(Rom) Der Vorsitzende der Päpstlichen Akademie für das Leben, Msgr. Vincenzo Paglia, gilt seit langem Kritikern als untragbar. Nun gab er eine weitere „Pagliacciata“ von sich, was soviel wie „Blödsinn“ heißt, zugleich aber auch ein Wortspiel mit dem Familiennamen des Kurienerzbischofs ist. Msgr. Paglia lieferte seine „Narrenposse“ und die Päpstliche Akademie für das Leben ruderte gestern zurück. Die Vorgehensweise ist bekannt. So startet man Versuchsballons. Das Ziel ist damit vorgegeben und weist in Richtung Euthanasie.
Am 19. April hielt Paglia in seiner Funktion als Vorsitzender der Päpstlichen Akademie für das Leben beim Festival des Journalismus in Perugia die Rede: „Die letzte Reise (zum Lebensende)“. Die Rede stand nicht allein, sondern „begleitete“ einen Dokumentarfilm, der vorgestellt wurde. Dieser schildert wohlwollend die Geschichte eines Italieners, der in die Schweiz ging, um sich dort euthanasieren zu lassen. Die Organisatoren des Festivals hatten eine klare Agenda vor Augen.
Angesichts der zahlreich anwesenden Journalisten wurde ausführlich darüber berichtet. Die linksliberale italienische Tageszeitung Il Riformista veröffentlichte am 21. April den vollständigen Redebeitrag des Kurienerzbischofs mit Bild und Ankündigung auf der Titelseite:
„Debatte zum Lebensende: Msgr. Paglia ist offen für das Gesetz zur Beihilfe zum Selbstmord.“
Was auf italienisch „Beihilfe zum Selbstmord“ genannt wird, wird auf deutsch verklärend als „Sterbehilfe“ bezeichnet. Die Tageszeitung überließ dem Erzbischof prominent die gesamte Seite drei. Die Hauptschlagzeile lautete:
„Beihilfe zum Selbstmord: Die Zeit ist gekommen, das Gesetz zu verabschieden.“
Sehen wir uns den Untertitel an:
„Die Debatte über das Lebensende und die Positionen der Kirche, die in Bewegung sind. Die Kirche ist kein Verteiler von Wahrheitspillen. Ihre Grundsätze, siehe Todesstrafe, entwickeln sich weiter.“
Über die Stellungnahme von Msgr. Paglia sollte sich niemand wundern. Solche „Pagliacciate“ gab es bereits in der Vergangenheit. Das Dilemma begann damit, daß Johannes Paul II. im Jahr 2000 dem Lobbying der Gemeinschaft von Sant’Egidio nachgab und meinte, ihre demonstrative Nähe zum Heiligen Stuhl durch die Bischofswürde für ihren geistlichen Assistenten, eben Paglia, belohnen zu müssen. Paglia wurde damals Diözesanbischof von Terni-Narni-Amelia. Auf einen ganz anderen Lobbyismus ist die noch weit weniger verständliche Berufung Paglias zurückzuführen, den Benedikt XVI. 2012 zum Vorsitzenden des Päpstlichen Familienrates ernannte und an die Römischen Kurie holte. Damit verbunden war auch die Rangerhöhung zum Erzbischof. Paglia hatte in Terni ein ziemliches Chaos in den Diözesanfinanzen produziert, unter anderem mit einem homoerotischen Jüngsten Gericht eines argentinischen Homo-Künstlers in der Bischofskirche. Die finanziellen Ungereimtheiten riefen sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Die Berufung in den Vatikan kam einer Rettungsaktion gleich, die man Benedikt XVI. untergeschoben hatte.
Doch erst seit der Wahl von Papst Franziskus scheint sich der Kurienprälat so richtig wohlzufühlen. Nun gebe es „kein Zurück mehr“, ließ er die Öffentlichkeit wissen. Im Vorfeld der ersten Familiensynode 2014 erklärte er die überlieferte kirchliche Ehe- und Morallehre implizit zu einer Form von Grausamkeit.
Als Franziskus die Römische Kurie umbaute und den Familienrat auflöste, erhielt Msgr. Paglia 2016 einen neuen Auftrag: die Zertrümmerung von zwei Bollwerken, die Johannes Paul II. errichtet hatte. Paglia wurde Vorsitzender der Päpstlichen Akademie für das Leben, die der polnische Papst als Bollwerk zur Verteidigung der Heiligkeit des Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod geschaffen hatte, insbesondere des Lebensrechts der ungeborenen Kinder, und Großkanzler des Päpstlichen Institutes Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie, die ein Bollwerk zur Verteidigung der Heiligkeit der Ehe und der Familie war. In beiden Institutionen blieb durch Paglia kein Stein auf dem anderen, so wie es Franziskus ihm aufgetragen hatte. Alle Mitglieder der päpstlichen Akademie, obwohl auf Lebenszeit ernannt, wurden vor die Tür gesetzt, um die Stellen anschließend neu zu besetzen. Das Ehe- und Familieninstitut wurde überhaupt dichtgemacht. Alle Mitarbeiter und Lehrbeauftragten, die eine „zu strenge“ Ehe- und Morallehre verteidigten und sich dem neuen Kurs von Amoris laetitia widersetzten, wurden entlassen. Unter einem neuen, wenn auch ähnlich klingenden Namen wurde ein neues Institut mit neuen Statuten und neuem Personal gegründet.
Schräg-zeitgeistige Wortmeldungen stehen seither auf der Tagesordnung, so wie inzwischen auch seltsame Gestalten im Vatikan ein und aus gehen. In den Vatikan wurden Euthanasie- und Abtreibungsbefürworter als Redner zu Sitzungen und Veranstaltungen der päpstlichen Akademien eingeladen. Jüngst wurde die linke Guru-Ökonomin Mariana Mazzucato, die sich selbst als Atheistin bezeichnet und für Abtreibung ausspricht, sogar zum Mitglied der Akademie für das Leben ernannt. Seit Paglia Akademie-Vorsitzender ist, werden das Lebensrecht und die Lebensschützer dauergeohrfeigt. Franciscus lo vult. Da kann es nicht verwundern, wenn der Architekt dieser Umbauten die jüngsten skandalösen Aussagen tätigte.
Als es nach der Paglia-Rede und deren Abdruck im Riformista zu Kritik kam, veröffentlichte die Päpstliche Akademie für das Leben – also faktisch Paglia selbst – am gestrigen 24. April eine Presseerklärung, mit der sie angeblich die Position ihres Vorsitzenden „klärte“. Das Spiel ist bekannt: Es wird ein Versuchsballon gestartet, um die Reaktionen zu testen, dann wird zur Beschwichtigung ein wenig zurückgerudert. Die Richtung, in die es gehen soll, ist jedoch klar vorgegeben: eine Öffnung gegenüber der Euthanasie.
In ihrer Stellungnahme „erklärt“ die Päpstliche Akademie für das Leben, wenig verwunderlich, daß Msgr. Paglia „mißverstanden“ worden sei, was zu „falschen Interpretationen seines Denkens“ geführt habe.
Die Kernaussage der Stellungnahme lautet:
„Vincenzo Paglia, Vorsitzender der Päpstlichen Akademie für das Leben, bekräftigt sein ‚Nein‘ zu Euthanasie und Sterbehilfe in voller Übereinstimmung mit dem Lehramt.“
Ist dem aber so? Ja, wenn man den Kopf in den Sand steckt und sich durch Wortspiele einlullen läßt. Paglia habe in Perugia „nur“ darauf hingewiesen, heißt es in der Presseerklärung, daß „nicht ausgeschlossen werden sollte, daß in unserer Gesellschaft eine rechtliche Vermittlung möglich ist, die den assistierten Selbstmord unter den Bedingungen erlaubt, die im Urteil 242/2019 des Verfassungsgerichts festgelegt sind: Die Person muß ‚durch eine lebenserhaltende Behandlung am Leben erhalten werden und von einer irreversiblen Pathologie betroffen sein, die Quelle eines physischen oder psychischen Leidens ist, das sie als unerträglich empfindet, aber voll fähig sein, freie und bewußte Entscheidungen zu treffen‘.“
Es genügt einen Blick auf die Begründungen zur Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden und Belgien zu werfen, um zu erkennen, daß dort genauso argumentiert wurde, um eine erste Bresche in den Damm zu schlagen. Inzwischen ist man nach immer weiteren „Öffnungs“-Schritten in den Niederlanden so weit, daß bald keinen Moment das Leben eines Menschen vom Gesetz mehr uneingeschränkt geschützt ist.
Paglia sagte wörtlich:
„Persönlich würde ich keine Beihilfe zum Selbstmord praktizieren, aber ich verstehe, daß die rechtliche Vermittlung das größte gemeinsame Gut darstellen kann, das unter den Bedingungen, in denen wir uns befinden, konkret möglich ist.“
Ähnliches ist von der Abtreibungsdebatte her bekannt, wo viele „Gutmenschen“ erklären, selbst „keine Abtreibung“ durchführen zu lassen, doch die Entscheidung jedem selbst überlassen sein solle.
Töten als Option.
Genau das ergibt sich aus den Aussagen Paglias in Perugia und der Presseerklärung der päpstlichen Akademie. Ich nicht, aber…
Und weil die allermeisten Menschen natürlich „instinktiv“ wissen, daß Töten als Option falsch ist, soll die Legalisierung durch ein Gesetz mit vielen verschleiernden Begriffen eine Schein-Legitimität schaffen.
Im Vatikan scheinen nicht mehr alle zu wissen, was der Katechismus der Katholischen Kirche zur Euthanasie lehrt:
„Willentliche Euthanasie, gleich in welcher Form und aus welchen Beweggründen, ist Mord. Sie ist ein schwerer Verstoß gegen die Würde des Menschen und gegen die Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott, seinem Schöpfer“ (KKK, 2324).
Und zum Selbstmord:
„Der Selbstmord ist ein schwerer Verstoß gegen die Gerechtigkeit, die Hoffnung und die Liebe. Er wird durch das fünfte Gebot untersagt“ (KKK, 2325).
In der Enzyklika Evangelium vitae von 1995 schreibt Papst Johannes Paul II.:
„Ich bestätige in Übereinstimmung mit dem Lehramt meiner Vorgänger und in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die Euthanasie eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt“ (EV, 65).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Il Riformista/MiL (Screenshot)