(Rom) Papst Franziskus annullierte im Sommer 2016 einen zentralen Baustein im Werk seines Vorgängers Johannes Paul II.: die Päpstliche Akademie für das Leben. Im November steht ein möglicher Supergau bevor, dessen Urheber der von Franziskus eingesetzte Kurienerzbischof Vincenzo Paglia ist.
Der Umbau der Akademie durch den Papst-Vertrauten
Um genau zu sein, ernannte Franziskus am Hochfest Mariä Himmelfahrt des Jahres 2916 „lediglich“ einen neuen Akademiepräsidenten: den eben genannten Vincenzo Paglia.
Frisch ernannt, schritt dieser zur Tat, und das sicher nicht ohne päpstliche Zustimmung, denn zur Umsetzung des päpstlichen Willens wurde er ja eingesetzt. Paglia wird nicht dem engsten, aber dem engeren Kreis der Papst-Vertrauten zugerechnet.
Zum Jahresbeginn 2017 setzte Paglia sämtliche Akademiemitglieder vor die Tür und die Akademie personell auf Null.
Deutlicher konnte der Bruch mit der bisherigen Linie für eine „Kultur des Lebens“ nicht demonstriert werden. Die Akademie, die von Papst Johannes Paul II. zur Verteidigung des Lebensrechts ungeborener Kinder gegründet worden war, um inmitten der Unkultur des Todes als Leuchtturm zu wirken, soll auf „Bergoglio-Kurs“ gebracht werden. Dieser Kurs besteht darin, wie Franziskus im September 2013 in seinem ersten Interview der Civiltà Cattolica bekanntgab, daß man „nicht ständig“ über Themen „wie Abtreibung“ reden könne. Kurzum: Eine andere Platte soll aufgelegt werden. Eine Musik, die der Welt besser gefällt und die Annäherung und neue Verständigung nicht unnötig stört.
Im November 2016 gab Paglia bekannt, daß die Akademie einen „rilancio“ (Relaunch) bekommt. Der „neue Schwung“ bestand im ersten Schritt im Kahlschlag. Und der zweite Schritt läßt sich nicht viel besser an. Am 5. Juni wurden erste Neuernennungen zu Akademiemitgliedern bekannt.
Ein Mitglied gab dies jedenfalls selbst bekannt. Der niederländische Kardinal Willem Jacobus Eijk, Erzbischof von Utrecht, teilte mit, daß er als Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben bestätigt wurde.
Auf der Internetseite der Akademie allerdings findet sich unter „Mitglieder“ nach wie vor eine Null. Lediglich unter „Ehemalige Mitglieder“ (171) und „Verstorbene Mitglieder“ (11) finden sich Einträge.
Kardinal Eijk, woran der Vatikanist Sandro Magister erinnert, war einer der dreizehn Purpurträger, die im Oktober 2015 mit einem aufsehenerregenden Brief an Papst Franziskus den Verdacht einer Manipulation der Bischofssynode über die Familie äußerten und energisch dagegen protestierten. Die Unterzeichner brachten Franziskus regelrecht in Rage. Niemand möchte ertappt werden.
Der Kardinal ist aber auch ausgebildeter Arzt, promovierter Bioethiker und Philosoph. Seine Doktorarbeit verfaßte er über Gentechnik. Viele Jahre lehrte er Moraltheologie und gilt als eine fachliche Koryphäe. Dazu Magister:
„Seine Nichtbestätigung als Mitglied der Akademie für das Leben wäre ein Skandal gewesen.“
Paglias Liste und die Einmischung des Staatssekretariats
Die Bestätigung von Kardinall Eijk könnte auch weitere Bestätigungen andeuten, „aber sicher nicht aller“, so Magister. Die Annullierung der Akademiemitglieder sollte ja schließlich einen bestimmten Zweck erfüllen, wollte man nicht annehmen, daß Kurienerzbischof Paglia nicht weiß, was er tut. Der Zweck scheint darin zu bestehen, den Rauswurf bestimmter Akademiemitglieder etwas zu verschleiern.
„In- und außerhalb des Vatikans wächst die Spannung, zu sehen, wer auf der neuen Liste stehen wird und wer nicht“, so Magister.
Diese Liste des neuen Akademie-Corpus wurde dem Papst von Paglia bereits vorgelegt. Dann meldete sich jedoch das Staatssekretariat zu Wort und verlangte, die Liste überprüfen zu können. Der Lebenslauf eines jeden Kandidaten, unter denen sich auch Nichtkatholiken, ja sogar Nichtchristen finden, wird unter die Lupe genommen. Offenbar traut man selbst im Staatssekretariat dem Urteilsvermögen Paglias nicht ganz über den Weg. Zumindest möchte man allzu unliebsame Überraschungen vermeiden. Zu offenkundig im Widerspruch mit der katholischen Lehre stehende Kandidaten sollen rechtzeitig gestrichen werden.
„Dieser Filter löste bei Msgr. Paglia heftige Irritationen aus“, so Magister.
Paglias Alleingang und „Bruder Tod“
Als Reaktion darauf geht Paglia einfach im Alleingang weiter. Dabei wurde noch nicht einmal ein Akademierat als Leitungsgremium bestellt, der gemäß Statuten dem Präsidenten bei seinen Entscheidungen zur Seite stehen soll.
Der frühere „Familienminister“ des Vatikans scheint die Akademie als sein persönliches Lehen zu betrachten. Großzügig stellt er den Namen der Akademie für Tagungen, Seminare, Buchvorstellungen und Treffen zur Verfügung. Zuletzt beispielsweise für die Vorstellung seines eigenen jüngsten Buches „Sorella morte“ (Bruder Tod). Die Themen und die Redner wählt er nach seinem Gutdünken.
Das Programm für die Jahrestagung und die jährliche Vollversammlung der Akademie, die bisher immer zu Jahresbeginn abgehalten wurden, legte er aber noch nicht vor. In diesem Jahr wurden Tagung und Vollversammlung auf den 5.–7. Oktober verschoben, „um der Säuberung den Vortritt zu lassen“, so Magister nüchtern. Anders ausgedrückt: Der neue Akademiepräsident wollte keine Vollversammlung mit den alten Akademiemitgliedern durchführen.
Bevor Papst Franziskus Paglia einsetzte, war bereits ein Tagungsthema vorgesehen gewesen: „Donum vitae“, die Instruktion der Glaubenskongregation über „die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung“. Sie wurde 1987 vom damaligen Glaubenspräfekten Joseph Kardinal Ratzinger mit ausdrücklicher Zustimmung von Papst Johannes Paul II. veröffentlicht. Die Tagung sollte sich anläßlich des 30. Jahrestages mit dem Dokument befassen.
„Donum vitae“ in die Schublade und Euthanasie auf den Tisch
Zu den ersten Entscheidungen Paglias gehörte, daß er Donum vitae wieder in einer Schublade verschwinden ließ und stattdessen ein „ziemlich vages“ Thema wählte, so Magister: „Das Leben begleiten. Neue Verantwortung im technologischen Zeitalter“. „Vage“ soll es offenbar grundsätzlich weitergehen, denn schließlich soll der „rigide“ Lebensrechtskurs der „alten“ Akademie überwunden werden.
Für den kommenden 16./17. November ist unter der Schirmherrschaft von Paglias Akademie des Lebens eine weitere Tagung geplant, und zwar in der Sala Vecchia der Synode. Eigentlicher Organisator ist die Europäische Sektion der World Medical Association (WMA). Tagungsthema ist die Euthanasie.
Die WMA will mit dieser Tagung ihre Positionen in Sachen Selbstmord „aktualisieren“. Entsprechender Druck kommt von den Ärzteschaften jener Länder, in denen die Euthanasierung von Patienten straffrei gestellt oder überhaupt legalisiert wurde. Die Beneluxstaaten beispielsweise rühmen sich, so „liberal“ zu sein, die Tötung von Menschen zu erlauben. Dem Vernehmen nach, so Magister, ist
„eine Schlußerklärung geplant, die den Heiligen Stuhl in ernste Schwierigkeiten bringen könnte“.
Weder die WMA noch die Päpstliche Akademie für das Leben haben bisher die Namen der Referenten und deren Themen bekanntgegeben. Weder die Glaubenskongregation noch der ehemalige Päpstliche Rat für die Seelsorge im Gesundheitsdienst, nunmehr ein Teil des neuen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen, sind darüber informiert, geschweige denn in irgendeiner Weise eingebunden.
„Wer weiß, ob das Staatssekretariat auch in diesem Fall eingreifen wird, um wenigstens sicherzustellen, daß es auf der Tagung zumindest einige Referenten gibt, die imstande sind, mit soliden Argumenten die Positionen der katholischen Kirche zum Lebensende zu verteidigen“,
so Magister, der diesen Satz nicht einmal als Frage formuliert.
Schwankender Kantonist
Paglia sei dafür wohl kaum geeignet, so der Vatikanist. Dessen Denken in dieser Sache sei ziemlich „schwankend“, folgt man dem Urteil „vieler namhafter, ehemaliger Mitglieder der von ihm geführten Päpstlichen Akademie“.
Paglia schwankt aber nicht nur beim Thema Euthanasie. Biegsam schwieg er während des Pontifikats von Benedikt XVI. und wurde um so redseliger unter dem Pontifikat von Franziskus – und machte jedesmal Karriere.
Paglia „schwankt auch, was das Leben nach dem Tod und die Auferstehung des Fleisches anbelangt, wenn man betrachtet, was er in seine ehemalige Bischofskirche in Terni malen ließ, als er dort Bischof war“ (siehe Vincenzo Paglia und das homoerotische „Jüngste Gericht“ in der Kathedrale von Terni).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: PAV (Screenshots)/MiL