
Von Roberto de Mattei*
Welche Auswirkungen wird die Wahl von Joe Biden auf das Leben der Kirche haben? Biden ist nach John Fitzgerald Kennedy der zweite katholische Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten, aber er sieht sich, wie Massimo Faggioli in seinem kürzlich erschienenen Buch Joe Biden und Katholizismus in den Vereinigten Staaten (Scholé, Brescia 2021) feststellt, einer umgekehrten Situation gegenüber.
Kennedy hatte das Problem, seinen religiösen Glauben mit einem Staat in Einklang zu bringen, in dem die Oberschicht immer protestantisch gewesen war und die Katholiken als ein Fremdkörper angesehen wurden, der als ungebildet galt und verdächtigt wurde, dem Papst treuer zu sein als den demokratischen Freiheiten. Heute sind die Katholiken in das Establishment, von der Regierung bis zum Obersten Gerichtshof, integriert und Bidens Problem ist die Spaltung, mit der er sich innerhalb der katholischen Welt konfrontiert sieht, die zwischen zwei politischen und religiösen Lagern polarisiert ist. Diese Polarisierung verstärkte sich nach der Niederlage von Hillary Clinton im Jahr 2016, als Papst Franziskus zur Galionsfigur der internationalen Linken wurde und Donald Trump gezwungen war, sich als Alternative zu dessen Pontifikat zu präsentieren.
Nun hat Trump die Regierungsmacht abgegeben und Erzbischof Carlo Maria Viganò, der dem amerikanischen Anti-Bergoglianismus eine Stimme verlieh, ist geschwächt, während die Position von Papst Franziskus gestärkt wurde. Sie hat im neuen amerikanischen Präsidenten Biden keinen Feind mehr, sondern einen Verbündeten. Daher kamen die jüngsten Aussagen von Franziskus nicht überraschend, die eine Verurteilung seiner internen Gegner anzukündigen scheinen, aber auch viele Fragen aufwerfen.
Papst Franziskus bekräftigte am 30. Januar 2021 vor den Mitgliedern des Katechetischen Amtes der Italienischen Bischofskonferenz, daß das Zweite Vatikanische Konzil „Lehramt der Kirche ist“:
„Entweder bist du mit der Kirche und folgst daher dem Konzil, und wenn du dem Konzil nicht folgst oder wenn du es auf deine eigene Weise interpretierst, so wie du es willst, bist du nicht mit der Kirche.“
„In diesem Punkt müssen wir fordern, streng sein. Das Konzil ist nicht verhandelbar.“
Diesen Aussagen scheint man entnehmen zu können, daß sich laut Papst Franziskus jeder, der das Zweite Vatikanische Konzil kritisiert, außerhalb der Kirche befindet. Heute kommt die Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzil aber nicht von einer hartnäckigen Minderheit von Traditionalisten, sondern von einem wachsenden Segment von Katholiken, die die katastrophalen Folgen des Zweiten Vatikanischen Konzils erkannt haben.
Massimo Faggioli schreibt in seinem Buch, daß „sich seit den 1980er und 1990er Jahren in den Vereinigten Staaten (und darüber hinaus) ein Katholizismus formiert hat, der gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seinen Öffnungen eine immer kritischere Haltung einnimmt“.
„Eine neue Generation von Katholiken unterzieht, was zwischen den 1950er und 1970er Jahren in der Kirche geschehen ist, einer Überprüfung und reagiert gegen die Theologie, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgebracht wurde“ (S. 164).
Ist diese Denkrichtung das polemische Ziel von Papst Franziskus?
Was die Traditionalisten betrifft, so teilte ein von Kardinal Gerhard Müller unterzeichnetes Schreiben der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei vom 25. März 2017 die Entscheidung von Papst Franziskus mit, allen Priestern der Priesterbruderschaft St. Pius X. die Vollmacht zu gewähren, den Gläubigen gültig und rechtmäßig in der Beichte die Absolution zu erteilen, und den Ortsbischöfen zu erlauben, die Eheschließungen von Gläubigen, die von der Bruderschaft seelsorglich betreut werden, gültig und legitim durchführen zu können. Wie kann man dieses Wohlwollen gegenüber der Piusbruderschaft, jenem religiösen Institut, das am entschiedensten das Zweite Vatikanische Konzil ablehnt, mit den jüngsten Erklärungen in Einklang bringen, daß sich jene, die das Zweite Vaticanum kritisieren, außerhalb der Kirche befinden? Was bedeutet im übrigen „dem Zweiten Vaticanum folgen“? Seine Dokumente buchstabengetreu beachten?
Diese Dokumente werden in Wirklichkeit weitgehend ignoriert, man denke an die Richtlinien der Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium. Andere Konzilsdokumente sind unklar und eignen sich für entgegengesetzte Interpretationen.
Teilt Papst Franziskus die „Hermeneutik der Kontinuität“ von Benedikt XVI., laut der diese Dokumente in Übereinstimmung mit der Tradition der Kirche ausgelegt werden müssen, oder sind diese Dokumente gemäß dem „Geist des Konzils“ zu interpretieren, wie es die Schule von Bologna fordert? Steht in letzterem Fall auch die Hermeneutik von Benedikt XVI. außerhalb der Kirche?
In seiner Erklärung vom 30. Januar sagte Papst Franziskus, daß die Opposition gegen das Zweite Vatikanische Konzil ihn:
„(…) an eine Gruppe von Bischöfen denken läßt, die nach dem Ersten Vaticanum gegangen ist – eine Gruppe von Laien, Gruppen –, um die ‚wahre Lehre‘ fortzusetzen, die nicht die des Ersten Vaticanum war: ‚Wir sind die wahren Katholiken‘. Heute ordinieren sie Frauen. Auch die strengste Haltung, den Glauben ohne das Lehramt der Kirche zu bewahren, führt dich in den Ruin. Bitte, keine Zugeständnisse an jene, die versuchen, eine Katechese zu präsentieren, die nicht mit dem Lehramt der Kirche übereinstimmt.“
Der historische Bezug von Papst Franziskus bezieht sich auf die sogenannten „Altkatholiken“ , die 1870 das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit ablehnten, exkommuniziert wurden und die Kirche verließen. Einige ultraprogressive Theologen wie Andrea Grillo haben diese Kritik von Papst Franziskus an diesen dissidenten Katholiken nicht geschätzt. Grillo setzt ihren Ungehorsam dem „Gehorsam“ des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck entgegen, der die Position des Ersten Vaticanum instrumentell akzeptierte, um die deutschen Bischöfe besser kontrollieren zu können. Laut Grillo deutete Bismarcks Position „auf eine mögliche Abirrung hin: die Reduktion der gesamten Autorität in der Kirche auf den Papst. Etwas, das vom Zweiten Vaticanum fast ein Jahrhundert später mit großer Sorgfalt überarbeitet wurde“.
„Das ist der springende Punkt: Der Gehorsam gegenüber dem Zweiten Vaticanum – ist die strukturelle Annahme seines ‚pastoralen Charakters‘. Mit anderen Worten, ein Unterschied zwischen der ‚Substanz der Tradition‘ und der ‚Formulierung ihrer Umkleidung‘. Die große vom Zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitete Saison – an deren Anfang wir erst stehen – durchläuft ein tiefgreifendes Umdenken der ‚institutionellen Formen‘ in Bezug auf die ‚Substanz der Tradition‘.“
„So können wir feststellen, daß einige der Elemente, die einige vor 150 Jahren dazu brachten, das Erste Vaticanum ‚nicht zu akzeptieren‘, heute im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils zu einem gemeinsamen Erbe geworden sein könnten.“
Das „Umdenken institutioneller Formen“, auf das Grillo hofft, ist dasselbe, das Faggioli in seinem Buch kritisiert, indem er die Verliererstrategie jener anprangert, die er als „post-institutionelle“ Katholiken bezeichnet. Sowohl Grillo als auch Faggioli gehören den Reihen der katholischen Linken an, aber Faggioli lehnt die „post-institutionelle Option“ des amerikanischen Progressivismus ab und hofft, daß Biden den liberalen Katholizismus wieder in den institutionellen Rahmen bringen kann, um den Vormarsch der Konservativen einzudämmen. „Post-Institutionalismus“ ist jedoch nicht nur für Progressive, sondern auch für Konservative und Traditionalisten eine Sackgasse. Solange die Kritiker des Zweiten Vatikanischen Konzils in Form und Inhalt die Hierarchie der Kirche respektieren, kann ihre Verurteilung nicht über ein Medienspektakel hinausgehen. Für eine kanonische Verurteilung fehlen nicht nur die juristischen Voraussetzungen, sondern vor allem auch die logischen. Anders wäre es für jene, die eine außerinstitutionelle Position einnehmen, indem sie eine offene Revolte gegen die kirchlichen Hierarchien auslösen wollen. In diesem Fall wäre es nicht schwierig, die Gründe für eine Verurteilung zu finden, die, obwohl kanonisch auf den Ungehorsam beschränkt, auf medialer Ebene fälschlicherweise sicher auf alle Gegner des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgedehnt würde. Der Grund für die Respektierung der institutionellen Dimension der Kirche ist nicht politisch, sondern übernatürlich. Unter bestimmten Umständen ist es legitim, Männer der Kirche, einschließlich den Papst, in gläubiger Anhänglichkeit zu korrigieren. Im mystischen Leib Christi kann die Seele aber nicht vom Leib getrennt werden. Das spirituelle Element kann nicht vom juristischen getrennt werden, das unsichtbare nicht vom sichtbaren. Das ist das tiefe, aber lebensspendende Geheimnis der katholischen Kirche.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Wieso verabreichen die sich nicht das gleiche wie der unterdrückten Bevölkerung? Wo ist die Gesichtswindel?