Von Caminante Wanderer
Nachdem ich gestern die Nachricht vom jüngsten päpstlichen Dokument über die Segnung homosexueller Paare gehört hatte, sprach ich mit mehreren Personen, die mehr oder weniger mit kirchlichen und kurialen Kreisen verbunden sind. Die Reaktion war bei allen gleich: Ungläubigkeit, Erstaunen, Verblüffung. Man hat das Gefühl, von einer Klippe gesprungen zu sein, der gleichen Klippe, auf der Papst Franziskus während seines gesamten Pontifikats balanciert hat. Der sehr große Schaden ist nun irreparabel und die Kirche befindet sich im freien Fall.
Die Beamten der römischen Kurie sind nicht gerade Traditionalisten, aber auch sie müssen erschreckt und wütend sein. Das läßt sich leicht deduzieren, denn erst vor zwei Jahren hatte dasselbe Dikasterium für die Glaubenslehre ein Dokument veröffentlicht, in dem genau das Gegenteil von dem steht, was gestern veröffentlicht wurde, und die dort tätigen Theologen sind immer noch dieselben. Haben sie sich selbst widersprochen? Das glaube ich nicht. Es handelt sich um ein Artefakt, das von Tucho [Fernández] verfaßt und von Bergoglio gebilligt und veröffentlicht wurde, ohne den üblichen Weg zu beschreiten, von den ungewohnten Erklärungen, mit denen der Text beginnt, einmal ganz abgesehen. Es erhellt nicht, weil es verdunkelt, sollte man Kardinal Fernández sagen.
Ein anderer, der ebenfalls wütend sein muß, ist Kardinal Parolin, der vor einigen Wochen an die deutschen Bischöfe geschrieben hat, daß die Frage der Segnung homosexueller Praktiken nicht verhandelbar sei. Nun ist klar geworden, daß es sich dabei wohl um eine persönliche Initiative handelte, wahrscheinlich um sich vor den Kardinälen für das nächste Konklave zu positionieren.
Die erste Frage, die sich stellt, ist, warum sie es getan haben: aus pastoralen Gründen? Ich habe nicht den Eindruck, daß gleichgeschlechtliche Paare in Scharen vor den Kirchentüren stehen und darauf warten, gesegnet zu werden. Und diejenigen, die diesen Segen wollten, haben ihn schon vor langer Zeit erhalten. Zumindest in Argentinien ist diese Praxis seit mindestens fünfundzwanzig Jahren üblich.
Die Gründe dafür sind daher unterschiedlich, und der Hauptgrund ist meiner Meinung nach, das Pontifikat neu abzustecken, nicht mehr als progressiv, sondern als Bruch. Bergoglio und Fernández – zwei Argentinier, nach Meinung mancher das Lieblingsvolk der Gottesmutter… – wollen den Bau einer neuen Kirche vollenden, völlig losgelöst von der Kirche, die von unserem Herrn gegründet wurde und zwanzig Jahrhunderte lang in ihrer Lehre standhaft war. Beide wollen das Privileg haben, die Urheber der Vollendung des Zweiten Vatikanums zu sein. Und das ist ihnen gelungen.
Wahrscheinlich gibt es auch persönliche Motive. Bergoglio und Fernández besitzen labyrinthische Persönlichkeiten – der eine psychopathisch, der andere feminin –, die beide von tiefen Ressentiments geprägt sind. Insbesondere Tucho hat den Groll und die Demütigung, die er jahrelang von der Glaubenskongregation erfahren hat, nie verwunden, als dieses Dikasterium zusammen mit der Kongregation für das katholische Bildungswesen verhinderte, daß er Rektor der Katholischen Universität Argentiniens wurde, und der Grund dafür war genau die verschleierte Verteidigung homosexueller Praktiken, die er in einem Zeitungsartikel vorgenommen hatte. In dieser Hinsicht war das Interview in einem der schlechtesten Medien Argentiniens sehr aufschlußreich. Jetzt rächt er sich. Das alles ist in seiner psychologischen Verfassung sehr vorhersehbar.
Abgesehen von dem Schaden und der Wirkung, die dieses Dokument haben kann, stellen sich viele von uns die Frage, wie wir aus dieser Situation herauskommen können. Wenn die Kirche überleben will, kann sie die Erklärung Fiducia supplicans nicht aufrechterhalten und bestätigen. Wird ein Schritt zurück möglich sein? Während dieses Pontifikats ist er sicherlich unmöglich. Wir wissen bereits, wer die beiden sind, die nun die oberste Macht innehaben. Aber ich verstehe, daß es zumindest zwei Elemente gibt, die für den nächsten Papst nützlich sein könnten, um zu versuchen, einen Teil des angerichteten Schadens wiedergutzumachen.
Erstens sind da die Anzahl der theologischen, liturgischen und pastoralen Irrtümer, die in dem Dokument enthalten sind und die bereits von einer Reihe seriöser Theologen ans Licht gebracht wurden, zum Beispiel von Guy Fawkeslein. Ein Papst kann so viel Macht haben, wie er will, aber es gibt Dinge, die er nicht tun kann, zum Beispiel ein Gebot aufheben. Denn mit der Erklärung wird das Sechste Gebot aus dem Dekalog gestrichen (und zwar genau am 18. Dezember, wenn die für die Adventszeit so passende Antiphon O Adonai gesungen wird). Es ist keine Sünde mehr, gegen dieses Gebot zu handeln, denn jede sexuelle Praxis verdient es nun, gesegnet zu werden. Und erinnern wir uns daran, daß die Bischöfe, angeführt von Franziskus, bereits zu Beginn der Pandemie das Dritte Gebot aufgehoben hatten, indem sie die Gläubigen von der Verpflichtung vom Sonntagsgebot, also an Sonn- und Feiertagen die Messe zu besuchen, entbanden. Mit anderen Worten: Das Pontifikat von Franziskus hat den Dekalog in einen Oktolog verwandelt.
Zweitens halte ich es für unerläßlich, daß die Stimmen, die sich gegen dieses Dokument wenden, das zwanzig Jahrhunderte Tradition umstößt, klar, ihre Stimme deutlich und massiv erheben. Bischof Joseph Strickland hat erst gestern alle Bischöfe aufgefordert, NEIN zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zu sagen. Ich denke, es ist an der Zeit, daß Kardinäle, Bischöfe und Priester ihre Stimme erheben, daß sie klar sagen, was sie denken; sie können nicht wie stumme Hunde schweigen. Zwei Schurken zerstören die Kirche und es gibt keine Reaktion, wie ist das möglich? Wenn die Opposition jetzt stark ist, wird es für den nächsten Papst viel einfacher sein, zurückzugehen und Fiducia supplicans für null und nichtig zu erklären? Ich weiß, das ist reine Phantasie. Kurz nach Bekanntwerden der Erklärung schrieb schon ein konservativer Priester in den sozialen Netzwerken: „Segnen heißt nicht freisprechen. Man kann auch Welpen und Kätzchen segnen. Sogar Schildkröten. Damit wird nicht bestätigt, daß sie eine Seele haben, oder daß sie deshalb Kinder Gottes sind“. Gerade die konservativen Entmannten, die es vorziehen, wie ein Vogel Strauß den Kopf in den Sand zu stecken, sind die Schlimmsten.
Ein letzter Gedanke: Die verzweifelte Situation, in der wir uns befinden, wurde durch die tumorartigen Eigenschaften ermöglicht, die das römische Papsttum seit Pius IX. angenommen hat, gefördert durch den Ultramontanismus. Was geschehen ist, ist erschreckend: Ein Narr, der aus reiner Vetternwirtschaft an die Spitze des wichtigsten Dikasteriums der Kirche gesetzt wurde, ist in der Lage, die seit mehr als zwanzig Jahrhunderten geltende Lehre zu ändern, nur weil er, wer weiß mit welchen Mitteln, die Unterschrift des Papstes erhält. Früher hätten solche Wichtigtuer allenfalls eine luxuriöse Villa in irgendeinem Winkel des Kirchenstaates oder Zugang zu einem privilegierten Lupanar [antikes Bordell] erhalten. Heute bekommen sie die Aufhebung der Gebote des Gesetzes Gottes, und die Kirche hat keine angemessenen und wirksamen Mechanismen, um dies zu verhindern.
Der Papst von Rom hat sich zum absoluten Monarchen aufgeschwungen, die Organe der Kontrolle und des Gegengewichts der Macht geköpft und im Laufe der Jahre Frankensteins Geschöpf, erfunden vom Ultramontanismus, zum progressiven Leben erweckt. Und wir müssen darunter leiden.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Caminante Wanderer