Der Papst-Vermittler – eine gescheiterte Operation

Die Aufgabe der Kirche ist weder Diplomatie noch Geopolitik


Papst Franziskus, der "Politiker auf dem Papstthron", mußte am vergangenen Samstag schmerzlich erkennen, daß auf der politischen Ebene andere das Spiel besser beherrschen und ihn auf das Glatteis führten.
Papst Franziskus, der "Politiker auf dem Papstthron", mußte am vergangenen Samstag schmerzlich erkennen, daß auf der politischen Ebene andere das Spiel besser beherrschen und ihn auf das Glatteis führten.

Die abschät­zi­ge Behand­lung von Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen Sams­tag durch den ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wolo­dym­yr Selen­skyj war für den Papst und den Vati­kan pein­lich und demü­ti­gend. Gera­de unter diplo­ma­ti­schen Gesichts­punk­ten wur­den vom Hei­li­gen Stuhl jedoch schwe­re Feh­ler gemacht. „Die katho­li­sche Kir­che hat die Auf­ga­be, Gerech­tig­keit und Erlö­sung in Chri­stus zu leh­ren. Sie darf sich nicht auf das Niveau der Mäch­ti­gen die­ser Erde her­ab­las­sen“, sagt Ste­fa­no Fon­ta­na, einer der intel­li­gen­te­sten zeit­ge­nös­si­schen Ver­tre­ter der kirch­li­chen Sozi­al­leh­re; er legt sei­ne Gedan­ken zu dem vor, was am 13. Mai in Rom gesche­hen ist. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag ließ sich der Hei­li­ge Stuhl gegen sei­ne eige­nen Absich­ten von der ita­lie­ni­schen Regie­rung, die als Agent Washing­tons han­del­te, aufs Glatt­eis füh­ren. Selen­skyj selbst ver­mit­tel­te dabei einen erschreckend arro­gan­ten Ein­druck, weil ihm die trans­at­lan­ti­sche Unter­stüt­zung zu Kopf gestie­gen scheint.

Der Papst als Vermittler, eine gescheiterte und schlecht gehandhabte Operation

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Von Ste­fa­no Fontana*

Die ver­ächt­li­che Behand­lung von Fran­zis­kus durch den ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Selen­skyj – „wir brau­chen kei­ne Ver­mitt­ler“ – nach ihrem Tref­fen vor eini­gen Tagen war, gelin­de gesagt, pein­lich für den Papst und den Vati­kan, kei­nes­wegs abge­mil­dert durch eini­ge den Umstän­den ent­spre­chen­de Wor­te, son­dern sogar noch ver­schlim­mert durch die nach­fol­gen­den Klar­stel­lun­gen. Das Bild, das Fran­zis­kus inmit­ten einer Kohor­te ukrai­ni­scher Regie­rungs­be­am­ter in Tarn­an­zü­gen und mit Waf­fen an der Sei­te zeigt, war für den Hei­li­gen Stuhl sicher­lich ent­mu­ti­gend. Es gelang nicht ein­mal, die Ein­hal­tung des Pro­to­kolls durchzusetzen.

Wolo­dym­yr Selen­skyj und Papst Fran­zis­kus: Wenn Blicke mehr sagen als Worte

Es stimmt, daß die Ableh­nung einer Ver­mitt­lung durch den Vati­kan ein­deu­tig einen ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten offen­bar­te, der das Pro­blem allein mit Waf­fen­ge­walt lösen und der ande­ren Sei­te nicht die gering­ste Chan­ce las­sen will, auch nur mini­mal­ste Bedin­gun­gen zu stel­len; es stimmt auch, daß dadurch die schwe­re Ver­ant­wor­tung der euro­päi­schen Staa­ten durch die Bewaff­nung der Ukrai­ne, ohne auf einen Frie­dens­pro­zeß zu drän­gen, als Kon­se­quenz zuta­ge getre­ten ist… aber es läßt sich nicht leug­nen, daß es für die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie ein Miß­er­folg und ein schwe­rer Image­ver­lust war.

Gera­de aus diplo­ma­ti­scher Sicht wur­den schwer­wie­gen­de Feh­ler gemacht. Nie­mand wür­de öffent­lich sei­ne Bereit­schaft bekun­den, in einem Kon­flikt zu ver­mit­teln, ohne zuvor die Zustim­mung der betei­lig­ten Par­tei­en ein­ge­holt zu haben. Der Drit­te, der sich als Ver­mitt­ler anbie­tet, muß bereits, bevor er mit sei­nem Vor­schlag an die Öffent­lich­keit geht, sicher sein, daß die­ser ange­nom­men wird. Die Annah­me oder Nicht­an­nah­me darf nicht eine Mög­lich­keit sein, son­dern muß von vorn­her­ein fest­ste­hen. Hat man die­se Gewiß­heit nicht, ist es bes­ser, sich nicht selbst als Ver­mitt­ler anzu­bie­ten, da ein mög­li­ches „Nein“ einen Image- und Ein­fluß­ver­lust zur Fol­ge hätte.

Zwei­tens: Wenn eine „gehei­me“ diplo­ma­ti­sche Akti­on ein­ge­lei­tet wird, war­um soll­te man dies in einem Inter­view sagen, wäh­rend sie noch im Gan­ge ist? Doch genau das hat Fran­zis­kus auf sei­nem Rück­flug aus Ungarn getan und im Gegen­zug das Demen­ti der ukrai­ni­schen Regie­rung erhal­ten, die bestritt, daß es eine sol­che gehei­me diplo­ma­ti­sche Akti­vi­tät gab, was den Vati­kan so sehr in Ver­le­gen­heit brach­te, daß sogar Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin ein­grei­fen muß­te. Tat­sa­che ist, daß nie­mand mit Nach­weis behaup­ten kann, daß die­se Akti­vi­tä­ten statt­ge­fun­den haben.

Die gan­ze Ope­ra­ti­on des „Pap­stes-Ver­mitt­lers“ war also von Anfang an und wäh­rend ihres gesam­ten Ver­laufs kata­stro­phal ange­legt, vor allem unter dem Gesichts­punkt der stren­gen diplo­ma­ti­schen Pra­xis. Die­se Din­ge wer­den im stil­len getan, man ver­ge­wis­sert sich im vor­aus, daß man akzep­tiert wird (als Johan­nes Paul II. 1978 einen Krieg zwi­schen Chi­le und Argen­ti­ni­en in der Fra­ge des Bea­gle-Kanals abwen­de­te, war sei­ne Ver­mitt­lung von den Par­tei­en erbe­ten wor­den), man orga­ni­siert die Kom­mu­ni­ka­ti­on und regelt das Pro­to­koll der Tref­fen, weil sie auf der Image-Ebe­ne von gro­ßer Bedeu­tung sind.

Selen­skyj-Mono­log in der Son­der­sen­dung „Por­ta a Por­ta“ am Vater­land­sal­tar in Rom

Die­se Nie­der­la­ge steht im Gegen­satz zu dem Wunsch von Fran­zis­kus, sich auf glo­ba­ler Ebe­ne als Refe­renz­punkt zu posi­tio­nie­ren und sogar sei­ne eige­ne „Geo­po­li­tik“ zum Aus­druck zu brin­gen. Pater Anto­nio Spa­da­ro SJ, der Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca, hat sogar ein Buch mit dem Titel „L’at­lan­te di Fran­ces­co“ („Der Fran­zis­kus-Atlas“) geschrie­ben, das im Ver­lag Mar­si­lio erschie­nen ist. Ihm zufol­ge wen­det sich Fran­zis­kus gegen Ver­ein­fa­cher und die­je­ni­gen, die alles als end­gül­ti­gen Kampf zwi­schen Gut und Böse sehen. Er möch­te den Dia­log und die Barm­her­zig­keit wie­der in den Mit­tel­punkt der inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen stel­len, um für eine Zukunft der Ver­söh­nung zu arbei­ten. Spa­da­ro schreibt: „Er liebt es, die offe­nen Wun­den zu berüh­ren, die zwi­schen den Völ­kern, zwi­schen den Staa­ten bestehen; er will die Mau­ern berüh­ren, um sie zu hei­len. Die glei­che Geste wie Jesus!“. Daher, so Spa­da­ro wei­ter, „bedeu­tet das, daß es kei­ne ein­ge­fah­re­nen Situa­tio­nen gibt, die nicht gelöst wer­den kön­nen; er will die ver­wun­de­ten Orte berüh­ren, weil er weiß, daß es zwi­schen den Völ­kern und Staa­ten kei­ne Kon­flikt­si­tua­tio­nen gibt, die nicht gelöst wer­den kön­nen: Es ist eine gro­ße Öff­nung in Rich­tung Zukunft“.

Tat­sa­che ist jedoch, daß das inter­na­tio­na­le Anse­hen des Hei­li­gen Stuhls in den letz­ten Jah­ren abge­nom­men hat, und der jüng­ste Akt in die­sem Abwärts­trend ist das Nein von Selen­skyj. Das Schwei­gen der Kir­che zur Fra­ge der Men­schen­rech­te in Chi­na und ihr Kom­pro­miß mit Peking haben sicher­lich eine Rol­le gespielt. Aber auch das Schwei­gen zu alten und neu­en kom­mu­ni­sti­schen Regi­men in Latein­ame­ri­ka. Auf die­sem Sub­kon­ti­nent gibt es Regie­run­gen wie die von Nica­ra­gua, die seit lan­gem sogar Kir­chen­män­ner ver­fol­gen, oder ande­re, die die Ein­füh­rung von Geset­zen gegen das Leben und die Fami­lie vor­an­trei­ben, aber aus Rom sind kei­ne Alarm­ru­fe zu hören. Selbst in bezug auf Hong­kong und Vene­zue­la hat der Papst nicht ein­ge­grif­fen. Hin­zu kom­men sei­ne ver­schie­de­nen „poli­ti­schen“ Reden und das star­ke Fest­hal­ten der katho­li­schen Kir­che an poli­tisch kor­rek­ten Umbau­ten wie im Bereich der Öko­lo­gie, wie im Bereich der Gesund­heit und dem der UNO-Zie­le für 2030, die sicher­lich par­tei­isch sind. All dies hat die inter­na­tio­na­le Rol­le des Hei­li­gen Stuhls verdunkelt.

Die wich­tig­ste Fra­ge, die man sich stel­len muß, ist, ob es die Auf­ga­be der Kir­che ist, diplo­ma­ti­sche Ver­mitt­lun­gen durch­zu­füh­ren. Die katho­li­sche Kir­che hat die Auf­ga­be, die Gerech­tig­keit und Erlö­sung in Chri­stus zu leh­ren. Sie darf sich daher nicht auf die Ebe­ne der Mäch­ti­gen die­ser Erde her­ab­las­sen, indem sie sich als einer von ihnen aus­gibt und nach poli­ti­schen Kri­te­ri­en han­delt, die dann nicht ein­mal gut ange­wen­det wer­den. Es kann vor­kom­men, daß zwei Natio­nen, vor allem sol­che mit katho­li­scher Tra­di­ti­on, um Ver­mitt­lung bit­ten, aber es darf nicht gesche­hen, daß der Papst sich als Ver­mitt­ler anbie­tet und damit auf eine poli­ti­sche und poli­ti­sie­ren­de Ebe­ne herabsteigt.

*Ste­fa­no Fon­ta­na ist Direk­tor des Inter­na­tio­nal Obser­va­to­ry Car­di­nal Van Thu­an for the Social Doc­tri­ne of the Church und Chef­re­dak­teur der Kir­chen­zei­tung des Bis­tums Tri­est. Fon­ta­na pro­mo­vier­te in Poli­ti­scher Phi­lo­so­phie mit einer Arbeit über die Poli­ti­sche Theo­lo­gie. Er lehr­te an der Uni­ver­si­tät Vicen­za und der Hoch­schu­le für Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten (ISRE) von Vene­dig und ist Autor zahl­rei­cher Bücher. Zu den jüng­sten gehö­ren „La nuo­va Chie­sa di Karl Rah­ner“ („Die neue Kir­che von Karl Rah­ner. Der Theo­lo­ge, der die Kapi­tu­la­ti­on vor der Welt lehr­te“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2017), gemein­sam mit Erz­bi­schof Giam­pao­lo Cre­pal­di von Tri­est „Le chia­vi del­la que­stio­ne socia­le“ („Die Schlüs­sel der sozia­len Fra­ge. Gemein­wohl und Sub­si­dia­ri­tät: Die Geschich­te eines Miß­ver­ständ­nis­ses“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2019), „La filoso­fia cri­stia­na(„Die christ­li­che Phi­lo­so­phie. Eine Gesamt­schau auf die Berei­che des Den­kens“, Fede & cul­tu­ra, Vero­na 2021).

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: NBQ


Wei­te­re Bei­trä­ge von Ste­fa­no Fontana:

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