
(Rom) Seit längerem gibt es lauter werdende Gerüchte, daß die Entfernung von Kardinal Robert Sarah als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung bevorstehe. Erstmals wird auch ein konkreter Name für seine Nachfolge genannt.
Die Gerüchte sind nicht neu, doch verdichten sie sich. Kardinal Sarah, ein Kirchenmann mit beeindruckendem Lebenslauf, ist einer der profiliertesten Kirchenfürsten unserer Zeit. Er war 2014 überraschend von Papst Franziskus zum Präfekten der Gottesdienstkongregation berufen worden. Diese Ernennung gilt seither als bisher bemerkenswertester „Betriebsunfall“ in der bergoglianischen Personalpolitik. Anders ausgedrückt: Papst Franziskus, der bei der Auswahl der Kandidaten nach den progressivsten Bewerbern Ausschau hält, sei ein Fehler unterlaufen, indem er den Kirchenmann aus Guinea an eine Schlüsselposition setzte.
Robert Sarah, der 1969 für das Bistum Conakry in Guinea zum Priester geweiht wurde, empfing im jungen Alter von 34 Jahren die Bischofsweihe und die Ernennung zum Erzbischof von Conakry. Die brutale Kirchenverfolgung durch das damalige kommunistische Regime zwang ihn, frühzeitig Verantwortung zu übernehmen. 2001 berief ihn Papst Johannes Paul II. an die Römische Kurie und ernannte ihn zum Sekretär der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Papst Benedikt XVI. beförderte ihn 2010 zum Vorsitzenden des Päpstlichen Rats Cor Unum. Im selben Jahr kreierte ihn der deutsche Papst auch zum Kardinal.
Der Papst und der Kardinal: gegensätzliche Sichtweisen
In Rom heißt es, die „Politik der Gesten“, die Papst Franziskus so mag, habe diesen veranlaßt, einen Schwarzafrikaner in den kleinen Kreis der Kardinalpräfekten einer römischen Kongregation aufzunehmen. Schnell stellte sich jedoch heraus, daß sowohl das Kirchenverständnis als auch die Meinungen zu aktuellen politischen Fragen zwischen Papst und Kardinal nicht übereinstimmen. Kardinal Sarah verteidigte die überlieferte Ehe- und Morallehre der Kirche gegen Versuche, Scheidung und irreguläre Verbindungen einschließlich solcher homosexueller Art durch die Hintertür anzuerkennen, wie es Papst Franziskus mit der Doppelsynode über die Familie und mit seinem umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia in die Tat umsetzte. Der Kardinal zögerte nicht, in einem Gastkommentar für das Wall Street Journal Keuschheit als „einzige Antwort auf homosexuelle Neigungen“ zu benennen. Man vergleiche diese Aussage mit dem berühmt-berüchtigten Satz von Papst Franziskus vom Juli 2013, als dieser zur konkret ausgelebten Homosexualität Stellung beziehen sollte. Insgesamt warnt der Kardinal vor einem homohäretischen Klima und fordert, den „Katechismus nicht homo-korrekt zu zitieren“.
Kardinal Sarah widersprach auch, was die von Papst Franziskus im Einklang mit den globalen Eliten geförderte Massenmigration betrifft. Ebenso stellte sich Kardinal Sarah gegen die von Franziskus nicht nur geduldete, sachlich aber abwegige neomalthusianisch-ökologistische These des Establishments, es bedürfe einer dringenden Bevölkerungsreduzierung, sonst drohe dem Planeten der angebliche CO2-Kollaps.
Zelebration Richtung Osten
Auch in seinem Zuständigkeitsbereich, der heiligen Liturgie, setzte Kardinal Sarah ganz andere Akzente als Papst Franziskus.
Nachdem der Kardinal bei einer Tagung in London alle Priester aufgefordert hatte, wieder Richtung Osten zu zelebrieren, und damit ein Herzstück der „protestantisierenden“ Liturgiereform von 1965/1969 aufzugeben, war die Aufregung in Rom so groß, daß Franziskus persönlich, Sarah dementierte. Es sagt viel über das Stehvermögen des Schwarzafrikaners aus, daß er dennoch an seiner Aufforderung festhielt und diese sogar wiederholte.

Zugleich wurde darin die Isolierung des „Betriebsunfalls“ erkennbar, die von Papst Franziskus umgesetzt wurde. Kardinal Sarah blieb zwar an der Spitze der Gottesdienstkongregation, wurde dort jedoch weitgehend „neutralisiert“. Dieser „flüchtete“ sich einerseits in Bücher, von denen er seither mehrere vorlegte und damit weltweit zu einem wichtigen geistlichen Bezugspunkt für viele Gläubige wurde. Andererseits konnte nicht unbemerkt bleiben, daß er fast häufiger von Benedikt XVI. im Kloster Mater Ecclesiae empfangen wurde als von Papst Franziskus, dem er weisungsgebunden ist.
Benedikt XVI. ist es auch, der seine schützende Hand über den mit seinen inzwischen 75 Jahren noch immer jugendlich wirkenden Kardinal hält. Im Frühjahr 2017 ließ der deutsche Papst die Öffentlichkeit und mehr noch Santa Marta wissen:
„Mit Kardinal Sarah ist die Liturgie in guten Händen.“
Zuvor hatten sich schon einmal die Gerüchte verdichtet, Franziskus beabsichtige den aufmüpfigen Guineer wegen dessen „Angriffs“ auf die Liturgiereform aus der Römischen Kurie zu entfernen.
Der Kardinal bedankte sich am 6. Juni 2017 bei einem Vortrag in Mailand mit einer nicht minder klaren Aussage:
„Die Verachtung für Benedikt XVI. ist diabolisch und bedeckt die Kirche mit Schande.“
Dabei wäre es verkürzt, zu sagen, Kardinal Sarah sei eine Art letzter „Ratzingerianer“ in so hoher Position. Der Purpurträger aus Guinea vertritt ein noch traditionelleres Kirchen- und Liturgieverständnis als Benedikt XVI., und er tut dies konsequenter und aktiver.
Die Worte von Benedikt XVI. haben jedoch besonderes Gewicht, wenn er im Vorwort zum Sarah-Buch „Die Kraft der Stille“ schreibt:
„Kardinal Sarah hat jedem von uns etwas zu sagen.“
Der Kardinal formuliert es in seinem dritten, 2019 erschienenen Buch „Herr bleib bei uns, denn es will Abend werden“ dramatischer:
„Dieses Buch ist der Schrei meines Herzens als Priester und Hirte.“
Mater Ecclesiae statt Santa Marta
Die enge Verbindung des Kardinals mit Benedikt XVI. entfaltete Anfang 2020 eine besondere Wirkmächtigkeit. Als die Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens zur Amazonassynode bevorstand und der Papstfreund und Zölibatsgegner Kardinal Claudio Hummes, einer der Organisatoren der Synode, bereits allen Bischöfen die unheilsschwangere Anweisung bekanntgab, der Inhalt des nachsynodalen Schreibens sei „zu akzeptieren“, war die Meinung unter den Vatikanisten einhellig: Franziskus werde den Anfang vom Ende des priesterlichen Zölibats verkünden.
Dann platzte jedoch ein neues Buch von Kardinal Sarah wie eine Bombe in den Raum. Gemeinsam mit Benedikt XVI. legte er mit „Aus der Tiefe des Herzens“ ein Plädoyer für den priesterlichen Zölibat und das Weihesakrament vor. Kardinal Sarah widersprach dabei vor allem der in der Kirche weitverbreiteten Meinung, der priesterliche Zölibat sei „nur“ ein Gesetz der Kirche.

Papst Franziskus schäumte, seine Gegenmaßnahmen wirkten aber hilflos. Vor allem aber geschah eines: Im nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia fehlten die befürchteten revolutionären Schritte.
Die Kämpfernatur von ruhigem Temperament und Ausdauer
Der Kardinal aus Guinea ist eine Kämpfernatur, ein Mann klarer Worte und vor allem unaufgeregter Gesten. Vom Temperament könnten er und Franziskus kaum verschiedener sein. Während der regierende Papst in seiner jüngsten Enzyklika den offenen Schulterschluß mit den „Idealen“ der Französischen Revolution praktiziert, stellte sich Kardinal Sarah auf die andere Seite der Barrikaden mit den Worten:
„Jeder Christ ist geistig ein Vendéaner.“
Die katholische und königstreue Bevölkerung der Vendée erhob sich 1793–1796 gegen das Unrecht, das von den Revolutionären ausging. Die Antwort darauf waren die „Höllenkolonnen“ der Revolution, die den Aufstand im Blut erstickten. Damals entstand der Begriff des Terrorismus, womit – bezeichnenderweise – ein Staatsterrorismus gemeint war.
Ebenso versteht es Kardinal Sarah linke Lebenslügen mit wenigen Worten gnadenlos zu entzaubern. So etwa, wenn er zur Amazonassynode 2019 meinte, die postulierten „Armen des Amazonas“ seien das Produkt eines „bourgeoisen Christentums“, das sie mißbrauche.
Ein anderer Bereich, der Kardinal Sarah besonders wichtig ist, ist die Ehrfurcht vor der heiligen Eucharistie, weshalb er wiederholt zur knienden Mundkommunion aufrief und insgesamt beklagte:
„Die Banalisierung des Altars und des ihn umgebenden heiligen Raums ist zur geistlichen Katastrophe geworden.“
„Wenn die Liturgie das Werk Christi ist, besteht keine Notwendigkeit, daß der Zelebrant seine eigenen Kommentare abgibt.“
Und noch deutlicher:
„Es ist nicht die Vielzahl von Formeln und Optionen sowie die ständige Veränderung der Gebete und ein Überschwang an liturgischer Kreativität, die Gott gefallen, sondern die Metanoia, die radikale innere Umkehr und Buße in unserem Leben und unserem Verhalten, das ernsthaft durch die Sünde verschmutzt und vom fließenden Atheismus geprägt ist.“
So versteht sich auch sein Blick auf die überlieferte Form des Römischen Ritus und dessen Bedeutung, wenn er 2019 schrieb:
„Der Teufel will, daß wir ersticken, deshalb bekämpft er den überlieferten Ritus.“
„Was für ein Betrug und was für eine Beleidigung für alle Heiligen, die uns vorausgegangen sind.“
„Das Gift der Apostasie“
Kardinal Sarah hält dem Westen den Spiegel vor, wo Franziskus bestenfalls kryptische Worte findet. Am 12. Januar 2017 schrieb der Kardinal: „Der Westen ist zum Grab Gottes geworden“:
„Die westliche Kultur hat sich organisiert, als würde Gott nicht existieren. Wir haben ihn getötet. Der Mensch weiß nicht mehr, wer er ist, noch weiß er, wohin er geht.“

Diese politische und gesellschaftliche Analyse überträgt der Kardinal auch auf die Kirche, wenn er in seinem Buch „Herr bleibe bei uns“ schreibt:
„Ein fließender Atheismus ist in die Kirche eingedrungen.“
Konkret bedeutet das:
„Ich spreche von diesem Gift, dem fließenden Atheismus, dessen Opfer wir alle sind. Er infiltriert alles, auch unser Sprechen als Priester. Er besteht darin, neben dem Glauben Denk- und Lebensweisen zuzulassen, die radikal heidnisch und weltlich sind.“„Das zeigt, daß unser Glaube fließend und inkonsistent geworden ist! Die erste anzustrebende Reform muß die in unseren Herzen sein. Sie besteht darin, keinen Pakt mehr mit Lügen einzugehen. Der Glaube ist sowohl der Schatz, den wir verteidigen wollen, als auch die Stärke, die es uns ermöglicht, ihn zu verteidigen.“
„Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte der Kirche.“
Kardinal Sarah hält sich nicht mit „strukturellen Fragen“ auf, die der politischen und kirchlichen Linken so wichtig sind. Er hält nichts von der irrigen Meinung, die Probleme ließen sich durch „Strukturreformen“ aus der Welt schaffen. Er weiß, daß der Grund für die Probleme meist viel tiefer sitzt und weit vor den „Strukturen“ zu suchen ist. Daß es notwendig ist, bis zur Wurzel des Problems vorzudringen, um dort anzusetzen, dort, wo es um Sünde und Glauben geht – nicht um „Strukturreformen“, sondern um die persönliche Bekehrung. Deshalb ist Kardinal Sarah auch überzeugt, „daß die „schleichende Apostasie Europas nicht ohne Folgen bleiben“ könne.
Wenn der Kardinal aus Guinea, der Europa vor dem Verlust seiner Identität warnt, zum päpstlichen Motu proprio Magnum Principium eine „Präzisierung“ veröffentlicht, zeigt sich, daß er, wo ihn das Gewissen drängt, auch bereit ist, sich direkt dem Papst zu widersetzen. Mit diesem Motu proprio „dezentralisierte“ Franziskus die Übersetzung der liturgischen Texte in die Volkssprachen, was im Kern einer Fraktionierung des Herzens der Kirche, der heiligen Liturgie, Tür und Tor öffnen könnte. Der Kardinal „präzisierte“, indem er die Überlieferung verteidigte. Da die päpstliche Autorität jene des Kardinals überragt, kann er mit Santa Marta nicht wirklich konkurrieren, dennoch ist jede dieser Stellungnahmen von großer Bedeutung.
Kardinalpräfekt auf Abruf
Es gibt auch Aspekte, wo manche sich vom Kardinal mehr gewünscht hätten, so in der Corona-Krise, die weit weniger eine Gesundheitskrise, dafür weit mehr eine politische und gesellschaftliche Krise ist. Immerhin gehörte der Kardinal zu den Unterstützern des Aufrufs Veritas liberabit vos (Die Wahrheit wird euch frei machen), wenn er auch seine Unterschrift zurückzog.
Im November 2019 lief sein fünfjähriges Mandat als Kardinalpräfekt der Gottesdienstkongregation aus. Bis heute wurde es von Franziskus nicht verlängert. Damit behält sich das Kirchenoberhaupt die kirchenrechtlich bequeme Position vor, den afrikanischen Kardinal jederzeit entlassen zu können. Dieser vollendete im vergangenen Juni sein 75. Lebensjahr und erreichte damit das auch für hohe Kurienmitarbeiter geltende kanonische Rücktrittsalter. Seither hängt seine Position gleich doppelt allein vom Wohlwollen des regierenden Papstes ab.
Seither ist ein halbes Jahr vergangen und soviel steht fest: Franziskus bleibt gegenüber Kardinal Sarah beim sanften Weg. Daß Franziskus auch anders kann, mußten die Kardinäle Raymond Burke und Gerhard Müller erleben.
Dennoch verdichten sich wieder die Gerüchte über eine baldige Entfernung des „Fremdkörpers“ Kardinal Sarah aus der bergoglianischen Kurie. Wie immer sind solche römischen Gerüchte mit der notwendigen Vorsicht zu genießen. Erstmals aber wird ein konkreter Name als möglicher Nachfolger Sarahs genannt, und zwar von der ultraprogressiven Internetplattform Religion Digital. Obwohl diese Seite eher unter die Rubrik kirchenfeindlicher Medien einzuordnen wäre, wurden deren Verantwortliche bereits von Papst Franziskus empfangen.
Ein Jesuit als möglicher Nachfolger
Gestern berichtete Religion Digital, daß Papst Franziskus „entschieden“ habe, daß die spanische Kirche größeres Gewicht an der Römischen Kurie erhalten solle:
„Daher wurde beschlossen, daß der derzeitige Weihbischof von Madrid, Juan Antonio Martínez Camino, zum neuen Präfekten für die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung ernannt wird – anstelle des polemischen Kardinals Sarah.“

Nicht nur Spaniens Kirche bekäme dadurch mehr Gewicht. Es wäre mehr noch der Jesuitenorden, der seine starke Position unter Franziskus ausbauen könnte.
Der Jesuit Martínez Camino war bereits als Bischof von Ciudad Rodrigo vorgesehen, seine Ernennung bereits unterschriftsfertig, als Kardinal Antonio Rouco Varela, der von Franziskus emeritierte Erzbischof von Madrid, seinen Weihbischof Papst Franziskus als Präfekten der römischen Gottesdienstkongregation empfohlen habe. Die Empfehlung werde auch vom Prior des Trappistenklosters von San Isidro de Dueñas unterstützt, mit dem Msgr. Martínez SJ sehr verbunden ist und in das er sich bereits für mehrere Monate zur Vorbereitung auf neue Bestimmungen zurückgezogen hatte. Auch der amtierende Erzbischof von Madrid, der 2014 von Franziskus ernannte Carlos Kardinal Osoro Sierra, habe seine Zustimmung gegeben.
Eine mit der spanischen Situation bestens vertraute Stimme wie der Blog Secretum meum mihi sieht in Msgr. Martínez SJ, sollte er Präfekt der Gottesdienstkongregation werden, den „Totengräber“ des Motu proprio Summorum Pontificum.
Sein Doktorat erwarb Martínez 1990 an der deutschen Jesuitenhochschule Sankt Georgen mit einer „ökumenischen“ Arbeit über Pannenberg und Jüngel. 1974 war er in den Jesuitenorden eingetreten, hatte 1980 die Priesterweihe empfangen und 1992 die feierlichen Ordensgelübde abgelegt. 2003 wurde er zum Generalsekretär der Spanischen Bischofskonferenz und 2007 auf Wunsch von Kardinal Rouco Varela von Benedikt XVI. zum Weihbischof von Madrid ernannt.
Religion Digital ist eine ernstzunehmende Stimme, da sie mit bestimmten Kreisen bis nach Santa Marta vernetzt ist. Sicher ist, daß einflußreiche Personen die Option Martínez vertreten. Ob diese Option mehr ist als nur deren Wunsch, wird sich zeigen.
Schon bald nach der Wahl von Papst Franziskus richtete sich in der Kirche so manche Aufmerksamkeit auf den Guineer Purpurträger. Seither gilt er nicht wenigen als Wunschkandidat. Im nächsten Konklave, auf das Papst Franziskus schon intensiv progressistisch hinarbeitet, könnte Kardinal Robert Sarah dennoch zum Kreis der „Papabili“ gehören.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL