„Zwei Monate vor dem Konflikt sagte mir ein Staatsoberhaupt, daß das Verhalten des Atlantischen Bündnisses die Ereignisse auszulösen drohte, die dann geschehen sind.“
In einem ausführlichen Interview, das heute veröffentlicht wurde, spricht Franziskus über den Dritten Weltkrieg, die Ukraine, die NATO und Wladimir Putin.
Papst Franziskus empfing die Schriftleiter der zehn europäischen Jesuitenzeitschriften, allen voran P. Antonio Spadaro, Chefredakteur der bedeutendsten unter ihnen, der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica. Mit sieben Jesuiten und drei Laien, darunter zwei Frauen, führte Franziskus in der Privatbibliothek des Apostolischen Palastes ein Gespräch, das in der Wiedergabe von P. Spadaro heute von der italienischen Tageszeitung La Stampa in Auszügen veröffentlicht wurde. Das vollständige Interview wird von den zehn Jesuitenzeitschriften in ihren nächsten Ausgaben publiziert werden.
Zum Ukrainekonflikt fordert Franziskus dazu auf, das „Rotkäppchen-Schema“ zu verlassen, wo Rotkäppchen „die Gute und der Wolf der Böse ist“:
„Im Ukrainekonflikt gibt es nicht metaphysisch Gute und Böse im abstrakten Sinn.“
Mit diesem kurzen Satz zertrümmert Franziskus ein seit über einem Jahrhundert von den USA angewandtes Propagandaschema von größten historischen Auswirkungen, das Gegner der USA zum „absolut Bösen“ stempelt und für die USA selbst die Rolle des „absolut Guten“ in Anspruch nimmt. Grund für dieses Schema ist die Notwendigkeit zur Mobilisierung der eigenen Bevölkerung und der Verbündeten durch emotionale Aufwiegelung, um Kriege führen zu können.
Im Ukrainekonflikt, so Franziskus, werde „etwas Globales“ sichtbar, „mit Elementen, die untereinander sehr verwoben sind“.
Der Papst hatte Anfang Mai in einem Interview mit dem Corriere della Sera vom „Bellen der NATO an Rußlands Tür“ gesprochen, was im Westen einige empörte Reaktionen auslöste und schnell aus den Medienschlagzeilen verschwand. Im Gespräch mit den Schriftleitern der europäischen Jesuitenzeitschriften führte der Papst aus, warum er zu dieser Einschätzung gelangt war:
„Zwei Monate vor dem Krieg habe ich ein Staatsoberhaupt getroffen, einen weisen Mann, der wenig spricht, dafür aber sehr weise. Und nachdem er über die Dinge gesprochen hatte, über die er mit mir reden wollte, sagte er, daß er sehr besorgt sei darüber, wie sich die NATO verhält. Ich fragte ihn warum, und er sagte mir: ‚Sie bellen an der Tür Rußlands. Und sie verstehen nicht, daß die Russen imperial sind und es keiner fremden Macht erlauben, ihnen zu nahe zu kommen‘. Er endete: ‚Die Situation könnte zum Krieg führen‘. Das war seine Meinung. Am 24. Februar hat der Krieg begonnen. Dieser Staatschef konnte die Zeichen, die passierten, lesen.“
Wie in anderen Situationen vermeidet es Franziskus, Entscheidungsträger beim Namen zu nennen. Auch die USA werden von ihm nicht direkt angesprochen.
„Ich bin nicht für Putin, aber dagegen, komplexe Fragen auf ‚die Guten und die Bösen‘ zu simplifizieren“
In dem Krieg sehe man eine „Brutalität“, so der Papst, die eine Folge sei, weil vor allem „Söldnertruppen“ zum Einsatz kommen. Moskau würde vor allem Tschetschenen und Syrer in den Kampf schicken. Von Söldnern Kiews sagt Franziskus nichts. Es bestehe aber die Gefahr, daß man „nur das Monströse sehe und wir nicht das ganze Drama sehen, das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht auf gewisse Weise provoziert oder nicht verhindert wurde“.
„Ich stelle ein Interesse fest, Waffen zu testen und zu verkaufen.“
Das sei „sehr traurig“, aber „letztlich gehe es genau darum“.
Jemand könnte ihn nun fragen, so Franziskus, ob er „für Putin“ sei:
„Nein, das bin ich nicht. So etwas zu behaupten, wäre zu vereinfachend und falsch. Ich bin einfach nur dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung von Guten und Bösen zu reduzieren, ohne über die Ursachen und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind.“
Und weiter:
„Auch wenn wir die Härte und Grausamkeit der russischen Truppen sehen, dürfen wir die Probleme nicht vergessen, die es zu lösen gilt.“
Die Russen hätten gedacht, alles in einer Woche beenden zu können „und haben sich verkalkuliert“, weil sie auf „ein mutiges Volk“ treffen, „ein Volk, das um das Überleben kämpft“ und auf eine „Geschichte des Kampfes“ zurückblicken könne.
„Was ist mit der Menschheit los, wenn es in hundert Jahren zu drei Weltkriegen kommt?“
Weil die Ukraine „uns nahe ist“, gehe auch ihr Schicksal sehr nahe. „Es gibt aber andere, ferne Länder – denken wir an einige Gegenden in Afrika, Nordnigeria, Nordkongo – wo der Krieg noch im Gange ist und sich niemand darum kümmert.“
„Für mich wurde der Dritte Weltkrieg bereits erklärt. Und das ist ein Aspekt, der uns nachdenklich machen sollte. Was ist mit der Menschheit los, wenn es in einem Jahrhundert zu drei Weltkriegen kommt?“
Er sehe einen Auftrag für die Jesuitenzeitschriften darin, nicht nur geopolitische Analysen anzustellen, die natürlich auch gemacht werden müßten, sondern auch die „menschliche Seite des Krieges“, das „menschliche Drama des Krieges“ zu zeigen.
Immer mit Blick auf den Ukrainekrieg und die Frauen und Kinder der Soldaten sagte Franziskus, man müsse sehr aufmerksam sein, „denn die Aasgeier ziehen bereits ihre Kreise“.
Die Ukraine sei immer ein geteiltes und zerstückeltes Land gewesen, weil sich andere ihrer bemächtigen wollten. „Es ist, als hätte die Geschichte die Ukraine dazu bestimmt, ein heldenhaftes Land zu sein.“
„Ein solches Heldentum zu sehen, das bewegt uns. Ich möchte diesen Punkt unterstreichen: das Heldentum des ukrainischen Volkes. Was wir vor unseren Augen sehen, ist eine Situation des Dritten Weltkrieges, der globalen Interessen, der Waffenverkäufe und geopolitischer Aneignungen, die zum Martyrium eines heldenhaften Volkes führt.“
Franziskus wiederholte, was er bereits im Mai sagte, nur etwas deutlicher: Die Begegnung mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I., die heute im Libanon stattfinden sollte, sei „im gemeinsamen Einvernehmen verschoben“ worden, damit sie „nicht mißverstanden werden kann“.
„Ich hoffe ihn anläßlich einer Generalversammlung in Kasachstan im September zu treffen.“
Gemeint ist damit das Treffen der Welt- und Religionsführer in der Pyramide von Nur-Sultan.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Es ist erstaunlich und auch erfreulich, wie klar in dieser Causa Papst Franziskus das Problem sieht und sich nicht von der
westlichen Kriegspropaganda beeinflussen läßt. So könnte hier der Papst wirklich zur Schlichtung dieses
Konfliktes auf diplomatischen Wegen mithelfen, statt einseitig auf eine rein militärische Lösung zu setzen,der
Ukraine so viel dem russischen Kriegsgerät überlegene Waffen zu liefern, bis die Ukraine den Krieg gewinnt,das heißt
ihre Kriegsziele erreicht hat.
Da kann man erstmal nicht meckern.