Israel ändert alles – Bergoglianer wird zum Papstkritiker

Wandlungen und Wendungen


Papst Franziskus weigert sich auch im Nahostkonflikt einseitig Partei zu ergreifen und gerät deswegen in schweres Kreuzfeuer
Papst Franziskus weigert sich auch im Nahostkonflikt einseitig Partei zu ergreifen und gerät deswegen in schweres Kreuzfeuer

Die Angrif­fe gegen Papst Fran­zis­kus wegen des Nah­ost-Kon­flikts gehen wei­ter. Sie sind nicht theo­lo­gi­scher, son­dern poli­ti­scher Natur. Und mit einem Schlag dreht sich das Blatt im Wind. Wird Fran­zis­kus von Kräf­ten fal­len­ge­las­sen, die ihn bis­her gestützt haben?

Heftige Polemiken

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Nach­dem Fran­zis­kus am 22. Novem­ber Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge der jüdi­schen Gei­seln der Hamas emp­fan­gen hat­te, wofür er viel Lob ern­te­te, emp­fing er jedoch auch Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von Palä­sti­nen­sern im Gaza­strei­fen, Chri­sten und Mos­lems – und das Blatt dreh­te sich. Plötz­lich geriet Fran­zis­kus in einen Sturm der Kri­tik, der nicht mehr abklin­gen will. Die gegen ihn erho­be­ne Kri­tik wegen sei­ner Hal­tung im Ukrai­ne­krieg wirkt dage­gen wie das Vorspiel.

Den Auf­takt mach­te die Rab­bi­ner­ver­samm­lung Ita­li­ens mit einer Kri­tik, die unsach­lich und unver­hält­nis­mä­ßig war. Der Vati­kan schwieg dazu. Damit war es aber nicht getan. Inzwi­schen sind wei­te­re Kräf­te auf den Zug auf­ge­sprun­gen und schla­gen in die glei­che Ker­be. Papst Fran­zis­kus wird als „Teil des Pro­blems“ bezeichnet.

Inzwi­schen wur­de ein offe­ner Brief von jüdi­schen Gelehr­ten bekannt, der inzwi­schen 400 Unter­zeich­ner fand, die Papst Fran­zis­kus „und die katho­li­sche Kir­che“ auf­for­dern, „in einer Zeit der Ver­wir­rung und der Täu­schung“ zu han­deln und auf die „exi­sten­ti­el­le Bedro­hung, die nicht nur Isra­el, son­dern das gesam­te jüdi­sche Volk betrifft“, zu reagieren.

Nun ist objek­tiv fest­zu­stel­len, daß die 1400 Toten des Hamas-Ter­rors vom 7. Okto­ber eine schreck­li­che mensch­li­che Tra­gö­die, aber kei­ne „exi­sten­ti­el­le Bedro­hung“ für den Staat Isra­el oder „das gesam­te jüdi­sche Volk“ sind. Isra­els Sicher­heits­kräf­te konn­ten den Hamas-Vor­stoß inner­halb kür­ze­ster Zeit zurück­schla­gen. Nie­mand aus der ara­bi­schen oder isla­mi­schen Welt ist seit­her der Hamas zu Hil­fe gekom­men. Und das ist gut so, um den Kon­flikt nicht zum Flä­chen­brand wer­den zu las­sen. Das mili­tä­ri­sche Pro­blem konn­te auf den Gaza­strei­fen ein­ge­schränkt wer­den. Auf­grund der mili­tä­ri­schen Über­le­gen­heit Isra­els sind dort seit­her viel­mehr die palä­sti­nen­si­schen Zivi­li­sten „exi­sten­ti­ell bedroht“.

Der Anwurf gegen Papst Fran­zis­kus zeigt jedoch, wie stark die Pro­pa­gan­da-Akti­vi­tät zio­ni­sti­scher Kräf­te ist. Neu­tra­li­tät wird nicht akzep­tiert. Nicht ein­mal vom Papst. Par­tei­nah­me in einem poli­ti­schen Kon­flikt, der nicht direkt die Kir­che betrifft, ist aber nicht die Auf­ga­be eines Pap­stes, sie war es nicht für sei­ne Vor­gän­ger und ist es nicht für Franziskus.

Dar­an kann sich auch dann nichts ändern, weil momen­tan israe­li­sche, jüdi­sche oder US-ame­ri­ka­ni­sche Inter­es­sen betrof­fen sind.

Unter den Chri­sten, auch den Katho­li­ken, herrscht wenig Kennt­nis über die histo­ri­schen Zusam­men­hän­ge und das nach­christ­li­che Juden­tum, sodaß viel­fach irri­ge Mei­nun­gen her­um­gei­stern und seit eini­ger Zeit zum Teil Blü­ten einer kurio­sen Mysti­fi­zie­rung in sich bergen.

Interview mit Massimo Faggioli

Ein emble­ma­ti­sches Indiz für das plötz­lich ver­än­der­te Kli­ma, das nun Fran­zis­kus trifft, ist das jüng­ste Inter­view der isra­el-freund­li­chen US-Online­zei­tung Huf­fing­ton Post mit dem katho­li­schen Kir­chen­hi­sto­ri­ker Mas­si­mo Fag­gio­li. Die Huf­fing­ton Post ist seit Jah­ren Fag­gio­lis „Haus­blatt“, aus des­sen Spal­ten er sei­ne Pfei­le abschießt.

Fag­gio­li, ein maß­lo­ser Pole­mi­ker, ist ein füh­ren­der Ver­tre­ter der pro­gres­si­ven „Schu­le von Bolo­gna“. Er lob­te Fran­zis­kus bis­her als „ersten Papst, der kei­ne Unsi­cher­hei­ten dazu hat, wie das Kon­zil zu inter­pre­tie­ren ist“, und gab sich als über­zeug­ter Berg­o­glia­ner aus.

Als Bene­dikt XVI. zum Tod von Kar­di­nal Joa­chim Meis­ner ein Bei­leidschrei­ben sand­te, das beim Requi­em im Köl­ner Dom ver­le­sen wur­de, empör­ten sich Berg­o­glia­ner wie Fag­gio­li, der ätz­te: „Es wäre nett zu wis­sen, wer die Bot­schaft von Joseph Ratz­in­ger zum Begräb­nis von Kar­di­nal Meis­ner geschrie­ben hat“.

Fag­gio­li, der in den USA lehrt, lie­fer­te auch Stra­te­gien, um den „Vor­marsch“ kon­ser­va­ti­ver Kräf­te in der Kir­che der USA zu stoppen.

Der pro­gres­si­ve Kir­chen­hi­sto­ri­ker unter­stütz­te die zahl­rei­chen Kar­di­nals­kre­ierun­gen durch Fran­zis­kus, mit denen das Kar­di­nals­kol­le­gi­um mas­siv umge­baut wur­de. Das „Detail“, daß Fran­zis­kus dabei mehr­fach die vor­ge­schrie­be­ne Höchst­gren­ze an Papst­wäh­lern über­schritt, zuletzt ganz ekla­tant, erwähn­te Fag­gio­li dabei nicht.

Sollte Franziskus weniger reden, mehr nachdenken und vorsichtiger sein?

Nun aber, da Isra­el im Spiel ist, änder­te sich die Hal­tung Fag­gio­lis schlag­ar­tig, der sich von Fran­zis­kus abwen­det. Der Huf­fing­ton Post sag­te Fag­gio­li gestern:

„Man kann sich in den Bezie­hun­gen zum Juden­tum und dem Islam weder Vor­la­gen der Ver­gan­gen­heit anver­trau­en noch impro­vi­sie­ren. Es braucht einen Papst, der weni­ger groß­zü­gig mit sei­nen Wor­ten ist, der nach­denkt und vor­sich­tig ist“.

Fag­gio­li atte­stiert dem Vati­kan, daß des­sen Ver­mitt­lungs­ver­su­che sowohl im Ukrai­ne­krieg als auch im Nah­ost­kon­flikt geschei­tert sei­en, „weil der Vati­kan als Teil des Pro­blems gese­hen wird“.

Papst Fran­zis­kus, so die Kri­tik Fag­gio­lis, habe die Kir­che vom Westen weg­ge­führt, eine direk­te Anspie­lung, weil Fran­zis­kus weder in der Ukrai­ne noch im Nahen Osten der Kriegs­stra­te­gie der US-Regie­rung folgt.

Daß es am 22. Novem­ber zu einem Tref­fen des Pap­stes sowohl mit einer jüdisch-israe­li­schen als auch einer palä­sti­nen­si­schen Dele­ga­ti­on aus Chri­sten und Mos­lems kom­men konn­te, führt Fag­gio­li auf die „Mar­gi­na­li­sie­rung des Staats­se­kre­ta­ri­ats“ unter Fran­zis­kus zurück, der alles sel­ber mache.

Dann läßt Fag­gio­li ver­blüf­fen­de Prio­ri­tä­ten erken­nen, indem er erklärt:

„Was am 7. Okto­ber gesche­hen ist, eröff­net ein äußerst heik­les inter­na­tio­na­les The­ma, das mei­ner Mei­nung nach die Koor­di­na­ten der letz­ten sech­zig Jah­re des Dia­logs und der Bezie­hun­gen zu Isra­el als Staat, zum Juden­tum und zum Islam ver­än­dert. Ich den­ke, es gibt Gren­zen und Kon­se­quen­zen für ein Pon­ti­fi­kat, das die­se Din­ge auf einer sehr per­sön­li­chen Ebe­ne behan­delt. Das ist aus mei­ner Sicht eine Gren­ze: Es ist ein Stil, der für den Umgang mit ande­ren Arten von Gesprächs­part­nern funk­tio­nie­ren kann, aber hier gibt es mei­ner Mei­nung nach Gren­zen und auch einen Preis, der in Form von Miß­ver­ständ­nis­sen und Span­nun­gen zu zah­len ist, die man bes­ser ver­mei­den sollte.“

Fag­gio­li macht sich zum Sprach­rohr einer Kon­flikt­par­tei, und das ist kei­ne katho­li­sche. Er for­dert eine Exklu­siv­be­hand­lung, wie auch die ita­lie­ni­schen Rab­bi­ner in ihrer Kri­tik an Papst Fran­zis­kus for­der­ten. Wie maß­voll ist das jedoch, zumal aus dem Mund eines katho­li­schen Theo­lo­gen und Historikers.

Franziskus zu fern der Realität?

So übt Fag­gio­li Kri­tik am Regie­rungs­stil von Franziskus:

„Der Punkt ist, daß wir es mit einem Regie­rungs­stil zu tun haben, der nicht auf Fil­ter, auf insti­tu­tio­nel­le Mecha­nis­men ver­traut oder sich auf sie ver­läßt. Aber der Hei­li­ge Stuhl hat auf inter­na­tio­na­ler, recht­li­cher, poli­ti­scher und diplo­ma­ti­scher Ebe­ne eine Beson­der­heit, die die­se Fil­ter braucht, denn die Bezie­hung zu Staa­ten und völ­ker­recht­li­chen Orga­nen ist eine ande­re als die zu einer Diö­ze­se oder einem Klo­ster oder zu Aktivistenbewegungen.

Und plötz­lich zer­pflückt der bis­her eiser­ne Berg­o­glia­ner den Regie­rungs­stil von Papst Franziskus:

„Die Fra­ge ist, wie man im Vati­kan, in San­ta Mar­ta, die Fol­gen bestimm­ter Wor­te und Hand­lun­gen wahr­nimmt und was dem Papst gesagt wird. Es ist bekannt, daß das erste, was mit den­je­ni­gen pas­siert, die sich in einer Spit­zen­po­si­ti­on befin­den, näm­lich in einer mon­ar­chi­schen Macht­po­si­ti­on, ist, daß die Men­schen in ihrem Umfeld auf­hö­ren, ihm die Wahr­heit zu sagen, oder auf­hö­ren, ihm zu sagen, was sie wirk­lich den­ken, und sich dar­auf beschrän­ken, das zu sagen, was sie den­ken, daß der Mon­arch hören will. Das war schon immer der Fall, aber wenn bestimm­te Fil­ter oder insti­tu­tio­nel­le Mecha­nis­men weg­fal­len, wird das Pro­blem noch gra­vie­ren­der. Wenn der Regie­rungs­stil auf die Bezie­hung zwi­schen dem Papst und der Kir­che als Volk aus­ge­rich­tet ist, liegt es auf der Hand, daß der Gedan­ke, daß es Ver­mitt­ler gibt, rela­ti­viert oder ver­ach­tet wird. Aber die­se Ver­mitt­ler sind wich­tig: Sie sind die­je­ni­gen, die nicht nur die Stim­me des Pap­stes zum Rest der Kir­che in der Welt tra­gen müs­sen, son­dern auch in die ande­re Rich­tung gehen, das heißt, ande­re Stim­men und ande­re Glocken zu Gehör bringen.“

Und die­se Kri­tik betrifft selbst die Wohn­ge­wohn­hei­ten von Franziskus:

„Ich glau­be, daß Fran­zis­kus mehr allein regiert als sei­ne Vor­gän­ger. Zumin­dest bei sei­nen Vor­gän­gern gab es so etwas wie eine päpst­li­che Woh­nung, mit einem sicht­ba­ren und iden­ti­fi­zier­ba­ren Sekre­tär, der eine Fil­ter­funk­ti­on hat­te. Dies hat­te nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen, da es sich um einen kai­ser­li­chen Hof han­del­te, aber er wur­de als die Tür iden­ti­fi­ziert, durch die bestimm­te Ange­le­gen­hei­ten vor­ge­bracht wer­den konn­ten. Heu­te gibt es kei­ne päpst­li­che Woh­nung mehr, der Sekre­tär des Pap­stes ist eine unsicht­ba­re Funk­ti­on, die alle paar Jah­re wech­selt und nicht sicht­bar ist. Es gibt eine Bezie­hung zur römi­schen Kurie, die sehr schwer zu ver­ste­hen ist, da es eini­ge Kar­di­nä­le gibt, denen Papst Fran­zis­kus sehr nahe steht, aber es ist über­haupt nicht klar, was die Rol­le der römi­schen Kurie als sol­che in sei­nem Pon­ti­fi­kat ist. Die Reform der römi­schen Kurie, die im ver­gan­ge­nen Jahr ver­öf­fent­licht wur­de, hat die Funk­ti­on des Staats­se­kre­ta­ri­ats geschwächt und die römi­sche Kurie für die Welt­kir­che emp­fäng­li­cher gemacht, sie aber gleich­zei­tig auch wie­der stär­ker auf den Papst aus­ge­rich­tet. Dies zeigt sich auch in der Kon­sti­tu­ti­on der Vati­kan­stadt, die im Mai ver­öf­fent­licht wur­de. Das sind wider­sprüch­li­che Aspek­te: Es gibt eine Kir­che, die auf Betrei­ben von Papst Fran­zis­kus auf dem Weg ist, syn­oda­ler zu wer­den, aber gleich­zei­tig ist sie auch päpstlicher.“

Und eben­so sein Volksverständnis:

„Es ist eine der Aus­wir­kun­gen der Beto­nung des Pon­ti­fi­kats auf die Bezie­hung zwi­schen dem Papst und dem Volk: die Kir­che als Volk Got­tes. Es ist eine Beto­nung, die Aus­wir­kun­gen auf den Regie­rungs­stil hat, aber auch – für die­je­ni­gen, die sich als Theo­lo­gen damit beschäf­ti­gen – wei­ter­ge­hen­de Aus­wir­kun­gen. Zum Bei­spiel: Was bedeu­tet es, Prie­ster, Bischof oder Kar­di­nal in einer Kir­che zu sein, die sich als Volk defi­niert? Es gibt vie­le offe­ne Fra­gen. Mei­ner Mei­nung nach ist es nicht der poli­ti­sche Popu­lis­mus, gegen den sich Papst Fran­zis­kus in den letz­ten Jah­ren sehr deut­lich und kri­tisch geäu­ßert hat. Aber es ist eben eine der Aus­wir­kun­gen einer Ekkle­sio­lo­gie – also einer Vor­stel­lung von der Kir­che als Volk, zu der der Papst einen direk­ten Bezug hat. Es ist ein brei­te­res Ele­ment die­ses Pon­ti­fi­kats, das nichts mit dem poli­ti­schen Popu­lis­mus zu tun hat, des­sen zer­stö­re­ri­sches Poten­ti­al Papst Fran­zis­kus seit Trump gespürt hat.“

Akzeptanz als Friedensvermittler, indem die Position der US-Regierung vertreten wird?

Fag­gio­lis Ant­wor­ten wer­fen vie­le Fra­gen auf, auch die Fra­ge, was Fag­gio­li plötz­lich an Fran­zis­kus nicht kri­ti­sie­rens­wert fin­det. Doch dann kommt das Inter­view auf die eigent­li­chen Fra­gen zu spre­chen, den Nah­ost­kon­flikt, für den der Ukrai­ne­krieg – aus­sa­ge­kräf­tig – als Anhang abge­han­delt wird:

„Eine Ver­mitt­lung kann dann statt­fin­den, wenn die­je­ni­gen, die sich als Ver­mitt­ler anbie­ten, nicht nur akzep­tiert wer­den, son­dern auch nicht als Teil des Pro­blems ange­se­hen wer­den. Sowohl in der Ukrai­ne-Fra­ge als auch in der Isra­el-Fra­ge neh­men die katho­li­sche Kir­che und der Hei­li­ge Stuhl eine ande­re Posi­ti­on ein als in ande­ren Konflikten.“

Fag­gio­li kri­ti­siert fak­tisch, daß Fran­zis­kus in die­sen Kon­flik­ten nicht die Posi­ti­on „des Westens“ (gemeint sind die US-Regie­rung bzw. Isra­el) ver­tritt. Er erklärt aber nicht, war­um Fran­zis­kus, wenn er sich die west­li­che Posi­ti­on zu eigen machen wür­de, von der ande­ren Sei­te mehr „akzep­tiert“ wer­den soll­te. Hier erweist sich Fag­gio­li zwar als Ver­tre­ter trans­at­lan­ti­scher und zio­ni­sti­scher, aber nicht als Ver­tre­ter katho­li­scher Inter­es­sen. Unklar ist auch, wor­in Fran­zis­kus in die­sen bei­den Kon­flik­ten eine „ande­re Posi­ti­on“ ein­nimmt „als in ande­ren Kon­flik­ten“ oder als sei­ne Vor­gän­ger. Doch hören wir weiter:

„Der Grund dafür ist eine kom­pli­zier­te Geschich­te, in der der Katho­li­zis­mus, das Papst­tum und der Vati­kan zunächst als Teil des Pro­blems des Anti­zio­nis­mus und Anti­se­mi­tis­mus und dann als Teil der kri­ti­schen Bezie­hung zwi­schen Katho­li­zis­mus und Ortho­do­xie in der Ukrai­ne gese­hen wur­den. Die Bemü­hun­gen des Pap­stes sind groß­zü­gig. Mehr als eine Ver­mitt­lung, den­ke ich, ist es eine huma­ni­tä­re Mis­si­on: Ver­mitt­lung bedeu­tet, sich in die Mit­te zu stel­len, und bis­her scheint es mir nicht so, daß der Vati­kan oder sei­ne Abge­sand­ten die Mög­lich­keit hat­ten, sich zwi­schen die bei­den Sei­ten zu set­zen oder sie zum Reden zu brin­gen, aber sie haben ver­sucht, mit den Kon­flikt­par­tei­en und ande­ren ein­fluß­rei­chen Kräf­ten zu spre­chen, zu ver­schie­de­nen Zei­ten und an ver­schie­de­nen Orten. Dabei haben sie sich auf ande­re Kanä­le gestützt, die par­al­lel zu denen der vati­ka­ni­schen Diplo­ma­tie ver­lau­fen. Auch hier ist nicht klar, wel­che Art von Koor­di­nie­rung es mit dem Staats­se­kre­ta­ri­at und der vati­ka­ni­schen Diplo­ma­tie gab. Aber – ich wie­der­ho­le – die bei­den Fäl­le der Ukrai­ne und Isra­els unter­schei­den sich von ande­ren, weil hier der Katho­li­zis­mus und die römi­sche Kir­che seit lan­gem Teil des The­mas und Teil des Pro­blems sind. Alles ist schwie­ri­ger und heik­ler. Des­halb glau­be ich, daß mehr ver­ba­le Dis­zi­plin erfor­der­lich ist. Jedes Wort, jede Geste soll­te sorg­fäl­tig abge­wo­gen und kali­briert wer­den und das Ergeb­nis einer Kon­sul­ta­ti­on mit den Exper­ten des Hei­li­gen Stuhls auf die­sem Gebiet sein, ohne etwas dem guten Instinkt und der Impro­vi­sa­ti­on zu über­las­sen, denn das birgt Risi­ken, die nicht dazu bei­tra­gen, die wah­ren Absich­ten von Papst Fran­zis­kus und des Hei­li­gen Stuhls durchzusetzen.“

Israel, Judentum und Islam sind nicht dieselben wie zur Zeit des Zweiten Vaticanums

Im 7. Okto­ber sieht Fag­gio­li einen Scheidepunkt:

„Der 7. Okto­ber stellt mei­nes Erach­tens eine Zäsur dar. Man kann sich in den Bezie­hun­gen zum Juden­tum und zum Islam nicht mehr auf Vor­la­gen aus der Ver­gan­gen­heit ver­las­sen, und noch weni­ger kann man impro­vi­sie­ren. Es han­delt sich um einen Dia­log mit einem Isra­el, das sich von dem des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils oder sogar von dem der frü­hen 1990er Jah­re unter­schei­det, mit dem der Hei­li­ge Stuhl das grund­le­gen­de Abkom­men unter­zeich­net hat. Heu­te ist Isra­el anders, und die Bezie­hung zwi­schen dem Juden­tum und Isra­el ist anders. Gleich­zei­tig ist auch der Islam, mit dem Papst Fran­zis­kus seit den ersten Jah­ren sei­nes Pon­ti­fi­kats einen Dia­log auf­bau­en woll­te, ein ande­rer. Jetzt, da die Hamas von vie­len Mus­li­men und Palä­sti­nen­sern als Befrei­er gese­hen wird, kann der Dia­log nur anders aus­se­hen. All dies erfor­dert eine Anstren­gung des Nach­den­kens und der Refle­xi­on, die kein ein­zel­ner allein lei­sten kann, nicht ein­mal der Papst.“

Fag­gio­li ist zwar nicht der Mei­nung, daß das 2019 von Papst Fran­zis­kus in Abu Dha­bi mit dem Groß­scheich von Al-Azhar unter­zeich­ne­te Doku­ment zurück­ge­nom­men wer­den müs­se. Das ist da Doku­ment, das die „Häre­sie aller Häre­si­en“ (Josef Sei­fert) ent­hält, indem es alle Reli­gio­nen als „gott­ge­wollt“ dar­stellt. Es sei­en aller­dings die Para­me­ter und Gren­zen zu über­den­ken. Zwin­gend sei jetzt, so Fag­gio­li, daß der Papst in sei­nen Wort­mel­dun­gen und sei­nen Gesten zurück­hal­ten­der und vor­sich­ti­ger werde.

Im Westen, so der Kir­chen­hi­sto­ri­ker, „ver­let­ze“ die Distanz, die Fran­zis­kus ein­neh­me. Man wol­le wis­sen, ob „er mit jenen ist, die wir als Unter­drücker der Palä­sti­nen­ser wahr­neh­men oder mit jenen, die israe­li­sche Frau­en ent­führt und ver­ge­wal­tigt haben“.

„Ange­sichts die­ser Kluft wünscht sich ein Teil des Westens eine Bestä­ti­gung von einem Papst, der nie einen Hehl dar­aus gemacht hat, daß er etwas anders ist.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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