Wenn die Kirche sich selbst nicht kennt – wird sie zum leichten Opfer für die Cancel Culture

Das Problem mit dem "pragmatischen" Umgang mit der Kirchengeschichte


Papst Franziskus bei seinem Kanada-Besuch mit Premierminister Justin Trudeau, einem wenig kirchenfreundlichen Katholiken.
Papst Franziskus bei seinem Kanada-Besuch mit Premierminister Justin Trudeau, einem wenig kirchenfreundlichen Katholiken.

Der Besuch von Papst Fran­zis­kus in Kana­da rück­te die Fra­ge nach dem Umgang mit der Ent­deckung Ame­ri­kas, der Chri­stia­ni­sie­rung des Dop­pel­kon­ti­nents und der Bezie­hung der Kir­che zu Ame­ri­kas Urein­woh­nern stär­ker in den Fokus. Eine anti­christ­li­che und anti-wei­ße Bewe­gung, aus­ge­hend von den USA, ver­sucht das The­ma zu rei­ten. Zum bes­se­ren Ver­ständ­nis ver­öf­fent­li­chen wir eine Kolum­ne des Vati­ka­ni­sten Andrea Gagli­ar­duc­ci mit einem Vor­spann der Cro­ni­cas de Papa Fran­cis­co zur inner­kirch­li­chen Strö­mung des soge­nann­ten Prag­ma­tis­mus (sie­he zum The­ma auch Katho­li­sches Mis­sio­na­re gegen Kolo­nia­lis­mus und Skla­ve­rei).

Im Mit­tel­punkt die­ser zwei­glied­ri­gen Ver­öf­fent­li­chung steht das Tref­fen von Papst Fran­zis­kus am 29. Juli mit der Jesui­ten­ge­mein­schaft in Kana­da und die Pres­se­kon­fe­renz des Pap­stes auf sei­nem Rück­flug am sel­ben Tag nach Rom.

Prämissen

Von Cro­ni­cas de Papa Francisco

Erin­nern wir uns, wenn auch nur kurz, dar­an, daß der Prag­ma­tis­mus jene phi­lo­so­phi­sche Gei­stes­hal­tung (pro­te­stan­ti­scher Ten­denz) ist, die in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten auf­kam und sich auf die Ver­bin­dung zwi­schen Wis­sen und Han­deln stützt. Sie betont die Funk­ti­on des Den­kens als Pro­du­zent von Über­zeu­gun­gen, die der Prü­fung durch Erfah­rung und Pra­xis unter­zo­gen wer­den müs­sen (metho­di­scher Prag­ma­tis­mus) oder auf dem sozia­len und reli­giö­sen Nut­zen unse­rer Glau­bens­sy­ste­me (meta­phy­si­scher Prag­ma­tis­mus). Eine Hal­tung, die durch eine rea­li­sti­sche und prak­ti­sche Sicht­wei­se gekenn­zeich­net ist und dar­auf abzielt, kon­kre­te Ergeb­nis­se zu erzie­len, manch­mal sogar ohne Skru­pel. Sie bezieht sich in erster Linie auf die prak­ti­sche Tätig­keit, ist gekenn­zeich­net durch das Vor­herr­schen von prak­ti­schen Inter­es­sen gegen­über theo­re­ti­schen und ideel­len Wer­ten: eine prag­ma­ti­sche und rea­li­sti­sche Ein­stel­lung und eine prag­ma­ti­sche Lebens­auf­fas­sung. In der prag­ma­ti­schen Lie­be suchen sowohl er als auch sie eine Per­son, die für sie paßt und ihre Bedürf­nis­se befrie­digt. Der wich­tig­ste Ver­tre­ter des Prag­ma­tis­mus ist John Dew­ey, laut dem Erfah­rung auch Feh­ler­fak­to­ren ent­hält, die in den klas­si­schen empi­ri­sti­schen Theo­rien aus­ge­schlos­sen sind. Dew­ey nennt sei­ne beson­de­re Ver­si­on des Prag­ma­tis­mus „Instru­men­ta­lis­mus“.

Es sei dar­an erin­nert, daß Dew­ey auf pro­te­stan­ti­scher Sei­te gebo­ren und erzo­gen wur­de, eine neo­he­ge­lia­ni­sche Aus­bil­dung erhielt, 1884 mit einer Dis­ser­ta­ti­on über Psy­cho­lo­gie bei Kant pro­mo­vier­te und dann ein berühm­ter Päd­ago­ge, Phi­lo­soph und „sozia­ler Den­ker“ wur­de, der das neue „säku­la­re“ Den­ken in der gan­zen Welt ver­brei­te­te. Er inter­es­sier­te sich auch für das neue, von den Grund­sät­zen der mar­xi­sti­schen Päd­ago­gik inspi­rier­te Schul­sy­stem, das ihn von der Not­wen­dig­keit einer Bil­dungs-Sozi­al­re­form in der ame­ri­ka­ni­schen Demo­kra­tie überzeugte.

War­um die­se Prä­mis­se? Weil „unser“ Moder­nist schlecht­hin, Erne­sto Buo­nai­uti1, einer der bedeu­tend­sten Intel­lek­tu­el­len in der kul­tu­rel­len und kirch­li­chen Sze­ne des frü­hen 20. Jahr­hun­derts war. Buo­nai­uti, der zu den Begrün­dern des katho­li­schen Moder­nis­mus gezählt wird, ver­ließ in jenen Kri­sen­jah­ren die Posi­tio­nen der neo­tho­mi­sti­schen Phi­lo­so­phie und trat für einen Prag­ma­tis­mus ein, zunächst auf theo­re­ti­scher Ebe­ne, um dann aber Anpas­sun­gen und Kor­rek­tu­ren vor­zu­neh­men, damit er mit sei­ner moder­ni­sti­schen For­schung für eine neue Visi­on des Chri­sten­tums durch die Pra­xis zusammenpaßt.

Papst Fran­zis­kus bei der Begeg­nung mit Jesui­ten in Kanada

Wenn die Kirche sich selbst nicht kennt

Von Andrea Gagliarducci

Die Begeg­nun­gen von Papst Fran­zis­kus mit Jesui­ten haben das Pri­vi­leg, freie, unge­fil­ter­te Gesprä­che zu sein, aus denen oft die authen­ti­sche Denk­wei­se von Papst Fran­zis­kus her­vor­geht. Das Gespräch mit den Jesui­ten in Kana­da, das wie üblich in La Civil­tà Cat­to­li­ca ver­öf­fent­licht wur­de, bil­de­te dies­be­züg­lich kei­ne Ausnahme.

Es gibt kei­ne über­ra­schen­den Ent­hül­lun­gen in die­sem Gespräch. Es gibt jedoch ein Gefühl für die Denk­wei­se von Papst Fran­zis­kus, das uns zum Nach­den­ken anre­gen muß, wenn wir die Aus­sa­gen des Pap­stes in einer Pres­se­kon­fe­renz auf sei­nem Rück­flug aus Kana­da lesen.

Im Gespräch mit den Jesui­ten sprach der Papst über die Ent­wick­lung des Kir­chen­rechts in Bezug auf Miß­brauch und sagte:

„Das Recht beglei­tet das Leben und das Leben geht wei­ter. Wie die Moral: Sie wird ver­voll­komm­net. Frü­her war die Skla­ve­rei recht­mä­ßig, heu­te ist sie es nicht mehr. Die Kir­che hat heu­te erklärt, daß bereits der Besitz von Atom­waf­fen unmo­ra­lisch ist, nicht nur ihr Ein­satz. Frü­her wur­de dies nicht gesagt. Das mora­li­sche Leben ent­wickelt sich auf der glei­chen orga­ni­schen Linie.“

In den Wor­ten des Pap­stes kön­nen wir eine beson­ders prag­ma­ti­sche Redu­zie­rung der Fra­gen des Lebens erken­nen. Aber der Punkt ist ein ande­rer. Die „prak­ti­sche Reduk­ti­on“ führt dazu, auch die Kir­che prag­ma­tisch zu ken­nen und zu ver­ste­hen. Der Grund­satz lau­tet ja schließ­lich, daß „die Wirk­lich­keit grö­ßer ist als die Idee“, wie der Papst in Evan­ge­lii gau­di­um sagt.

Wäre dem jedoch so gewe­sen, hät­te sich die christ­li­che Per­spek­ti­ve nie so weit aus­brei­ten kön­nen. Die Fra­ge der Skla­ve­rei ist gera­de hier beispielhaft.

Der Papst bezog sich nicht auf die Akzep­tanz der Skla­ve­rei durch die Kir­che. Erz­bi­schof Vic­tor Fernán­dez, sein Refe­renz­theo­lo­ge2, tat jedoch genau dies wäh­rend einer Pres­se­kon­fe­renz der Bischofs­syn­ode im Jahr 2014.

Aber gera­de in Bezug auf die Skla­ve­rei muß ein tief­grei­fen­der Unter­schied zwi­schen der Kir­che und der Welt gemacht wer­den. Die Kir­che hat nie akzep­tiert, daß Men­schen ver­sklavt wur­den. Ursprüng­lich tole­rier­te die Kir­che die Skla­ve­rei als mensch­li­che Ein­rich­tung, was aber nicht bedeu­tet, daß sie nicht dage­gen war.

Jesus hat nie gesagt, daß er die Welt­ord­nung umstür­zen will, son­dern daß er die Her­zen der Men­schen ver­än­dern will, daß er das Men­schen­bild ver­än­dern will, daß er eine neue Zivi­li­sa­ti­on schaf­fen will.

Das Chri­sten­tum hat Skla­ven immer als Men­schen betrach­tet. Im 6. Jahr­hun­dert ver­ur­teil­te der hei­li­ge Gre­gor von Nys­sa die Skla­ve­rei als Ver­stoß gegen das Gesetz Got­tes. Der hei­li­ge Ambro­si­us for­der­te dazu auf, die Skla­ven frei­zu­las­sen. Johan­nes Chry­so­sto­mus mahn­te die Leh­rer, den Skla­ven das Arbei­ten bei­zu­brin­gen, damit sie sich selbst ver­sor­gen kön­nen. Augu­sti­nus war ein ent­schie­de­ner Geg­ner der Sklaverei.

Die Päp­ste Pius I. und Calix­tus I. waren Skla­ven. Im 7. Jahr­hun­dert wur­de die bri­tan­ni­sche Skla­vin Bat­hil­de hei­lig­ge­spro­chen. Ganz zu schwei­gen von den ver­schie­de­nen Kon­zi­li­en, die sich gegen die Skla­ve­rei aus­spra­chen – oder geflüch­te­te Skla­ven schütz­ten –, die die Frei­heit der Skla­ven for­der­ten und sogar über den Skla­ven­han­del diskutierten.

Wenn wir nun dar­auf hin­wei­sen wol­len, daß meh­re­re Chri­sten, Prie­ster und Bischö­fe, der christ­li­chen Bot­schaft nicht gefolgt sind, so ist das rich­tig. Aber es war die christ­li­che Aus­nah­me [in einer Skla­ven­hal­ter-Welt], die zur Abschaf­fung der Skla­ve­rei in Euro­pa führ­te, was durch Dut­zen­de von Erklä­run­gen von Päp­sten belegt wird, nicht erst seit dem dem Bre­ve Pasto­ra­le offi­ci­um von 1537, das von Paul III. ver­faßt wur­de und die Skla­ve­rei bei Stra­fe der Exkom­mu­ni­ka­ti­on verurteilte.

Die Bul­le folg­te einem Erlaß von König Karl I. von Spa­ni­en [Kai­ser Karl V.], der die Ver­skla­vung der India­ner ver­ur­teil­te. Und hier müs­sen wir den Rah­men der Geschich­te erwei­tern, um zu ver­ste­hen, daß die katho­li­schen Herr­scher Spa­ni­ens die Skla­ve­rei nie begün­stigt haben.

Ange­la Pel­lic­cia­ri berich­tet in zwei Bän­den (Eine Kir­chen­ge­schich­te und Eine ein­zig­ar­ti­ge Geschich­te. Von Sara­gos­sa nach Gua­d­a­lu­pe)3, wie die katho­li­schen Herr­scher Spa­ni­ens die Kolo­ni­sie­rung Ame­ri­kas nie als Land­nah­me, son­dern viel­mehr als eine Form der Evan­ge­li­sie­rung ver­stan­den haben. Köni­gin Isa­bel­la ver­bot die Skla­ven­hal­tung in der Neu­en Welt, und als Kolum­bus ein­mal mit Skla­ven zurück­kehr­te, wur­den die­se mit vie­len Ent­schul­di­gun­gen nach Ame­ri­ka zurück­ge­schickt und Kolum­bus ins Gefäng­nis gesteckt.

Der Erfolg der Spa­ni­er in Latein­ame­ri­ka, so die Histo­ri­ke­rin, ist dar­auf zurück­zu­füh­ren, daß sie die Idee eines Got­tes brach­ten, der sich um jeden Men­schen küm­mert, und damit das mäch­ti­ge, auf Ter­ror gegrün­de­te Azte­ken­reich zu Fall brach­ten, das mas­sen­wei­se Män­ner und Kin­der als Opfer abschlachtete.

Die soge­nann­te „Ent­deckungs­leh­re“ ent­stand auch aus die­sem Kon­text, aus die­sem Ide­al der Evan­ge­li­sie­rung, der bereits 1455, schon vor der Ent­deckung Ame­ri­kas, mit der Bul­le Roma­nus Pon­ti­fex defi­niert wur­de. Das war aber nie eine Leh­re der Kir­che. Das war das Welt­bild der dama­li­gen Zeit. Die ande­ren Akti­vi­tä­ten der Päp­ste, vor­her und nach­her, haben sie über­wun­den. Sie ist von der wei­te­ren Geschich­te ver­drängt worden.

Papst Fran­zis­kus hat dies jedoch nicht gesagt. Statt­des­sen ant­wor­te­te er in der Pres­se­kon­fe­renz auf dem Rück­flug aus Kana­da nur vage, sodaß die Pres­se sogar behaup­te­te, der Papst habe nicht alle Fra­gen ange­mes­sen beant­wor­tet. Dabei hät­te es genügt, zu kon­tex­tua­li­sie­ren, zu erklären.

Der Papst behaup­te­te schließ­lich, er habe nicht von einem „Völ­ker­mord“ an den ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­nern in Kana­da gespro­chen, weil ihm das in dem Moment nicht ein­ge­fal­len sei. Auch das ist ein Pro­blem: Völ­ker­mord bedeu­tet die syste­ma­ti­sche Aus­lö­schung eines Vol­kes; die kul­tu­rel­le Assi­mi­la­ti­on, der die Ein­ge­bo­re­nen unter­wor­fen wur­den, egal wie bru­tal oder gewalt­sam sie gewe­sen sein mag, ist aber etwas anderes.

Das Pro­blem besteht dar­in, daß eine säku­la­re Welt die Geschich­te der Kir­che umschrei­ben will und leug­net, was sie einst war. Und es gibt lei­der eine Kir­che, die sich selbst nicht kennt, die nicht weiß, wie sie sich ver­tei­di­gen soll, die nicht erklä­ren kann, was sie ist, was sie war und was ihre Geschich­te ist.

Wo immer Mis­sio­na­re hin­ka­men, lern­ten – und bewahr­ten – sie die Spra­chen der Ein­ge­bo­re­nen und schütz­ten deren Kul­tur vor Assi­mi­lie­rung. Sie taten dies inmit­ten gro­ßer Debat­ten inner­halb der Kir­che, manch­mal mit fata­ler Unent­schlos­sen­heit sei­tens der Päp­ste, aber immer mit einem kla­ren Ziel vor Augen.

Wenn alles auf eine prag­ma­ti­sche und nicht auf eine theo­lo­gi­sche Les­art redu­ziert wird – wenn kei­ne Her­me­neu­tik der Zeit ange­wandt wird und nicht ver­sucht wird zu erklä­ren, was die Kir­che bewegt –, dann kann sie nicht ver­stan­den wer­den, die Kirche.

Für die Kir­che geht es nicht dar­um, in der Defen­si­ve zu blei­ben, son­dern sich zu zei­gen, das heißt, das, was sie ist. Und das Glei­che gilt für den Papst, der – so sag­te er den Jesui­ten in Kana­da – immer im Namen der Kir­che spricht. Es ist jedoch schwer vor­stell­bar, daß die Kir­che es schätzt, auf die Ent­schul­di­gungs­ge­ste eines Pap­stes redu­ziert, ja viel­mehr ange­grif­fen zu wer­den, weil sie als Insti­tu­ti­on nicht das Mea cul­pa voll­zieht, wäh­rend der Papst dies tut.

Es ist an der Zeit, daß die Katho­li­ken den Druck der öffent­li­chen Mei­nung – und die par­ti­el­len histo­ri­schen Rekon­struk­tio­nen – über­win­den. Es ist an der Zeit, daß die Katho­li­ken die Kir­che ken­nen­ler­nen, vor allem in die­ser Zeit der Can­cel Cul­tu­re. Eine Ära übri­gens, auf die der Papst in einer sei­ner kana­di­schen Reden deut­lich mit dem Fin­ger gezeigt hat.

Papst Fran­zis­kus auf dem Rück­flug nach Rom – ohne zu kon­tex­tua­li­sie­ren und zu erklären.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va/La Civil­tà Cat­to­li­ca (Screen­shots)


1 Erne­sto Bonai­uti, 1881 in Rom gebo­ren, stu­dier­te bis 1903, zusam­men mit Ange­lo Ron­cal­li, dem spä­te­ren Papst Johan­nes XXIII., am Päpst­li­chen Römi­schen Prie­ster­se­mi­nar Sant’Apollinare. 1903 zum Prie­ster geweiht, leg­te er sei­nen Arbei­ten die histo­risch-kri­ti­sche Metho­de zugrun­de. Einer sei­ner Brü­der wur­de auch Prie­ster, ein ande­rer Frei­mau­rer. 1904 wur­de er zum Pro­fes­sor für Kir­chen­ge­schich­te am Sant’Apollinare ernannt. Unglaub­li­cher­wei­se wur­de der Vor­den­ker der Moder­ni­sten damit zum Nach­fol­ger von Umber­to Benig­ni, dem Vor­den­ker der Anti­mo­der­ni­sten. Benig­ni soll­te die­ser Tat­sa­che noch lan­ge beschäf­ti­gen und zur Über­zeu­gung gelan­gen las­sen, daß sich Moder­ni­sten und Frei­mau­rer in der Kir­che mit allen Mit­teln tar­nen wür­den. Mit sei­nem Auf­satz „Phi­lo­so­phie der Akti­on“ stell­te sich Bonai­uti offen in das Lager der Posi­ti­vi­sten und Moder­ni­sten und geriet in Kon­flikt mit der kirch­li­chen Hier­ar­chie. Die Ver­ur­tei­lun­gen des Moder­nis­mus durch Papst Pius X. in der Enzy­kli­ka Pie­ni l’animo und in spä­te­ren Doku­men­ten gal­ten nicht zuletzt auch Bonai­uti. Des­sen Schrif­ten kamen auf den Index, wes­halb er 1915 im damals frei­mau­re­risch-libe­ral gepräg­ten ita­lie­ni­schen Staat auf die staat­li­che Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za wech­sel­te. Zu sei­nem Schü­ler­kreis zähl­ten dort Ambro­gio Doni­ni, der nach dem Zwei­ten Welt­krieg Pro­fes­sor für Geschich­te des Chri­sten­tums und kom­mu­ni­sti­scher Sena­tor wur­de, und Mar­cel­la Ravà, die spä­te­re Direk­to­rin der ita­lie­ni­schen Natio­nal­bi­blio­thek in Rom. 1921 wur­de Bonai­uti exkom­mu­ni­ziert. Ihm gelang durch Für­spra­che zwar die Reha­bi­li­tie­rung, doch bereits 1924 folg­te sei­ne erneu­te und nun­mehr defi­ni­ti­ve Exkom­mu­ni­ka­ti­on. Da er dem Faschis­mus den Treue­eid ver­wei­ger­te, ver­lor er sei­nen Lehr­stuhl, wor­auf er in die Schweiz ging, wo er sei­ne Lehr­tä­tig­keit fort­set­zen konn­te. Einen Lehr­stuhl in Lau­sanne lehn­te er ab, weil die­ser den Bei­tritt zur Refor­mier­ten Kir­che vor­aus­setz­te. In den 40er Jah­ren for­mu­lier­te er ein Pro­gramm, das man­che im Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil und sei­nen Fol­gen ver­wirk­licht sehen: „Bis­her woll­te man Rom ohne Rom oder sogar gegen Rom refor­mie­ren. Man muß Rom mit Rom refor­mie­ren.“ Er starb, nach dem Krieg nach Rom zurück­ge­kehrt, im Jahr 1946, ohne sei­nen römi­schen Lehr­stuhl wie­der­zu­er­lan­gen, da die Late­ran­ver­trä­ge einen sol­chen für einen exkom­mu­ni­zier­ten Prie­ster aus­schlos­sen. In Yad Vas­hem wird er als „Gerech­ter unter den Völ­kern“ geehrt, weil er nach der deut­schen Beset­zung Ita­li­ens für eini­ge Mona­te einen drei­zehn Jah­re alten jüdi­schen Jun­gen bei sich ver­steckt hat­te. Weil er Anti­fa­schist war, gilt er pro­gres­si­ven Krei­sen in der Nach­kriegs­zeit dadurch qua­si auch von der Exkom­mu­ni­ka­ti­on rein­ge­wa­schen. Eine bedenk­li­che Fehl­ge­wich­tung. Ver­ei­ni­gun­gen wie Wir sind Kir­che nen­nen Bonai­uti als Bezugspunkt.

2 Zu Erz­bi­schof Vic­tor Manu­el Fernán­dez sie­he hier.

3 Ital. Ori­gi­nal­ti­tel: Ange­la Pel­lic­cia­ri: Una sto­ria del­la Chie­sa (2015) und Una sto­ria uni­ca. Da Sara­goz­za a Gua­d­a­lu­pe (2019).

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1 Kommentar

  1. Gre­gor von Nys­sa leb­te schon im 4. Jahr­hun­dert und gilt als einer der „Drei Kap­pa­do­zier“ zusam­men mit Gre­gor von Nazi­anz und Basi­li­us. Dar­aus folgt näm­lich, daß einer der Errun­gen­schaf­ten der Kon­stan­ti­ni­schen Wen­de die Ver­ur­tei­lung der Skla­ve­rei war. Alle katho­lisch-ortho­do­xen Herr­scher Roms bemüh­ten sich um das Ende der Skla­ve­rei, beson­ders Theodosius.

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