Salvini im Vatikan – das Ende der Brandmauer

Ein Bild, das Franziskus nicht ertragen konnte


Papst Leo XIV. mit Italiens stellvertretendem Ministerpräsidenten und Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini
Papst Leo XIV. mit Italiens stellvertretendem Ministerpräsidenten und Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini

Papst Leo XIV. hat eine wei­te­re rote Linie über­schrit­ten, die sein Vor­gän­ger Fran­zis­kus zwar will­kür­lich, doch einer prä­zi­sen Agen­da fol­gend, gezo­gen hat­te: Er gewähr­te Matteo Sal­vi­ni, dem Lega-Par­tei­vor­sit­zen­den und ita­lie­ni­schen Infra­struk­tur­mi­ni­ster, eine Audi­enz. Das Feind­bild aller Berg­o­glia­ner erhielt Ein­laß in die hei­li­gen Flu­re des Vati­kans – jener Mann, gegen den, von höch­ster Stel­le ange­ord­net, der nach­ge­ord­ne­te ita­lie­ni­sche Kir­chen­ap­pa­rat im Vor­feld der EU-Wah­len 2019 in Koope­ra­ti­on mit der poli­ti­schen Lin­ken eine regel­rech­te Kam­pa­gne ins Leben geru­fen hat­te (auch hier und hier).

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Fran­zis­kus geriet regel­recht in Ver­zückung, wenn er in sei­nen pri­va­ten Gemä­chern die dunk­le Entou­ra­ge Latein­ame­ri­kas emp­fing – die soge­nann­ten „Cham­pa­gner-Lin­ken“ –, gern auch aus ande­ren Welt­re­gio­nen. Stun­den­lang ließ er sich mit ihnen ein, tausch­te Geschen­ke, Umar­mun­gen, ja selbst Küs­se aus – und bog nicht sel­ten die Evan­ge­li­en der täg­li­chen Mes­sen im Gäste­haus San­ta Mar­ta, um deren frag­wür­di­ge Agen­da kirch­lich zu über­hö­hen. Woher man das weiß? Aus erster Hand: Die Gäste selbst berich­te­ten frei­mü­tig – ent­we­der vor hand­ver­le­se­nen Jour­na­li­sten, die sie auf dem Peters­platz erwar­te­ten, oder über sozia­le Medi­en, ver­se­hen mit Fotos, Vide­os und der übli­chen For­mel: „Der Papst sag­te mir …“ – oder sinn­ge­mäß ähnlich.

Ganz anders das Bild bei Per­sön­lich­kei­ten, die die­sem ideo­lo­gi­schen Zir­kel dia­me­tral gegen­über­stan­den: Schon ihre blo­ße Nen­nung schien bei Fran­zis­kus all­er­gi­sche Reak­tio­nen aus­zu­lö­sen. Wenn rech­te Poli­ti­ker über­haupt Ein­laß in den Vati­kan erhiel­ten, dann nur, wenn es sich aus insti­tu­tio­nel­len oder diplo­ma­ti­schen Grün­den nicht ver­mei­den ließ. Das hieß: Nur wenn sie höch­ste Staats­äm­ter beklei­de­ten, füg­te sich Fran­zis­kus – setz­te jedoch beim obli­ga­to­ri­schen Foto­ter­min eine demon­stra­tiv fin­ste­re Mie­ne auf, um sei­ne Miß­bil­li­gung zu bekun­den. Wäh­rend er bei Sozia­li­sten, ob im Pon­cho, Che-Gue­va­ra-Look oder Nadel­streif, über das gan­ze Gesicht strahl­te, scherz­te und lach­te, wirk­te er bei Staats­be­su­chen des ande­ren Lagers ernst, miß­mu­tig, gries­grä­mig, ja finster.

Sal­vi­ni nütz­te es auch nichts, Ita­li­ens stell­ver­tre­ten­der Mini­ster­prä­si­dent und Vor­sit­zen­der einer Par­tei zu sein, die damals in Umfra­gen mit abso­lu­ten Man­dats­mehr­hei­ten im Par­la­ment rech­nen konn­te. Die Tore blie­ben für ihn ver­schlos­sen. Im Gegen­teil: Sein wei­te­rer Auf­stieg muß­te ver­hin­dert wer­den. Um Fran­zis­kus im Kampf gegen Sal­vi­ni und die euro­päi­sche Sou­ve­rä­ni­täts­be­we­gung zu Hil­fe zu kom­men, schreck­te ein Jesu­it und ehe­ma­li­ger Chef­re­ka­teur der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca nicht davor zurück, Sal­vi­ni mit Judas zu vergleichen.

Bil­der, die unter Fran­zis­kus undenk­bar waren: Der Papst im Gedan­ken­aus­tausch mit Lega-Chef Matteo Salvini

Rech­te Poli­ti­ker ohne Regie­rungs­äm­ter – also aus der Oppo­si­ti­on – muß­ten regel­recht mit den Hun­den drau­ßen blei­ben. Eine Audi­enz? Undenk­bar. Wäh­rend sozia­li­sti­sche und kom­mu­ni­sti­sche Par­tei­ver­tre­ter aus aller Welt fröh­lich an ihnen vor­bei­zo­gen, blieb die­sen der Zugang zum päpst­li­chen Ohr ver­wehrt. Kein Gedan­ken­aus­tausch, kei­ne Anhö­rung ihrer Argu­men­te, Sor­gen, Anlie­gen, kei­ne Mög­lich­keit, ihre Posi­tio­nen dar­zu­le­gen – sofern sie nicht den „rich­ti­gen“ poli­ti­schen Stall­ge­ruch hat­ten. Den „Schrei des Vol­kes“, auf den sich Fran­zis­kus berief, woll­te er jedoch nur sehr ein­ge­schränkt und ein­sei­tig hören.

Matteo Sal­vi­ni hat­te sich, als er 2018 erst­mals in die Regie­rung kam, zum Ziel gesetzt, der unkon­trol­lier­ten Mas­sen­mi­gra­ti­on ein Ende zu berei­ten, und ver­such­te als Innen­mi­ni­ster Ita­li­ens die soge­nann­te Mit­tel­meer­rou­te zu schlie­ßen. Eben die­se hat­te aus­ge­rech­ten Papst Fran­zis­kus gleich am Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats zum Sym­bol der Migra­ti­ons­agen­da gemacht, aller­dings für ein schran­ken­lo­ses Migrationsrecht. 

Statt Unter­stüt­zung ern­te­te Sal­vi­ni daher Wider­stand: Mit Hil­fe Brüs­sels und unter still­schwei­gen­der Bil­li­gung trans­at­lan­ti­scher Krei­se wur­de er 2019 ent­mach­tet. Erst nach dem Wahl­sieg Gior­gia Melo­nis konn­te er, als ihr Ver­bün­de­ter, im Okto­ber 2022 in die Regie­rung zurück­keh­ren. In einem poli­tisch auf­ge­la­de­nen Gerichts­ver­fah­ren, das man gegen ihn wegen sei­nes Vor­ge­hens in der Migra­ti­ons­po­li­tik ange­strengt hat­te, wur­de er erst im Dezem­ber 2024 frei­ge­spro­chen. Bis dahin droh­ten ihm bis zu fünf­zehn Jah­re Haft. Das Estab­lish­ment weiß, wie man Druck aus­übt – und wie man Unbot­mä­ßi­ge zur Bot­mä­ßig­keit zwingt oder zumin­dest diszipliniert.

Sal­vi­ni scheint die Lek­ti­on ver­stan­den zu haben: In Euro­pa gelangt man nur dann an die Schalt­he­bel der Macht, wenn man sich nicht gleich­zei­tig gegen das Estab­lish­ment der EU und gegen die trans­at­lan­ti­schen Inter­es­sen der USA stellt. Auch Gior­gia Melo­ni begriff die­se Dyna­mik – aus der Fer­ne beob­ach­tend –, und wur­de recht­zei­tig vor ihrem Wahl­sieg Mit­glied des US-ame­ri­ka­ni­schen Thinktanks Aspen Insti­tu­te. Den­noch flammt in Sal­vi­ni bis­wei­len der alte Kampf­geist auf, so auch jüngst, als er auf die For­de­rung des fran­zö­si­schen Prä­si­den­ten Emma­nu­el Macron, Ita­li­en sol­le sich zur Ent­sen­dung von Trup­pen in die Ukrai­ne bereit­erklä­ren, mit den Wor­ten reagier­te: Macron sol­le selbst Helm und Gewehr neh­men und an die ukrai­ni­sche Front zie­hen. Die Fol­ge waren ernst­haf­te diplo­ma­ti­sche Ver­stim­mun­gen zwi­schen Paris und Rom. Der weit­aus größ­te Teil der Ita­lie­ner steht in die­sem Punkt aller­dings hin­ter Salvini.

Umso bemer­kens­wer­ter ist es, daß der Lega-Vor­sit­zen­de – als einer der unter Fran­zis­kus kate­go­risch Gemie­de­nen – nun, nach etwas mehr als hun­dert Tagen unter dem Pon­ti­fi­kat von Leo XIV., erst­mals Ein­laß in den Apo­sto­li­schen Palast erhielt. Der­lei wäre unter Fran­zis­kus undenk­bar gewesen.

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag, dem 29. August, war es soweit: Matteo Sal­vi­ni, wie einst 2018/​2019 stell­ver­tre­ten­der Mini­ster­prä­si­dent Ita­li­ens und Vor­sit­zen­der der Lega, wur­de von Papst Leo XIV. emp­fan­gen – mit offi­zi­el­lem Foto­ter­min. Beglei­tet wur­de Sal­vi­ni, bei einem Teil der Begeg­nung, von sei­ner 2012 gebo­re­nen Toch­ter Mirta. 

Matteo Sal­vi­ni mit sei­ner Toch­ter Mir­ta und Papst Leo XIV.

Mit die­ser Audi­enz öff­nen sich theo­re­tisch auch AfD, FPÖ und ande­ren rech­ten Par­tei­en Euro­pas die Türen zum Vati­kan. Es geht dabei nicht um sym­bo­li­sche Bil­der, wie sie Poli­ti­ker gern zur Image­pfle­ge anstre­ben, son­dern um die Fra­ge, ob unter Leo XIV. ein deut­lich brei­te­rer und offe­ne­rer Gedan­ken­aus­tausch statt­fin­den wird als unter sei­nem Vor­gän­ger – um aktu­el­le Grund­satz­fra­gen zu diskutieren. 

Und zu dis­ku­tie­ren gäbe es viel, Grund­sätz­li­ches, etwa die Fra­ge nach den Fun­da­men­ten der staat­li­chen Ord­nung, dem Men­schen­bild, der Abwehr über­grif­fi­ger Staats­ten­den­zen, des Trans­hu­ma­nis­mus, neu­er For­men des Tota­li­ta­ris­mus. Aus­gangs­punkt dafür wäre die not­wen­di­ge Wie­der­ent­deckung des Natur­rechts. Rech­te Par­tei­en sind kei­ne Garan­tie dafür, sie schwä­cheln, wenn es um die Sub­stanz geht, doch zei­gen sie in bren­nen­den Fra­gen Ana­ly­se­kom­pe­tenz, wes­halb ein gegen­sei­tig befruch­ten­der Dia­log dabei hel­fen könn­te, die bestehen­de Defi­zi­te, etwa beim Erken­nen der Bedeu­tung des Natur­rechts, zu überwinden. 

Wird Leo XIV. also auch die Stim­men, Ideen, Beden­ken und Anlie­gen jener Par­tei­en anhö­ren, die in nahe­zu allen EU-Staa­ten auf dem Vor­marsch sind?

Fakt ist: Leo XIV. hat mit der Aus­gren­zungs­po­li­tik sei­nes Vor­gän­gers gebro­chen. Die „Brand­mau­ern“, die Estab­lish­ment und poli­ti­sche Lin­ke in trau­ter Einig­keit mit Fran­zis­kus errich­tet haben, hat er für die Kir­che ein­ge­ris­sen – mit jener Selbst­ver­ständ­lich­keit, die auch ande­re Kor­rek­tu­ren am Stil und Kurs des vor­an­ge­gan­ge­nen Pon­ti­fi­kats kenn­zeich­net: unauf­ge­regt, als wäre es das Natür­lich­ste der Welt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­Me­dia (Screen­shots)

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