
(Rom) Kardinal Robert Sarah, der Präfekt der römischen Gottesdienstkongregation, ist der einzige Synodale der bevorstehenden Amazonassynode, der als bekannter Verteidiger der Glaubenslehre und der apostolischen Tradition international bekannt ist. Nach dem jüngsten Interview von Kardinal Raymond Burke, der nicht an der Synode teilnehmen kann, sagt auch Kardinal Sarah in einem Interview, „schockiert und empört“ zu sein, „daß die geistliche Not der Armen der Amazonas-Region zum Vorwand genommen wird, um typische Projekte eines bourgeoisen und verweltlichen Christentums zu vertreten“. Das Interview führte Edward Pentin für den National Catholic Register.
Am 6. September ist das jüngste Buch von Kardinal Robert Sarah erschienen: „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden“ (Fe-Verlag).
„Dieses Buch ist der Schrei meines Herzens als Priester und Hirte.“
Im Mittelpunkt der heutigen Krise der Kirche und ihres Niedergangs im Westen stehe der „Rückgang des Glaubens an die Realpräsenz Jesu Christi in der heiligen Eucharistie“. Kardinal Sarah wird dabei deutlich und benennt die Verantwortlichen „für die Glaubenskrise, die Kirchenkrise, die Priesterkrise und die Entchristlichung des Westens“. Es handle sich dabei nicht um ein Naturphänomen, sondern um ein konkretes Versagen durch Bischöfe, Priester und Laien.
„Fließender Atheismus ist in die Kirche eingedrungen“
Heute gebe es einen „fließenden Atheismus, der sogar in die Kirche eingedrungen ist“, so der Kardinal, der wenige Tage vor Synodenbeginn gnadenlos die inneren Probleme der Kirche beim Namen nennt: Sie reichen von der „Egozentrik in der Liturgie“ über das Interpretationschaos bei Amoris laetitia bis zu den Versuchen, die Amazonassynode „zu manipulieren“.
Der „fließende Atheismus“ infiziere nicht nur die Welt, sondern auch die Menschen in der Kirche:
„Die tiefe Krise der Kirche in der Welt und insbesondere im Westen ist die Folge, weil Gott vergessen wurde. Wenn unsere erste Sorge nicht Gott ist, dann bricht alles zusammen. An der Wurzel aller anthropologischen, politischen, sozialen, kulturellen und geopolitischen Krisen liegt das Vergessen, daß in allem Gott Vorrang hat. Ich habe versucht, in meinem Buch zu zeigen, daß die gemeinsame Wurzel aller gegenwärtigen Krisen in diesem fließenden Atheismus liegt, der, ohne Gott zu leugnen, in der Praxis so lebt, als gäbe es ihn nicht.“
Konkret heiße das:
„Ich spreche von diesem Gift, dem fließenden Atheismus, dessen Opfer wir alle sind. Er infiltriert alles, auch unser Sprechen als Priester. Er besteht darin, neben dem Glauben Denk- und Lebensweisen zuzulassen, die radikal heidnisch und weltlich sind.“
Selbst Priester und Gläubige gelangen schleichend zur Überzeugung, daß dieses unnatürliche Zusammenleben normal sei.
„Das zeigt, daß unser Glaube fließend und inkonsistent geworden ist! Die erste anzustrebende Reform muß die in unseren Herzen sein. Sie besteht darin, keinen Pakt mehr mit Lügen einzugehen. Der Glaube ist sowohl der Schatz, den wir verteidigen wollen, als auch die Stärke, die es uns ermöglicht, ihn zu verteidigen.“
Diese Bewegung, „Gott beiseite zu legen“ und zur zweitrangigen Realität zu degradieren, habe „leider die Herzen von Priestern und Bischöfen erfaßt“, so der Kardinal.
„Gott steht nicht mehr im Mittelpunkt ihres Lebens, Denkens und Handelns. Das Gebetsleben spielt keine zentrale Rolle mehr.“
„Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte der Kirche“
Die Konsequenz, die nicht ausbleiben könne, sei eine schwere Krise der Kirche.
„Ich glaube, wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte der Kirche. Ja, die Kirche braucht eine tiefgreifende und radikale Erneuerung, die mit einer Erneuerung des Seins und der Lebensweise der Priester beginnen muß. Die Kirche an sich ist heilig, aber wir verhindern durch unsere Sünden und weltlichen Sorgen, daß diese Heiligkeit leuchtet. Es ist Zeit, all diese Lasten aufzugeben und die Kirche endlich so erscheinen zu lassen, wie Gott sie geformt hat. Manchmal wird angenommen, die Geschichte der Kirche sei von Strukturreformen geprägt. Ich dagegen bin sicher, daß die Heiligen die Geschichte verändern. Die Strukturen folgen erst danach und verewigen nur das Handeln der Heiligen.“
„Die Barbaren sind heute in der Stadt“
Der Titel seines neuen Buches sei dunkel, „aber er ist realistisch“.
„Wir sehen die gesamte westliche Zivilisation zusammenbrechen. 1978 veröffentlichte der Philosoph John Senior das Buch ‚Der Tod der christlichen Kultur‘. Wie die Römer des vierten Jahrhunderts sehen wir die Barbaren die Macht übernehmen. Doch diesmal kommen die Barbaren nicht von außen, um die Städte anzugreifen. Die Barbaren sind drinnen. Es sind jene Individuen, die ihre eigene menschliche Natur ablehnen, die sich schämen, begrenzte Geschöpfe zu sein, die sich als Demiurgen ohne Väter und ohne Erbe betrachten wollen. Das ist wahre Barbarei. Im Gegensatz dazu ist der zivilisierte Mensch sogar stolz und glücklich, ein Erbe zu sein. Der zivilisierte Mensch ist grundsätzlich ein Erbe: Er erhält eine Geschichte, eine Religion, eine Sprache, eine Kultur, einen Namen, eine Familie“.
„Indem sich der moderne Mensch sich weigert, Erbe zu sein, verdammt er sich zur Hölle der liberalen Globalisierung, in der die individuellen Interessen ausschließlich nach dem Gesetz des Profits um jeden Preis aufeinanderprallen.“
„Die falschen Propheten“
Laut dem Präfekten der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung herrscht in der Kirche extreme Verwirrung.
„Wir stehen vor einer regelrechten Kakophonie von Bischöfen und Priestern. Jeder möchte seine persönliche Meinung als Wahrheit durchsetzen. Aber es gibt nur eine Wahrheit: Christus und seine Lehre. Wie könnte sich die Lehre der Kirche ändern? Das Evangelium ändert sich nicht. Es ist immer das gleiche. Unsere Einheit kann nicht auf modischen Meinungen beruhen.“
Ein Grund für diese Zerrissenheit innerhalb der Kirche seien die unterschiedlichen Auslegungen der umstrittensten Teile von Amoris Laetitia durch verschiedene Bischöfe und Bischofskonferenzen. Deshalb wurden Dubia vorgebracht, auf die Papst Franziskus bis heute aber keine Antwort gegeben hat. Kardinal Sarah sagt dazu:
„Manche Leute benutzen Amoris laetitia, um sich den großen Lehren von Johannes Paul II.zu widersetzen. Sie irren sich. Was gestern wahr war, ist auch heute wahr. Wir müssen daran festhalten, was Benedikt XVI. die Hermeneutik der Kontinuität nannte. Die Einheit des Glaubens impliziert die Einheit des Lehramtes in Raum und Zeit. Wenn uns eine neue Lehre gegeben wird, muß diese immer in Übereinstimmung mit der vorherigen Lehre interpretiert werden.“
Und weiter :
„Wenn wir Brüche einführen, zerbrechen wir die Einheit der Kirche. Jene, die lautstark Revolutionen und radikale Veränderungen ankündigen, sind falsche Propheten. Sie suchen nicht das Wohl der Herde. Sie suchen die Popularität der Medien zum Preis der göttlichen Wahrheit. Lassen wir uns nicht beeindrucken. Nur die Wahrheit wird uns frei machen. Wir müssen Vertrauen haben. Das Lehramt der Kirche widerspricht sich nie.“
„Die Banalisierung des Altars ist zur geistlichen Katastrophe geworden“
Starke Worte findet der Kardinal aus Guinea besonders, wenn er über die Liturgie spricht, für die er als zuständiger Präfekt besondere Verantwortung trägt, aber schon seit Jahren von Papst Franziskus isoliert und übergangen wird.
„Wenn wir Gott in der Liturgie nicht mehr in den Mittelpunkt stellen, stellen wir ihn auch nicht mehr in den Mittelpunkt der Kirche.“
„Wir haben die Messe zu einer durch und durch menschlichen und egoistischen Feier gemacht, zu einer sich selbst feiernden, Freundschafts-Versammlung.“
Die dahinterstehende „Ideologie“ sei in Frage zu stellen, „die in den Jahren nach dem Konzil in Diözesen, Pfarreien, Hirten und Seminare eingedrungen ist.“
„Wir haben gedacht, das Heilige sei obsolet geworden. In Wirklichkeit ist es eine absolute Notwendigkeit auf unserem Weg zu Gott. In diesem Sinne war die Banalisierung des Altars und des ihn umgebenden heiligen Raums eine geistliche Katastrophe. Wenn der Altar nicht mehr die heilige Schwelle ist, hinter der Gott wohnt, wie sollten wir die Freude finden, uns ihm zu nähern? Eine Welt, die das Heilige ignoriert, ist eine uniforme, platte und triste Welt. Indem wir unsere Liturgie geplündert haben, haben wir die Welt entzaubert und die Seelen zur platten Traurigkeit verdammt.“
Auch die Personalisierung der Zelebration durch die Priester nimmt Kardinal Sarah ins Visier:
„Wenn die Liturgie das Werk Christi ist, besteht keine Notwendigkeit, daß der Zelebrant seine eigenen Kommentare abgibt. Es ist nicht die Vielzahl von Formeln und Optionen sowie die ständige Veränderung der Gebete und ein Überschwang an liturgischer Kreativität, die Gott gefällt, sondern die Metanoia , die radikale innere Umkehr und Buße in unserem Leben und unserem Verhalten, das ernsthaft durch die Sünde verschmutzt und vom fließenden Atheismus geprägt ist.“
„Der Teufel will, daß wir ersticken, deshalb bekämpft er den überlieferten Ritus“
Gegen die Behinderung oder gar Verbote der heiligen Messe in der überlieferten Form des Römischen Ritus findet Kardinal Sarah harte Worte.
„Ich bin Zeuge, und die jungen Leute haben mir anvertraut, daß sie die außerordentliche Form, die lehrreicher ist und eindeutig auf den Primat und die Zentralität Gottes, auf das Schweigen und die Bedeutung der heiligen und göttlichen Transzendenz beharrt, absolut bevorzugen. Vor allem aber: Wie könnten wir verstehen, wie könnten wir nicht überrascht und zutiefst geschockt sein, daß das, was gestern die Regel war, heute verboten sein sollte? Ist es nicht vielmehr wahr, daß das Verbot oder die Verdächtigung der außerordentlichen Form nur vom Teufel inspiriert sein kann, der will, daß wir ersticken, und der unseren geistlichen Tod will?“
Der Präfekt für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung sieht ein fruchtbares Zusammenleben zwischen den beiden Formen des Ritus. Dabei erstaune es ihn nicht, daß der überlieferte Ritus eine Anziehung entfaltet.
„Wie können wir überrascht sein, daß eine Liturgie, die so viele Heilige hervorgebracht hat, weiterhin die jungen, nach Gott dürstenden Seelen anlächelt?“
Es bedeute, die Kirche zu zerstören, indem man sie von ihrer Tradition trennt, wenn man meine, daß das, was die Kirche in der Vergangenheit für heilig hielt, heute falsch und inakzeptabel sei.
„Was für ein Betrug und eine Beleidigung für alle Heiligen, die uns vorausgegangen sind!“
„Transhumanismus ist der extreme Avatar der Gender-Ideologie“
In seinem neuen Buch geht der Kardinal auch ausführlich auf schädliche Auswirkungen auf die Gesellschaft ein.
„In diesem Buch betone ich, daß es im Herzen des modernen, westlichen Denkens eine Weigerung gibt, Kind zu sein, eine Weigerung, Vater zu sein, was im Grunde eine Ablehnung von Gott ist. In den Tiefen des westlichen Herzens ist eine tiefe Revolte gegen die schöpferische Vaterschaft Gottes zu erkennen. Wir empfangen von Ihm unsere Natur als Männer und Frauen. Das ist für moderne Köpfe unerträglich geworden. Die Gender-Ideologie ist eine luziferische Weigerung, das Geschlecht von Gott zu empfangen. Sie akzeptiert nur das, was sie selbst konstruiert. Der Transhumanismus ist der extreme Avatar dieser Bewegung. Selbst die menschliche Natur wird für den westlichen Menschen unerträglich, weil sie ein Geschenk Gottes ist. Dieser Aufstand ist in seinem Kern ein geistlicher. Es ist der Aufstand Satans gegen das Geschenk der Gnade.“
Die Armen des Amazonas werden für ein bourgeoises Christentum mißbraucht
Zur Amazonassynode, die am 6. Oktober in Rom beginnt, und an der Kardinal Sarah von Amts wegen als Synodale teilnehmen wird, hegt der Kardinalpräfekt zahlreiche Zweifel:
„Ich befürchte, daß einige westliche Vertreter diese Versammlung in Beschlag nehmen werden, um ihre Projekte durchzusetzen. Ich denke insbesondere an die Priesterweihe von verheirateten Männern, die Schaffung von Diensten für Frauen oder die Jurisdiktion der Laien. Diese Punkte betreffen die Struktur der Weltkirche. Sie können nicht von einer bestimmten, lokalen Partikularsynode diskutiert werden. Die Bedeutung dieser Themen erfordert die ernsthafte und bewußte Teilnahme aller Bischöfe der Welt. Nur sehr wenige sind zu dieser Synode eingeladen. Eine bestimmte Synode zu nutzen, um diese ideologischen Projekte einzuführen, wäre eine unwürdige Manipulation, eine unehrlicher Betrug und eine Beleidigung Gottes, der Seine Kirche leitet und ihr Seinen Heilsplan anvertraut. Darüber hinaus bin ich schockiert und empört darüber, daß die spirituelle Not der Armen im Amazonasgebiet zum Vorwand für Projekte genommen wird, die typisch für das bourgeoise und weltliche Christentum sind.“
Zu diesen Projekten gehört die Abschaffung des Zölibats:
„Der Zölibat ist eine konkrete Weise, wie wir das Geheimnis des Kreuzes in unserem Leben leben können. Der Zölibat prägt das Kreuz in unser Fleisch ein. Aus diesem Grund ist der Zölibat für die moderne Welt unerträglich. Der priesterliche Zölibat ist für die Moderne ein Skandal, denn das Kreuz ‚ist denen, die verlorengehen, Torheit“ (1 Kor 1,18). Einige westliche Vertreter können diesen Skandal des Kreuzes nicht länger tolerieren. Ich denke, er ist für sie zum unerträglichen Vorwurf geworden. Am Ende hassen sie das Priestertum und den Zölibat.“
„Das Gebet läßt Satan zittern“
Zum Abschluß ruft Kardinal Sarah noch zur Demut im Gebet auf:
„Ein Mensch auf den Knien ist mächtiger als die Welt. Er ist ein uneinnehmbares Bollwerk gegen den Atheismus und den Wahnsinn der Menschen. Ein kniender Mensch bringt den Stolz Satans zum Zittern. Ihr alle, die ihr in den Augen der Menschen ohne Macht und Einfluß seid, bleibt vor Gott auf den Knien und habt keine Angst vor denen, die euch einschüchtern wollen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
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