(Kiew) Mykhailo Podolyak, Leiter der Präsidialkanzlei des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj, erklärte am Freitag, daß Papst Franziskus „keine Rolle mehr als Vermittler im Krieg zwischen der Ukraine und Rußland spielen“ könne.
Grund für die harte Abfuhr ist die Videobotschaft des Papstes vom 25. August an junge russische Katholiken. Franziskus rief die Jugendlichen auf, sich ihres kulturellen Erbes, der Kultur des „großen Rußlands“, bewußt zu sein.
Dafür erntete das Kirchenoberhaupt in der Ukraine und in westlichen Medien viel Kritik. Franziskus verteidigte seine Aussagen am vergangenen Montag auf dem Rückflug aus der Mongolei und auch am 6. September gegenüber den mit Rom unierten ukrainischen griechisch-katholischen Bischöfen – zumindest den Teil, der die Besinnung und das Festhalten am eigenen kulturellen Erbe betrifft. Er sage dies den Jugendlichen aller Länder, so Franziskus gegenüber den ukrainischen Bischöfen. Er habe den jungen russischen Katholiken gesagt, was er auch den jungen Menschen in anderen Ländern nahelege, ohne bisher dafür kritisiert worden zu sein.
Zugleich räumte Franziskus ein, daß sein Hinweis auf die beiden Zaren Peter I. und Katharina II. möglicherweise mißverständlich gewesen sei, wozu sich jedoch die Historiker äußern sollten.
Die Interpretation der ukrainischen Präsidialkanzlei
Mykhailo Podolyak, Selenskyjs Büroleiter, interpretierte die Papstworte dahingehend, daß Franziskus nicht das „große Rußland“ als bedeutende Kulturnation, sondern „Großrußland“ und dessen imperialistische Bestrebungen gutgeheißen habe, die es, laut Kiew, auch heute wieder verfolge. Wer aber mit „Großrußland“ sympathisiere, so Podolyak gegenüber dem ukrainischen Kanal 24, könne keine Rolle als Friedensvermittler spielen.
Die Aussagen von Franziskus, so der Präsidentenberater, würden „den Ruf des Heiligen Stuhls ernsthaft schädigen“ und „jede Vermittlungsmission“ des Vatikans „zunichtemachen“.
Ihm, so Podolyak, habe deshalb eine Karikatur des Wochenmagazins Wprost, „unserer polnischen Freunde“, gefallen, die Papst Franziskus im Papamobil als Turmaufsatz eines russischen Kampfpanzers zeigt. Das lasse erkennen, so der Leiter der ukrainischen Präsidialkanzlei, daß die Stimme des Papstes in der katholischen Welt nicht mehr gehört werde.
„Wenn eine Person eindeutig das Recht Rußlands vertritt, Bürger eines anderen Landes auf einem anderen souveränen Territorium zu töten, handelt es sich ja schließlich um Kriegsförderung“, so Podolyaks skandalös fragwürdige Auslegung der Papstworte. Nichts dergleichen hatte Franziskus gesagt, dennoch stempelte ihn Podolyak zum Kriegstreiber. Diese Arroganz höchster ukrainischer Vertreter fiel schon in der Vergangenheit unangenehm auf und trug das Ihre zum Kriegsausbruch bei. Die westlichen Garantieerklärungen für die Ukraine, besonders das Wissen um die Rückendeckung durch das US-Imperium, ließ manchen offensichtlich den Kamm steigen. Seit Ende März 2022 will Kiew, auf angelsächsischen Wink hin, keine Friedensverhandlungen mehr, sondern eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld. Die dabei praktizierte Dämonisierung des Gegners als „das Böse“ folgt dem US-Muster der psychologischen Kriegsführung um die öffentliche Meinung. Friedensfördernd ist das nicht.
Vermittlung durch Papst Franziskus könnte der Ukraine schaden
Die ukrainische Härte gegenüber Papst Franziskus stammt direkt von Staatspräsident Selenskyj. Dieser hatte sich bei seinem Rom-Besuch am vergangenen 13. Mai zwar mit Papst Franziskus getroffen, anschließend aber noch am selben Abend in einer Sondersendung des staatlichen Fernsehsenders RAI 1 erklärt, daß ihn eine Friedensvermittlung durch Papst Franziskus nicht interessiere. Tatsächlich galt sein Besuch weniger dem Vatikan, sondern mehr der italienischen Regierung, um von dieser Kriegsgerät zu erhalten und um die italienische Öffentlichkeit umzustimmen, die Waffenlieferungen mit deutlicher Mehrheit ablehnte.
Im Westen ist man wegen der Sympathien für das ukrainische Volk geneigt, über irritierende Positionierungen der ukrainischen Staatsführung hinwegzusehen. Allerdings empfiehlt es sich, zwischen dem Volk und seiner politischen Führung zu unterscheiden. So wie Papst Franziskus zwischen seiner betonten Nähe zum ukrainischen Volk und den politischen Entscheidungen der Kiewer Führung differenziert.
Die jüngste Abfuhr dafür ließ nicht lange auf sich warten:
„Es hat keinen Sinn, über den Papst als Vermittler zu sprechen, wenn er eine pro-russische Position einnimmt, was für jeden völlig offensichtlich ist“, so Podolyak, der sogar erklärte, daß eine Vermittlung dieses Papstes „der Ukraine oder der Gerechtigkeit schaden könnte“.
Offensichtlich hatten die wohlwollenden Aussagen des Papstes vom Dienstag gegenüber den ukrainischen griechisch-katholischen Bischöfen unter Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk nicht die von Santa Marta erhoffte Wirkung. Den Bischöfen versicherte Franziskus:
„Ich bin auf der Seite des ukrainischen Volkes.“
Anderes würde man sich von einem Papst auch nicht erwarten. Franziskus sagte nicht, er stehe auf der Seite der ukrainischen Staatsführung.
Diese warf Franziskus in der Vergangenheit wiederholt mangelnde Empathie und Äquidistanz zu Lasten der Ukraine vor. Im päpstlichen Umfeld hingegen wird betont, der Papst strebe gerade mit seiner Zurückhaltung diese Äquidistanz an. Er stehe in humanitärer Hinsicht ganz auf der Seite des ukrainischen Volkes, wolle aber auf politischer Ebene sich nicht vereinnahmen lassen. Gemeint ist: von der Geopolitik der Regierung Biden. In diesem Sinne gab das Kirchenoberhaupt im Mai 2022 in einem Zeitungsinterview mit dem Corriere della Sera zu verstehen, daß es auch deshalb zum Kriegsausbruch gekommen sein könnte, weil „die NATO vor Rußlands Tür gebellt hat“. Keine westliche Staatskanzlei wagte auch nur annähernd, diesen Teil der Wirklichkeit so offen auszusprechen.
Während Moskau zurückhaltend reagierte, aber nach der Videobotschaft vom 25. August seine Genugtuung über die Papstworte an die jungen russischen Katholiken zum Ausdruck brachte, scheint es für Kiew nur ein Entweder-Oder zu geben: Wer nicht für den Beschluß der ukrainischen Führung ist, die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu suchen, ist gegen die Ukraine? Vor einer solchen Sichtweise hatte der Papst wiederholt gewarnt.
„Jetzt hat dieser Mensch gezeigt, daß er Politik nicht versteht, und macht daher den Einfluß des Katholizismus auf die Welt im allgemeinen noch mehr zunichte“, so Podolyaks undiplomatisch und wenig respektvolle Aussage über Papst Franziskus.
Das bedeutet vor allem: Der Krieg geht weiter. Die Friedensbemühungen von Franziskus, für die mit Kardinal Matteo Zuppi ein päpstlicher Sondergesandter aktiv ist, dessen erstes Reiseziel Kiew war, dann Moskau, Washington und Peking, sind Makulatur. Stefano Fontana, Spezialist für Politische Philosophie und katholische Soziallehre, hatte bereits nach dem Selenskyj-Besuch in Rom erklärt, daß die Vermittlungsversuche von Franziskus „eine gescheiterte Operation“ sind.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Kanal 24/VaticanMedia (Screenshots)
Da die ukrainische Regierung eindeutig auf ihren Militärsieg gegen Rußland dank der großzügigen Waffenzulieferungen setzt, kann sie nichts übrig haben für einen Papst, der sich für eine diplomatische Lösung einsetzt.