Von Roberto de Mattei*
Die Unverletzlichkeit des Beichtgeheimnisses ist eine tragende Säule der katholischen Moral. Der neue Katechismus der Katholischen Kirche sagt dazu:
„Daher erklärt die Kirche, daß jeder Priester, der Beichte hört, unter strengsten Strafen verpflichtet ist, über die Sünden die seine Pönitenten ihm gebeichtet haben, absolutes Stillschweigen zu wahren. Er darf auch nicht auf Kenntnisse Bezug nehmen, welche die Beichte ihm über das Leben der Pönitenten verschafft hat. Dieses Beichtgeheimnis, das keine Ausnahmen zuläßt, heißt ‚das sakramentale Siegel‘, denn das, was der Pönitent dem Priester anvertraut hat, bleibt durch das Sakrament ‚versiegelt‘“ (KKK, 1467).
Der neue Codex des Kirchenrechts bestimmt:
„Ein Beichtvater, der das Beichtgeheimnis direkt verletzt, zieht sich die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation als Tatstrafe zu; verletzt er es aber nur indirekt, so soll er je nach Schwere der Straftat bestraft werden“ (CIC, 1388, § 1).
Für die Kirche rechtfertigt kein Grund die Verletzung des Beichtgeheimnisses, weil – wie der heilige Thomas von Aquin lehrt – diese Sünden dem Priester nicht als Mensch, sondern Gott erzählt werden (Summa theologica, 11,2 ad 2).
Alexandre Dumas Schilderung
Die katholischen Staaten haben das Beichtgeheimnis immer geschützt. Alexandre Dumas übernahm in seinen historischen Roman „La Marquise de Brinvilliers“ eine Episode des Tractatus de confessariis des Erzbischofs von Lissabon, Rodrigo da Cunha y Silva (1577–1643):
„Ein Katalane, geboren in der Stadt Barcelona, der wegen eines von ihm begangenen und gestandenen Mordes zum Tode verurteilt war, weigerte sich, als die Stunde der Hinrichtung kam, zu beichten. Mehrfach wurde versucht, ihn umzustimmen, doch er wehrte sich so entschieden, daß in den anderen die Überzeugung reifte, diese Rebellion sei Ausdruck der aufgewühlten Seele wegen des nahenden Todes. Der heilige Thomas von Villanova (1488–1555), Erzbischof von Valencia, wurde darüber informiert. Der hohe Prälat bemühte sich persönlich, den Übeltäter davon zu überzeugen, sein Leben nicht ohne Beichte zu beenden, damit er zum Körper nicht auch noch seine Seele verliere. Der Erzbischof war aber sehr überrascht, als er ihn nach dem Grund seiner Beichtverweigerung fragte, und der Verurteilte ihm antwortete, die Beichtväter zu hassen, weil er genau wegen der Enthüllung, die er in der Beichte gemacht hatte, wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde. Niemand hatte von dem Mord gewußt, außer der Priester, dem er die Tat sowie den Ort gebeichtet hatte, an dem er die Leiche seines Opfers vergraben hatte, und weitere Details. Der Priester meldete alle Einzelheiten den Behörden, weshalb der überführte Mörder nicht mehr leugnen konnte. Erst im Prozeß erfuhr der Schuldige, daß der Priester der Bruder des Mordopfers war und der brüderliche Wunsch nach Vergeltung über dessen priesterliche Pflichten obsiegt hatte. Für den heiligen Thomas von Villanova war diese Erklärung aber schwerwiegender als der Prozeß, weil er das Ansehen der Religion betraf. Daher waren auch seine Konsequenzen gewichtiger, die er daraus zog. Er rief den Priester zu sich, ließ ihn die Verletzung des Beichtgeheimnisses gestehen und verlangte von den Richtern die Aufhebung des Todesurteils und die Freilassung des Täters. So geschah es schließlich auch unter dem bewundernden Applaus des Publikums. Der Beichtvater wurde zu einer sehr harten Strafe verurteilt, die der heilige Thomas nur wegen des sofortigen Eingeständnisses der Schuld durch den Priester abmilderte, und auch deshalb, weil die weltlichen Richter dieses Sakrament so in Ehren hielten.“
Der Angriff gegen das Beichtgeheimnis
Die abendländische Rechtstradition hat das Beichtsiegel immer respektiert, doch der Säkularisierungsprozeß der vergangenen Jahrzehnte, der laut Meinung einiger zum Nutzen der Kirche hätte sein sollen, verändert die Lage. In einem jüngst von der römischen Tageszeitung Il Messaggero veröffentlichten Artikel der Vatikanistin Franca Giansoldati heißt es, daß „die Abschaffung des Beichtgeheimnisses eine Hypothese ist, die trotz der harten Widerstände der Episkopate in verschiedenen Ländern unerbittlich an Boden gewinnt“ (20. Dezember 2018).
Die Fakten geben ihr leider recht.
In Australien verabschiedete das Hauptstadtterritorium von Canberra ein Gesetz, das Priester zwingt, das Beichtsiegel zu verletzen, wenn sie Kenntnis von sexuellen Mißbrauchsfällen erlangen sollten.
In Belgien wurde der Priester Alexander Stroobandt vom Gericht in Brügge verurteilt, weil er die Sozialdienste nicht über die potentiellen Selbstmordabsichten eines Mannes informiert hatte. Das Gericht befand, daß das Beichtgeheimnis keine absolute Geltung haben könne, sondern zur Suizidprävention und bei Fällen von Mißbrauch Minderjähriger gebrochen werden müsse.
In Italien entschied der Kassationsgerichtshof mit dem Urteil Nr. 6912 vom 14. Februar 2017, daß Priester in einem Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs als Zeugen geladen werden können. Sollten sie sich unter Berufung auf das Beichtgeheimnis weigern, würde das als falsche Beweisaussage und somit als Straftat gewertet.
Über dieses Thema wird wahrscheinlich auch beim Gipfel zwischen dem Papst und den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen aus aller Welt gesprochen werden, der vom 21.–24. Februar 2019 in Rom stattfinden wird, um über „den Schutz der Minderjährigen in der Kirche“ zu sprechen. Papst Franziskus und die Hierarchien scheinen sich allerdings den Forderungen der Welt zu beugen, wenn sie zwischen Sünden unterscheiden, die für die weltlichen Staaten eine Straftat sind, wie die Pädophilie, und Sünden, die von den modernen Staaten geschützt werden, wie die Homosexualität. Für erstere fordern die Kirchenmänner „Nulltoleranz“ und scheinen bereit, das Beichtgeheimnis für Priester aufzugeben, die Kenntnis von Pädophilie-Fällen erlangen.
Umgekehrt könnte die Verfolgung wegen des sakramentalen Siegels, die in der Geschichte die Ausnahme war, in den kommenden Jahren zur Regel werden. Deshalb ist mehr denn je die geistliche Hilfe jener von Nöten, die nicht einmal vor dem Tod zurückwichen, um das göttliche Gesetz zu befolgen.
Märtyrer des Beichtgeheimnisses
Berühmt ist das Martyrium des heiligen Johannes Nepomuk (geboren als Johannes Wölflin im böhmischen Pomuk bei Pilsen, 1330–1383), den König Wenzel IV. von Böhmen foltern und in Prag in der Moldau ertränken ließ, weil sich der Priester geweigert hatte, ihm preiszugeben, was dessen Frau in der Beichte gesagt hatte.
Weniger bekannt ist der Fall des heiligen, mexikanischen Priesters Mateo Correa Magallanes (1866–1927). Während des Aufstandes der Cristeros gegen die freimaurerische Regierung ließ General Eulogio Ortiz, der dafür bekannt wurde, daß er einen seiner Soldaten standrechtlich erschießen ließ, weil er ein Skapulier trug, den Priester verhaften. Er schickte Don Correa in die Zellen der „Banditen“, wie die Regierung die Cristeros nannte, um ihnen die Beichte abzunehmen, weil sie am nächsten Tag hingerichtet wurden. Anschließend verlangte er vom Priester, alles zu enthüllen, was ihm die Gefangenen anvertraut hatten. Don Correa weigerte sich jedoch standhaft. Am 6. Februar 1927 wurde Don Correa von General Ortiz persönlich mit dessen Dienstwaffe in der Nähe des Friedhofs von Durango hingerichtet. Papst Johannes Paul II. sprach Mateo Correa Magallanes am 22. November 1992 als Märtyrer des Beichtgeheimnisses selig und am 21. Mai 2000 heilig.
Vergessen ist hingegen der Märtyrer P. Pedro Marieluz Garcés (1780–1825). Der peruanische Ordensmann gehörte dem Kamillianerorden an und nahm als Feldkaplan des spanischen Vizekönigs von Peru, Don José de la Serna, und seiner von Generalleutnant José Ramon Rodil y Campillo (1789–1853) befehligten Truppen am Unabhängigkeitskrieg von Spanischamerika teil. Nach der Niederlage des königstreuen Heeres in der Schlacht von Ayacucho (1824) wurden die Truppen von Rodil in der Festung von Callao eingeschlossen. P. Marieluz Garcés blieb bei den Soldaten, um ihnen geistlichen Beistand zu leisten. Nach einem Jahr der Belagerung führte im September 1825 die Demoralisierung der Truppe in der Festung zu einer Offiziersverschwörung. Das Komplott wurde von Rodil entdeckt und dreizehn Offiziere, die unter Verdacht standen, verhaftet. Diese leugneten jede Konspiration. General Rodil befahl ihre Hinrichtung und ließ P. Marieluz zu den Gefangenen, um ihnen die Beichte abzunehmen und sie auf den Tod vorzubereiten. Um neun Uhr abends wurden sie erschossen. Der General war sich aber nicht sicher, alle Verschwörer aufgedeckt zu haben. Vom Feldkaplan wollte er daher „im Namen des Königs“ erfahren, was die Hingerichteten in der Beichte enthüllt hatten. P. Marieluz lehnte die Forderung kategorisch ab und berief sich dabei auf das Beichtgeheimnis. Rodil drohte ihm und beschuldigte ihn, den König, das Vaterland und ihn, seinen vorgesetzten General, zu verraten.
Der Priester antwortete jedoch entschlossen:
„Ich bin dem König treu, der Fahne und meinen Vorgesetzten, aber niemand hat das Recht, von mir zu verlangen, Gott zu verraten. In dieser Sache kann ich nicht gehorchen.“
Rodil befahl vier bewaffnete Soldaten zu sich und ließ ihre geladenen Gewehre auf den Priester richten. Diesen hieß er niederknien und brüllte ihn an:
„Im Namen des Königs verlange ich zum letzten Mal: Sprich!“
Der Ordensmann gab gefaßt und ruhig die Antwort:
„Im Namen Gottes kann ich nicht sprechen.“
Wenige Sekunden darauf starb er als Märtyrer des Beichtgeheimnisses durch die Kugeln der Soldaten. Rodil wurde bei seiner Rückkehr nach Spanien mit dem Titel eines Marquis geadelt und zum Senator ernannt. Später wurde er Kriegsminister, Ministerpräsident und spanischer Großmeister der Freimaurer. Er starb 1853 kinderlos.
P. Pedro Marieluz Garcés hingegen harrt der Seligsprechung durch die Kirche.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana