
Die angekündigte Reise von Papst Leo XIV. in den Nahen Osten wird von kirchlichen Würdenträgern als ein kraftvolles Zeichen der Hoffnung und des Friedens interpretiert – in einer Region, die von Jahrzehnten des Leids, der Zerstörung und des gegenseitigen Mißtrauens geprägt ist. Zwei herausragende Stimmen, Kardinal Bechara Boutros Rai, maronitischer Patriarch des Libanon, und Kardinal Pierbattista Pizzaballa, lateinischer Patriarch von Jerusalem, rufen in eindringlichen Worten zur Umkehr, zur Versöhnung und zum Aufbau einer neuen Friedensordnung auf.
Kardinal Rai: Der Papst bringt Hoffnung in ein erschöpftes Land
Kardinal Bechara Boutros Rai betrachtet den bevorstehenden Besuch des Heiligen Vaters vom 30. November bis 2. Dezember im Libanon als eine „Botschaft des Friedens und der Hoffnung“ an ein tief erschüttertes Volk. „Der Papst kommt in einer Zeit, in der die Waffen im Gazastreifen schweigen und auch der Libanon unter einem brüchigen Waffenstillstand steht“, so der Patriarch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. „Trotz vereinzelter Verstöße ist dies ein bedeutendes Zeichen – und ein Moment, den der Papst nutzen wird, um die libanesische Gesellschaft zu ermutigen, konsequent den Weg des Friedens weiterzugehen.“
Rai, geistliches Oberhaupt der bedeutendsten christlichen Gemeinschaft des Landes, verwies auf die leidvolle Geschichte der Region: vom Bürgerkrieg 1975–1990 über den Konflikt mit Israel bis hin zum jüngsten israelischen Krieg mit der Hisbollah, der allein im vergangenen Jahr fast 4.000 Menschen das Leben kostete. „Der Libanon ist müde – müde von Gewalt, Zerstörung und ständiger Unsicherheit“, betonte der Kardinal. Umso wichtiger sei es, daß Leo XIV. als dritter Papst nach Johannes Paul II. und Benedikt XVI. das Land besuchen wird, um einen Appell an alle religiösen und politischen Kräfte zu richten, dem Frieden den Vorrang zu geben.

Zugleich begrüßte Rai die Bereitschaft des libanesischen Präsidenten Joseph Khalil Aoun, eines maronitischen Christen, Gespräche mit Israel zu führen – ein Tabubruch in einem Land, das sich offiziell noch immer im Kriegszustand mit seinem südlichen Nachbarn befindet. Für den Patriarchen ist klar: Nur wenn der Libanon seine Spaltungen überwindet und eine souveräne, gewaltfreie Ordnung errichtet, kann er eine stabile Zukunft gestalten.
Kardinal Pizzaballa: Ein neues Narrativ, neue Gesichter, neue Hoffnung
Auch Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der lateinische Patriarch von Jerusalem und Papabile im Konklave, unterstreicht die Bedeutung eines tiefgreifenden Wandels – nicht nur strukturell, sondern kulturell und spirituell. Im gestrigen Gespräch mit Radio Vatikan anläßlich der Verleihung des Achille-Silvestrini-Preises betonte er, wie wichtig es sei, eine „neue Erzählung des Friedens“ zu schaffen – jenseits von Gewalt, ideologischer Feindschaft und festgefahrenem Mißtrauen.
„Das Ende des Krieges ist nicht gleichzusetzen mit dem Beginn des Friedens“, mahnte Pizzaballa. Die gegenwärtige Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas sowie die fragile Lage in Gaza und dem Westjordanland seien erst der Anfang eines langen Weges. „Wir stehen am Beginn eines neuen Abschnitts – behutsam, unsicher, aber nicht ohne Hoffnung. Die Menschen sehnen sich danach, die Spirale von Haß und Gegengewalt zu durchbrechen.“
Besonders dramatisch schilderte der Patriarch die Zustände in Gaza: Er sprach von zerstörter Infrastruktur, leidender Bevölkerung und einem ungeklärten Verbleib vieler Geiseln. Und doch sei da ein Funken Hoffnung – getragen von dem Wunsch, den Schmerz des anderen wahrzunehmen. „Der größte Bruch dieser Zeit war, daß jeder nur den eigenen Schmerz sah. Erst jetzt, nach dem Schweigen der Waffen, öffnet sich langsam der Raum für Mitgefühl.“
Pizzaballa plädierte für einen „neuen politischen und religiösen Führungsstil“, für Gesichter, die über alte Frontlinien hinwegsehen und die Würde jedes Menschen ins Zentrum stellen – ob israelisch oder palästinensisch. Der Dialog, so betont er, müsse auf einem neuen Vokabular des Respekts, der gegenseitigen Anerkennung und der Demut basieren.
Der Patriarch zeichnete ein differenziertes Bild der Lage, die keine Seite bevorzugte oder unterschlug. So sprach er auch die Spannungen mit jüdischen Siedlern an. Eine problematische Situation, so der Kardinal, da es keine Autorität gebe, an die man sich damit wenden könne.
Ebenso verurteilte er jede Form von Antisemitismus, warnte aber davor, jede Kritik an der israelischen Politik kategorisch als „antisemitisch“ zu brandmarken, was jeden notwendigen Dialog blockieren würde. Man dürfe sich nicht von radikalen Kräften der verschiedenen Seiten konditionieren lassen.
Dabei richtete er einen klaren Appell an die internationale Gemeinschaft: Die Palästinenser bräuchten nicht nur wirtschaftliche Hilfe, sondern vor allem die Anerkennung als eigenständiges Volk mit unveräußerlicher Würde. Die oft beschworene Zwei-Staaten-Lösung sei zwar schwierig zu realisieren, aber „es darf keine Zukunft geben, in der man den Palästinensern abspricht, ein Recht auf Heimat zu haben“.
Ein gemeinsames Ziel: Frieden als geistliche und politische Aufgabe
Trotz der unterschiedlichen staatsrechtlichen Kontexte eint beide Kardinäle eine tiefe Überzeugung: Frieden ist nicht bloß die Abwesenheit von Krieg, sondern eine geistige Haltung, die neu erlernt und eingeübt werden muß – Tag für Tag, Generation für Generation.
Vor allem ist der Friede auch eine geistliche Frage, denn der wahre Friede ist Christus selbst. Dies ist ein wesentlicher Aspekt, den beide Kirchenmänner nicht ausdrücklich benannten, der jedoch in einem geographischen Raum von Bedeutung ist, in dem zwei Völker und drei Religionen einander gegenüberstehen – von denen zwei Jesus Christus als Sohn Gottes entschieden ablehnen. Der Konflikt kreist unmittelbar oder am Rande – etwa im Libanon – um das Heilige Land, jenes Land, in dem sich die Heilsgeschichte im wesentlichen vollzog.
Beide Patriarchen fordern dazu auf, Verantwortung zu übernehmen: die Kirchen, die Gläubigen, die politischen Entscheidungsträger und die internationale Staatengemeinschaft.
Papst Leo XIV., dessen persönliche Nähe zu den betroffenen Gemeinschaften mehrfach betont wurde – etwa durch regelmäßige Anrufe oder konkrete Hilfslieferungen wie jüngst größere Mengen Antibiotika für Gaza – wird mit seiner Präsenz eine neue Etappe markieren. Die Reise in den Libanon und die vorherige Station in der Türkei (27.–30. November) könnten zu einem symbolträchtigen Wendepunkt werden – wenn es gelingt, Worte in Taten und Hoffnung in Wirklichkeit zu verwandeln.
Kardinal Pizzaballa brachte es wie folgt auf den Punkt: „Wir dürfen keine Illusionen haben, aber wir dürfen auch nicht aufhören zu hoffen. Die Saat des Guten ist da – in der Sehnsucht der Menschen, in ihrem Wunsch, endlich in Würde zu leben. Diese Saat müssen wir bewahren, behüten und zum Blühen bringen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube (Screenshots)
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