Das ukrainische Kreuz mit dem Kreuzweg des Papstes

"Das Kreuz Kains und das Kreuz Abels sind verschieden"


Kain und Abel: Ist das Kreuz Kains ein anderes als das Kreuz Abels?
Kain und Abel: Ist das Kreuz Kains ein anderes als das Kreuz Abels?

(Rom) Die Absicht von Papst Fran­zis­kus, am Kar­frei­tag zwei Frau­en, eine Ukrai­ne­rin und eine Rus­sin, gemein­sam die drei­zehn­te Sta­ti­on der Via Cru­cis im Kolos­se­um betend gehen zu las­sen, sorgt wei­ter­hin für ener­gi­sche Pole­mi­ken – zuletzt vom stell­ver­tre­ten­den Rek­tor der Ukrai­ni­schen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät und bekann­ten ukrai­ni­schen Dis­si­den­ten der Sowjetzeit.

Die Empö­rung erin­nert an den har­schen Umgang ukrai­ni­scher Staats­ver­tre­ter mit der bun­des­deut­schen Staats­füh­rung, der für so man­che Irri­ta­ti­on sorgt. Die öffent­li­che Mei­nung in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist ein­deu­tig und ent­schie­den auf Soli­da­ri­tät und Sym­pa­thie mit der Ukrai­ne und den Ukrai­nern ein­ge­stimmt. Den­noch gibt Kiew im unan­ge­neh­men Ton­fall zu ver­ste­hen, daß dies nicht genüge. 

Die Unfreundlichkeiten Kiews gegenüber Berlin

Zuerst wur­de Außen­mi­ni­ste­rin Baer­bock, obwohl auf demon­stra­ti­ver Soli­da­ri­täts­tour in der Ukrai­ne, nicht von Staats­prä­si­dent Selen­skyj emp­fan­gen, nun wur­de sogar Bun­des­prä­si­dent Stein­mei­er zur uner­wünsch­ten Per­son erklärt und ihm die Tür vor der Nase zuge­knallt. Das wie­der­um zwang Bun­des­kanz­ler Scholz, die ukrai­ni­sche Auf­for­de­rung, die Auf­war­tung in Kiew zu machen, mit einer Absa­ge zu quit­tie­ren. Der uner­freu­li­che Zwi­schen­fall um das Soli­da­ri­täts­kon­zert in Dres­den, dem der ukrai­ni­sche Bot­schaf­ter fern­blieb, weil rus­si­sche Musi­ker teil­neh­men durf­ten, ist in eben­so fri­scher wie ver­stö­ren­der Erinnerung. 

Das unge­wöhn­lich tram­pe­li­ge Ver­hal­ten Kiews wirkt undi­plo­ma­tisch und unpro­fes­sio­nell, kurz­um rät­sel­haft. Als Erklä­rung dafür wer­den die geo­stra­te­gi­schen und glo­bal­po­li­ti­schen Inter­es­sen der US-Regie­rung ins Feld geführt, an wel­che sich Selen­skyj anlehnt. In der Tat kom­men die in Kiew ton­an­ge­ben­den Bera­ter nicht aus Ber­lin oder Brüs­sel, son­dern aus den USA und Großbritannien. 

Offi­zi­ell ist die Rede von „Waf­fen­lie­fe­run­gen“, die Kiew von Ber­lin wün­sche. Doch an Waf­fen für die Ukrai­ne fehlt es nicht. Die Liste der lie­fern­den Staa­ten ist lang. Eher geht es, wenn schon, um deren Bezah­lung. An der Waf­fen­fra­ge kann es jeden­falls nicht liegen. 

In diplo­ma­ti­schen Krei­sen gilt es als offe­nes Geheim­nis, daß weni­ger Kiew, son­dern Washing­ton mit der bun­des­deut­schen Hal­tung noch nicht zufrie­den sei. Die Ukrai­ne ist als Aus­tra­gungs­ort des Zusam­men­pralls das Opfer. Aus US-Per­spek­ti­ve geht es dabei um eine Schwä­chung Ruß­lands und pri­mär dar­um, Ruß­land und Deutsch­land von­ein­an­der fern­zu­hal­ten, was für die näch­sten zwan­zig Jah­re am wir­kungs­voll­sten durch einen Bruch zu errei­chen wäre. 

Aus schier exi­sten­zi­el­len Grün­den wei­gert sich die Bun­des­re­gie­rung in Ber­lin jedoch dem von Washing­ton gewünsch­ten Embar­go von Gas- und Öllie­fe­run­gen zuzu­stim­men. Das Dilem­ma für Deutsch­land, ein­ge­klemmt zwi­schen Kiew und Washing­ton auf der einen Sei­te und sei­nen eige­nen Inter­es­sen ande­rer­seits, ist so groß, daß bereits Öster­reichs Bun­des­kanz­ler Neham­mer (Öster­reich steckt im sel­ben Dilem­ma wie Ber­lin, ist aber nicht NATO-Mit­glied) in die­sen Tagen nicht nur für Wien, son­dern stell­ver­tre­tend auch für Ber­lin in Kiew und dann Mos­kau Gesprä­che führ­te. Das gan­ze Gesche­hen spielt sich hin­ter den Kulis­sen ab, wird jedoch durch Gesten sicht­bar, nicht zuletzt auch durch man­che auf den ersten Blick nicht leicht nach­voll­zieh­ba­re Unfreund­lich­keit pol­ni­scher Ver­tre­ter gegen­über Berlin.

Die Empörung Kiews wegen des römischen Kreuzweges

Ver­gleich­bar harsch ist der ukrai­ni­sche Ton gegen­über dem Hei­li­gen Stuhl wegen einer von vier­zehn Kreuz­weg­sta­tio­nen. Auf aus­drück­li­chen Wunsch von Papst Fran­zis­kus soll die drei­zehn­te Sta­ti­on am Kar­frei­tag von zwei Frau­en aus den kriegs­füh­ren­den Staa­ten gemein­sam unter dem Kreuz gegan­gen werden.

Nach Pro­te­sten von Staats- und Kir­chen­füh­rung der Ukrai­ne beschwer­te sich auch die Ukrai­ni­sche Katho­li­sche Uni­ver­si­tät bei Fran­zis­kus über sei­ne „uner­klär­li­che“ Ent­schei­dung, „das von den Ukrai­nern getra­ge­ne Kreuz mit dem der Rus­sen gleich­zu­set­zen“. Der Bei­trag zu den jüng­sten Pole­mi­ken stammt vom Vize­rek­tor der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät mit Sitz in Lem­berg. Er ließ wissen:

„Das Kreuz Abels und das Kreuz Kains sind unter­schied­li­che Kreuze.“

Der West­ukrai­ner Myros­law Mary­no­wytsch, Jahr­gang 1949, Päd­ago­ge und Über­set­zer, ist seit 2007 stell­ver­tre­ten­der Rek­tor der Ukrai­ni­schen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät. Er war 1991 Mit­be­grün­der von Amne­sty Inter­na­tio­nal in der Ukrai­ne und bis 2016 Vor­sit­zen­der des P.E.N.-Clubs der Ukrai­ne. Wäh­rend der Sowjet­zeit war er Dis­si­dent. Im Alter von 24 Jah­ren wur­de er erst­mals fest­ge­nom­men und mit 28 Jah­ren als Mit­grün­der und Akti­vist der ukrai­ni­schen Hel­sin­ki-Grup­pe wegen „anti­so­wje­ti­scher Agi­ta­ti­on und Pro­pa­gan­da“ zu sie­ben Jah­ren Zwangs­ar­beit im Gulag VS-389/36 und wei­te­ren fünf Jah­ren der Ver­ban­nung in Kasach­stan ver­ur­teilt. Nach zehn Jah­ren konn­te er in die Ukrai­ne zurück­keh­ren. 1990 ver­öf­fent­lich­te er sein im Lager geschrie­be­nes Werk „Das Evan­ge­li­um des hei­li­gen Nar­ren“. Es folg­ten wei­te­re Bücher, u. a. 1991 „Die Ukrai­ne am Ran­de der Hei­li­gen Schrift“, 1993 „Ukrai­ne: Der Weg durch die Wüste“, 1999 „Brie­fe aus der Frei­heit“ und 2016 „Das Uni­ver­sum hin­ter Sta­chel­draht. Erin­ne­run­gen und Gedan­ken eines Dis­si­den­ten“, das im Ver­lag der Ukrai­ni­schen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät erschie­nen ist. Er ist Trä­ger zahl­rei­cher Aus­zeich­nun­gen und Orden für die Ver­tei­di­gung der Men­schen­rech­te, den Kampf für die Frei­heit und Unab­hän­gig­keit der Ukrai­ne und für die gei­sti­ge Wie­der­be­le­bung des ukrai­ni­schen Volkes.

Mit einem auf der Inter­net­sei­te der Uni­ver­si­tät ver­öf­fent­lich­ten Essay reagier­te Mary­no­wytsch auf die Ent­schei­dung des Pap­stes, am Kar­frei­tag im Kolos­se­um in Rom eine ukrai­ni­sche und eine rus­si­sche Frau gemein­sam das Kreuz tra­gen zu lassen.

„Die Ukrai­ner tra­gen das erste Kreuz bereits, die Rus­sen müs­sen das zwei­te Kreuz noch auf ihre Schul­tern neh­men“, schreibt der stell­ver­tre­ten­de Uni­ver­si­täts­rek­tor darin.

„In der Insze­nie­rung der Akti­on steckt defi­ni­tiv kein böser Wil­le, son­dern die Unfä­hig­keit, die Umstän­de die­ses Krie­ges von innen und nicht nur von außen zu sehen. Die Ukrai­ner füh­len also kei­ne Gerech­tig­keit, wenn sie die Wor­te hören, die in die­sen Tagen von Papst Fran­zis­kus kommen.“

Indem er Putin nicht beim Namen nen­ne, „erweckt der Papst den Ein­druck, daß er den Ver­bre­cher von der ver­dien­ten Stra­fe tren­nen will“.

„Die rus­si­sche Pro­pa­gan­da ver­brei­tet jedoch bereits das Wort von der ‚Uner­meß­lich­keit der Sank­tio­nen‘, was die Her­zen vie­ler euro­päi­scher Chri­sten erweicht. Sie haben schon Mit­leid mit den Rus­sen und ver­su­chen bereits, sie vor Ver­ant­wor­tung und Stra­fe zu schüt­zen. Sie sagen, Putin füh­re Krieg, nicht das rus­si­sche Volk. ‚War­um also die guten Rus­sen bestra­fen, die auch lei­den? Ist es nicht bes­ser, wenn sich bei­de Natio­nen jetzt die Hand rei­chen?‘, sagen sie.“

Mary­no­wytsch schreibt weiter:

„Das Chri­sten­tum kann nicht auf sen­ti­men­ta­les Mit­leid redu­ziert wer­den, denn es muß gerecht sein. Die mit­füh­len­den Euro­pä­er müs­sen erken­nen, daß sie den Rus­sen einen Bären­dienst erwei­sen, wenn sie ihnen die Ver­ant­wor­tung abneh­men. Denn das Ver­bre­chen des rus­si­schen Staa­tes in der Ukrai­ne, das nicht als Sün­de ver­stan­den und nicht durch Reue von der See­le genom­men wird, führt zu einer noch grö­ße­ren Sün­de. Die Rus­sen wirk­lich zu lie­ben, bedeu­tet gera­de, ihnen das Aus­maß ihres Ver­bre­chens vor Augen zu füh­ren, ihnen zu erlau­ben, über ihre Taten ent­setzt zu sein, und ihre See­len zu auf­rich­ti­ger Reue vor Gott und den Men­schen zu füh­ren. Erst wenn die kol­lek­ti­ve See­le der Rus­sen unter der Last ihrer eige­nen Ver­ant­wor­tung stol­pert und Trä­nen der Reue vor den Opfern weint, erst dann wird sie die Tür zur Zukunft öffnen.“

Der Vize­rek­tor der Ukrai­ni­schen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät fährt nicht leicht ver­ständ­lich fort, daß es den Deut­schen nach dem Zwei­ten Welt­krieg gelang, den schwie­ri­gen Weg der Ver­söh­nung zu gehen, „aller­dings erst zehn Jah­re nach ihrer Niederlage“.

Was geschah 1955, wor­auf Mary­no­wytsch in sei­ner Geschichts­in­ter­pre­ta­ti­on anspielt? 1955 wur­de im Zuge der Pari­ser Ver­trä­ge in West­deutsch­land der Besat­zungs­sta­tus auf­ge­ho­ben und der 1949 von den west­li­chen Besat­zungs­mäch­ten errich­te­ten Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land eine Teil­sou­ve­rä­ni­tät gewährt. Damit ver­knüpft war der Bei­tritt zur West­eu­ro­päi­schen Uni­on (WEU) und zur NATO.

Mary­no­wytsch setzt dann fort:

„Ob dies den Rus­sen gelingt – und wenn ja, wann – wird die Zukunft zei­gen. Aber unse­re Kreu­ze, mit denen wir zu ihm [Gott] gehen, sind unter­schied­lich: Für die einen ist es das Kreuz des Opfers, für die ande­ren das Buß­kreuz des Sün­ders. Unse­re Gewän­der sind unter­schied­lich: Der ermor­de­te Unschul­di­ge hat ‚wei­ße Klei­der‘ (Offb. 6,11), das sei­ner Mör­der ist blut­be­fleckt (vgl. Jes. 59,3). Und obwohl die Lie­be des Herrn eine ist, spricht sie zu uns unter­schied­lich: zu den Opfern mit Mit­ge­fühl, zu den Tätern mit Här­te. Und das ist die Bedeu­tung der Gerech­tig­keit des Herrn.“

Nach der ukrai­ni­schen Staats­füh­rung und dem grie­chisch-katho­li­schen Groß­erz­bi­schof der Ukrai­ne wie­der­holt auch der Vize­rek­tor der Ukrai­ni­schen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät das „Nein“, daß eine Ukrai­ne­rin und eine Rus­sin am Kar­frei­tag gemein­sam unter dem Kreuz ste­hen können.

Papst Fran­zis­kus scheint aber nicht wil­lens, von die­ser Geste abzu­rücken. Durch eine Rei­he von Twit­ter-Nach­rich­ten ver­such­te er am Diens­tag und Mitt­woch sei­ne Inten­ti­on zu ver­deut­li­chen und den gemein­sa­men Blick auf das Kreuz zu len­ken. Zuletzt schrieb er gestern:

„Wäh­rend welt­li­che Macht nur Zer­stö­rung und Tod hin­ter­lässt, baut der Frie­den Chri­sti Geschich­te auf, aus­ge­hend vom Her­zen eines jeden Men­schen, der ihn aufnimmt.“

„Die Waf­fen des Evan­ge­li­ums sind Gebet, Zärt­lich­keit, Ver­ge­bung und die unent­gelt­li­che Lie­be zu unse­rem Näch­sten, zu jedem Näch­sten. Auf die­se Wei­se kommt der Frie­den Got­tes in die Welt. Des­halb ist die bewaff­ne­te Aggres­si­on die­ser Tage, wie jeder Krieg, eine Schmä­hung Gottes.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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2 Kommentare

  1. Groß­bri­tan­ni­en und die USA sind lei­der nicht nur Bera­ter, son­dern die Hän­de, die ihre Mario­net­te Selins­kij füh­ren. Und selbst­ver­ständ­lich ist es das Haupt­ziel der Anglo­ame­ri­ka­ner wie Chur­chill sag­te, dass die NATO gegrün­det wur­de, um das impe­ria­le Sagen, die USA in Euro­pa zu haben, Russ­land drau­ssen und Deutsch­land unten. Das ken­nen wir aus der Geschich­te, die Eska­la­ti­on der mili­tä­ri­schen Hand­lun­gen 1939 und ins­be­son­de­re der Bom­ben­krieg wur­de von Chur­chill gewünscht. Deutsch­land nach unten zu bekom­men und dort zu hal­ten ist heu­te am ein­fach­sten mit der Nöti­gung Deutsch­lands, durch ein Gas- und Ölem­bar­go sich selbst schwer zu schaden.

  2. Man kann an die­sen Bei­spie­len sehen wie unsin­nig die­se Ver­an­stal­tung inzwi­schen gewor­den ist, weil man sich nicht mehr auf das Lei­den Chri­sti um unse­rer Suen­den wil­len kümmert.
    Das Gan­ze ist eine wun­der­schön illu­mi­nier­te Frei­mau­rer Par­ty mit Zeit­geist The­men und einen Papst der aus wel­chem Grund auch immer, sich wil­len­los vor den Kar­ren span­nen lässt.
    Das ist defi­ni­tiv nicht Katho­lisch und kann daher auch nicht gott­ge­fael­lig sein.

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