Papst-Worte zu Rußland im Kreuzfeuer

Papst kritisiert Imperialismus und Nationalismus – und meint damit nicht nur Moskau?


Am vergangenen Freitag wandte sich Papst Franziskus mit einer Videobotschaft an die katholische Jugend Rußlands – und erntete prompt Kritik im Ausland
Am vergangenen Freitag wandte sich Papst Franziskus mit einer Videobotschaft an die katholische Jugend Rußlands – und erntete prompt Kritik im Ausland

(Rom) Papst Fran­zis­kus hält an einem dif­fe­ren­zier­ten Blick auf den Ukrai­ne-Kon­flikt fest. Das ist der geo­po­li­ti­schen Her­an­ge­hens­wei­se des „Poli­ti­kers auf dem Papst­thron“ geschul­det, wie auch sein Wunsch zeigt, für den Hei­li­gen Stuhl einen Beob­ach­ter­sta­tus bei der BRICS-Staa­ten­ge­mein­schaft zu erhal­ten. Am ver­gan­ge­nen Frei­tag, dem 25. August, wand­te sich Fran­zis­kus mit einer Video­bot­schaft an das 10. Tref­fen der katho­li­schen Jugend in Ruß­land in Sankt Peters­burg – und ern­te­te hef­ti­ge Kri­tik von ukrai­ni­scher und west­li­cher Seite.

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Auf der offi­zi­el­len Inter­net­sei­te des Vati­kans wur­de die Rede ver­öf­fent­licht, aller­dings ein Teil fast am Ende weg­ge­las­sen. Das vati­ka­ni­sche Staats­se­kre­ta­ri­at hat­te inter­ve­niert. Das voll­stän­di­ge Video wur­de jedoch von der katho­li­schen Erz­diö­ze­se Mos­kau und auf einem rus­si­schen You­tube veröffentlicht.

Die vom Vati­kan „ver­ges­se­nen“ Wor­te des Pap­stes an die jun­gen rus­si­schen Katho­li­ken lauten:

„Ver­geßt nie Eure Wur­zeln. Ihr seid die Erben des gro­ßen Ruß­lands: des gro­ßen Ruß­lands der Hei­li­gen, der Herr­scher, des gro­ßen Ruß­lands von Peter I., Katha­ri­na II., die­ses gro­ßen, auf­ge­klär­ten Rei­ches mit gro­ßer Kul­tur und gro­ßer Mensch­lich­keit. Gebt die­ses Erbe nie­mals auf. Ihr seid die Erben der gro­ßen Mut­ter Ruß­land, macht wei­ter. Und dan­ke. Vie­len Dank für Eure Art zu sein, für Eure Art, Rus­sen zu sein.“

Der offen­sicht­li­che Ver­such im Vati­kan, die­se Wor­te von Fran­zis­kus zu ver­tu­schen, war wegen der heu­ti­gen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten jedoch zum Schei­tern ver­ur­teilt. In der Ukrai­ne löste das Bekannt­wer­den die­ser Pas­sa­ge hef­ti­ge Kri­tik aus, aber auch im Westen, der sich in einem Stell­ver­tre­ter­kriegs­mo­dus befin­det, blieb eine sol­che nicht aus.

Bereits in der Ver­gan­gen­heit war es zu hef­ti­gen Unstim­mig­kei­ten zwi­schen San­ta Mar­ta und der mit Rom unier­ten ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che gekom­men, die nicht min­der natio­nal­be­wußt ist als die rus­sisch-ortho­do­xe Kir­che.

Die Reaktion von Großerzbischof Schewtschuk

Swja­to­slaw Schewtschuk, der Groß­erz­bi­schof der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che, ver­öf­fent­lich­te eine Stel­lung­nah­me zur Video­bot­schaft des Pap­stes und brach­te dar­in sei­ne „gro­ße Trau­er und Sor­ge“ zum Ausdruck. 

„Wir hof­fen, daß die­se Wor­te des Hei­li­gen Vaters spon­tan gespro­chen wur­den, ohne den Ver­such einer histo­ri­schen Ein­schät­zung, geschwei­ge denn eine Unter­stüt­zung der impe­ria­li­sti­schen Ambi­tio­nen Rußlands.“

Er tei­le, so der Groß­erz­bi­schof über die Papst-Wor­te, „den gro­ßen Schmerz, den sie nicht nur beim Epi­sko­pat, dem Kle­rus, den Mön­chen und den Gläu­bi­gen unse­rer Kir­che, son­dern auch bei ande­ren Kon­fes­sio­nen und reli­giö­sen Orga­ni­sa­tio­nen ver­ur­sa­chen. Gleich­zei­tig sind wir uns der tie­fen Ent­täu­schung bewußt, die sie in der Gesell­schaft aus­ge­löst haben.“

Der päpst­li­che Hin­weis auf „das gro­ße Ruß­land von Peter I., Katha­ri­na II., die­ses gro­ße, auf­ge­klär­te Reich mit gro­ßer Kul­tur und gro­ßer Mensch­lich­keit“ sei, so Schewtschuk,

„das schlimm­ste Bei­spiel für extre­men rus­si­schen Impe­ria­lis­mus und Nationalismus“.

Und wei­ter:

„Es besteht die Gefahr, daß die­se Wor­te als Unter­stüt­zung des Natio­na­lis­mus und Impe­ria­lis­mus inter­pre­tiert wer­den könn­ten, die heu­te den Krieg in der Ukrai­ne ver­ur­sacht haben, einen Krieg, der unse­rem Volk jeden Tag Tod und Zer­stö­rung bringt.

Die vom Hei­li­gen Vater ange­führ­ten Bei­spie­le wider­spre­chen tat­säch­lich sei­ner Frie­dens­leh­re, da er stets jede Form der Mani­fe­sta­ti­on des Impe­ria­lis­mus in der moder­nen Welt ver­ur­teilt und vor den Gefah­ren des extre­men Natio­na­lis­mus gewarnt hat, indem er beton­te, daß die­ser die Ursa­che des stück­chen­wei­sen ‚drit­ten Welt­krie­ges‘ sei.

Als Kir­che möch­ten wir bekräf­ti­gen, daß sol­che Äuße­run­gen im Kon­text der rus­si­schen Aggres­si­on gegen die Ukrai­ne die neo­ko­lo­nia­len Ambi­tio­nen des Aggres­sor­lan­des beflü­geln, obwohl eine sol­che Art, ‚Rus­se zu sein‘, kate­go­risch ver­ur­teilt wer­den muß.

Um jeg­li­che Mani­pu­la­ti­on der dem Hei­li­gen Vater zuge­schrie­be­nen Absich­ten, Zusam­men­hän­ge und Aus­sa­gen zu ver­mei­den, war­ten wir auf eine Erklä­rung die­ser Situa­ti­on durch den Hei­li­gen Stuhl.“

Zur histo­ri­schen Ein­ord­nung: Katha­ri­na II. befrei­te die gesam­te süd­li­che Ukrai­ne vom Joch der isla­mi­schen Tata­ren, die Vasal­len des Osma­ni­schen Reichs waren, und glie­der­te deren Kha­nat als „Neu­ruß­land“ in das Zaren­reich ein.

Groß­erz­bi­schof Schewtschuk schloß mit der Aussage:

„Die ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che ver­ur­teilt gemein­sam mit allen Bür­gern unse­res Lan­des die Ideo­lo­gie des ‚rus­si­schen Frie­dens‘ und die gesam­te kri­mi­nel­le Art des ‚Rus­sen­seins‘. Wir hof­fen, daß der Hei­li­ge Vater auf unse­re Stim­me hört.“

Zudem gab er bekannt, daß sich die Bischö­fe der ukrai­ni­schen grie­chi­schen-katho­li­schen Kir­che in weni­gen Tagen in Rom zur jähr­li­chen Syn­ode tref­fen und bei die­ser Gele­gen­heit auf den Papst ein­wir­ken wollen.

Die Reaktion der Apostolischen Nuntiatur in Kiew

Dar­auf­hin reagier­te die Apo­sto­li­sche Nun­tia­tur in Kiew mit einer Pres­se­er­klä­rung, die der Beru­hi­gung die­nen soll­te, aller­dings nicht die gewünsch­te Wir­kung hatte:

„Eini­gen Inter­pre­ta­tio­nen zufol­ge könn­te Papst Fran­zis­kus ins­be­son­de­re jun­ge rus­si­sche Katho­li­ken ermu­tigt haben, sich von histo­ri­schen rus­si­schen Per­sön­lich­kei­ten inspi­rie­ren zu las­sen, die für ihre impe­ria­li­sti­schen und expan­si­ven Ideen und Hand­lun­gen bekannt sind, die sich nega­tiv auf die benach­bar­te Bevöl­ke­rung, ein­schließ­lich des ukrai­ni­schen Vol­kes, aus­ge­wirkt haben.
Die­se Päpst­li­che Ver­tre­tung lehnt die oben genann­ten Inter­pre­ta­tio­nen ent­schie­den ab, da Papst Fran­zis­kus nie­mals impe­ria­li­sti­sche Vor­stel­lun­gen ver­tre­ten hat. Im Gegen­teil, er ist ein ent­schie­de­ner Geg­ner und Kri­ti­ker jeg­li­cher Form von Impe­ria­lis­mus oder Kolo­nia­lis­mus in allen Völ­kern und Situa­tio­nen. Die Wor­te des Pap­stes von Rom vom 25. August müs­sen in die­sem Kon­text ver­stan­den werden.“

In Kiew und wohl auch ande­ren west­li­chen Staats­kanz­lei­en ver­steht man die Stel­lung­nah­me als Affront, denn unter­schwel­lig könn­te aus ihr her­aus­ge­le­sen wer­den, daß Fran­zis­kus die rus­si­sche Inter­pre­ta­ti­on vom Kampf um die Unab­hän­gig­keit, Eigen­stän­dig­keit und Sou­ve­rä­ni­tät Ruß­lands gegen west­li­che Schwächungs‑, Über­nah­me- und Zer­stücke­lungs­ver­su­che unter­stützt, wenn nicht sogar Kri­tik am west­li­chen NATO-Expan­sio­nis­mus und dem damit ver­bun­de­nen US-Impe­ria­lis­mus übt.

Die Reaktion des vatikanischen Presseamtes

Wie vom Groß­erz­bi­schof gefor­dert, reagier­te auch das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt. Auch die­ses wies jede Inter­pre­ta­ti­on der Papst­wor­te als „Ver­herr­li­chung der impe­ria­li­sti­schen Logik“ zurück.

Vati­kan­spre­cher Matteo Bruni, der Direk­tor des Pres­se­am­tes, ver­such­te gestern die Pole­mi­ken zu den Wor­ten von Fran­zis­kus zu ent­schär­fen. Aus den Wor­ten an die jun­gen rus­si­schen Katho­li­ken gehe „klar“ her­vor, daß Fran­zis­kus die jun­gen Men­schen „ermu­ti­gen“ woll­te, „das Posi­ti­ve des gro­ßen kul­tu­rel­len und gei­sti­gen Erbes Ruß­lands zu bewah­ren und zu för­dern, und sicher­lich nicht, um impe­ria­li­sti­sche Logi­ken und Regie­rungs­per­sön­lich­kei­ten zu ver­herr­li­chen, indem er auf bestimm­te histo­ri­sche Refe­renz­pe­ri­oden hinweist“.

Die Reaktion des Kremls

Erfreut zeig­te man sich hin­ge­gen im Kreml. Nach­dem eini­ge Tage zuge­war­tet wor­den war, begrüß­te Kreml­spre­cher Dmit­ri Pes­kow gestern die Äuße­run­gen von Papst Fran­zis­kus über Ruß­lands histo­ri­sches Erbe.

Auch im Kreml wur­den die Papst­wor­te so ver­stan­den wie in der Ukrai­ne – und nicht wie sie Vati­kan­spre­cher Bruni dar­stellt –, aller­dings mit posi­ti­ven Vor­zei­chen. Die Dar­stel­lung des Pap­stes, so die Kreml-Erklä­rung, ste­he „in star­ker Über­ein­stim­mung mit den Posi­tio­nen des rus­si­schen Staa­tes und der Gesellschaft“.

Pes­kow sag­te auch:

„Der Papst kennt die rus­si­sche Geschich­te, und das ist sehr positiv“.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: cath​mos​.ru (Screen­shot)

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