Sexuelle Belästigung: Ehemaliger Nuntius von Frankreich steht im November vor Gericht

Neue Mißbrauchsanzeige gegen McCarrick


Die Fälle McCarrick und Ventura sind nicht die einzigen, die das Pontifikat überschatten, dennoch verschließt Papst Franziskus vor dem Zusammenhang Homosexualität und Mißbrauch die Augen.
Die Fälle Ventura (links) und McCarrick (rechts mit einem Jungen) sind nicht die einzigen, die das Pontifikat überschatten, dennoch verschließt Papst Franziskus vor dem Zusammenhang Homosexualität und Mißbrauch die Augen.

(New York/​Paris) In den USA wur­de eine wei­te­re Anzei­ge wegen sexu­el­len Miß­brauchs gegen den ehe­ma­li­gen Kar­di­nal Theo­do­re McCar­ri­ck ein­ge­bracht. In Frank­reich beginnt im kom­men­den Novem­ber der Pro­zeß wegen sexu­el­ler Belä­sti­gung gegen den ehe­ma­li­gen Apo­sto­li­schen Nun­ti­us Lui­gi Ven­tura. In bei­den Fäl­len han­delt es sich um homo­se­xu­el­le Taten. Doch San­ta Mar­ta und auch Bischofs­kon­fe­ren­zen machen wei­ter­hin einen gro­ßen Bogen um das Skan­dal­the­ma Homo­se­xua­li­tät und Mißbrauch.

Der Fall McCarrick

Anzei­ge

Theo­do­re McCar­ri­ck, der frü­he­re Kar­di­nal und eme­ri­tier­te Erz­bi­schof von Washing­ton, der im ver­gan­ge­nen Jahr wegen sexu­el­len Miß­brauchs von Min­der­jäh­ri­gen und Semi­na­ri­sten aus dem Prie­ster­stand aus­ge­schlos­sen und lai­siert wur­de, ist Gegen­stand einer neu­en Anzei­ge im Staat New Jer­sey. Auch in die­sem Fall wird er des homo­se­xu­el­len Miß­brauchs von Min­der­jäh­ri­gen bezich­tigt. Die Tat habe sich laut Anzei­ge in einem Strand­haus vor 40 Jah­ren ereig­net. McCar­ri­ck wur­de vor kur­zem 90.

Loka­le Medi­en berich­te­ten am Mitt­woch über die neue Anzei­ge. Sie wird unter dem Pseud­onym eines Man­nes behan­delt, der angibt, zwi­schen 1982 und 1983 im Alter von 14 Jah­ren erst­mals von McCar­ri­ck zusam­men mit einem ande­ren Jun­gen in ein Strand­haus in Sea Girt mit­ge­nom­men wor­den zu sein, um dort die Wochen­en­den zu ver­brin­gen. Dort habe sich McCar­ri­ck unter den ein­ge­la­de­nen Jun­gen, Semi­na­ri­sten und Prie­stern sei­ne Opfer aus­ge­sucht, so die Tages­zei­tung New York Dai­ly News. Auch der damals 14-Jäh­ri­ge sei dort erst­mals gegen sei­nen Wil­len von McCar­ri­ck miß­braucht worden.

Jeff Ander­son, der Rechts­an­walt des Opfers bezich­tig­te bei einer Pres­se­kon­fe­renz den ehe­ma­li­gen Kar­di­nal, der von einem ande­ren kle­ri­ka­len Miß­brauchs­tä­ter als „Boss“ bezeich­net wur­de, in sei­nem Strand­haus einen „Sex­ring“ betrie­ben zu haben. Es gehe dabei nicht nur um den Umstand, daß McCar­ri­ck zahl­rei­che ver­schie­de­ne Opfer zu unter­schied­li­chen Zei­ten dort hin­lo­ck­te, son­dern Opfer auch ande­ren kle­ri­ka­len Tätern zuge­führt habe. Die neue Anzei­ge rich­tet sich des­halb nicht nur gegen Mac­Car­ri­ck, son­dern auch gegen andere. 

McCar­ri­ck war damals erster Bischof des 1981 neu­errich­te­ten Bis­tums Metu­chen im Staat New Jer­sey und als sol­cher Suf­fra­gan des Erz­bi­schofs von Newark. Die­sen Erz­bi­schofs­stuhl bestieg McCar­ri­ck 1986 selbst, ehe er 2000 sogar als Erz­bi­schof von Washing­ton in die Bun­des­haupt­stadt der USA beför­dert wur­de. Damit ver­bun­den wur­de ihm 2001 auch die Kar­di­nals­wür­de ver­lie­hen, die ihm Papst Fran­zis­kus im Som­mer 2018 wie­der ent­zog, nach­dem die New York Times über das homo­se­xu­el­le Dop­pel­le­ben McCar­ri­cks samt Miß­brauchs­vor­wür­fen berich­tet hatte.

Wegen der päpst­li­chen Reak­ti­on auf die­se Ent­hül­lung kam es zur bis­her größ­ten Kri­se des der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats. Der Hei­li­ge Stuhl schien auf die Berich­te der New York Times mit der Aberken­nung der Kar­di­nals­wür­de und der Ein­lei­tung eines kano­ni­schen Ver­fah­rens schnell und tat­kräf­tig zu reagie­ren. Man habe bis­her von den Vor­wür­fen nichts gewußt, wur­de von San­ta Mar­ta beteu­ert. Hät­te er frü­her davon erfah­ren, so Fran­zis­kus, hät­te er natür­lich eher reagiert. Das empör­te den ehe­ma­li­gen Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in den USA, Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò, der Fran­zis­kus Heu­che­lei vor­warf. Er selbst, ließ der Nun­ti­us in einem detail­lier­ten Dos­sier wis­sen, habe Fran­zis­kus als offi­zi­el­ler Bot­schaf­ter des Hei­li­gen Stuhls in den USA bereits im Juni 2013 über ent­spre­chen­de Vor­wür­fe gegen McCar­ri­ck unter­rich­tet. Statt­des­sen habe er zu sei­nem Erstau­nen beob­ach­ten müs­sen, daß Fran­zis­kus McCar­ri­ck reha­bi­li­tier­te und von den Sank­tio­nen befrei­te, die ihm Papst Bene­dikt XVI. auf­er­legt hat­te, und in Ange­le­gen­hei­ten der Kir­che in den USA zu sei­nem maß­geb­li­chen und ein­fluß­rei­chen Rat­ge­ber mach­te. Zugleich zeig­te der ehe­ma­li­ge Nun­ti­us das homo­phi­le Netz­werk auf, das McCar­ri­ck und Gleich­ge­sinn­te geschaf­fen hatten.

Erz­bi­schof Viganò, der sich seit­her zum Schutz sei­ner Per­son an einem unbe­kann­ten Ort auf­hält, zeig­te sich über­zeugt, daß Fran­zis­kus auf Zuruf der New York Times han­del­te und einen sol­chen Skan­dal nur auf­grund der wohl­wol­len­den Hal­tung der welt­li­chen „Leit­me­di­en“ über­ste­hen konn­te. So attackier­te die New York Times, das ein­fluß­reich­ste Medi­um der Welt, die den Fall McCar­ri­ck los­ge­tre­ten hat­te, im Dezem­ber 2018 die Kri­ti­ker des päpst­li­chen Vor­ge­hens und warf ihnen eine „Kon­spi­ra­ti­on zum Sturz von Papst Fran­zis­kus“ vor.

Der Fall Ventura

Im Mit­tel­punkt eines ähn­li­chen Skan­dals wie McCar­ri­ck steht der ehe­ma­li­ge Apo­sto­li­sche Nun­ti­us in Frank­reich, Msgr. Lui­gi Ven­tura. In sei­nem Fall geht es nicht um sexu­el­len Miß­brauch, son­dern um sexu­el­le Belästigung. 

Im ver­gan­ge­nen Jahr wur­den ent­spre­chen­de Vor­wür­fe der homo­se­xu­el­len Belä­sti­gung gegen ihn erho­ben. Am kom­men­den 10. Novem­ber muß sich der inzwi­schen 75jährige Vati­kan­di­plo­mat in Ruhe dafür vor einem fran­zö­si­schen Gericht verantworten.

Meh­re­re Män­ner wer­fen ihm vor, er habe sie unsitt­lich berührt.

Um die Straf­ver­fol­gung mög­lich zu machen, wur­de vom Vati­kan im Juli 2019 Ven­turas Immu­ni­tät als Diplo­mat auf­ge­ho­ben. Wie bei der Aberken­nung von McCar­ri­cks Kar­di­nals­wür­de han­delt sich auch bei der Aus­lie­fe­rung Ven­turas um einen Prä­ze­denz­fall. Mit Errei­chung des kano­ni­schen Alters von 75 Jah­ren wur­de Ven­tura im Dezem­ber 2019 von sei­nem Dienst ent­bun­den und als Bot­schaf­ter in Frank­reich emeritiert.

Seit 1995 war er im Rang eines Nun­ti­us, das heißt eines Bot­schaf­ter des Hei­li­gen Stuhls, in ver­schie­de­nen Staa­ten tätig, dar­un­ter Chi­le und Kana­da und zuletzt seit 2009 in Frankreich.

Der Rechts­bei­stand von Msgr. Ven­tura, Bert­rand Olli­vi­er, ver­si­cher­te, daß der ehe­ma­li­ge Nun­ti­us im Gerichts­saal anwe­send sein wer­de, „um sei­ne Ehre und sei­ne Unschuld zu verteidigen“.

Von einem „Sieg“ sprach hin­ge­gen Jade Dous­se­lin, Rechts­ver­tre­ter eines der Klä­ger. „Die Staats­an­walt­schaft macht sich zu eigen, was wir von Anfang an gesagt haben, und ermu­tigt die Opfer, Anzei­ge zu erstatten“.

Die erste Anzei­ge gegen Msgr. Ven­tura wur­de im Febru­ar 2019 ein­ge­bracht, als ein Saal­die­ner erklär­te, der vati­ka­ni­sche Bot­schaf­ter habe ihm bei einem Emp­fang im Pari­ser Rat­haus an das Gesäß gefaßt.

Kurz dar­auf beschul­dig­ten zwei wei­te­re Män­ner den Nun­ti­us der­sel­ben Tat. Die Vor­fäl­le hät­ten sich 2018 ereig­net. Wenig spä­ter folg­te noch die Anzei­ge eines vier­ten Man­nes zu einem Vor­fall, der sich in Kana­da zuge­tra­gen habe.

Ven­tura, der 1969 zum Prie­ster geweiht wur­de, stu­dier­te Kir­chen­recht. Er absol­vier­te die Päpst­li­che Diplo­ma­ten­aka­de­mie und trat 1978 in den diplo­ma­ti­schen Dienst des Hei­li­gen Stuhls. Er arbei­te­te, nach ersten Ein­sät­zen an den Apo­sto­li­schen Nun­tia­tu­ren in Bra­si­li­en, Boli­vi­en und Groß­bri­tan­ni­en, ein Jahr­zehnt am vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at in Rom. Anschlie­ßend erfolg­te 1995 die Beför­de­rung zum Apo­sto­li­schen Nuntius.

Päpstliches Schweigen

Obwohl die Fak­ten erdrückend sind, wird der Zusam­men­hang zwi­schen Homo­se­xua­li­tät und Miß­brauch in San­ta Mar­ta igno­riert: Die kle­ri­ka­len Miß­brauchs­tä­ter sind vor­wie­gend homo­se­xu­ell, 80 Pro­zent aller Miß­brauchs­op­fer sind männ­lich. Als häu­fig­ster Grund für das Ver­hal­ten von Papst und Bischö­fen wird Angst vor einem Kon­flikt mit der Homo­lob­by ver­mu­tet. Der Wunsch, einen Zusam­men­prall mit dem Zeit­geist zu ver­mei­den, ist ein Grund­ele­ment der der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats, den­noch dürf­te es noch wei­te­re Grün­de geben.

Obwohl das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt nach den Anschul­di­gun­gen von Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò gegen Papst Fran­zis­kus erklär­te, die im Vati­kan vor­han­de­nen Unter­la­gen zum Fall McCar­ri­ck im Okto­ber 2018 zu ver­öf­fent­li­chen, ist das bis heu­te nicht geschehen.

Was sind die Grün­de, daß der Vati­kan zwei Jah­re braucht, um einen Per­so­nal­akt zu sich­ten und wie ver­spro­chen publik zu machen? Und das, obwohl im Sep­tem­ber 2018 Erz­bi­schof Viganò vom Hei­li­gen Stuhl bezich­tigt wur­de, die Unwahr­heit gesagt zu haben und die im Vati­kan vor­han­de­nen Unter­la­gen bestä­ti­gen wür­den, daß Papst Fran­zis­kus nichts von McCar­ri­cks Machen­schaf­ten gewußt und in allem rich­tig gehan­delt habe.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​NJTS (Screen­shot)

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