Von Stefano Fontana*
Mit den Thesen der deutschen Synode ist wieder einmal von einem Schisma in der Kirche die Rede, aber in den vergangenen Jahren haben Lehramt und Theologie die Grenze zwischen dem, was wahr und unveränderlich ist, und dem, was nicht akzeptabel ist, verwischt. Das Abkommen zwischen dem Vatikan und China, die Änderung des Katechismus in bezug auf die Todesstrafe und die Abschaffung des „intrinsischen Übels“ in Amoris laetitia sind drei entscheidende Schritte, die die Wahrheiten, auf die sich die Kirche gründet, untergraben.
Seit Beginn des deutschen Synodalen Wegs schwebt das Wort „Schisma“ wie ein Ibsensches Gespenst über der Kirche. Polnische Bischöfe haben ihre deutschen Brüder auf die Gefahr hingewiesen. Siebzig Bischöfe aus verschiedenen Teilen der Welt haben ihnen einen offenen Brief geschrieben und sie gewarnt. Mehrere Kardinäle, auch gemäßigte wie Koch, haben auf den Abgrund hingewiesen, auf den man zusteuert. Doch weder Kardinal Marx noch der Vorsitzende der deutschen Bischöfe, Bätzing, lassen Anzeichen erkennen, daß sie die Aufrufe zur Vorsicht annehmen. Ersterer stellte fest, daß der Katechismus nicht in Stein gemeißelt sei, letzterer warf den besorgten Bischöfen vor, die Mißstände vertuschen zu wollen, die die deutsche Synode stattdessen (auf ihre Weise) ansprechen und beheben möchte.
Angesichts dieses Zerfallserscheinung kann man sich fragen, ob das Schisma vermieden werden kann oder nicht. Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang scheint dabei die folgende zu sein: Verfügt die heutige offizielle Kirche noch über die theologischen Begriffe, um mit dem explosiven Knoten umzugehen, oder hat sie die Kategorien verloren, die in der Lage sind, das Problem zu formulieren und die Lösung aufzuzeigen? Genauer gesagt: Wird die Gefahr eines Schismas von der Theologie der heutigen Amtskirche überhaupt noch als eine sehr ernste Gefahr wahrgenommen? Besteht Einigkeit darüber, was ein Schisma ist? Gibt es heute eine gemeinsame Sichtweise darüber, warum diese Gefahr vermieden werden sollte, wer eingreifen sollte, wenn die Gefahr vor den Toren steht und wie?
Was viele beunruhigt, ist nicht so sehr die Gefahr eines Schismas, sondern die Wahrnehmung, daß der theologische und kirchliche Rahmen für den Umgang mit dem Problem ausgefranst ist und nun sehr ungenaue Konturen hat. Das ist ein Vorspiel zur Handlungsunfähigkeit, und folglich daraus, daß den Dingen freien Lauf gelassen wird.
Wenn Kardinal Marx in bezug auf homosexuelle Praktiken behauptet, daß der Katechismus nicht in Stein gemeißelt ist, sondern kritisiert werden und umgeschrieben werden kann, drückt er lediglich in journalistischer Sprache aus, was Theologen seit Jahrzehnten sagen. Nämlich, daß das Glaubensgut (und die Moral) einem geschichtlichen Prozeß unterworfen ist, weil die Situation, aus der heraus es interpretiert wird, voll und ganz Teil seiner Erkenntnis und Formulierung wird. Durch die Anwendung dieses Kriteriums, das wir allgemein als „hermeneutisch“ bezeichnen können und demzufolge die Übermittlung der Glaubens- und Moralinhalte nie über den Zustand einer „Interpretation“ hinausgeht, verliert die theologische Kategorie des Schismas ihre Konsistenz, bis zur Unkenntlichkeit. Was wir heute als Schisma (und sogar als Häresie) betrachten, kann demnach morgen zur Lehre werden.
Auf der Ebene der Weltkirche gab es in vergangener Zeit unter diesem Gesichtspunkt drei sehr interessante Tatsachen.
1
Die erste war das Abkommen zwischen dem Vatikan und dem kommunistischen China. Die Vereinbarung ist geheim, dennoch kann man sagen, daß in diesem Fall eine schismatische Kirche in die römisch-katholische Kirche aufgenommen wurde. Die Grenze zwischen Schisma und Nicht-Schisma ist nach dem Abkommen mit Peking unschärfer geworden.
2
Die zweite war die Änderung des Katechismus in bezug auf die Todesstrafe. Diese Änderung verbreitete die Idee, daß der Katechismus nicht in Stein gemeißelt sei, genau so, wie es Kardinal Marx in München sagt. Das Hauptmotiv zur Rechtfertigung dieser Änderung war die Erkenntnis, daß sich die Sensibilität der Öffentlichkeit in dieser moralischen Frage verändert hatte. Die öffentliche Sensibilität ist jedoch nur eine Tatsache, die nichts über die axiologische Ebene oder der Werte aussagt. Wie kann man unter diesen Voraussetzungen leugnen, daß auch in der deutschen Kirche eine neue Sensibilität zu Fragen der Homosexualität und des Frauenpriestertums gereift sein könnte? Wie kann man das alles als „Schisma“ bezeichnen, wenn es sich um dasselbe Phänomen handelt, das an anderer Stelle genehmigt wurde?
3
Das dritte Beispiel ist die Abschaffung der Morallehre der Kirche über das „intrinsische Übel“, die im Apostolischen Schreiben Amoris laetitia enthalten ist. Nach diesem Dokument ist es sehr schwierig, an der früheren Lehre festzuhalten, daß es an sich schlechte Handlungen gibt, die man niemals zu tun hat. Aber wenn dieser Gedanke verschwindet, wird es dann noch möglich sein, die traditionelle Lehre der Heiligen Schrift und der Kirche über homosexuelle Praktiken zu bekräftigen?
Es hat den Anschein, daß es der Kirche schwerfällt, an einigen ihrer Wahrheiten festzuhalten. Im übrigen, wenn der Katechismus nicht in Stein gemeißelt ist, dann kann auch die darin enthaltene Definition von „Schisma“ revidiert werden, und was gestern als Schisma galt, muß heute nicht mehr als Schisma gelten. Vielmehr könnten sogar jene des Schismas beschuldigt werden, die an den Wahrheiten des Katechismus festhalten, als ob sie in Stein gemeißelt wären. Zu leugnen, daß der Katechismus nicht in Stein gemeißelt ist, könnte als schismatische Äußerung betrachtet werden. Durch den Verlust der Grenzen werden alle Paradoxa möglich. Das Gesagte kann auch auf Häresie und Apostasie ausgedehnt werden, die Begriffe sind, die heute ebenfalls zweifelhafte Grenzen haben. Man denke nur an eine Tatsache: Der „hartnäckige Zweifel“ kann nach Nr. 2089 des Katechismus als Abtrünnigkeit betrachtet werden, und doch wird den Gläubigen heute beigebracht, systematisch zu zweifeln, indem man sie auffordert, sich nicht in der Lehre zu versteifen.
*Stefano Fontana ist Direktor des International Observatory Cardinal Van Thuan for the Social Doctrine of the Church und Chefredakteur der Kirchenzeitung des Erzbistums Triest. Fontana promovierte in Politischer Philosophie mit einer Arbeit über die Politische Theologie. Er lehrte an der Universität Vicenza und der Hochschule für Erziehungswissenschaften (ISRE) von Venedig. Autor zahlreicher Bücher. Zu den jüngsten gehören „La nuova Chiesa di Karl Rahner“ („Die neue Kirche von Karl Rahner. Der Theologe, der die Kapitulation vor der Welt lehrte“, Fede & Cultura, Verona 2017), gemeinsam mit Erzbischof Paolo Crepaldi von Triest „Le chiavi della questione sociale“ („Die Schlüssel der sozialen Frage. Gemeinwohl und Subsidiarität: Die Geschichte eines Mißverständnisses“, Fede & Cultura, Verona 2019), „La filosofia cristiana“ („Die christliche Philosophie. Eine Gesamtschau auf die Bereiche des Denkens“, Fede & cultura, Verona 2021).
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ
Von Stefano Fontana bisher veröffentlicht:
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