(Rom) Kardinal Robert Sarah scheint sich der Linie von Papst Franziskus, nicht beugen zu wollen. Obwohl ihn Franziskus öffentlich demütigte und aufforderte, seine Richtlinien zur Anwendung des Motu proprio Magnum principium zurücknehmen, hat der Kardinal es bisher nicht getan. Der Grund: Er hält die Linie des Papstes für bedenklich, wenn nicht sogar gefährlich.
Problem erst geschaffen
Am 3. September erließ Papst Franziskus das Motu proprio Magnum principium, mit dem er die primäre Zuständigkeit für die Übersetzung des römischen Meßbuches (Missale Romanum) in die Volkssprachen auch Korrekturen den jeweiligen Bischofskonferenzen übertrug.
Bis zu den nachkonziliaren Liturgiereformen von 1965 und 1969 war die Sprache der heiligen Liturgie Latein. Seither wurden, wie im Protestantismus, die Volkssprachen zur Liturgiesprache oder besser zu einer Vielzahl von Liturgiesprachen.
Das Problem, um das es in Magnum principium geht, ist daher auf die gesamte Kirchengeschichte bezogen, erst jüngsten Datums. Der „Turmbau zu Babel“, wie diese nachkonziliare Entwicklung genannt wurde, wird durch das neue Motu proprio eine Stufe weiter getrieben.
Bisher lag die Entscheidung über die volkssprachlichen Übersetzungen des Missale bei Rom. Das sollte die Einheit der Kirche durch die von Rom garantierte Einheit der Inhalte trotz der Sprachenvielfalt sicherstellen. In der Praxis waren so manche Übersetzungen allerdings defizitär, allein schon wegen der Eile, mit der sie in den 70er Jahren hergestellt wurden.
Reform der Reform
Es war vor allem ein Anliegen von Joseph Kardinal Ratzinger als Glaubenspräfekt und dann auch als Papst Benedikt XVI., diese Defizite zu beseitigen. Er brachte den Niedergang von Glaube und Kirche in Europa mit dem Verlust der Sakralität in Verbindung. Mit seinen Bemühungen stieß er in progressiven Liturgikerkreisen auf wenig Gegenliebe. Sie interessierte nicht die Treue zum Original, sondern mehr Spielraum. Jede Reform der Liturgiereform wurde als „Rückschritt hinter das Konzil“ denunziert.
Das bezeichnendste Beispiel für die innerkirchlichen Widerstände ist der langjährige und noch immer nicht abgeschlossene Konflikt, zumindest die Wandlungsworte fideliter zu übersetzen, also das pro multis als „für viele“. Obwohl Benedikt XVI. sich 2006 an den Weltepiskopat wandte und seine Aufforderung 2010 eigens in deutscher Sprache bekräftigte, weil er gerade auch den Widerstand der deutschen Bischöfe überwinden wollte, werden im deutschen Sprachraum nach wie vor die Wandlungsworte „für alle“ gesprochen.
Seit Papst Franziskus regiert, sehen sich die progressiv geprägten Kräfte im Aufwind. Im Handumdrehen wurden alle deutschen Aktivitäten zur Neuübersetzung eingestellt. Was man nicht will, das sitzt man aus – sofern die andere Seite dies duldet. Franziskus duldete es.
Dezentralisierung – strukturelle Reformen
Mit dem Motu proprio Magnum principium beließ er es nicht nur bei der Duldung, sondern kam den renitenten Bischofskonferenzen sogar soweit entgegen, daß deren Standpunkt nun Gesetz der Kirche ist. Wäre da nicht ein Kardinal, der sich querlegt.
Laut der Neuregelung von Papst Franziskus sind seit 1. Oktober 120 Bischofskonferenzen für die Übersetzung des Missale in noch weit mehr Sprachen zuständig. Jede verfügt über die primäre Zuständigkeit, was offenbar auch gewisse lehramtliche Entscheidungsbefugnis mit einschließt.
Im Umfeld des Papstes wird das Motu proprio als „Dezentralisierung“ und damit als eine Form von Demokratisierung gefeiert. Strukturelle Eingriffe sind eine Priorität progressiver Kirchenkreise so wie in der Politik von Linkskreisen.
Kurz vor dessen Inkrafttreten erließ Kardinal Robert Sarah, der zuständige Präfekt der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung jedoch Richtlinien für die Anwendung von Magnum principium. Darin hob er faktisch wieder auf, was Franziskus gewährt hatte. Er betonte, daß auch weiterhin die einzige und letztliche Entscheidungsbefugnis bei Rom liegt.
In der Tat besteht die Gefahr, daß 120 Bischofskonferenzen unterschiedliche Wege gehen, was im Keim die Fraktionierung der Weltkirche in Nationalkirchen in sich birgt. Dabei können nicht nur sprachliche, sondern auch schwerwiegende inhaltliche Unterschiede auftreten. Da Staatsgrenzen häufig nicht mit den Sprachgrenzen übereinstimmen, könnten sogar innerhalb derselben Sprache verschiedene Bischofskonferenzen unterschiedlich entscheiden. Das könnte für den deutschen Sprachraum ebenso gelten wie für den englischen, spanische, französischen und etliche andere.
Abgesehen davon wird die ohnehin seit der Liturgiereform schwer ramponierte liturgische Tradition der Kirche und besonders die Reform der Reform von Benedikt XVI. bedroht.
Amoris laetitia, das abschreckende Beispiel
Kardinal Sarah wird vielleicht auch die Worte von Kardinal Walter Kasper im Ohr gehabt haben, der im Zusammenhang mit der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener erklärte, was in Afrika gutgehe, müsse nicht für Europa gutgehen. Weil die Bischofssynode 2014 nicht wie gewünscht verlief, hatte Kaspers Erstnennung dieser These sogar einen rassistischen Zungenschlag, der sich gegen Schwarzafrika richtete.
Mit dem nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia setzt Franziskus Kaspers Forderung um. Bereits heute gilt in Polen etwas anderes als im benachbarten Deutschland. Lehre und Praxis sind in der Kirche nicht mehr universal, sondern national. Was „national“ gilt, das wiederum bestimmt in der Regel die demokratische Mehrheit in der jeweiligen Bischofskonferenz. Die Zwietracht und die Spaltung, die Amoris laetitia quer durch die Kirche provoziert, gilt seither als abschreckendes Beispiel. Kardinal Sarah scheint sich dafür entschieden zu haben, diesen Weg nicht auch noch zu fördern. Als zuständiger Präfekt zeigte er sich schwer besorgt um die liturgische Einheit der Kirche, weil das Motu proprio eine regelrechte „Devolution“ der Liturgie darstellt. Von einer falsch aufgezäumten Dezentralisierung ist die Rede, einer regelrechten Abwicklung der heiligen Liturgie, die zum Spielball modischer Launen und Mehrheiten werden könnte.
Päpstliche Demütigung
Am 1. Oktober veröffentlichte L’Homme Nouveau Kardinal Sarahs Richtlinien und macht sie damit bekannt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Papst Franziskus schrieb Sarah am 15. Oktober einen Brief, mit dem er den Kardinal öffentlich demütigte, rügte und aufforderte, seine Richtlinien zurückzunehmen. Zugleich bestätigte er, was bis dahin nur befürchtet worden war. Kardinal Sarahs Richtlinien würden nicht der mens des Motu proprio entsprechen. Er wolle tatsächlich, daß die Bischofskonferenzen darüber entscheiden.
Die Übersetzungen seien auch nicht mehr an die Instruktion Liturgiam authenticam von 2001 gebunden. Darin war als entscheidendes und verbindliches Kriterium die Treue (fideliter) der Übersetzung zum verbindlichen lateinischen Original festgeschrieben worden. Nun nannte Franziskus drei Kriterien und sprach auch von „dreifacher Treue“. Mit anderen Worten: Das eigentliche Kriterium soll durch weitere Kriterien in seiner Bedeutung geschwächt werden. Die Treue zum lateinischen Original, die Treue also zur zweitausendjährigen, apostolischen Tradition sei nur mehr ein Kriterium unter mehreren. Laut Franziskus habe nun gleichwertig die „Treue“ zur Volkssprache zu gelten und die „Treue“ zur Verständlichkeit für die Adressaten. Der Inhalt tritt hinter Äußerlichkeiten zurück.
Riccardo Cascioli, Chefredakteur der Nuova Bussola Quotdiana, schrieb dazu:
“Es besteht kein Zweifel, daß es mit dem ‚Geist‘ von Magnum Principium Tendenz sein wird, sich Richtung nationaler Missale zu bewegen, die immer mehr voneinander verschieden sein werden; sich Richtung eines ‚liturgischen Geistes‘ zu bewegen, der immer weniger von allen geteilt wird“.
Franziskus verlangte, daß die katholischen Medien, die Kardinal Sarahs Richtlinien an die Öffentlichkeit gebracht hatten, nun seinen Antwortbrief zu veröffentlichen hätten.
Kardinalpräfekt hintergangen
Die Geschichte hat noch eine Geschichte in der Geschichte. Sie ist persönlicher, nicht inhaltlicher Natur. Zusammen mit der inhaltlichen Frage ergibt sie jedoch ein ziemlich beklemmendes Bild über die „römischen Zustände“ unter Papst Franziskus. Franziskus hinterging nämlich mit dem Motu proprio seinen zuständigen Minister.
Kardinal Sarah erfuhr von Magnum principium erst aus der Presse. Da Sarahs Nummer Zwei an der Gottesdienstkongregation, Kurienerzbischof Arthur Roche, das Motu proprio mit dem Papst unterzeichnete, scheint Franziskus Sarahs Untergebenen an der Kongregation sogar Anweisung erteilt zu haben, ihren direkten Vorgesetzten und zuständigen Kardinalpräfekten im Dunkeln zu lassen.
Dieses vertrauenszerstörende Verhalten des Papstes, das sich mit weiteren Episoden eines zweifelhaften Umgangs mit seinen engsten, institutionellen Mitarbeitern (nicht seinem persönlichen Hofstaat) trifft, wirft zahlreiche Fragen auf.
Tatsache ist, daß Franziskus in seinem Brief vom 15. Oktober Kardinal Sarah aufgefordert hatte, seine Richtlinien zurückzunehmen und dies schriftlich gegenüber L’Homme Nouveau und allen Bischöfen weltweit kundzutun.
Kardinal Sarah hat nichts zurückgenommen
Seither ist ein Monat vergangen und Kardinal Sarah hat bisher nichts davon getan. L’Homme Nouveau bestätigte gestern, bisher kein solches Schreiben des Kardinals erhalten zu haben.
Die rechtliche Relevanz des päpstlichen Schreibens an den Kardinal werden Juristen zu prüfen haben. Da er darin den Kardinal aufforderte, die Richtlinien zurückzunehmen, wurde sie mit dem Papstbrief nicht aufgehoben, selbst dann nicht, wenn dieser Brief eine normsetzende Kraft hätte. Damit gilt seit dem 1. Oktober das Motu proprio Magnum principium mit den Richtlinien zur Anwendung von Kardinal Sarah.
Ein Nachtrag: Bereits nach der Weihnachtsansprache von 2014 wurde Franziskus nachgesagt, gegenüber seinen Mitarbeitern an der Römischen Kurie kein „Vater“ zu sein. Die Entlassung von Kardinal Gerhard Müller und der Umgang mit Kardinal Robert Sarah haben diese Stimmen weiter angeheizt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Kardinal Sarah – Gott möge ihn segnen und beschützen.
Papst Franziskus wird sich schon eine Strafe für Kardinal Sarah einfallen lassen.
Dem mutigen Kardinal wünsche ich Kraft und den Beistand Gottes.
Auch wenn wir es nie erfahren – mich würde dennoch interessieren, wie andere Kardinäle zu dieser Angelegenheit stehen. Bewundern sie insgeheim den Mut ihres Kardinalkollegen und schämen sie sich ihres eigenen Stillhaltens oder empfinden sie ihn als Störenfried?
Das Depositum Fidei drückt sich Nirgends wesentlicher aus, als in der Zelebration der Hl. Messe. Die Übersetzung der Messbücher kann daher in der RKK nicht alleinige Sache von Landes-Bischofskonferenzen sein, denn das wäre ein Wiederspruch für die konstituierende kirchliche Einheit in sich. Ein Mann mit einer nicht geringen Verantwortung für die Kirche, wie Sarah, kann nicht zweideutigen Anweisungen folgen, solange die Interpretaionsspielräume von Erlässen so sind, wie sie sind. Eine Klärung von zweideutigen Erlässen, kann auch nur im Angesicht der zuständigen Personen erfolgen, nicht über Dritte, oder Medien. Es ist daher nur legitim, derartiges als Irrelevant zu betrachten.