Durch den Pennsylvania-Bericht vom 15. August wurde in der katholischen Kirche eine Lawine losgetreten, von der viele hoffen, daß sie eine reinigende sein wird. Die Herausforderung lautet: Homosexualität in der Kirche. Der RAI-Vatikanist Aldo Maria Valli, seit der Veröffentlichung des umstrittenen nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia ein offener Kritiker der Amtsführung von Papst Franziskus, griff in seinem Artikel „Der Ex-Seminarist und der Theologe: Botschaften für den Wiederaufbau aus der Wahrheit“ zwei von zahlreichen Wortmeldungen auf. Eine stammt von einem ehemaligen Seminaristen in Nordamerika, die andere von einem Theologen und Mißbrauchsopfer in Europa.
Der Seminarist
Paul Wood wandte sich schriftlich an die Kanadische Bischofskonferenz mit der Frage, welche Maßnahmen die Bischöfe gegen „die unleugbare Praxis der hemmungslosen Homosexualität und des sexuellen Mißbrauchs in unseren Pfarreien, Schulen und Seminaren“ zu ergreifen gedenken.
Eine Kopie seines Schreibens, das in besonderer Weise an den Erzbischof von Toronto, Kardinal Thomas Collins, adressiert ist, ging an einen Rechtsanwalt. Anstoß war das große Aufsehen, das der Fall des nunmehrigen Ex-Kardinals Theodore McCarrick und das Dossier des früheren Apostolischen Nuntius in den USA, Msgr. Carlo Maria Viganò, auslösten. „Das Schreiben will aber vor allem von der eigenen Erfahrung berichten“, so Valli.
Wood ist heute Lehrer. Er verfügt über einen Hochschulabschluß in Literaturwissenschaften, einen Master in Religionswissenschaften und einen weiteren in Theologie. Er war aber auch einmal Seminarist am St. Augustine’s Seminary, dem Priesterseminar des Erzbistums Toronto. Das war 1980/1981, und über diese Zeit schreibt er.
Er schildert, daß damals homosexuelle Aktivitäten im Priesterseminar geradezu selbstverständlich waren, und berichtet von den häufigen Homo-Orgien, die von Father John Tulk organisiert wurden. Waren Seminaristen darüber erstaunt oder entsetzt, antwortete ihnen der damalige Regens, Father Brian Clough, kurz angebunden:
„Wenn es euch nicht paßt, dann geht“.
Wood ging.
Zuvor hatte er aber sich vergebens an den damals für das Priesterseminar zuständigen Weihbischof Aloysius Ambrozic gewandt. Eine Reaktion erhielt er nicht. Der Slowene Ambrozic (1930–2011) war mit seiner Familie bei Kriegsende vor den Kommunisten nach Österreich geflüchtet, wo er drei Jahre lebte, bis die Familie nach Kanada auswanderte. Von 1960 bis zu seiner Ernennung zum Weihbischof durch Papst Paul VI. im Jahr 1976 gehörte er selbst zum Lehrkörper des Priesterseminars von Toronto, wo er etliche Jahre das Amt des Dekans bekleidete. 1990 wurde er Erzbischof von Toronto.
Wood mahnt die Bischöfe in seinem Schreiben: Was er erleben mußte, sei der Weg, den die Bischöfe nicht mehr gehen dürfen.
„Wir wissen, daß das Problem die Homosexualität ist. Ich verfüge über zwei Master und ich weiß, was geschieht. Meine Berufung und die vieler anderer, braver Priesteramtskandidaten wurde durch die Homosexualität und die homophilen Regenten zerstört. Niemand kann behaupten, ich sei voreingenommen gewesen oder hätte schlechte Absichten gehabt. Ich war fromm, vorbereitet und andächtig.“
Wood kommt dann zur Sache:
„Ich habe noch keinen Bischof oder Priester gehört, der gegen die Homosexualität gesprochen hat.“
Ganz im Gegenteil. In der Kirche gebe es ein verbreitetes Homo-Milieu. Die Vertuschung, die Akzeptanz, ja sogar die Förderung der Homosexualität in der Kirche habe ein solches Ausmaß angenommen, daß manche der Meinung seien, man wolle sie schon als etwas „Normales“ betrachten. Dazu Wood:
„Wir werden das aber nicht länger dulden“.
Viele, auch er, seien entsetzt über die mangelnde Sensibilität des Klerus gegenüber den unzähligen Opfern des homosexuellen Mißbrauchs durch Kleriker.
„Wenn einige von uns“, so Wood, die zuständigen Stellen auf diesen Zustand aufmerksam machten, „wurden wir als ‚unvernünftig, unreif, rückwärtsgewandt oder Nervensägen‘ abgetan.
Daher sandte Wood den Bischöfen eine unmißverständliche Botschaft: Auch wenn es für die Bischöfe schwierig sein mag, weil sie es fürchten, gegen den Zeitgeist auftreten zu müssen, gehört es zu ihren Aufgaben, sich dem Problem der homosexuellen Kleriker zu stellen, die mit ihrem Verhalten gegen die Lehre und die Ordnung der Kirche verstoßen oder sogar zu sexuellen Mißbrauchstätern werden.
Die Bischöfe scheinen, so Wood, aber leider nicht um das Leben so vieler besorgt, die durch Kleriker zerstört wurden, auch nicht um die Milliarden, die für Gerichtsspesen und Schmerzensgeld ausgegeben werden müssen.
„Jeder Atheist wäre angewidert von dieser ständigen Vergewaltigung unserer Jugend und hätte sie sofort abgestellt. Ihr aber, im Namen der Kirche und der christlichen Nächstenliebe, habt es nicht getan.“
„Was glaubt ihr, was wir Katholiken angesichts der eiskalten Weigerung, die Jugend zu schützen, und der Aufforderung, über die Menschenleben zerstörenden Taten zu schweigen, empfinden? Wir wissen, daß ihr euch alle der Realität bewußt seid, weil wir euch informiert haben.“
Wood weiter:
„Ich selbst habe Fotos von McCarrick nackt auf allen Vieren im Bett eines Seminaristen gesehen.“
Dennoch konnte McCarrick, so Valli, „jahrelang, ja jahrzehntelang“ so weitermachen, ohne daß ein anderer Bischof eingegriffen hätte.
„Wird die Kirche endlich dazu zurückkehren und zur Homosexualität wieder lehren, was sie immer gelehrt hat?“
Die Gläubigen seien nun „sehr informiert, empört und um unsere Kirche und unser Volk besorgt, und wie es scheint, mehr als ihr. Ihr müßt handeln. Ihr seid dabei, unsere Kirche sinnlos und zu einem Paradies für Schwule zu machen. Homophile Bischöfe und Kardinäle wie Kardinal Joseph Tobin, P. James Martin, Kardinal Kevin Farrell und andere mehr zu ermutigen, hilft nichts.“
„Dieses Mal werden wir nicht gehen. Wir haben euch 50 Jahre vertraut. Jetzt nicht mehr! Wir werden es nicht mehr dulden, daß alles zugedeckt und unsere Eingaben zurückgewiesen werden, damit der Schmutz fortgesetzt werden kann. Antwortet uns daher bitte, was ihr gegen die homosexuellen Aktivitäten des Klerus der Kirche zu unternehmen beabsichtigt, und wie ihr über die Morallehre der Kirche predigen wollt, um die homosexuellen Umtriebe des Klerus zu verurteilen.“
Der Theologe
Als zweites Beispiel wählte Valli die Anklagen des deutschen Theologen und Juristen Markus Büning, der mit Nachdruck davor warnt, im „Klerikalismus“ die Wurzel für das Mißbrauchsdrama zu sehen. Diese These wird von Papst Franziskus in seinem Schreiben an das Volk Gottes vertreten. Damit würden aber nur „Nebelkerzen“ gezündet, so Büning, um ein ganz anderes Manöver zu verstecken, nämlich die der Tradition treugebliebenen Priester zu treffen, die noch entschlossen sind, den modernistischen Positionen in Liturgie, Glaubenslehre und Moral Widerstand zu leisten.
In seinem Aufsatz „Nicht der ‚Klerikalismus‘ ist das Problem, sondern oberhirtliche Ablenkungsmanöver“ schreibt Büning:
„Seit Tagen müssen wir uns von unseren Oberhirten gebetsmühlenartig anhören, der Klerikalismus sei die Ursache der Missbrauchskrise – gemeint ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche.“
Dieser Erklärungsversuch helfe aber nicht dabei, das eigentliche Problem zu erkennen und zu lösen, nämlich die Homosexualität im Klerus.
Büning wörtlich:
„Die Gründe für diese nunmehr gängige Worthülse zur scheinbaren Aufarbeitung sind vielschichtig. Zum einen dient sie dazu, das Kernproblem nicht anzusprechen.“
Büning sieht vielmehr einen Versuch am Werk, selbst den Mißbrauchsskandal, der zum Himmel schreit, für kirchenpolitische Manöver zu mißbrauchen, und zwar – um es auf den Punkt zu bringen – durch jene Kräfte, die nicht durch eine klare kirchliche Haltung zur Homosexualität aufgefallen sind.
Hinzu komme die Angst der Hierarchie vor dem Zeitgeist, der von den Massenmedien geritten werde.
Büning sagt es deutlich:
„Und wer tut solches? Der Bischof von Rom und all die Bischöfe, die auf einmal entdecken, wie wichtig die Papsttreue ist. Warum? Weil es ihnen nun in die Agenda passt! Es ist alles so durchschaubar! Nun auf einmal wird von einigen Bischöfen die unbedingte Papsttreue gefordert. Unter Benedikt XVI. und Johannes Paul II. habe ich solche Töne aus dem deutschen Episkopat nie gehört. Warum ist das jetzt anders? Weil man sich von Franziskus die neue Kirche erwartet.“
Zu dieser „neuen Kirche“ gehört offensichtlich auch die Anerkennung der Homosexualität. Das aber steht in offenem Widerspruch zur biblischen und kirchlichen Überlieferung.
Mit den Worten Bünings:
„Interkommunion, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, Gottesdienste ohne festgelegten Ritus, alles ad libitum. Das scheint die Kirche zu sein, die diese Hirten nun erwarten“.
Und weiter:
„Genau diese Kirche wird offenbar gewünscht und dafür scheint Franziskus die Gallionsfigur zu sein, die nun mit der Mentalität eines von bischöflicher Seite eingeforderten sakrosankten Führerkults in einer völlig unkritischen und devoten Weise geschützt wird. Das Ganze grenzt schon am Verstandesopfer, koste es was es wolle. Ja, es wird einem schwindelig dabei!“
„So etwas hat es in dieser Kirche wohl noch nie gegeben“, so Büning, der damit sowohl den Mißbrauchsskandal als auch den Versuch meint, als unausgesprochene „Lösung“ die Anerkennung der Homosexualität voranzutreiben.
Wie Paul Wood in Kanada, erhebt auch Markus Büning seine Stimme, um zu mahnen, zu klagen und auch anzuklagen, indem sie den Finger in die Wunde legen. Beide sind Akademiker, beide theologisch gebildet und beide sprechen aus eigener Erfahrung. Aus der Stimme Büning steigt zudem die Anklage eines Opfers auf. Er selbst wurde in seiner Jugend von einem Priester mißbraucht, was vom zuständigen Bistum offiziell anerkannt wurde.
„Und nun frage ich diese Herren Bischöfe, wo sie in den letzten Jahrzehnten denn ihre Macht zu folgenden Themen ausgeübt haben: Ligurischer Missbrauch, Kanzelmissbrauch, häretischer Religionsunterricht, Verunstaltung der Kirchenräume usw. usw.?
Zu all diesen Themen sind die Schubladen deutscher Ordinariate gefüllt mit Beschwerdebriefen, wohl eher sind diese Briefe schon längst geschreddert. So gut wie nichts haben sie hier getan, die Herren Episkopen, das heißt übrigens übersetzt Aufseher und nicht Wegseher! Das alles ist nur noch erbärmlich.
Diese ‚Hirten‘ haben es über Jahrzehnte weitgehend zugelassen, dass diese Kirche zu einer Karikatur geworden ist, in der der Glaube und die Frömmigkeit weitgehend verdunstet sind. Ja und wenn dann Mitbrüder da waren, die anders dachten, wollte man nur eines, sie möglichst schnell entsorgen.“
Nichts werde sich ändern, so Büning, solange die Bischöfe nicht wieder beginnen, ihr Amt so auszuüben, wie es ihnen von Gott geschenkt wurde, und wie sie es laut der kirchlichen Tradition auszuüben haben.
Auch in diesem Punkt treffen sich die Anklagen von Büning und Wood. Beide fordern von den Bischöfen als eine der vordringlichsten Notwendigkeiten, wieder die Lehre der Kirche über die Homosexualität zu verkündigen, und zwar unverkürzt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana