher Einflußnahme, um die Zukunft der Kirche „zu manipulieren und zu beeinflussen“. Dies deshalb, so Melloni kryptisch, weil die Kirche ein „natürlicher Antagonist und ein objektives Hindernis“ für die Machtpläne „zu den neoimperialistischen Souveränismen“ ist. Im Meta-Gegensatz Souveränismus versus Globalismus, Nationalismus versus Internationalismus steht jedenfalls fest, auf welcher Seite sich Melloni positioniert.
Die Änderung der Konklaveregeln sollten also, so Melloni, dazu dienen, „jede Art von äußerer Einflußnahme oder Verunglimpfungskampagne zu vermeiden“. Ersteres ist ein berechtigtes Anliegen, das bereits bisher alle Konklaveregeln durchzieht. Es ist dem Wunsch nach mehr Annehmlichkeit und dem Anwachsen des Wahlkörpers geschuldet, daß die einst strengeren Regeln, vor allem die strikte Abgeschiedenheit der Papstwähler in der Sixtinischen Kapelle, aufgeweicht wurden. Was sicher keinen Gewinn darstellt.
Letzteres aber, daß „Verunglimpfungskampagnen“ vermieden werden sollten, ist eine Platitüde, denn die Reaktionen anderer, lassen sich nicht kontrollieren, bestenfalls in einem totalitären Regime einschränken. Man erahnt jedoch, wovor sich der Historiker fürchtet, wie schon sein Blick gleich im ersten Satz in Richtung USA andeutet.
Die Angst progressiver Kreise vor konservativen US-Katholiken
In Übersee konstituierte sich im Herbst 2018 als Reaktion auf den Fall McCarrick The Better Church Governance Group mit dem Ziel, alle im nächsten Konklave wahlberechtigten Kardinäle zu „durchleuchten“, um „jene anzuklagen, die glaubhaft eines Skandals, Mißbrauchs oder dessen Vertuschung beschuldigt werden“. Es gehe darum, „die Hierarchie der katholischen Kirche zu zwingen, für jeden Mißbrauch oder korrupte Handlung zur Rechenschaft gezogen zu werden und Ehrlichkeit, Klarheit und Treue in der Kirchenleitung zu fördern“, so erklärte es der Vorsitzende der Gruppe, Jacob Imam, der 2015 als Student der Vergleichenden Religionswissenschaften vom Islam zur katholischen Kirche konvertiert war. 2022 wurde er an der Universität Oxford zum Doktor der Theologie promoviert mit einer Arbeit über islamische und christliche philosophische Theologie. Heute ist Jacob Imam Chefredakteur des in Steubenville angesiedelten katholischen Internetmagazins New Polity, das ein Projekt des Instituts für Politische Philosophie und Theologie der dortigen Franziskaneruniversität ist.
Von der Better Church Governance Group ist allerdings nichts mehr zu hören. Die Initiatoren blickten damals empört vor allem auf McCarrick. Die Konklave-Teilnahme oder gar die Wahl eines unwürdigen Kardinals sollte künftig verhindert werden. Progressive Kreise treibt seither jedoch die Angst um, die Gruppe sei gegründet worden, um die Wahl eines zweiten Bergoglio zu verhindern. Tatsächlich wurde von verschiedener Seite kritisiert, daß – wie 2013 geschehen – die Welt durch die Wahl eines Kardinals „von den Rändern“ überrascht werde, über den sie nichts wußte. Man solle wissen, wer wählt und gewählt wird, so die Forderung.
Auch wenn die US-Initiative von 2018 eingeschlafen scheint, ist die Angst in progressiven Kreisen ungebrochen, daß die von Papst Bergoglio geschundenen Konservativen und Traditionalisten sehr wohl im verborgenen dieses oder ein ähnliches Vorhaben umsetzen könnten und daß die Initiatoren dazu in den USA sitzen.
Mellonis Vorschlag: „Das Konklave langsamer machen“
Diffamierungskampagnen könnten sogar zur Versenkung von hervorragenden Kandidaten führen, indem etwa Nachrichten über sexuellen Mißbrauch gestreut würden, die sich später als falsch herausstellen, doch dann sei der Schaden möglicherweise bereits angerichtet. Melloni möchte daher, so seine Begründung, die Wahl von nicht erpreßbaren Kandidaten sicherstellen.
Das derzeitige Wahlrecht im Konklave, das in der von Papst Johannes Paul II. erlassenen Konstitution Universi Dominici gregis von 1996 festgelegt ist, ziele darauf ab, die Wahl auf jene beiden Kandidaten zu konzentrieren, die aus den ersten beiden Wahlgängen als Favoriten hervorgehen. Dies hätten die Konklaven von 2005 und 2013 gezeigt, die im Schnitt kaum anderthalb Tage dauerten. Das aber, und hier setzt Mellonis Hauptkritik an, sei eine so kurze Zeit, daß sie risikobehaftet sei.
Melloni schlägt daher eine Wahlrechtsänderung vor, die vorsieht, die er bereits im Titel seines Aufsatzes ankündigt: „Das Konklave langsamer machen“. Nach jedem Wahlgang sollte ein ganzer Tag als Wahlpause eingeschoben werden. Dieser Tag sollte der Reflexion und Diskussion zwischen den Wählern und Kandidaten dienen. Damit könnten Formen von „Vorwahlen“ nach US-amerikanischem Vorbild – da ist er wieder, der Blick nach Übersee – ausgeglichen werden, die aus „Tricks, Geld und ideologischen Konstrukten“ bestünden.
Zudem möchte Melloni, daß ein Favorit oder gar schon Gewählter durch ein „langsames Konklave“, mehr Zeit hätte, „möglicherweise sogar eine Nacht“, um nachzudenken und die Entscheidung zu treffen, ob er die Wahl annimmt oder nicht. Melloni schreibt davon, daß sich der Erwählte auf diese Weise „beraten“ könnte. Der Zweck dieser Anregung ist nicht ganz klar. Sollte sie dazu dienen, einen bereits erwählten, aber vielleicht unerwünschten Papst zur Resignation zu drängen? Oder positiver formuliert, um zu prüfen, daß der Erwählte keine „Leichen im Keller“ hat, die seine Wahl in Frage stellen oder Anlaß zu Verwerfungen in der Kirche sein könnten. Die Anspielung ist offensichtlich und bezieht sich auf die anhaltenden Debatten darüber, ob die Wahl Bergoglios wirklich gültig war. Melloni verweist zurecht auf die Bestrebungen in der Vergangenheit, man denke an jene von Pius IX., die Wahl eines Papstes gegen Zweifel und Verunglimpfung abzusichern, damit die Autorität des Amtes nicht Schaden nimmt.
Der obligatorische Seitenhieb gegen Benedikt XVI.
Bemerkenswert ist dabei, daß Melloni selbst an dieser Stelle nicht auf einen Seitenhieb auf Benedikt XVI. verzichten kann. So vermittelt er den Eindruck, daß Joseph Kardinal Ratzinger im Konklave 2005 bereits resigniert habe, nachdem sein Hauptkonkurrent Jorge Mario Bergoglio die Sperrminorität von einem Drittel der Stimmen erreicht hatte. Ratzinger habe das dadurch signalisiert, daß er zum Abendessen im schwarzen Rollkragenpullover erschienen sei.
Es sei der Jesuit und Kardinal Carlo Maria Martini gewesen (der Gründer der Mafia von Sankt Gallen, was Melloni nicht erwähnt), der die Situation für Ratzinger gerettet und den deutschen Kardinal ermutigt habe, sich noch einem Wahlgang zu stellen, um zu sehen, ob er nicht doch die nötige Zweidrittelmehrheit erreiche. Der in progressiven Kreisen als „Säulenheiliger“ verehrte Martini wäre demnach der „Macher“ des Pontifikats von Benedikt XVI. Melloni erwähnt es nicht, aber andere taten dies vor ihm, daß bei dieser Gelegenheit gleich ein Doppelpontifikat vereinbart worden sei, das Ratzingers und Bergoglios. Es wird sogar behauptet, Ratzinger habe seinen Rücktritt nach einigen Jahren zugesichert.
Dieses wenig überzeugende Narrativ wird in progressiven Kreisen schon seit 2005 erzählt, um die Nicht-Wahl des ewigen „Ante-Papa“ Martini zu rechtfertigen, der damals bereits an Parkinson erkrankt war, und um ihn „strahlen“ zu lassen. Auch Melloni kam nicht darum herum, die Sache aufzuwärmen.
Tatsache ist, daß Martini kurz vor seinem Tod Benedikt XVI. im Juni 2012 bei einem persönlichen Gespräch energisch zum Rücktritt aufforderte. Und Tatsache ist auch, was viele bis heute bedauern, daß Benedikt XVI. acht Monate später tatsächlich zurücktrat und damit einen Schritt setzte, wie es vor ihm in dieser Form noch kein Papst getan hatte, schon gar nicht der oft zitierte Cölestin V.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL