
(Buenos Aires) In Argentinien tritt am kommenden 10. Dezember ein neuer Staats- und Regierungschef sein Amt an. Mit Alberto Fernandez zieht ein Freund von Papst Franziskus in die Casa Rosada, den Präsidentenpalast in Buenos Aires, ein. Erzbischof Victor Manuel Fernandez von La Plata, ein noch engerer Freund von Franziskus, forderte wegen jüngster Kritik an Franziskus in Argentinien dazu auf, „den Papst in Ruhe zu lassen“.
Schon als Erzbischof von Buenos Aires förderte Jorge Mario Bergoglio den damals jungen Priester Victor Manuel Fernandez. Wie schon zuvor in Argentinien wurde Fernandez ab 2013 auch in Rom zum Ghostwriter des Kirchenoberhauptes. Franziskus ernannte den bis dahin in Rom nicht unumstrittenen Fernandez gleich nach seiner Wahl zum Titularerzbischof. Schließlich machte er ihn im Juni 2018 zum Diözesanbischof des zweitwichtigsten, argentinischen Bistums. Eine Ernennung, die zugleich eine gewollte Ohrfeige für Msgr. Hector Ruben Aguer, bis dahin Erzbischof von La Plata, war. Msgr. Aguer war jahrelang der wichtigste Gegenspieler Bergoglios im argentinischen Episkopat.
Argentiniens künftiger Staatspräsident gehört der peronistischen Justizialistische Partei an. 2015 war erstmals seit dem Ende der Militärdiktatur kein Vertreter dieser Linksperonisten oder der Sozialdemokraten gewählt worden, sondern mit Mauricio Macri ein Vertreter der rechten Mitte. Macris Wahl stieß bei Papst Franziskus aber auf kategorische Ablehnung, was er den höchsten Vertreter seines Heimatlandes wiederholt spüren ließ.

Die jüngsten Wirtschaftsprobleme führten nach vier Jahren den Wechsel herbei. Verantwortlich dafür sind zudem Besonderheiten des argentinischen Wahlrechts. Der Linksperonist Fernandez war bis 2015 Kabinettsleiter unter dem präsidialen Ehepaar Nestor Kirchner und Cristina Fernandez Kirchner, die Argentinien hintereinander als Staatspräsidenten von 2003–2015 regierten. Fernandez erhielt bei den Präsidentschaftswahlen vom 27. Oktober 48,1 Prozent, Mauricio Macri 40,4 Prozent. Dennoch kam es zu keiner Stichwahl, da der Kandidat als gewählt gilt, der die meisten Stimmen bekam, wenn er mehr als 45 Prozent erhalten hat.
Nicht allen Argentiniern behagte die politische Einmischung von Papst Franziskus in den vergangenen Jahren. Gegen deren Kritik aus ganz unterschiedlichen Richtungen veröffentlichte Erzbischof Fernandez von La Plata, der Ghostwriter des Papstes, am Samstag die Stellungnahme: „Laßt den Papst in Ruhe“.
Auslöser der Kritik waren Aussagen von Franziskus in denen er seine politischen Präferenzen unmißverständlich zum Ausdruck brachte. In seiner Ansprache an die Teilnehmer des Weltkongresses der Strafrechtler am 15. November. Bei dieser Gelegenheit kündigte Franziskus die Einführung einer „Ökosünde“ ein und forderte die Staatsführer auf, eine neue Kategorie „Verbrechen gegen die Ökologie“ in die Strafgesetzbücher aufzunehmen.
Der Papst sagte aber noch mehr.
Franziskus meinte, wenn er „bestimmte Reden“ von Politikern höre, gemeint waren damit europäische Patrioten und Vertreter der Souveränitätsbewegung zur Verteidigung der Identität Europas, fühle er sich an „Hitler-Reden“ erinnert. Namen von Politikern nannte der Papst zwar nicht, doch die Medien stellten sofort einen Zusammenhang mit dem früheren italienischen Innenminister und Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini her,der nach dem von Brüssel begrüßten Regierungswechsel und seinem Wahlsieg im bisher „roten“ Umbrien auf Neuwahlen drängt, um Ministerpräsident zu werden.
Zugleich forderte das Kirchenoberhaupt in seiner Rede eine Abschaffung lebenslänglicher Haftstrafen und willkürlicher Präventivhaft sowie den Verzicht auf Lawfare – ein erst vor kurzem geprägten Wortes, der eine Form der symmetrischen Kriegsführung meint, indem die Gesetze dazu mißbraucht werden, den politischen Gegner auszuschalten. Auch in diesem Zusammenhang wurde von Medien ein konkreter Name genannt: der des ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inacio Lula da Silva. Lula war auf Anordnung des Obersten Gerichtshofes wenige Tage vor der Papstansprache, am 7. November, vorläufig aus der Haft entlassen worden, obwohl er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Anlaß waren Medienenthüllungen, der damalige Anti-Korruptionsstaatsanwalt und Chefermittler im Fall Lula, der heutige Justizminister Sergio Moro, habe 2018 Haftentlassungsanträge hintertrieben, um Lulas Teilnahme an der Präsidentschaftswahl als Kandidat der sozialistischen Arbeiterpartei (PT) zu verhindern.
Die beiden Verurteilungen Lulas zu acht bzw. zwölf Jahren wurden nicht aufgehoben, aber die Vorwürfe gegen Justizminister Sergio Moro werden geprüft. Hintergrund ist auch ein politischer Konflikt zwischen unterschiedlichen Staatsanwaltschaften und Gerichtsbehörden.
Lulas Anhänger hatten ihn seit April 2018 als „ersten politischen Gefangenen“ seit der Militärdiktatur bezeichnet. Bei seiner Haftentlassung wurde er von Tausenden von Sympathisanten gefeiert.
Bestätigt fühlt sich auch Papst Franziskus, wie seine Worte an die Strafrechtler zeigen. Der Papst hatte sich die Lesart der Arbeiterpartei zu eigen gemacht und mehrfach zugunsten Lulas Stellung genommen. Er wurde sogar zum international, wichtigsten Kritiker des heutigen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro, indem er schon während des Wahlkampfes von einem „Putsch mit weißen Handschuhen“ sprach und die Solidaritätskampagne für Lula unterstützte, dem er ein Buch mit einer persönlichen Widmung ins Gefängnis schickte.
Der designierte, neue Staatspräsident von Argentinien, Alberto Fernandez, lobte Franziskus für seine Forderungen an das Strafrecht und sagte am Tag danach:
„Was der Papst über die Präventivhaft sagt, ist das ABC des Strafrechts.“
Erzbischof Fernandez benannte nun die Kritiker von Papst Franziskus. Es seien „Ultrakonservative, fanatische Neoliberale und trotzkistische Linke“. Vor allem unter ersteren befänden sich „viele Katholiken“. Den Kritikern gehe es, so der Erzbischof, aber nicht um die Verteidigung des Rechtsstaates, wie sie sagen, sondern um „andere Interessen“, die er allerdings nicht benennt.
Msgr. Fernandez hält dem die große Aufmerksamkeit entgegen, die Papst Franziskus in der Welt genieße und seine Leistungen wie die „enormen Fortschritte in den Beziehungen zu China“, die ihm gelungen seien und die nicht nur das Christentum beträfen, sondern insgesamt die Beziehungen von China „mit dem Westen“. Nun bemühe er sich im selben Sinn um Japan und Thailand, zwei Länder mit „tausendjährigen, nichtchristlichen Kulturen“. Der Papst habe Hunderte von Baustellen weltweit, wo er seinen Beitrag leiste, so der Erzbischof, da werde doch niemand ernsthaft meinen, er habe Zeit, die „argentinischen Zeitungen“ zu lesen, und „was bei uns alles gesagt wird“.
Argentinische Kritiker werfen Franziskus wegen seiner Aussagen zum Rechtsstaat und zum Strafrecht vor, ein „Populist“ zu sein. Erzbischof Fernandez versucht den Vorwurf zu entkräften, indem er fragt, was denn „Populismus“ sei. Jene, die ihn dem Papst vorwerfen, würden gar nicht verstehen, was damit gemeint sei, denn Franziskus sei schließlich ein „eiserner Gegner“ der „populistischen Mauer“ von US-Präsident Donald Trump.
Dann ließ der derzeitige Erzbischof von La Plata einen Seitenhieb gegen die „Populisten“ folgen, als deren Prototyp auch er Matteo Salvini nennt.
Auf der Linie des Kirchenoberhauptes erklärt Msgr. Fernandez den Argentiniern, daß Salvini „die übelsten, fremdenfeindlichen Instinkte der Bevölkerung ausgenützt“ habe, „um Popularität zu gewinnen“. Salvini habe aber in Papst Franziskus ein „starkes Hindernis“ gefunden, der in seinen Reden dazu aufruft, „offen zu sein und die Einwanderer aufzunehmen“.
Er wisse zwar nicht, so der Erzbischof, was Franziskus dazu denke, aber ihm scheine es jedenfalls gut, wenn der Papst nicht auf seine Kritiker hört.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/Wikicommons (Screenshots)
Ich habe immer gedacht „Schlimmer geht nimmer“!
Was sich gerade abspielt ähnelt eher einem Kasperletheater, denn einer moralischen Institution, genannt kath. Kirche!
„Kasperletheater“ ist aber eine gewaltige Verharmlosung.