Auf dem Weg zum globalen Krieg?

Ducunt fata volentem, nolentem trahunt


Welt Globus Krieg

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Wäh­rend Rake­ten und Droh­nen den Him­mel vom Schwar­zen Meer über das Mit­tel­meer bis zum Per­si­schen Golf durch­kreu­zen, scheint das Bestre­ben der west­li­chen Diplo­ma­ti­en dar­in zu bestehen, einen all­ge­mei­nen Flä­chen­brand, den alle für unver­meid­lich hal­ten, so weit wie mög­lich hin­aus­zu­zö­gern. Einer der Grün­de für die­sen Pes­si­mis­mus ist das offen­sicht­li­che Feh­len eines Aus­wegs ange­sichts der immer kom­pli­zier­ter wer­den­den inter­na­tio­na­len Pro­ble­me, wie etwa in der Ukrai­ne und im Nahen Osten. Nur eine axio­lo­gi­sche Sicht der Poli­tik könn­te einen Licht­blick bie­ten, aber heu­te macht sich jeder Staat, jede Koali­ti­on die Kate­go­rien von Carl Schmitt zu eigen, wonach es jenen, die die Geschicke der Völ­ker len­ken, obliegt zu ent­schei­den, wer Freund und wer Feind ist.

Der tra­di­tio­nel­len Gesell­schafts­ord­nung, die auf der „Ruhe in der Ord­nung“ von Augu­sti­nus (De Civi­ta­te Dei, lib. 19, c. 12, 1) beruht, setzt Schmitt als Norm der Poli­tik das Prin­zip der Unord­nung ent­ge­gen, das auf Hob­bes‘ Theo­rie des Homo homi­ni lupus beruht. Aber im Zeit­al­ter der inter­na­tio­na­len Unord­nung läßt sich nichts mit Sicher­heit vor­her­sa­gen und berech­nen, und die Poli­tik wird zu einem Glücks­spiel, des­sen ein­zi­ge Regel das Unwäg­ba­re ist. Wahr­schein­lich hat­te weder Ruß­land das Risi­ko einer Inva­si­on in der Ukrai­ne noch die Hamas die Fol­gen des Angriffs vom 7. Okto­ber rich­tig kal­ku­liert. Der Pro­zeß der nach­fol­gen­den Ereig­nis­se ist durch Unge­wiß­heit und Zufall gekennzeichnet.

Unter die­sem Gesichts­punkt ist die Dis­kus­si­on über die Ver­ant­wor­tung für die Ereig­nis­se an sich frucht­los, denn nie­mand woll­te von Anfang an, daß sich die Din­ge so ent­wickeln, wie sie sich auf kata­stro­pha­le Wei­se ent­wickeln. Die Ära der Kom­plot­te, in der alles orga­ni­siert wer­den konn­te, ist von der Ära des per­ma­nen­ten Cha­os abge­löst worden.

Sene­cas Wor­te „Ducunt fata volen­tem, nolen­tem trahunt“ („Den Wil­li­gen führt das Schick­sal, den Unwil­li­gen zerrt es mit sich“, Brie­fe an Luci­li­us, 107, 11, 5) tref­fen auf eine Situa­ti­on zu, in der eine Welt, die sich von Gott, dem ein­zi­gen Herrn der Geschich­te, abwen­det, sich dem uner­bitt­li­chen Gesetz eines Schick­sals unter­wirft, das sie nicht beherrscht. Der Blick muß also vom Aus­gangs­punkt auf den mög­li­chen End­punkt der Ereig­nis­se gelenkt werden.

Was den Nahen Osten betrifft, so hat das Tau­zie­hen zwi­schen Tehe­ran und Tel Aviv zwei mög­li­che Aus­gän­ge: den Zusam­men­bruch des ira­ni­schen Regimes oder die Aus­lö­schung des Staa­tes Isra­el. Im ersten Fall wäre die Gefahr einer nuklea­ren Inter­ven­ti­on des Iran gebannt und Isra­el könn­te den nach dem Anschlag vom 7. Okto­ber unter­bro­che­nen Weg der „Abra­ham-Abkom­men“ wie­der auf­neh­men, um fried­li­che Bezie­hun­gen zu eini­gen ara­bi­schen Län­dern auf­zu­bau­en. Im zwei­ten Fall wür­de das Ver­schwin­den des Staa­tes Isra­el von der isla­mi­schen Umma als Sym­bol für den Zusam­men­bruch des Westens und den Beginn einer mus­li­mi­schen Rück­erobe­rung Euro­pas gese­hen. Län­der, die dem Islam gehör­ten, von Sizi­li­en bis Anda­lu­si­en, wür­den bean­sprucht wer­den, und das ideo­lo­gi­sche und demo­gra­phi­sche Pro­jekt Eura­bi­en wür­de Wirk­lich­keit werden.

Was könn­te gleich­zei­tig in der Ukrai­ne gesche­hen? Auch hier haben wir es mit zwei mög­li­chen Bil­dern zu tun. Im ersten Fall lie­fert der Gewin­ner der näch­sten US-Wahl, sei es Biden oder Trump, der Ukrai­ne wei­ter­hin die Waf­fen für den Kampf und ermög­licht es Selen­skyj, sich Putin zu wider­set­zen und auf der Grund­la­ge die­ses Kräf­te­gleich­ge­wichts eine akzep­ta­ble Ver­hand­lung anzu­stre­ben. Im zwei­ten Fall hin­ge­gen über­las­sen die USA und Euro­pa Kiew sei­nem Schick­sal, die rus­si­sche Armee mar­schiert in Lem­berg ein, die Ukrai­ne wird wie­der Teil des rus­si­schen Impe­ri­ums, und der Sieg ver­an­laßt Putin, sein Expan­si­ons­pro­jekt auf die Län­der aus­zu­deh­nen, die Teil der auf­ge­lö­sten Sowjet­uni­on waren, und sein Pro­tek­to­rat über deren Nach­barn zu verhängen.

In jedem Fall wür­de die Auf­ga­be Isra­els und der Ukrai­ne das Ende des Westens bedeu­ten. Süd­eu­ro­pa wür­de unter dem Joch des Islam in die Dhim­mi­tude fal­len und Ost­eu­ro­pa bis zum Bal­kan wür­de zum Vasal­len Mos­kaus. Da aber zwi­schen Ruß­land und der isla­mi­schen Welt eine jahr­hun­der­te­al­te Feind­schaft besteht, ist nicht aus­zu­schlie­ßen, daß Euro­pa in die­sem Fall zu einem Land der Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen den bei­den Impe­ria­lis­men wird, so wie im 16. Jahr­hun­dert, als die Mäch­te Frank­reich und Spa­ni­en um die ita­lie­ni­sche Halb­in­sel kämpften.

In einer Situa­ti­on, in der die Hal­tung der USA aus­schlag­ge­bend sein wird, ist es das Klüg­ste, was Euro­pa tun kann, sich zu bewaff­nen, selbst um den Preis, daß es dadurch sei­nen Lebens­stan­dard senkt. Aber wer­den die Euro­pä­er dies tun wol­len, oder wer­den sie es vor­zie­hen, end­los über den Man­gel an wirt­schaft­li­chen Res­sour­cen und die Schwie­rig­keit der für die Kriegs­füh­rung erfor­der­li­chen recht­li­chen Schrit­te zu strei­ten? Sich zu bewaff­nen wür­de jenen Kampf­geist erfor­dern, der Euro­pa im Lau­fe der Jahr­hun­der­te groß gemacht hat und der auf die Leh­re des Evan­ge­li­ums zurück­geht, wonach Chri­stus nicht gekom­men ist, um Frie­den zu brin­gen, son­dern das Schwert (Mt 10,34–35; Lk 12,51–53). Heu­te jedoch wird der Frie­den um jeden Preis gesucht, und der frü­he­re Slo­gan „bes­ser rot als tot“ wur­de durch „bes­ser Unter­wer­fung als Krieg“ ersetzt.

Papst Fran­zis­kus ruft unab­läs­sig zum Frie­den auf, wie es sei­ne Vor­gän­ger am Vor­abend der bei­den gro­ßen Welt­krie­ge des 20. Jahr­hun­derts getan haben. Doch die Päp­ste des 20. Jahr­hun­derts sahen die Ursa­che des Krie­ges in der Abkehr vom gött­li­chen Gesetz im inter­na­tio­na­len Leben und ver­wie­sen auf die Rück­kehr zum Natur­recht und zum Glau­ben an Chri­stus als ein­zi­ge Vor­aus­set­zung für die Schaf­fung eines wah­ren Friedens.

Der Frie­den wird sicher­lich nicht durch die soge­nann­te „libe­ra­le Ord­nung“ gesi­chert wer­den. Der Traum, eine Zivi­li­sa­ti­on auf den Prin­zi­pi­en der Auf­klä­rung und der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on auf­zu­bau­en, ist kläg­lich geschei­tert. Im Namen die­ser Wer­te kann sich der Westen gewiß nicht vor­ma­chen, daß er sich dem Feind, der ihn angreift, ent­ge­gen­stellt. Aber es ist noch illu­so­ri­scher, sich vor­zu­stel­len, daß ein Kom­pro­miß mit der isla­mi­schen Welt, die uns bedrängt, gefun­den wer­den kann, oder zu glau­ben, daß Putins Ruß­land ein Boll­werk gegen das Cha­os sein kann.

Es stimmt: Weder in isla­mi­schen Län­dern noch in Ruß­land ist Platz für die Homo-Ehe oder die Gen­der-Theo­rie, aber auch nicht für die Aus­brei­tung des katho­li­schen Glau­bens in die­sen Län­dern. Im Westen hin­ge­gen ver­folgt die Dik­ta­tur des Rela­ti­vis­mus die Chri­sten, aber die jun­gen Men­schen keh­ren zu Gott zurück, strö­men in die Kir­chen und fül­len die Prie­ster­se­mi­na­re, wenn die katho­li­sche Reli­gi­on nach der tra­di­tio­nel­len Leh­re und Lit­ur­gie ange­bo­ten wird. Die­se Wie­der­be­le­bung wird sowohl im Land des Islam, wo das christ­li­che Zeug­nis mit dem Tod bestraft wird, als auch im ortho­do­xen Ruß­land, wo Geset­ze das Apo­sto­lat der Katho­li­ken ver­bie­ten, ver­hin­dert. Im kor­rup­ten Westen gibt es noch Frei­heit, und eine Rück­kehr zu der Zivi­li­sa­ti­on, die Euro­pa groß gemacht hat, ist mit Got­tes Hil­fe noch möglich.

Es gibt kei­ne Illu­sio­nen. Das Spiel der Akteu­re auf der gro­ßen Büh­ne ist dazu bestimmt, rui­nös zu sein, und Appel­le für einen bedin­gungs­lo­sen Frie­den wer­den den Lärm der Waf­fen nicht über­decken kön­nen. Das Feu­er kann nur durch eine Lie­be zur christ­li­chen Zivi­li­sa­ti­on gelöscht wer­den, die bereit ist, das letz­te Opfer zu bringen.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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