Selenskyjs Büroleiter: Papst Franziskus kann „keine Vermittlerrolle mehr spielen“

Wer für den Frieden eintritt, ist ein russischer Kriegstreiber?


Wenn Bilder einen Aussagewert haben: Der Blickwechsel zwischen dem ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj und Papst Franziskus am vergangenen 13. Mai im Vatikan. Der Leiter der ukrainischen Präsidialkanzlei äußerte sich gestern mit erstaunlich abschätziger Arroganz über die Friedensbemühungen von Papst Franziskus
Wenn Bilder einen Aussagewert haben: Der Blickwechsel zwischen dem ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj und Papst Franziskus am vergangenen 13. Mai im Vatikan. Der Leiter der ukrainischen Präsidialkanzlei äußerte sich gestern mit erstaunlich abschätziger Arroganz über die Friedensbemühungen von Papst Franziskus

(Kiew) Mykhai­lo Pod­olyak, Lei­ter der Prä­si­di­al­kanz­lei des ukrai­ni­schen Staats­prä­si­den­ten Wolo­dym­yr Selen­skyj, erklär­te am Frei­tag, daß Papst Fran­zis­kus „kei­ne Rol­le mehr als Ver­mitt­ler im Krieg zwi­schen der Ukrai­ne und Ruß­land spie­len“ könne.

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Grund für die har­te Abfuhr ist die Video­bot­schaft des Pap­stes vom 25. August an jun­ge rus­si­sche Katho­li­ken. Fran­zis­kus rief die Jugend­li­chen auf, sich ihres kul­tu­rel­len Erbes, der Kul­tur des „gro­ßen Ruß­lands“, bewußt zu sein.

Dafür ern­te­te das Kir­chen­ober­haupt in der Ukrai­ne und in west­li­chen Medi­en viel Kri­tik. Fran­zis­kus ver­tei­dig­te sei­ne Aus­sa­gen am ver­gan­ge­nen Mon­tag auf dem Rück­flug aus der Mon­go­lei und auch am 6. Sep­tem­ber gegen­über den mit Rom unier­ten ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Bischö­fen – zumin­dest den Teil, der die Besin­nung und das Fest­hal­ten am eige­nen kul­tu­rel­len Erbe betrifft. Er sage dies den Jugend­li­chen aller Län­der, so Fran­zis­kus gegen­über den ukrai­ni­schen Bischö­fen. Er habe den jun­gen rus­si­schen Katho­li­ken gesagt, was er auch den jun­gen Men­schen in ande­ren Län­dern nahe­le­ge, ohne bis­her dafür kri­ti­siert wor­den zu sein.

Zugleich räum­te Fran­zis­kus ein, daß sein Hin­weis auf die bei­den Zaren Peter I. und Katha­ri­na II. mög­li­cher­wei­se miß­ver­ständ­lich gewe­sen sei, wozu sich jedoch die Histo­ri­ker äußern sollten.

Die Interpretation der ukrainischen Präsidialkanzlei

Mykhai­lo Pod­olyak, Selen­sky­js Büro­lei­ter, inter­pre­tier­te die Papst­wor­te dahin­ge­hend, daß Fran­zis­kus nicht das „gro­ße Ruß­land“ als bedeu­ten­de Kul­tur­na­ti­on, son­dern „Groß­ruß­land“ und des­sen impe­ria­li­sti­sche Bestre­bun­gen gut­ge­hei­ßen habe, die es, laut Kiew, auch heu­te wie­der ver­fol­ge. Wer aber mit „Groß­ruß­land“ sym­pa­thi­sie­re, so Pod­olyak gegen­über dem ukrai­ni­schen Kanal 24, kön­ne kei­ne Rol­le als Frie­dens­ver­mitt­ler spielen.

Die Aus­sa­gen von Fran­zis­kus, so der Prä­si­den­ten­be­ra­ter, wür­den „den Ruf des Hei­li­gen Stuhls ernst­haft schä­di­gen“ und „jede Ver­mitt­lungs­mis­si­on“ des Vati­kans „zunich­te­ma­chen“.

Die Kari­ka­tur „unse­rer pol­ni­schen Freun­de“, die Pod­olyak gefällt: Papst Fran­zis­kus als Teil der rus­si­schen Kriegsmaschinerie

Ihm, so Pod­olyak, habe des­halb eine Kari­ka­tur des Wochen­ma­ga­zins Wprost, „unse­rer pol­ni­schen Freun­de“, gefal­len, die Papst Fran­zis­kus im Papa­mo­bil als Turm­auf­satz eines rus­si­schen Kampf­pan­zers zeigt. Das las­se erken­nen, so der Lei­ter der ukrai­ni­schen Prä­si­di­al­kanz­lei, daß die Stim­me des Pap­stes in der katho­li­schen Welt nicht mehr gehört werde.

„Wenn eine Per­son ein­deu­tig das Recht Ruß­lands ver­tritt, Bür­ger eines ande­ren Lan­des auf einem ande­ren sou­ve­rä­nen Ter­ri­to­ri­um zu töten, han­delt es sich ja schließ­lich um Kriegs­för­de­rung“, so Pod­olyaks skan­da­lös frag­wür­di­ge Aus­le­gung der Papst­wor­te. Nichts der­glei­chen hat­te Fran­zis­kus gesagt, den­noch stem­pel­te ihn Pod­olyak zum Kriegs­trei­ber. Die­se Arro­ganz höch­ster ukrai­ni­scher Ver­tre­ter fiel schon in der Ver­gan­gen­heit unan­ge­nehm auf und trug das Ihre zum Kriegs­aus­bruch bei. Die west­li­chen Garan­tie­er­klä­run­gen für die Ukrai­ne, beson­ders das Wis­sen um die Rücken­deckung durch das US-Impe­ri­um, ließ man­chen offen­sicht­lich den Kamm stei­gen. Seit Ende März 2022 will Kiew, auf angel­säch­si­schen Wink hin, kei­ne Frie­dens­ver­hand­lun­gen mehr, son­dern eine Ent­schei­dung auf dem Schlacht­feld. Die dabei prak­ti­zier­te Dämo­ni­sie­rung des Geg­ners als „das Böse“ folgt dem US-Muster der psy­cho­lo­gi­schen Kriegs­füh­rung um die öffent­li­che Mei­nung. Frie­dens­för­dernd ist das nicht.

Vermittlung durch Papst Franziskus könnte der Ukraine schaden

Die ukrai­ni­sche Här­te gegen­über Papst Fran­zis­kus stammt direkt von Staats­prä­si­dent Selen­skyj. Die­ser hat­te sich bei sei­nem Rom-Besuch am ver­gan­ge­nen 13. Mai zwar mit Papst Fran­zis­kus getrof­fen, anschlie­ßend aber noch am sel­ben Abend in einer Son­der­sen­dung des staat­li­chen Fern­seh­sen­ders RAI 1 erklärt, daß ihn eine Frie­dens­ver­mitt­lung durch Papst Fran­zis­kus nicht inter­es­sie­re. Tat­säch­lich galt sein Besuch weni­ger dem Vati­kan, son­dern mehr der ita­lie­ni­schen Regie­rung, um von die­ser Kriegs­ge­rät zu erhal­ten und um die ita­lie­ni­sche Öffent­lich­keit umzu­stim­men, die Waf­fen­lie­fe­run­gen mit deut­li­cher Mehr­heit ablehnte.

Im Westen ist man wegen der Sym­pa­thien für das ukrai­ni­sche Volk geneigt, über irri­tie­ren­de Posi­tio­nie­run­gen der ukrai­ni­schen Staats­füh­rung hin­weg­zu­se­hen. Aller­dings emp­fiehlt es sich, zwi­schen dem Volk und sei­ner poli­ti­schen Füh­rung zu unter­schei­den. So wie Papst Fran­zis­kus zwi­schen sei­ner beton­ten Nähe zum ukrai­ni­schen Volk und den poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen der Kie­wer Füh­rung differenziert.

Die jüng­ste Abfuhr dafür ließ nicht lan­ge auf sich warten:

„Es hat kei­nen Sinn, über den Papst als Ver­mitt­ler zu spre­chen, wenn er eine pro-rus­si­sche Posi­ti­on ein­nimmt, was für jeden völ­lig offen­sicht­lich ist“, so Pod­olyak, der sogar erklär­te, daß eine Ver­mitt­lung die­ses Pap­stes „der Ukrai­ne oder der Gerech­tig­keit scha­den könnte“.

Offen­sicht­lich hat­ten die wohl­wol­len­den Aus­sa­gen des Pap­stes vom Diens­tag gegen­über den ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Bischö­fen unter Groß­erz­bi­schof Swja­to­slaw Schewtschuk nicht die von San­ta Mar­ta erhoff­te Wir­kung. Den Bischö­fen ver­si­cher­te Franziskus: 

Das gegen­über Papst Fran­zis­kus sehr har­te Pod­olyak-Inter­view für den ukrai­ni­schen Kanal 24

„Ich bin auf der Sei­te des ukrai­ni­schen Volkes.“

Ande­res wür­de man sich von einem Papst auch nicht erwar­ten. Fran­zis­kus sag­te nicht, er ste­he auf der Sei­te der ukrai­ni­schen Staatsführung.

Die­se warf Fran­zis­kus in der Ver­gan­gen­heit wie­der­holt man­geln­de Empa­thie und Äqui­di­stanz zu Lasten der Ukrai­ne vor. Im päpst­li­chen Umfeld hin­ge­gen wird betont, der Papst stre­be gera­de mit sei­ner Zurück­hal­tung die­se Äqui­di­stanz an. Er ste­he in huma­ni­tä­rer Hin­sicht ganz auf der Sei­te des ukrai­ni­schen Vol­kes, wol­le aber auf poli­ti­scher Ebe­ne sich nicht ver­ein­nah­men las­sen. Gemeint ist: von der Geo­po­li­tik der Regie­rung Biden. In die­sem Sin­ne gab das Kir­chen­ober­haupt im Mai 2022 in einem Zei­tungs­in­ter­view mit dem Cor­rie­re del­la Sera zu ver­ste­hen, daß es auch des­halb zum Kriegs­aus­bruch gekom­men sein könn­te, weil „die NATO vor Ruß­lands Tür gebellt hat“. Kei­ne west­li­che Staats­kanz­lei wag­te auch nur annä­hernd, die­sen Teil der Wirk­lich­keit so offen auszusprechen.

Wäh­rend Mos­kau zurück­hal­tend reagier­te, aber nach der Video­bot­schaft vom 25. August sei­ne Genug­tu­ung über die Papst­wor­te an die jun­gen rus­si­schen Katho­li­ken zum Aus­druck brach­te, scheint es für Kiew nur ein Ent­we­der-Oder zu geben: Wer nicht für den Beschluß der ukrai­ni­schen Füh­rung ist, die Ent­schei­dung auf dem Schlacht­feld zu suchen, ist gegen die Ukrai­ne? Vor einer sol­chen Sicht­wei­se hat­te der Papst wie­der­holt gewarnt.

„Jetzt hat die­ser Mensch gezeigt, daß er Poli­tik nicht ver­steht, und macht daher den Ein­fluß des Katho­li­zis­mus auf die Welt im all­ge­mei­nen noch mehr zunich­te“, so Pod­olyaks undi­plo­ma­tisch und wenig respekt­vol­le Aus­sa­ge über Papst Franziskus.

Das bedeu­tet vor allem: Der Krieg geht wei­ter. Die Frie­dens­be­mü­hun­gen von Fran­zis­kus, für die mit Kar­di­nal Matteo Zup­pi ein päpst­li­cher Son­der­ge­sand­ter aktiv ist, des­sen erstes Rei­se­ziel Kiew war, dann Mos­kau, Washing­ton und Peking, sind Maku­la­tur. Ste­fa­no Fon­ta­na, Spe­zia­list für Poli­ti­sche Phi­lo­so­phie und katho­li­sche Sozi­al­leh­re, hat­te bereits nach dem Selen­skyj-Besuch in Rom erklärt, daß die Ver­mitt­lungs­ver­su­che von Fran­zis­kus „eine geschei­ter­te Ope­ra­ti­on“ sind.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Kanal 24/​VaticanMedia (Screen­shots)

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