(Santiago de Chile) Papst Franziskus veröffentlichte gestern eine Botschaft an das pilgernde Volk Gottes in Chile. Der päpstliche Sondergesandte, Erzbischof Charles Scicluna, wird sich ein weiteres Mal nach Chile begeben. Seine Mission im Fall Barros ist überraschend doch noch nicht abgeschlossen.
Die päpstliche Botschaft an die Gläubigen in Chile unterstreicht die Aufmerksamkeit, die Papst Franziskus der chilenischen Kirche nach dem Mißbrauchsskandal zukommen läßt. Durch den Fall des Priesters Fernando Karadima wurde das Vertrauen der Chilene in die Kirche schwer erschüttert. Die Lage war von Franziskus offenbar lange unterschätzt worden. Er hatte die Angelegenheit auf das Tauziehen um seine Ernennung von Msgr. Juan Barros Madrid zum Bischof von Osorno reduziert.
Schließlich stolperte Franziskus über seine eigenen Aussagen, die er im Zuge seiner Pastoralreise nach Chile tätigte. Das negative internationale Echo führte zu einem Umdenken, das seither eine ganze Reihe von Initiativen nach sich zog.
Die Bischöfe Chiles hatten im April den Rücktritt von Bischof Barros gefordert, wozu Franziskus bisher nicht bereit war. Er lud stattdessen alle Bischöfe, einschließlich Barros, nach Rom ein, wo er ihnen drei Tage „ausschließlich“ Gebet und Meditation verordnete.
Da Franziskus Barros nicht emeritieren wollte, sondern die chilenischen Bischöfen insgesamt einer energischen Kopfwäsche unterzog, reagierten diese mit einem kollektiven Rücktrittsangebot nach dem Motto: Wenn nicht Barros zurücktritt (oder zurückgetreten wird), treten alle Bischöfe zurück (damit auch Barros).
Eine Entscheidung des Papstes zu diesem in der Kirchengeschichte beispiellosen Schritt steht noch aus. Einstweilen reagierte das Kirchenoberhaupt mit seinem Schreiben an das Volks Gottes in Chile. Es wurde von den Bischöfen mit betontem Wohlwollen begrüßt. Zugleich gaben sie in einer Presseerklärung bekannt, daß Papst Franziskus seinen „Dialog mit den Mißbrauchsopfern“ fortsetzen wolle und seinen Sondergesandten, Msgr. Charles Scicluna, erneut nach Chile schicken werde. Diesmal in das Bistum Osorno, das von Bischof Barros geleitet wird.
Zeitgleich gab Vatikansprecher Greg Burke in Rom eine Erklärung ab. Er gab bekannt, daß Papst Franziskus an diesem Wochenende in Santa Marta „eine Gruppe von chilenischen Priestern“ beherberge. Nach den Sprechern der Mißbrauchsopfer und den chilenischen Bischöfen ist das im konkreten Fall bereits die dritte Personengruppe, die Franziskus für mehrere Tage in den Vatikan kommen läßt.
Der Vatikansprecher bestätigte zugleich, daß Franziskus seinen Sondergesandten Scicluna und dessen rechte Hand, Msgr. Jordi Bertomeu, erneut nach Chile entsendet, um dieses Mal das Bistum Osorno aufzusuchen. In einer ersten Mission hatte Scicluna mit seinen Mitarbeitern Mißbrauchsopfer von Karadima in den USA und in Chile angehört und Papst Franziskus einen 2.300 Seiten umfassenden Bericht vorgelegt.
Zu Barros nahm Franziskus seit dem Rückflug aus Lateinamerika im vergangenen Januar nicht mehr Stellung.
Der erneute Auftrag an Scicluna soll ursprünglich nicht geplant gewesen sein. Erst die kollektive Rücktrittsdrohung durch die Bischöfe Chiles, habe den Papst zu dieser Erweiterung des Scicluna-Mandats veranlaßt.
Scicluna gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Neo-Kardinal Angelo Becciu als Substitut des Kardinalstaatssekretärs. Eine Ernennung steht aber noch aus und dürfte mit dem Ausgang der Chile-Mission verknüpft werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Chilenische Bischofskonferenz (Screenshot)