Umberto Benigni und der Kampf gegen den Modernismus

Fünf Jahre des Wirkens, hundert Jahre des schlechten Nachrufs


Msgr. Umberto Benigni (1862–1934), Päpstlicher Protonotar sowie Gründer und Leiter des Sodalitium Pianum (1909–1914/1921).
Msgr. Umberto Benigni (1862–1934), Päpstlicher Protonotar sowie Gründer und Leiter des Sodalitium Pianum (1909–1914/1921).

Am 28. Febru­ar 1934 hat­ten sich seit dem frü­hen Mor­gen Regen­wol­ken über Rom ver­dich­tet. Unter die­sem Win­ter­him­mel wur­de der Sarg mit dem Leich­nam von Msgr. Umber­to Benig­ni zu Gra­be getra­gen, der nicht weit davon ent­fernt war, einer der ein­fluß­reich­sten Men­schen im Vati­kan gewe­sen zu sein, weil er die katho­li­sche Leh­re unnach­gie­big gegen die moder­ni­sti­sche Ideo­lo­gie ver­tei­dig­te. Anto­nel­lo Can­n­a­roz­zo, der ehe­ma­li­ge Chef­re­dak­teur von Il Popo­lo, der Tages­zei­tung der christ­de­mo­kra­ti­schen Demo­cra­zia Cri­stia­na, begab sich auf die Spu­ren des ita­lie­ni­schen Mon­si­gno­re, der zeit sei­nes Lebens der Schrecken der Moder­ni­sten war und bis heu­te ein belieb­tes Feind­bild ist.

Anzei­ge

Das Leben von Msgr. Benig­ni, nicht zu ver­wech­seln mit Msgr. Anni­ba­le Bug­nini, dem Bau­mei­ster der Lit­ur­gie­re­form von 1969/​70 (ein Vokal macht den ent­schei­den­den Unter­schied; zwi­schen n und gn hin­ge­gen ist in der Aus­spra­che kein ech­ter Unter­schied hör­bar), war ein ein­zi­ger uner­müd­li­cher Ein­satz für die Ver­tei­di­gung des Glau­bens an vie­len Fron­ten. Den­noch fiel er am Ende sei­nes Lebens bei jenen katho­li­schen Krei­sen in Ungna­de, die er so eisern ver­tei­digt hat­te. Die gegen ihn ver­häng­te Dam­na­tio memo­riae ist so fast 90 Jah­re nach sei­nem Tod noch immer aufrecht.

In die­sem Kli­ma wur­de er auf sei­nem letz­ten Weg nur von den eng­sten Freun­den beglei­tet, wäh­rend für die Kir­che, nicht in offi­zi­el­ler Funk­ti­on, son­dern auf per­sön­li­cher Basis, nur zwei Prie­ster anwe­send waren: Abbé Jules Sau­bat (1867–1949), sein Beicht­va­ter und Con­sul­tor der Reli­gio­sen­kon­gre­ga­ti­on, und Pater Hen­ri Jeoff­ro­id (1880–1961), Gene­ral­pro­ku­ra­tor der Kon­gre­ga­ti­on der Brü­der des hei­li­gen Vin­zenz von Paul.

Die sehr beschei­de­ne Trau­er­fei­er fand in der nahe­ge­le­ge­nen Kir­che San­ta Maria Addo­lo­ra­ta statt. Von dort wur­de die Lei­che nach dem Requi­em auf den Fried­hof sei­ner Hei­mat­stadt Peru­gia über­ge­führt und im Fami­li­en­grab beigesetzt.

Für jene, die ihn kann­ten, war er ein ehr­li­cher Mann, kom­pro­miß­los und ohne den gering­sten per­sön­li­chen Eigen­nutz an der Ver­tei­di­gung des Glau­bens. Für sei­ne Kri­ti­ker und Geg­ner war „der Mon­si­gno­re“, wie er all­ge­mein genannt wur­de, nur ein fin­ste­rer Inqui­si­tor, der Erbe eines Tomás de Tor­que­ma­da, der durch Ver­leum­dung, Lügen und Betrug das Leben vie­ler bra­ver Prie­ster zer­stört hat­te. Das von Can­n­a­roz­zo gebrauch­te Adjek­tiv „brav“ ist von ihm bewußt im dop­pel­deu­ti­gen Sinn gebraucht, den es in der ita­lie­ni­schen Spra­che hat: Es meint ein­mal „gut, gehor­sam“, aber auch „schlau, gerissen“.

In den letz­ten Jah­ren sei­nes Lebens, nach sei­ner Mar­gi­na­li­sie­rung, muß­te er, der kei­ne Ruhe kann­te, sich neu­en har­ten Kämp­fen stel­len, wegen sei­ner zuneh­mend beein­träch­tig­ten Gesund­heit und auch sei­ner extre­men mate­ri­el­len Armut.

Er akzep­tier­te alles, ohne zu kla­gen, wie jene bezeug­ten, die ihn auch in die­sen Tagen kann­ten, indem er Gott in der Tie­fe sei­nes Her­zens alle sei­ne Lei­den für das Heil der Kir­che und für den Papst anbot.

Die priesterliche Berufung und der Journalismus

Umber­to Benig­ni wur­de am 30. März 1862, ein Jahr nach der Aus­ru­fung des König­reichs Ita­li­en, in Peru­gia, das 660 Jah­re dem Kir­chen­staat ange­hört hat­te, in einer Fami­lie mit tie­fem katho­li­schem Emp­fin­den geboren.

Er war noch sehr jung, als er auf den Ruf des Herrn reagier­te und in das Semi­nar ein­trat. Dort zeich­ne­te er sich sofort als vor­bild­li­cher Stu­dent aus. 1884 emp­fing er erst zwei­und­zwan­zig­jäh­rig die Priesterweihe.

Trotz der Auf­ga­ben sei­nes geist­li­chen Beru­fes wid­me­te er sich auch dem Jour­na­lis­mus, in dem er ein wich­ti­ges Instru­ment zur Ver­brei­tung der katho­li­schen Leh­re gegen die in die­sen Jah­ren zuneh­mend erstar­ken­den Häre­si­en der moder­ni­sti­schen Pseu­do-Theo­lo­gie erkannte.

Mit 25 Jah­ren wur­de er Schrift­lei­ter der Diö­ze­san­zei­tung von Peru­gia Moni­to­re Umbro (Umbri­scher Beob­ach­ter) und wur­de als spit­ze Feder bekannt, die mit der libe­ra­len, frei­mau­re­ri­schen Füh­rungs­schicht des neu­en Ita­li­en hart ins Gericht ging. 1892 grün­de­te er sei­ne eige­ne Zei­tung Ras­segna socia­le (Sozia­le Rund­schau), ein christ­lich­so­zi­al aus­ge­rich­te­tes Wochen­blatt, zu der die kürz­lich ver­öf­fent­lich­te Sozi­al­enzy­kli­ka Rer­um Novarum von Leo XIII. Anstoß war.

Wap­pen von Msgr. Benigni

Die Ras­segna Socia­le war die erste Zei­tung Ita­li­ens, die der sozia­len Fra­ge gewid­met war, und zugleich auch die erste sozio­lo­gi­sche Publi­ka­ti­on des Lan­des. Sie fand auf­grund ihrer Kom­pe­tenz und ihres The­men­reich­tums gro­ße Aner­ken­nung bei den Lesern, sodaß ihre Ver­öf­fent­li­chun­gen für zwan­zig Jah­re fort­ge­setzt wer­den konnten.

Damit soll­te die Kar­rie­re des hoch­be­gab­ten Benig­ni erst begin­nen, und bald schien es, als wäre sie unauf­halt­sam. 1893 wur­de er auch Chef­re­dak­teur der ange­se­he­nen Genue­ser Tages­zei­tung Eco d’I­ta­lia (Echo von Ita­li­en) Zwei Jah­re spä­ter erfolg­te sei­ne Beru­fung an die Vati­ka­ni­sche Biblio­thek, deren Prä­fekt der deut­sche Jesu­it und Ori­en­ta­list P. Johann Bol­lig aus Kelz bei Düren war.

Trotz die­ser vie­len Ver­pflich­tun­gen und eines bereits ruhe­lo­sen Lebens fand er die Zeit, ein Buch über die päpst­li­che Agrar­po­li­tik zu schrei­ben, das 1898 mit dem Titel „Die Getrei­de­po­li­tik der Päp­ste“ in deut­scher Spra­che erschien. Das Vor­wort dazu ver­faß­te der deut­sche Natio­nal­öko­nom und Agrar­po­li­ti­ker Gustav Ruh­land, damals Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Frei­burg im Üecht­land, der sowohl den kapi­ta­li­sti­schen Wirt­schafts­li­be­ra­lis­mus als auch den Sozia­lis­mus ablehn­te und ein Ver­fech­ter des Mit­tel­stan­des war, des­sen Stär­kung er in der For­mel zum Aus­druck brach­te, daß sozia­ler Frie­de nur dann herr­sche, „wenn sich Kapi­tal und Arbeit in einer Per­son ver­ei­ni­gen“. Benig­ni selbst ver­fei­ner­te zu jener Zeit sei­ne Sprach­kennt­nis­se, sodaß er neben sei­ner Mut­ter­spra­che und natür­lich Latein und Alt­grie­chisch auch Fran­zö­sisch, Eng­lisch, Deutsch und Spa­nisch beherrschte.

1900 wur­de er Schrift­lei­ter der Voce del­la veri­tà (Stim­me der Wahr­heit), die er sofort zu einem Eck­pfei­ler der katho­li­schen Kom­pro­miß­lo­sig­keit mach­te. Die Idee des Inte­gra­lis­mus soll­te er sein gan­zes Leben lang nicht mehr auf­ge­ben. Sei­ne Auf­ga­be sah er dar­in, dem Sozia­lis­mus und dem Libe­ra­lis­mus, aber auch der Frei­mau­re­rei und ihren Hin­ter­män­nern ent­ge­gen­zu­tre­ten. Ab 1902 gab er zudem die Publi­ka­ti­on „Mis­cel­la­nea di sto­ria e cul­tu­ra eccle­sia­sti­ca“ her­aus, die erste ita­lie­ni­sche Zeit­schrift zur Kir­chen­ge­schich­te. Sie erschien nur fünf Jah­re, war aber den­noch bahn­bre­chend und leg­te den Grund­stein für Benig­nis künf­ti­ge monu­men­ta­le Sozi­al­ge­schich­te der Kir­che („Sto­ria Socia­le del­la Chie­sa“), deren erster Band 1907 erschei­nen soll­te. Die­ses Werk wur­de erst mit sei­nem Tod im Jahr 1934 abge­bro­chen. Bis dahin hat­te Benig­ni sie­ben Bän­de ver­öf­fent­licht, mit denen er die Zeit bis zum aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter abdeck­te. 2020 wur­de die unvoll­ende­te Rei­he vom Cen­tro Libra­rio Soda­li­ti­um neu aufgelegt.

In der Mis­cel­la­nea ver­wen­de­te Benig­ni 1904 erst­mals den Begriff „Moder­nis­mus“, um die erwähn­te Pseu­do-Theo­lo­gie zu bezeich­nen, die in jenen Jah­ren der Kir­che so gro­ßen Scha­den zufüg­te und deren Fol­gen bis zum heu­ti­gen Tag auf sehr schmerz­li­che Wei­se fortwirken.

Im Dienst von Leo XIII.

Die wei­te­ren Auf­ga­ben, die er, der ganz im Geist von Leo XIII. geformt war, in die­ser Zeit wahr­nahm, waren sehr viel­fäl­tig. Die wich­tig­sten sol­len auf­ge­li­stet wer­den:  Im Novem­ber 1902 wur­de er zum Mit­glied der von Leo XIII. bei der Riten­kon­gre­ga­ti­on (heu­te Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung und Kon­gre­ga­ti­on für die Selig- und Hei­lig­spre­chungs­pro­zes­se) ein­ge­rich­te­ten histo­risch-lit­ur­gi­schen Kom­mis­si­on ernannt, 1904 auch zum Minutant (Sach­be­ar­bei­ter) der Pro­pa­gan­da Fide (heu­te Kon­gre­ga­ti­on für die Evan­ge­li­sie­rung der Völ­ker) und 1906 zum Unter­se­kre­tär (ver­gleich­bar einem Unter­staats­se­kre­tär) der Kon­gre­ga­ti­on für die Außer­or­dent­li­chen
Kirch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten
(heu­te Zwei­te Sek­ti­on des Staats­se­kre­ta­ri­ats). Gleich­zei­tig unter­rich­te­te er am renom­mier­ten Semi­nar der Pro­pa­gan­da Fide und hielt Lehr­ver­an­stal­tun­gen auch an ande­ren Uni­ver­si­tä­ten und Semi­na­ren der ita­lie­ni­schen Haupt­stadt, wie dem Apol­li­na­re (Päpst­li­ches Römi­sches Semi­nar, heu­te Late­ran­uni­ver­si­tät), der Urba­nia­na, dem Vati­ka­ni­schen Semi­nar und der Acca­de­mia dei Nobi­li Eccle­sia­sti­ci (Aka­de­mie für den kirch­li­chen Adel, heu­te Päpst­li­che Diplo­ma­ten­aka­de­mie). Für letz­te­re hielt er eine Vor­trags­rei­he, die er als Hand­buch des diplo­ma­ti­schen Stils („Manua­le di sti­le diplo­ma­ti­co“) ver­öf­fent­lich­te und das Gene­ra­tio­nen von Diplo­ma­ten des Hei­li­gen Stuhls zum wert­vol­len Hilfs­mit­tel wur­de. Zu sei­nen Schü­lern zähl­ten künf­ti­ge Päp­ste wie Pius XII. und Johan­nes XXIII. und zahl­rei­che zukünf­ti­ge Kar­di­nä­le und Bischö­fe, aber auch künf­ti­ge Geg­ner wie Erne­sto Bonaiuti.

Auf­grund sei­nes Enga­ge­ments galt er in allen Semi­na­ren, an denen er lehr­te, als aus­ge­zeich­ne­ter Pro­fes­sor, war aber auch sehr gefürch­tet wegen sei­ner Stren­ge, wes­halb er unter den Stu­den­ten, in Anspie­lung auf sei­nen Fami­li­en­na­men, unter dem Über­na­men „Mon­si­gno­re Mali­g­ni“ bekannt wur­de. Benig­ni war bei Prü­fun­gen, wenn es um kirch­li­che Fra­gen ging, sehr streng, und das ohne Anse­hen der Per­son. Er stellt dabei die Kul­tur an die erste Stel­le, die den künf­ti­gen Prie­stern als dia­lek­ti­sche Waf­fe zur Ver­tei­di­gung der offen­bar­ten Wahr­hei­ten die­nen sollte.

„Grund­le­gend für sei­nen Ein­satz im Dienst des Pap­stes war in jenen Jah­ren die bereits zitier­te Ver­öf­fent­li­chung der Enzy­kli­ka Rer­um Novarum, die die Auf­merk­sam­keit und Lie­be der Kir­che auf ein sozia­les Chri­sten­tum lenk­te“, so Cannarozzo.

Um die Ent­ste­hung die­ser histo­ri­schen Enzy­kli­ka zu ver­ste­hen, muß man sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, daß in jenen Jah­ren in ganz Euro­pa die ersten Arbei­ter­be­we­gun­gen sozia­li­sti­scher Prä­gung auf­tra­ten und der blu­ti­ge kom­mu­ni­sti­sche Putsch­ver­such in Paris von 1871 noch frisch im Gedächt­nis war. Die­se mar­xi­sti­schen Strö­mun­gen waren, ganz nach dem Vor­bild von Karl Marx, von einer aggres­si­ven kir­chen­feind­li­chen Ideo­lo­gie durch­drun­gen, die ihren Nähr­bo­den oft genau in jenen häre­ti­schen Leh­ren fand, die von der Kir­che damals noch stark bekämpft wurden.

Rer­um Novarum war die ent­schlos­se­ne Ant­wort auf die­se Bewe­gun­gen, die die wirk­li­chen Pro­ble­me der Arbei­ter nicht lösten, aber die christ­li­che Gesell­schaft in gro­ße Gefahr brachten.

Die Enzy­kli­ka war das Bekennt­nis der Kir­che, mit dem sie sich ver­pflich­te­te, die Wür­de des Men­schen gegen Aus­beu­tung und Will­kür, aber auch den Wert der Arbeit zu ver­tei­di­gen. Nicht aus einer bloß mate­ria­li­sti­schen Per­spek­ti­ve, son­dern ein­ge­bet­tet als Teil der ewig­gül­ti­gen katho­li­schen Leh­re, und ohne Kom­pro­mis­se mit der Men­ta­li­tät der Welt einzugehen.

Msgr. Umber­to Benigni

Gestützt auf sei­ne gefe­stig­ten Über­zeu­gun­gen und aus­ge­stat­tet mit päpst­li­cher Pro­tek­ti­on wur­de Msgr. Benig­ni zum uner­müd­li­chen Defen­sor Eccle­siae und einer der bedeu­tend­sten Geg­ner der moder­ni­sti­schen Irr­tü­mer. Des­halb bekämpf­te er, der ganz von der kirch­li­chen Sozi­al­leh­re durch­drun­gen war, auch die gera­de im Ent­ste­hen begrif­fe­ne Volks­par­tei (Par­ti­to Popola­re), die künf­ti­ge Demo­cra­zia Cri­stia­na, die sich hin­ter den christ­li­chen Idea­len auf Abwe­gen befand in der Absicht, zwei gegen­sätz­li­che Ideen wie das Chri­sten­tum und den Sozia­lis­mus ver­ei­nen zu wol­len. Die­se schäd­li­che Idee ver­brei­te­te sich damals zusam­men mit dem Libe­ra­lis­mus in katho­li­schen Krei­sen Europas.

Aus die­sen Grün­den ver­tei­dig­te und unter­stütz­te er als Kon­tra­punkt, nicht immer mit aus­rei­chen­der Weit­sicht und poli­ti­scher Klug­heit, die am mei­sten natio­na­li­sti­schen. mon­ar­chi­sti­schen und kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Bewe­gun­gen, die zu die­ser Zeit in Euro­pa als Reak­ti­on auf die mar­xi­sti­schen Bewe­gun­gen entstanden.

Unter die­sen ist nicht zuletzt die Action Fran­çai­se von Charles Maur­ras zu nen­nen, der Benig­ni sei­ne bedin­gungs­lo­se Unter­stüt­zung zukom­men ließ. Eine Ent­schei­dung, für die er spä­ter bit­ter bezah­len sollte.

Die Wahl des heiligen Pius X.

In der Zwi­schen­zeit hat­ten wich­ti­ge Ver­än­de­run­gen im Vati­kan statt­ge­fun­den. 1903, nach dem Tod von Leo XIII., hat­te Kar­di­nal Giu­sep­pe Sar­to, der 1954 von Pius XII. als Hei­li­ger aner­kannt wur­de, mit dem Namen Pius X. den päpst­li­chen Thron bestie­gen. Er soll­te als einer der ent­schie­den­sten Geg­ner der Sub­ver­si­on und unnach­gie­bi­ger Ver­tei­di­ger der katho­li­schen Glau­bens­leh­re in die Geschich­te eingehen.

Bei die­sem ideel­len Kampf des Pap­stes konn­te der ent­schlos­se­ne „Mon­si­gno­re“ aus Umbri­en nicht feh­len. Bald wur­de er wie bereits für sei­nen Vor­gän­ger auch für Pius X. zum wich­ti­gen Ver­trau­ten, wes­halb nicht weni­ge Benig­nis Hand hin­ter der Enzy­kli­ka Pas­cen­di domi­ni­ci gre­gis zu erken­nen glaub­ten, die am 8. Sep­tem­ber 1907 ver­öf­fent­lich­te wur­de. Mit die­ser Enzy­kli­ka wur­de der Moder­nis­mus zusam­men mit ande­ren ver­gif­te­ten Früch­ten ohne Wenn und Aber ver­ur­teilt, da er ohne ent­schie­de­ne Gegen­wehr die Kir­che kor­rum­pier­te, wovon Pius X. und Msgr. Benig­ni über­zeugt waren.

Am 28. August 1906 wur­de er von Pius X., für den er in den Vati­kan über­sie­deln muß­te, zum Päpst­li­chen Haus­prä­la­ten ernannt. Neben zahl­rei­chen ande­ren Auf­trä­gen hat­te er dort die Sala Stam­pa, eine moder­ne Pres­se­stel­le für Jour­na­li­sten, zu schaf­fen, die es bis dahin nicht gab.

Um vor allem welt­li­che Zei­tun­gen anzu­hal­ten, kor­rek­te Nach­rich­ten über kirch­li­che Ereig­nis­se zu ver­brei­ten, hat­te Benig­ni die Idee, die akkre­di­tier­ten Jour­na­li­sten täg­lich zu ver­sam­meln, um sie mit umfas­sen­den Infor­ma­tio­nen über die Akti­vi­tä­ten des Hei­li­gen Stuhls zu ver­sor­gen. Auf die­se Wei­se soll­te erreicht wer­den, daß die Nach­rich­ten bereits am näch­sten Tag und vor allem ohne Mani­pu­la­tio­nen ver­öf­fent­licht werden.

Die Stra­te­gie erwies sich als erfolg­reich und ermög­lich­te es, die Pres­se, ins­be­son­de­re die welt­li­che, auf die bevor­ste­hen­de Ver­öf­fent­li­chung der Enzy­kli­ka Pas­cen­di vor­zu­be­rei­ten, um die vor­her­seh­ba­ren Gegen­kam­pa­gnen der moder­ni­sti­schen Frak­ti­on zu neutralisieren.

Um den Geg­ner, wenn man so sagen will, ein­zu­krei­sen, grün­de­te Msgr. Benig­ni auch eine inter­na­tio­na­le Pres­se­agen­tur namens Cor­ri­spon­den­za Roma­na, deren Ver­öf­fent­li­chung ab Mai 1906 täg­lich als hek­to­gra­phier­tes Blatt erschien. Ab 1907 wur­de sie gedruckt und ab dem 23. Mai 1907 unter dem Titel Cor­re­spond­ance de Rome auch als fran­zö­si­sche Aus­ga­be publiziert.

Die­se Pres­se­agen­tur sam­mel­te, dank eines beacht­li­chen Kor­re­spon­den­ten­net­zes, Nach­rich­ten aus der gan­zen katho­li­schen Welt. Die Kor­re­spon­den­ten rekru­tier­te Benig­ni vor allem aus dem Kreis sei­ner ver­trau­ten Freun­de, deren Auf­ga­be es war, jedes Ein­drin­gen sub­ver­si­ver Ideen zu berich­ten, die als „Krebs­ge­schwür gegen den Glau­ben“ ver­stan­den wurden.

Trotz der Erfol­ge und des Wohl­wol­lens von Pius X. wur­de Benig­nis jour­na­li­sti­sche Initia­ti­ve vom vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at mit Arg­wohn beob­ach­tet. Gleich ging die­se ober­ste Regie­rungs­be­hör­de auf Distanz und beton­te öffent­lich, daß die Cor­ri­spon­den­za Roma­na weder einen offi­zi­el­len Cha­rak­ter habe noch in irgend­ei­ner Wei­se den Vati­kan repräsentiere.

Dabei han­del­te es sich um eine weit­sich­ti­ge Ent­schei­dung des Hei­li­gen Stuhls, denn es soll­te nicht lan­ge dau­ern, bis die Pres­se­agen­tur durch ihre schar­fen, aber immer gut infor­mier­ten Arti­kel in den euro­päi­schen Staats­kanz­lei­en und Par­tei­zen­tra­len har­te und hef­ti­ge Pole­mi­ken her­vor­rief, wie die har­te Reak­ti­on der frei­mau­re­risch gepräg­ten Regie­rung der Drit­ten Fran­zö­si­schen Repu­blik, die sich bereits mit der Diplo­ma­tie des Hei­li­gen Stuhls in einem offe­nen Kon­flikt befand.

Die Pres­se­agen­tur hat­te ange­sichts eines so schar­fen Gegen­win­des kein leich­tes Leben, wes­halb Benig­ni, als er die Gefahr einer Zwangs­schlie­ßung erkann­te, wie es dann 1912 tat­säch­lich geschah, eine zwei­te Pres­se­agen­tur eröff­ne­te, die AIR, Agen­zia Inter­na­zio­na­le Roma, mit dem täg­li­chen Bul­le­tin auf fran­zö­sisch Rome et le mon­de (Rom und die Welt) und den wöchent­li­chen Qua­der­ni roma­ni (Römi­sche Hef­te), die zusätz­lich in einer fran­zö­si­schen Aus­ga­be erschie­nen. Die­se zwei­te Agen­tur ver­öf­fent­lich­te jene Mel­dun­gen, die aus ver­schie­de­nen Grün­den von der Cor­ri­spon­den­za Roma­na nicht ver­öf­fent­licht wer­den konn­ten. Zudem gab es noch eine inter­ne Publi­ka­ti­on namens Bor­ro­mae­us Pau­lus, die nur den Soda­len zuging und neben Infor­ma­tio­nen auch Hand­lungs­an­wei­sun­gen ent­hielt. Die Soda­len bedien­ten sich in ihrer Kor­re­spon­denz bei heik­len The­men ver­schie­de­ner Deck­na­men und chif­frier­ten bei Bedarf ihre Mitteilungen.

Benig­nis eigent­li­ches Ein­satz­ge­biet war der Kampf gegen die Häre­si­en, der ihn 1909 ver­an­laß­te, sein siche­res Zuhau­se im Vati­kan zu ver­las­sen, um in die römi­sche Via del Cor­so zu zie­hen und sein neu­es Zuhau­se mit der Redak­ti­on der sich gera­de in vol­ler Ent­wick­lung befind­li­chen Cor­ri­spon­den­za Roma­na zu teilen.

Trotz der Kri­tik, der er aus­ge­setzt war, waren die Bezie­hun­gen zu Pius X. aus­ge­zeich­net, obwohl eini­ge das Gegen­teil behaup­te­ten, um Benig­nis Gewicht in den Augen der Katho­li­ken zu schwä­chen. Die gezielt gestreu­ten Gerüch­te wur­den bald wider­legt, als der Papst 1911 nur für Benig­ni die Wür­de eines ach­ten Pro­to­no­ta­ri­us apo­sto­li­cus de nume­ro Par­ti­ci­pan­ti­um schuf, des höch­sten Prä­la­ten­ti­tels an der Römi­schen Kurie. Das Kol­le­gi­um der Apo­sto­li­schen Pro­to­no­ta­re war bis dahin auf sie­ben Mit­glie­der beschränkt. Ihnen obliegt die Auf­ga­be, die Rechts­ak­te und Urkun­den über die Ver­kün­di­gung von Dog­men und Hei­lig­spre­chun­gen, Krö­nun­gen und Besitz­ergrei­fun­gen, den Amts­an­tritt und den Tod des Pap­stes aus­zu­fer­ti­gen, die ord­nungs­ge­mä­ße Eröff­nung und Been­di­gung eines Kon­kla­ves zu über­wa­chen und die Pro­to­kol­le der Kon­si­sto­ri­en zu führen.

Es war ohne Zwei­fel eine gro­ße Aner­ken­nung für die Arbeit des „Mon­si­gno­re“, der aber das vati­ka­ni­sche Innen­le­ben zu gut kann­te, um nicht zu ver­ste­hen, dass es sich um das klas­si­sche Pro­mo­vea­tur ut amo­vea­tur („Er möge beför­dert wer­den, damit man ihn los wird“) han­del­te. Mit die­sem hohen Amt war er von sei­nen kir­chen­in­ter­nen Gegen­spie­lern von einer mög­li­chen Bischofs­er­nen­nung und damit von der wirk­li­chen kirch­li­chen Macht aus­ge­schlos­sen wor­den. Gleich­zei­tig hat­te er aller­dings die sicht­ba­re Ermu­ti­gung durch den Papst selbst erhal­ten, den ein­ge­schla­ge­nen Weg fortzusetzen.

Papst Pius X. brauch­te einen akti­ven Benig­ni, wie es ohne­hin des­sen Wesen ent­sprach, und nicht einen noch so wich­ti­gen Beam­ten hin­ter einem Schreibtisch.

Das Sodalitium Pianum

In dem neu­en Haus in der Via del Cor­so orga­ni­sier­te Msgr. Benig­ni neben der Cor­ri­spon­den­za Roma­na auch die Casa San Pie­tro, die zum Sitz sei­ner Akti­vi­tä­ten wur­de. Dort soll­te auch die wich­tig­ste Initia­ti­ve zur Ver­tei­di­gung der Kir­che gebo­ren wer­den, das Soda­li­ti­um Pia­num (lat. soda­li­tas, Kame­rad­schaft, im über­tra­ge­nen Sinn auch Gefähr­ten­schaft, Gemein­schaft, also die „Pia­ni­sche Kame­rad­schaft“ oder „Pius-Kame­rad­schaft“, benannt nach Papst Pius V., war aber wohl auch eine Reve­renz an den damals regie­ren­den Papst Pius X.), ein Pro­jekt, das fünf Jahr­hun­der­te zuvor von einem ande­ren gro­ßen, der Leh­re treu­en Papst, dem hei­li­gen Pius V., begon­nen und von Benig­ni mit Nach­druck wie­der­be­lebt wurde.

Das Soda­li­ti­um Pia­num soll­te nach dem ursprüng­li­chen Pro­jekt eine Art Säku­lar­in­sti­tut im Dien­ste des Pap­stes und des Hei­li­gen Stuhls wer­den, um den gefähr­li­chen Infil­tra­tio­nen des Moder­nis­mus und der Frei­mau­re­rei ent­ge­gen­zu­wir­ken, die bis in ent­le­ge­ne Ver­äste­lun­gen in Gesell­schaft und Kul­tur, ins­be­son­de­re aber in der katho­li­schen Welt, vor­ge­drun­gen waren.

Das Soda­li­ti­um Pia­num wur­de von feind­lich gesinn­ten Krei­sen als „Geheim­or­ga­ni­sa­ti­on“ apo­stro­phiert, war in Wirk­lich­keit der Römi­schen Kurie aber genau bekannt, sowohl was ihren Zweck als auch was ihre Struk­tu­ren mit einem Sekre­tär und eini­gen Assi­sten­ten betrifft. Eben­so bekannt war, daß in ver­schie­de­nen Staa­ten dazu­ge­hö­ri­ge Zir­kel bestan­den, die soge­nann­ten Con­fe­ren­ze di San Pie­tro (Gesprächs­krei­se des hei­li­gen Petrus).

Dank per­sön­li­cher und wich­ti­ger Bezie­hun­gen sowohl in Ita­li­en als auch im Aus­land schuf Msgr. Benig­ni ein pri­va­tes Netz­werk von Zen­so­ren mit dem Auf­trag, alle Neo-Theo­lo­gen im Geruch des Moder­nis­mus zu mel­den, ob Lai­en oder Kle­ri­ker, die ver­däch­tigt wur­den, offen häre­ti­sche Leh­ren zu ver­brei­ten. Sobald ein Dos­sier erstellt war, wur­de es für even­tu­el­le Klä­run­gen oder Anzei­gen in die Casa San Pie­tro nach Rom und von dort, falls erfor­der­lich, an das Hei­li­ge Offi­zi­um (heu­te die Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re) über­mit­telt, das damals sei­ne Auf­ga­be noch nicht im „Dia­log“ und einer Kir­che, „die hin­aus­geht“, sah, son­dern in der Bewah­rung und Ver­tei­di­gung der Glaubenslehre.

Kurz gesagt, das Soda­li­ti­um Pia­num war zu einer inve­sti­ga­ti­ven Kampf­ma­schi­ne zur Ver­tei­di­gung der katho­li­schen Dok­trin und Zivi­li­sa­ti­on gewor­den. Auf dem Höhe­punkt sei­ner Popu­la­ri­tät zähl­te es gut hun­dert Mit­ar­bei­ter, zu denen die ange­se­hen­sten Namen der katho­li­schen Wis­sen­schaft der dama­li­gen Zeit gehör­ten. Die­se Orga­ni­sa­ti­on wur­de von den ner­vös wer­den­den Moder­ni­sten nicht nur abge­lehnt, son­dern bekämpft.

Für sei­ne Fein­de erin­ner­te das Pia­num, wie die­ses Soda­li­ti­um in Rom kurz genannt wur­de, mehr an einen Poli­zei­staat als an eine christ­li­che Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­ti­on, wo die Denun­zia­ti­on (immer durch Doku­men­te gestützt) auf der Tages­ord­nung ste­he. Es war also dem Wesen zufol­ge eine gehei­me Zel­le außer­halb jeder kirch­li­chen Legi­ti­mi­tät, ein regel­rech­tes Spio­na­ge­zen­trum, das sei­nem ärg­sten Feind, der Frei­mau­re­rei, was die Geheim­hal­tung betrifft, um nichts nachstand.

In Wirk­lich­keit war die Struk­tur dem Papst in vol­lem Umfang bekannt. Wenn die Mit­glie­der ver­trau­lich behan­delt wur­den, so wur­de das damit begrün­det, daß sich die Mit­glie­der die­ses Soda­li­ti­ums zur Erfül­lung ihrer Auf­ga­be in Krei­sen und unter Per­so­nen bewe­gen muß­ten, die wenig trans­pa­rent waren.

In die­ser Zeit pas­sier­te jedoch etwas wirk­lich Ern­stes inner­halb des Pia­num. Benig­nis Assi­stent, der Prie­ster Gio­van­ni Ver­de­si, der bis 1911 als sei­ne rech­te Hand galt, fiel von der katho­li­schen Kir­che ab und wech­sel­te zu den Metho­di­sten. Er gab sein Prie­ster­tum auf und natür­lich auch sei­ne Mit­ar­beit im Pia­num. Ver­de­si, der am Gro­ßen Semi­nar in Rom stu­diert hat­te, war 1907 zum Prie­ster geweiht wor­den. Er wur­de Cau­da­tar (Schlep­pen­trä­ger) von Kar­di­nal Seba­stia­no Mar­ti­nel­li, dem Prä­fek­ten der Riten­kon­gre­ga­ti­on, und Vize­rek­tor der römi­schen Kir­che San­ta Maria degli Ange­li alle Ter­me. Der Neu­prie­ster war als Semi­na­rist mit moder­ni­sti­schen Ideen in Berüh­rung gekom­men und fre­quen­tier­te den radi­kal­sten moder­ni­sti­schen Prie­st­er­kreis in Rom um Erne­sto Bonai­uti, den bedeu­tend­sten Ver­tre­ter des Moder­nis­mus in Ita­li­en. Bonai­uti hat­te selbst das Gro­ße Römi­sche Semi­nar besucht,  wo er ein Stu­di­en­kol­le­ge von Ange­lo Ron­cal­li, dem spä­te­ren Papst Johan­nes XXIII., war und schließ­lich selbst dem Pro­fes­so­ren­kol­le­gi­um ange­hör­te. Um genau zu sein, erhielt Bonai­uti 1903 die Pro­fes­sur für Kir­chen­ge­schich­te, den zuvor Msgr. Benig­ni inne­hat­te. Damit folg­te, so unglaub­lich es klingt, der ober­ste Vor­den­ker der Moder­ni­sten dem ober­sten Vor­den­ker der Anti­mo­der­ni­sten auf den Lehr­stuhl. Die­ser Vor­fall soll­te Msgr. Benig­ni spä­ter noch sehr beschäf­tig­ten und sei­ne Arbeit beein­flus­sen, vor allem die Über­zeu­gung, daß sich Moder­ni­sten und Frei­mau­rer in der Kir­che mit allen Mit­teln tar­nen würden.

1908 hat­te der jun­ge Prie­ster Ver­de­si eine inne­re Kri­se, die ihn ver­an­laß­te, den Moder­ni­sten­kreis um Bonai­uti, dem er ange­hör­te, bei der kirch­li­chen Auto­ri­tät zur Anzei­ge zu brin­gen. Bonai­uti gab nach sei­ner Exkom­mu­ni­ka­ti­on das Prie­ster­tum auf und näher­te sich den Metho­di­sten an, ohne zu kon­ver­tie­ren. Ver­de­si, dem die Auf­deckung des moder­ni­sti­schen Prie­ster­zir­kels zu dan­ken war, wur­de von Msgr. Benig­ni zur Arbeit im Soda­li­ti­um Pia­num her­an­ge­zo­gen, was aller­dings nicht lan­ge währ­te. Der Pro­zeß gegen Bonai­uti und ande­re, dar­un­ter den Vize­re­gens des Kol­legs der Pro­pa­gan­da Fide, sorg­te für gro­ßes Auf­se­hen, da sich die anti­kle­ri­ka­le welt­li­che Pres­se dar­auf stürz­te. Das löste in Ver­de­si, der als Zeu­ge gela­den war, jene bereits erwähn­te Kri­se aus, die ihn zur Apo­sta­sie und zum Über­tritt zu den Metho­di­sten führte.

Ver­de­sis Schritt traf Benig­ni zutiefst, änder­te aber nichts an sei­nem Kampf­geist. Den­noch hat­ten sein Anse­hen und die Glaub­wür­dig­keit sei­ner Initia­ti­ven Scha­den genom­men. Zu Ver­de­sis Nach­fol­ger als Sekre­tär des Soda­li­ti­um Pia­num wur­de nun der fran­zö­si­sche Prie­ster Abbé Gust­ave Saubat. 

Benig­nis Assi­stent im Soda­li­ti­um Pia­num war der aus dem baye­ri­schen Ergol­ding stam­men­de Pater Gott­fried Brun­ner (1875–1962). Brun­ner, ein pro­mo­vier­ter Theo­lo­ge, der zunächst dem Sal­va­to­ria­ner­or­den ange­hör­te und ab 1902 Welt­prie­ster der Diö­ze­se Civi­ta Castel­la­na in Lati­um war, hat­te 1906 Benig­nis Dozen­tur für Kir­chen­ge­schich­te am Kol­leg der Pro­pa­gan­da Fide über­nom­men. Zusam­men mit Benig­ni ver­öf­fent­lich­te er 1907 die Quel­len­samm­lung zur Früh­ge­schich­te der Kir­che: „De Roma­nae eccle­siae exor­di­is fon­tes histo­ri­ci lati­ne redac­ti vel red­di­ti“. Ab 1910 war Brun­ner zudem Unter­ar­chi­var im vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at. Wegen des ita­lie­ni­schen Kriegs­ein­tritts gegen das Deut­sche Reich muß­te er Ita­li­en 1915 ver­las­sen. Nach einer Zwi­schen­sta­ti­on als Redak­teur der Trie­rer Kir­chen­zei­tung, die er auf­grund sei­ner Pia­num-Kon­tak­te erhal­ten haben dürf­te, wirk­te er ab der Auf­lö­sung des römi­schen Soda­li­ti­ums bis zu sei­nem Tod als Prie­ster in Ber­lin, wo er wei­ter­hin histo­ri­sche Arbei­ten publi­zier­te und auch für die Medi­en des Bis­tums arbei­te­te. Da sei­ne Haupt­wir­kungs­stät­te als Haus­geist­li­cher in der Sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne lag, erleb­te er die Zeit ab 1945 im Ost­teil der Stadt. Zum Jah­res­wech­sel 1934/​35 wid­me­te er sei­nem ein­sti­gen Kampf­ge­fähr­ten, in der Zeit­schrift Der Fels den Nach­ruf: „Mon­si­gno­re Benig­ni – ein Viel­ver­leum­de­ter“.

Seine Gegner

Unter denen, die Benig­ni beschul­dig­ten, sich sogar über den Wil­len des Pap­stes zu erhe­ben, befand sich auch der mäch­ti­ge Mer­ry del Val, der unter Pius X. Kar­di­nal­staats­se­kre­tär war. Del Val wider­setz­te sich mit Nach­druck einer offi­zi­el­len Aner­ken­nung des Pia­num durch die Kir­che. Er blieb kon­se­quent bei sei­ner Ableh­nung und beob­ach­te­te die zahl­rei­chen Initia­ti­ven Benig­nis miß­trau­isch. Das war auch der Grund, wes­halb die­ser dar­um bat, nicht län­ger vom vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at abhän­gig zu sein. Die Ent­flech­tung erfolg­te tatsächlich.

Es war Kar­di­nal Pie­tro Gaspar­ri, der Nach­fol­ger von del Val, der bei Pius X. alle Beden­ken zer­streu­te. Der neue Kar­di­nal­staats­se­kre­tär beton­te bei ver­schie­de­nen Gele­gen­hei­ten, daß der Papst über Benig­nis Akti­vi­tä­ten genau unter­rich­tet war und die­se aus­drück­lich bil­lig­te und auch finan­zi­ell unterstützte.

Msgr. Benig­ni ver­füg­te über die Unter­stüt­zung wei­te­rer hoch­ran­gi­ger Kir­chen­ver­tre­ter, dar­un­ter jene von Kar­di­nal Gaet­a­no De Lai, einem damals sehr ein­fluß­rei­chen Kuri­en­ver­tre­ter, der am 25. Febru­ar 1913 in einem Schrei­ben mit­teil­te, dem Papst das aktu­el­le Pro­gramm des Pia­num vor­ge­legt zu haben. Es fand des­sen Bei­fall, sodaß der Kar­di­nal sein Schrei­ben mit den Wor­ten schlie­ßen konnte:

„Der Papst bil­ligt und seg­net die­se Initia­ti­ve und behält sich zu gege­be­nem Zeit­punkt vor, die Sta­tu­ten zu prü­fen und sie in ange­mes­se­ner Form durch die­se Kon­gre­ga­ti­on des Hei­li­gen Kon­si­sto­ri­ums zu genehmigen.“

Nach­dem die­se wich­ti­ge Klar­stel­lung erfolgt war, um Benig­nis Kri­ti­kern den Wind aus den Segeln zu neh­men, began­nen erst recht dunk­le Wol­ken sich über dem Mon­si­gno­re zusammenzuziehen.

Mit dem Tod des hei­li­gen Pius X. und der im Sep­tem­ber 1914 erfolg­ten Wahl von Kar­di­nal Gia­co­mo del­la Chie­sa zum Papst, der als Bene­dikt XV. den Stuhl des Petrus ein­nahm, erfolg­te, was vie­le erwar­tet und man­che erhofft hat­ten: Msgr. Benig­ni wur­de inner­halb kur­zer Zeit am päpst­li­chen Hof völ­lig marginalisiert.

Die­se Situa­ti­on ermög­lich­te es sei­nen Geg­nern, ihr Haupt zu erhe­ben und nicht mehr nur im Ver­bor­ge­nen, son­dern ganz offen Benig­ni zu beschul­di­gen, das Pia­num als schänd­li­ches Werk orga­ni­siert zu haben, indem durch üble Nach­re­de, Ver­leum­dung und schwer­wie­gen­de Unter­stel­lun­gen ohne jede christ­li­che Näch­sten­lie­be im Kle­rus Miß­trau­en und Denun­zia­ti­on gesät wor­den sei­en. Kurz gesagt, ein Ver­hal­ten, das weit vom Geist der Kir­che ent­fernt war, sodaß der neue Papst nun ohne Wenn und Aber die Bezeich­nung „inte­gra­le Katho­li­ken“ und ihre Hal­tung, die sich wie Benig­ni, obwohl sein Name nie aus­drück­lich genannt wur­de, „ohne kirch­li­che Zustim­mung zu Ver­tei­di­gern der Glau­bens­leh­re“ auf­schwan­gen, verurteilte.

Ein schwerer Schlag für den umtriebigen Monsignore

1914 erfolg­te die Unter­drückung des Soda­li­ti­um Pia­num, des­sen Wie­der­errich­tung zwar 1915 erlaubt wur­de, aller­dings nun ohne Zugang zu den höch­sten vati­ka­ni­schen Stel­len. Damit ver­lor die Orga­ni­sa­ti­on schlag­ar­tig an Ein­fluß und Bedeu­tung. Obwohl sich das eigent­li­che Wir­ken die­ser Ver­ei­ni­gung nur auf fünf Jah­re beschränk­te, wirkt ihr inzwi­schen fast durch­weg nega­ti­ver Ruf schon hun­dert Jah­re nach.
Die Zei­ten hat­ten sich geän­dert, und nach Höhen und Tie­fen wur­de das Pia­num 1921 end­gül­tig auf­ge­löst, auch wenn nach Mei­nung von Kar­di­nal Yves Con­gar, einer Speer­spit­ze des nach­kon­zi­lia­ren Moder­nis­mus, die­se Orga­ni­sa­ti­on noch min­de­stens bis 1946 aktiv geblie­ben sei. Einen Beleg dafür gibt es aller­dings nicht.

Obwohl Benig­ni aus dem kirch­li­chen Macht­zen­trum im Vati­kan ent­fernt wur­de, ruh­te er sich den­noch nicht aus, son­dern setz­te sei­nen Kampf für die Recht­gläu­big­keit, so weit er konn­te, fort und begann sich an neu­en Fron­ten zu bewe­gen, nun auch an der politischen.

Freun­de und Mit­ar­bei­ter hat­ten ihm immer gera­ten, sich auf rein dok­tri­nä­re Fra­gen der Kir­che zu beschrän­ken und sich nicht auf öffent­li­che Fra­gen ein­zu­las­sen oder sich in Fra­gen der Par­tei­po­li­tik ein­zu­mi­schen. Solan­ge er im Auf­trag von Pius X. wir­ken konn­te, hielt sich Msgr. Benig­ni daran.

Der Rat­schlag soll­te sich als rich­tig erwei­sen, wur­de aber nun nicht mehr befolgt. Ganz im Gegen­teil. Der Päpst­li­che Pro­to­no­tar rück­te in der Nach­kriegs­zeit immer näher zur neu ent­stan­de­nen Faschi­sti­schen Par­tei und ver­brei­te­te in den ihm nahe ste­hen­den Medi­en wie L’A­ral­do, L’U­ni­tà Cat­to­li­ca, Fede e Cul­tu­ra nun auch anti­se­mi­ti­sche Posi­tio­nen. Durch die letzt­ge­nann­te Zeit­schrift ließ er „Die Pro­to­kol­le der Wei­sen von Zion“, eines der umstrit­ten­sten Doku­men­te des 20. Jahr­hun­derts, veröffentlichen.

Um die­se Sei­te Benig­nis bes­ser ein­ord­nen zu kön­nen, ist dar­an zu erin­nern, daß der Anti­se­mi­tis­mus in der Zwi­schen­kriegs­zeit eine poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Sicht­wei­se war, die im gesam­ten Westen, auch in den demo­kra­ti­schen Staa­ten, in Erschei­nung trat.

Der Makel, den sich „der Mon­si­gno­re“ in den letz­ten 15 Jah­ren sei­nes Lebens zuzog, schmä­lert nicht sein Ver­dienst im Ein­satz für die Ver­tei­di­gung der Kir­che gegen das zer­set­zen­de Wir­ken des Modernismus.

Sei­ne „poli­ti­sche“ Wahl, die er in die­ser Zeit traf, war ihm bei der Ver­tei­di­gung der Kir­che, die unver­än­dert sei­ne Haupt­an­triebs­fe­der blieb, nicht hilf­reich, son­dern hin­der­lich. Sie führ­te zu stän­di­gen Kon­flik­ten mit ande­ren Kir­chen­ver­tre­tern, die Benig­nis poli­ti­sche Opti­on weder akzep­tie­ren konn­ten noch woll­ten. Wegen der sich dar­aus erge­ben­den Gefahr für die Kir­che stell­ten sich ihm die Jesui­ten der römi­schen Zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca in den Weg.

Die letzten Jahre von Msgr. Benigni

1923 gab er auch die Lehr­tä­tig­keit an der Urba­nia­na auf und war für die Kir­che in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit abge­rutscht. Sein geist­li­ches Testa­ment ver­faß­te Msgr. Benig­ni nach Mei­nung von Can­n­a­roz­zo bereits vie­le Jah­re frü­her. Es ist das Pro­gramm des Pia­num von 1911, in des­sen erstem Arti­kel steht:

„Wir sind inte­gra­le römi­sche Katho­li­ken. Wie die­ses Wort sagt, akzep­tiert der inte­gra­le römi­sche Katho­lik die Leh­re, die Ord­nung, die Richt­li­ni­en des Hei­li­gen Stuhls und alle legi­ti­men Kon­se­quen­zen für den ein­zel­nen und die Gesell­schaft voll und ganz. Er ist päpst­lich, kle­ri­kal, anti­mo­der­ni­stisch, anti­li­be­ral und anti­sek­tie­re­risch. Er ist daher voll und ganz kon­ter­re­vo­lu­tio­när, weil er nicht nur ein Geg­ner der jako­bi­ni­schen Revo­lu­ti­on und des sek­tie­re­ri­schen Radi­ka­lis­mus ist, son­dern auch des reli­giö­sen und sozia­len Liberalismus.“

Der Prie­ster, der tau­send Schlach­ten zur Ver­tei­di­gung der Kir­che gekämpft hat­te, starb in Rom am 27. Febru­ar 1934 als über­zeug­ter „inte­gra­ler Katho­lik“, unab­hän­gig davon, was der gera­de regie­ren­de Papst dar­über den­ken mochte.

Der Mann, der Prie­ster, der Ver­tei­di­ger des Glau­bens mit all sei­nen Gren­zen, die er hat­te wie alle ande­ren auch, wuß­te die „Zei­chen der Zeit“ mit gro­ßer Schär­fe zu lesen und die lau­ern­den Gefah­ren für die Kir­che sehr deut­lich zu erken­nen. Bei der Wahl der Gegen­mit­tel, vor allem in der letz­ten Pha­se, war er nicht ganz so treff­si­cher. Er ver­stand unter den „Zei­chen der Zeit“ nicht eine vage und lee­re, da rela­ti­vi­sti­sche Sicht­wei­se, wie sie für die Nach­kon­zils­zeit typisch wur­de, als die Zei­chen der Zeit nicht sel­ten mit dem Zeit­geist ver­wech­selt wur­den, son­dern betrach­te­te die Ereig­nis­se von einem kla­ren Stand­punkt der Glau­bens­ge­wiß­heit aus. So klar er gegen den Moder­nis­mus stand und des­sen Bedro­hung für die Kir­che sah; so deut­lich er sei­ne Auf­ga­be erkann­te, zu war­nen, Irr­tü­mer auf­zu­zei­gen und sie unschäd­lich zu machen: So sehr über­hör­te er manch­mal auch wohl­wol­len­de Stim­men, die ihn bei der Gegen­wehr vor der Wahl der fal­schen Mit­tel warnten.

Tat­sa­che bleibt jedoch, daß Msgr. Benig­nis War­nung vor dem Moder­nis­mus sich drei­ßig Jah­re nach sei­nem Tod mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil bewahrheitete.

Was er als unaus­sprech­li­che Tra­gö­die emp­fun­den hät­te, erleb­te er nicht mehr. Sie zu ver­hin­dern, war sein Bestre­ben, doch fehl­ten ihm dazu Zeit, Kraft und Mit­tel – und der nöti­ge Rückhalt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Pro­pa­gan­da Cato­li­ca (Screen­shot)

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2 Kommentare

  1. Ein sehr schö­ner, über­aus inter­es­san­ter Bei­trag, für des­sen genaue Lek­tü­re ich mir mehr Zeit neh­men wer­de, lie­ber Herr Nardi!

  2. Gra­tu­la­ti­on, das ist der beste Arti­kel, der hier erschie­nen ist, es wäre schön, mehr über „inte­gra­li­sti­sche“ Prie­ster-Per­sön­lich­kei­ten hier zu lesen wie z.B. Msgr. Fran­çois Ducaud-Bourget.

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