(Buenos Aires) „Was der Papst sagt, verändert nicht einmal das Wahlverhalten von zehn Menschen“. Diese wenig respektvollen Worte äußerte Jaime Durán Barba, der wichtigste Wahlkampfberater des neuen Staatspräsidenten von Argentinien. Gegen die Wahlempfehlung von Papst Franziskus stimmten die Argentinier am Sonntag für den Mitte-rechts-Kandidaten Mauricio Macri und nicht für den linksliberalen Populisten Daniel Scioli. Nicht Papst Franziskus stand zur Wahl und dennoch wurde die Präsidentenwahl auch zu einer Wahlniederlage für ihn. Eine persönliche Wahlniederlage des Jorge Mario Bergoglio, die jedoch nicht ohne Rückwirkungen auf die katholische Kirche bleiben dürfte.
Als Erzbischof von Buenos Aires konnten der Primas von Argentinien und Staatspräsidentin Cristina Kirchner nicht miteinander. Kirchner, die ihrem Mann Nestor Kirchner ins Präsidentenamt gefolgt war, zeigte demonstrative Distanz zur katholischen Kirche. Sie und ihr Mann gehörten dem linken Flügel des vielschichtigen argentinischen Peronismus an.
Trotz Konfrontationskurs mit der Kirche, warb Papst Franziskus für Kirchners Kandidaten
Als Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, setzte jedoch ein Tauwetter samt mehrfachen Besuchen Kirchners im Vatikan ein. Eine politische Richtungsänderung, etwa in Fragen der nicht verhandelbaren Werte, brachte es keine. An Homo-Ehe und Abtreibung hielt „La Presidente“ fest, ohne einen Millimeter abzuweichen. Papst Franziskus scheint sie deswegen auch nicht getadelt zu haben, da sie weiterhin nach Rom „pilgerte“.
Politische Gegner Kirchners in Argentinien spotteten bereits vor einem Jahr, das argentinische Staatsoberhaupt halte sich mehr in der Casa Santa Marta im Vatikan als in der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast in Buenos Aires auf. Im Frühjahr wurde Papst Franziskus bei einer internationalen Tagung linksradikaler Gruppen in Buenos Aires, die von der Regierung Kirchner gesponsert wurde, zum Anführer einer neuen Papistischen Internationale ausgerufen, die an die Stelle der Kommunistischen Internationale treten sollte. Der am Podium anwesende Papst-Vertraute, Kurienerzbischof Sanchez-Sorondo machte keine Einwände.
Der Grund: Kirchner zimmerte mit ihrem einstigen „Rivalen“ an ihrer Nachfolge und Papst Franziskus scheint dies akzeptiert zu haben. Seine Hinweise vor den beiden Urnengängen waren eine deutliche Wahlaufforderung zugunsten von Daniel Scioli, den Kirchner zu ihrem „Erben“ bestimmt hatte.
Doch es kam anders. Sein rechter Herausforderer Mauricio Macri konnte sich beim ersten Durchgang mit 34 Prozent der Stimmen dicht hinter Scioli (37 Prozent) plazieren und für die Stichwahl qualifizieren. Genau diesen zweiten Urnengang hatte Kirchner vermeiden wollen. Das argentinische Wahlrecht war in der Ära Kirchner für den linkspopulistischen Peronismus maßgeschneidert worden. Genützt hat es nichts. Macri wurde am 22. November mit 51,4 Prozent der Stimmen gewählt. Allerdings wird er einem bereits im Oktober gewählten Parlament gegenüberstehen, das sich mehrheitlich in der Hand von Kirchner und Scioli befindet.
Mythos Peron gegen Unternehmer Macri
Fast alle Beteiligten, Kirchner, Scioli und selbst Papst Franziskus, gelten als Peronisten. Das zeigt in erster Linie nur, wie präsent der Mythos Juan Domingo Peron in Argentinien auch heute ist. Macri hingegen gilt als Antiperonist. Er gehört einer konservativ-liberalen Partei an. Im argentinischen Parteienspektrum fehlt eine katholische oder christdemokratische Tradition. Dafür sind historische Entwicklungen verantwortlich, die bis zur Unabhängigkeit von Spanien zurückreichen, die von antikatholischen, vor allem freimaurerischen Kräften betrieben wurde.
Der erfolgreiche Unternehmer Macri gilt als Wirtschaftsliberaler. Mit dem päpstlichen Jargon von „Rändern“, „Peripherie“ und einer „Wirtschaft die tötet“ kann er nichts anfangen und hat dies im Wahlkampf auch deutlich gesagt.
Der Linkspopulist Scioli berief sich hingegen während des Wahlkampfes auf Papst Franziskus als „Hauptunterstützer“ seiner Kandidatur und betonte, die politischen Ansichten des Papstes zu teilen.
Der Peronismus, der auf Argentinien lastet
Was aber ist der Peronismus, auf den sich Scioli direkt und Papst Franziskus indirekt beruft? Der 1895 geborene Juan Domingo Peron machte eine steile Karriere in der argentinischen Armee. 1930 wurde er Mitglied des Generalstabs. Nach dem Militärputsch gegen den gewählten Staatspräsidenten wurde er Privatsekretär des Kriegsministers. Ab 1936 war er Militärattaché in Europa, darunter auch im Deutschen Reich. In dieser Zeit wurde er zum ehrlichen Bewunderer des italienischen Faschismus. Das hatte auch damit zu tun, daß Italien in gewisser Weise als „Mutterland“ Argentiniens galt und gilt.
1937 hatte das Militär die Regierung des Landes wieder in zivile, allerdings ihm nahestehende Personen übergeben. Gegen diese putschte 1943 der GUO, ein geheimer Offiziers-Zirkel, der Argentiniens Außenpolitik auf Rom und Berlin ausrichten wollten. Unter ihnen befand sich auch Peron, der zunächst Unterstaatssekretär im Kriegsministerium wurde und Nationaldirektor für Arbeit. 1944 war er bereits Vize-Präsidenten Argentiniens.
Peron hatte sich als einer der wenigen in der Militärjunta tatsächlich mit dem europäischen Faschismus befaßt und begann mit der Umsetzung von sozialpolitischen Maßnahmen. Dazu gehörte die Zerschlagung der linken Arbeiterorganisationen bei gleichzeitiger Besserstellung der Arbeiter bei Arbeitszeit, Lohn und Arbeitsschutz. Das machte ihn schnell in breiten Teilen der Bevölkerung beliebt, weil er sich sowohl von den bisher gewohnten Militärputschisten, als auch von den radikal-liberalen zivilen Politikern unterschied.
Der Faschist und Sozialist Peron
Argentinien wurde zwar 1945 nach wie vor vom GUO regiert, doch mit dem Ende des europäischen Faschismus schien auch Perons Zeit abgelaufen, während sich die Militärs außenpolitisch der neuen Lage anzupassen versuchten. Die Militärregierung ließ Peron, den Faschisten in ihren Reihen, 1945 verhaften. Das aber machte ihn in den Augen nicht unerheblicher Bevölkerungsteile zum Märtyrer. In Massendemonstrationen wurde seine Freilassung gefordert, die im Herbst desselben Jahres erfolgte. Der entscheidende Durchbruch folgte bei den Präsidentschaftswahlen 1946. Peron hatte wenige Tage nach seiner Freilassung die Schauspielerin Maria Eva Duarte geheiratet hatte, die als Evita weltbekannt werden sollte. Grund für den Durchbruch war die offenkundige Einmischung der USA in den Wahlkampf gegen Peron, die ihm seine Zusammenarbeit mit den Achsenmächten nicht verziehen hatten. Damit aber wurde Perons Mythos vom „Held der Arbeiterklasse“ zu dem eines Nationalhelden ausgeweitet. Er gewann mit 52 Prozent die Wahlen und zog 1946, obwohl Militär, als freigewählter Staatspräsident in die Casa Rosada ein.
Seine Regierungspolitik war eine Mischung aus Elementen eines auf Argentinien abgestimmten Faschismus, den er mit dem traditionellen Caudillismus verknüpfte. Vor allem hielt er am „Dritten Weg“ zwischen Kommunismus und Kapitalismus fest, der auch von der katholischen Kirche bevorzugt worden war, aber in Europa durch die faschistische Vereinnahmung und dessen Scheitern unverdienterweise diskreditiert war, daß er sich davon bis heute nicht mehr erholen konnte. Sein sozialpolitischer Kurs nach innen und seine Distanz gegenüber den USA nach außen brachten Peron 1951 die Wiederwahl mit 61 Prozent der Stimmen, führten jedoch zu wachsenden Spannungen mit den Wirtschaftsliberalen, den Großgrundbesitzern, aber auch mit der katholischen Kirche. Sie warfen dem General vor, es nicht so zu nennen, aber faktisch eine sozialistische Politik zu betreiben.
Exkommunikation, Exil und Rückkehr
Peron reagierte auf Widerstand als Militär und suchte die offene Konfrontation. Er legalisierte die Scheidung und schaffte an den Schulen den Religionsunterricht ab. 1955 wurde er von Papst Pius XII. exkommuniziert. Der Bann wurde einige Monate später aufgehoben. 1955 wurde Peron durch einen Militärputsch gestürzt.
Peron fand im Spanien Francos Aufnahme, von wo aus er versuchte, Einfluß auf die argentinische Politik zu nehmen. Das geschah vor allem über radikale linksperonistische Kräfte, die das von Instabilität geprägte Land durch Terrorismus noch mehr zu destabilisieren versuchten. Peron war das „antiimperialistische“ Idol der argentinischen Linken. Seine Rückkehr wurde erst 1973 möglich, als das Land so zerrüttet war, daß sich Peron als „Ausweg“ anzubieten schien. Mit 60 Prozent der Stimmen wurde er drei Monate nach seiner Rückkehr aus dem Exil erneut in die Casa Rosada gewählt.
Die argentinische Linke mußte erkennen, daß der reale Peron nicht dem Mythos entsprach, den sie um ihn gehegt hatte. Die radikalen Linksperonisten wandten sich von ihm ab und setzten den Terror gegen seine Regierung fort. Das führte zu einem rechtsperonistischen Gegenterror, der vom Staat unterstützt wurde. Peron starb nach wenigen Monaten der Amtszeit. Seine dritte Frau, Isabel Martinez de Peron, die er als Vizepräsidentin vereidigen hatte lassen, folgte ihm als Präsidentin im Amt. 1976 wurde sie von einem Militärputsch gestürzt.
Der Peronismus zeigt sowohl rechte wie linke, faschistische wie sozialistische Züge, die sich Anhänger selektiv zu eigen machen und darauf berufen. Die innere Zerrissenheit des Landes sicherte Peron über seinen Tod hinaus breite Sympathien in der Bevölkerung, die unterschiedlichste Gruppen noch heute veranlaßt, sich auf ihn zu berufen. Eine Konstante in Perons Politik war ein rhetorisch teils aggressiver Antikapitalismus und seine kritische Distanz zu Washington. Das gilt auch für seine Nachfolger. Seine großzügigen Geldgeschenke an die sozial Schwachen führten zur galoppierenden Geldentwertung, zu Steuererhöhungen und sozialen Spannungen. Mit seiner „Beseitigung der Armut“ verursachte er in Wirklichkeit die fortschreitende Verarmung aller. Durch die Militärputsche, die seiner Herrschaft 1955 und posthum 1976 ein Ende bereiteten, wurde jedoch eine demokratische Beendigung des wirtschaftspolitisch gescheiterten Peronismus verhindert, was ihm den Nimbus der an den Urnen unbesiegten Volksbewegung verschaffte.
Linkspopulismus mit antikapitalistischer Rhetorik
Die vielen politischen „Erben“ Perons lassen sich nicht mit ihm gleichsetzen. Es lassen sich aber einige gemeinsame Elemente erkennen. Dazu gehört ein ausgeprägter Linkspopulismus, mit dem zuletzt das Ehepaar Kirchner bei Wahlen erfolgreich war. Er erklärt auch die Annäherung Argentiniens an andere linkspopulistische Präsidenten Lateinamerikas, von Chavez in Venezuela bis Morales in Bolivien, der Papst Franziskus das von diesem so geschätzte Sichel-und-Hammer-Kreuz schenkte.
Die Argentinier wollten nach der langen Ära des Linksperonismus aber weder den Wahlempfehlungen Cristina Kirchners, die selbst nicht mehr kandidieren konnte, noch dem Hauptunterstützer Papst Franziskus folgen. Eine brennende Niederlage für das katholische Kirchenoberhaupt. Franziskus hatte sich von Warnungen im Vatikan, sich nicht zu sehr in politische Fragen zu verwickeln, und sei es im eigenen Heimatland, nicht abhalten lassen, den Argentiniern Daniel Scioli als seinen Kandidaten zu empfehlen.
Hintergrund ist eine politische Denkweise des Papstes, die sich mit dem peronistischen Antikapitalismus deckt. Im Wahlkampf klang das aus dem Mund einer persönlichen Freundin des Papstes, Alicia Barrios, so: Papst Franziskus „will eine Regierung, die auf die Armen schaut und eine Wirtschaft, die von guten Menschen geleitet wird und nicht von wilden Kräften des Marktes“. Eine typisch peronistische Wortwahl, die für Argentinier eindeutig identifizierbar ist. Am vergangenen Mittwoch direkt angesprochen, sagte Franziskus: „Wißt Ihr, was ich denke: Wählt nach Eurem Gewissen“. Das wiederum ist ein typischer Satz des argentinischen Kirchenoberhauptes, das im Vatikan schon manchen Prälaten sich die Haare raufen ließ. Nicht wegen der konkreten politischen Frage, sondern wegen der Berufung auf das Gewissen, das zu einer Art losgelöster höchster Instanz wird. Die Frage lautet aber: Nach welchen Kriterien soll dieses Gewissen entscheiden.
Die Argentinier scheinen es leid zu sein, vom Kirchnerismus bestimmt zu werden: 36 Prozent der Bevölkerung lebt von staatlichen Zuschüssen, die Inflation galoppiert und das Rezept von „La Presidente“ waren Verstaatlichungen.
Wie sich der neue Staatspräsident auch immer positionieren wird, Papst Franziskus wird in ihm keinen Freund finden, was Nachteile für die katholische Kirche nach sich ziehen wird. Das Verhältnis zwischen Kirche und argentinischer Politik scheint verfahrener denn je. Das gilt auch für die Abtreibungs- und Homo-Politik Argentiniens.
Text: Andreas Becker
Bild: PAN/MiL
Der Name Franziskus zieht nicht mehr. Selbst seine öffentliche Sympathie für die Linksparteien in
Argentinien und Küsschen vom Papst für die Präsidentin Kirchner, haben eine Wahlniederlage
nicht verhindern können. Durch seine Parteinahme für die Kirchnergruppe hat Franziskus auch so- der katholischen Kirche in Argentinien geschadet. Ein Papst sollte sich in jedem Falle, aus der Politik heraus halten.
Der Peronismus mit seinen Um-und Schleichwegen hat offenbar sich nicht nur zerflügelt, sondern jetzt auch weitgehend unnötig gemacht. Die wahlempfehlung Berdoglos war dann eher noch contraproduktiv. Seine Gedankenwelt ist eh von dem wenig definierbaren auf die Staatsallgewalt ausgerichteten Peronismus fixiert mit den Allüren für die Armen. Starke Anklänge an Evita Peron zeigen sich beim Rombischof. Dahinter steht aber kein System, das funktionieren würde.
Danke für diese profunde Analyse. Es ist immer wichtig, bei politischen Ideologien die Hintergründe zu kennen.
Ich finde es überraschend, daß Peron ausgerechnet bei Franco Unterschlupf fand.
Ein ausgezeichneter Artikel.
Die Einflüsse des italienischen Faschismus auf den Peronismus, und ganz besonders auf die viele italienischstämmige Einwanderer in Argentinien, gehören akribisch untersucht.
Wie es aussieht, läßt sich so der Hintergrund von vielen Merkwürdigkeiten beim jetzigen Pontifikat erklären.
Sehr richtig, dem kann ich mich nur anschließen. in Argentinien wird die Lage nur besser, wenn sich die Wirtschaft erholt, was unter dem Dirigismus bisheriger Art nicht möglich war. Nur wenn sich die Wirtschaft verbessert, gibt es auch etwas zu verteilen. So ist das zu sehen. Mit der Wahl ist Argentinien auf gutem Weg. Andere sollten folgen in Südamerika.
Es ist ein sehr erfreuliches Wahlergebnis. Vielleicht markiert die Wahl von Macri den Beginn der Endzeit der linken Volksfrontregierungen Lateinamerikas.
Die politische Lage in Argentinien scheint verfahren zu sein. Der neugewählte Präsident muß wahrscheinlich sehr rasch die wirtschaftliche Lage der Armen verbessern.
Als ein Wirtschaftsliberaler wird er sich eher schwertun mit dem Thema Abtreibung.
ich hab gelesen, dass er das dritte Mal verheiratet ist, also ein katholisches Revival sehe ich da auch nicht. Ökonomisch kann’s ja nicht mehr schlimmer werden als unter den Peronisten, deren Wirtschaftsrezepte unter dem aktuellen Pontifikat ja fast schon dogmatisiert werden – aber wer bin ich schon mit meinem Wirtschaftsstudium um darüber zu urteilen? 😛