(Rom) Erzbischof Vincenzo Paglia, Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben und Papst-Vertrauter, verteidigt weiterhin die Ernennung der Ökonomin Mariana Mazzucato zum Mitglied der Akademie durch Papst Franziskus. Das erinnert an einen früheren Fall in der Kirche rund um die Liturgiereform.
Als in der zweiten Hälfte der 60er Jahre die Kommission zur Umsetzung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils eingesetzt wurde, die in Wirklichkeit aber die revolutionäre Liturgiereform hervorbrachte, hieß es, die nichtkatholischen Mitglieder seien nur „Beobachter“. Es gab deren sechs. Msgr. Annibale Bugnini, der Sekretär der Kommission und Architekt der Liturgiereform, verteidigte die Entscheidung auch später in seinem umfangreichen, über tausend Seiten dicken Buch über die Liturgiereform. Die Tatsachen sprechen aber eine andere Sprache, wie man heute weiß: Die angeblichen „Beobachter“ waren den anderen Mitgliedern faktisch gleichgestellt, sie konnten sich zu Wort melden und beratend tätig werden. Erzbischof Vincenzo Paglia scheint derzeit ähnliches zu behaupten und die italoamerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato nur als eine Art „Beobachterin“ an der Akademie darzustellen, die sich – ausgerechnet an der Päpstlichen Akademie für das Leben – nur „mit Wirtschaftsfragen“ befassen werde. Es ist bereits die zweite Variante, mit der Paglia auf die Kontroversen um Mazzucatos Ernennung durch Papst Franziskus zu reagieren versucht.
In der Ausgabe der Tageszeitung Il Giornale von gestern, dem 25. Oktober, wurde ein Interview mit Msgr. Paglia abgedruckt, das Fabio Marchese Ragona mit dem Papst-Vertrauten und Vernichter des Lebensrechts-Erbes von Papst Johannes Paul II. führte.
Marchese Ragona: Monsignore Paglia, Sie wurden am Samstag vom Papst empfangen: Die Ernennung von Mariana Mazzucato zum Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben sorgt für große Kontroversen, vor allem im Ausland. Die Wirtschaftswissenschaftlerin wird als Atheistin und überzeugte Abtreibungsbefürworterin beschrieben. Warum diese Ernennung?
Msgr. Paglia: Die Päpstlichen Akademien haben sich vor allem in den vergangenen Jahren für die Teilnahme von Gelehrten und Experten aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft und Kultur geöffnet.
Marchese Ragona: Einige kritisieren die Kriterien, die der Vatikan bei der Wahl dieses neuen Mitglieds angewandt hat.
Msgr. Paglia: Die Arbeit einer päpstlichen Akademie umfaßt auch Abtreibung und Euthanasie. Diese beiden Themen sind zwar von enormer Bedeutung, erschöpfen aber nicht unsere Arbeit. Die Professorin ist ein bekannter und allseits anerkannter Name auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Sie ist eine der Experten für die „Wirtschaft des Franziskus“. In diesem Bereich kann sie, wie unter Akademikern üblich, kritisiert oder gewürdigt werden und zu einer Quelle von Debatten und vertieften Studien werden.
Marchese Ragona: Es ist die Rede von einer „Abtreibungsbefürworterin im Vatikan“. Das wäre in der Tat paradox, meinen Sie nicht auch?
Msgr. Paglia: Das wäre natürlich paradox, denn der Vorschlag für ihre Kandidatur und die Prüfung, der sie sich in den verschiedenen Gremien unterzog, beruhten auf ihren Schriften und ihrer offiziellen öffentlichen und nachweisbaren akademischen Tätigkeit. Ich glaube, daß Frau Professor Mazzucato in den Bereichen, in denen sie eine Spezialistin und kompetent ist, einen wichtigen Beitrag zu den Fragen der Soziallehre der Kirche leisten kann.
Marchese Ragona: Selbst wenn Mazzucato öffentlich Abtreibungen befürwortet, ist das nur ein Aspekt ihres Privatlebens, der ihre Arbeit an der Päpstlichen Akademie für das Leben nicht beeinträchtigen wird?
Msgr. Paglia: Die Professorin wird konsultiert werden und ihren Beitrag zu Wirtschaftsfragen leisten können, für die sie kompetent ist. Als intelligente Person kennt sie natürlich die Position der Kirche und unserer Institution in der Abtreibungsfrage.
Erzbischof Paglia redet seit dem 15. Oktober konsequent an der Frage vorbei: Die skandalöse Stellungnahme Mazzucatos zur Tötung ungeborener Kinder wird von ihm dabei ausgeblendet. Diese stehe nicht in ihren „offiziellen öffentlichen und nachweisbaren akademischen Arbeiten“, ergo existiert sie für den Vatikan nicht?
Il Giornale hob das irritierende Paradox bereits in der Überschrift hervor: „Eine Abtreibungsbefürworterin im Vatikan? Sie ist gut vorbereitet und wird sich mit Wirtschaftsfragen befassen.“ Das ist Paglias kaum zu glaubende Antwort auf die Frage.
Weder der Heilige Stuhl noch die Päpstliche Akademie für das Leben noch Paglia selbst machen Anstalten, die Frage mit Mazzucato direkt zu klären. Läßt das vermuten, daß die gefeierte Ökonomin der „Wirtschaft des Franziskus“, die Papst Franziskus bereits an früherer Stelle ausdrücklich lobte, von ihrer Abtreibungsposition nicht abrücken könnte? Paglia zieht einen peinlich entlarvenden Vorschlag aus dem Ärmel, wenn er Mazzucato aus der Ferne Intelligenz attestiert und zugleich einen Rat übermittelt: Die Soros-finanzierte Wirtschaftswissenschaftlerin solle nicht mehr öffentlich zur Abtreibung Stellung nehmen.
Paglia selbst beteuert in Abständen, die Abtreibungsfrage habe eine „enorme Bedeutung“, doch in Wirklichkeit hat der Vatikan unter Papst Franziskus und seinem Adlatus Paglia in der Lebensrechtsfrage weitgehend abgerüstet. Franziskus hatte es gleich im ersten Interview seines Pontifikats angekündigt, so wichtig war es ihm (und einigen Kirchenmännern hinter ihm), den lästigen Stolperstein auf dem Weg der Anpassung an die Welt (bzw. neue Allianzen) aus dem Weg zu räumen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Il Giornale (Screenshot)
Die Berufung dieser Dame steht auf allzu tönernen Füßen. Herr Paglia wird sie spätestens nach ihren ersten ernsthaften Interview feuern müssen. Und dann wird er ebenfalls Geschichte sein.