„Die Liebe betrachten, die Sonne und Sterne bewegt“. Zur Bedeutung von Nordlichtern und Sonnen- und Mondfinsternissen

Die metaphysische Symphonie des Universums


Nordlicht
Nordlicht

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

In den zurück­lie­gen­den Mona­ten haben sich außer­ge­wöhn­li­che atmo­sphä­ri­sche Ereig­nis­se, dar­un­ter Son­nen­fin­ster­nis­se und Nord­lich­ter, welt­weit gehäuft.

Am 8. April 2024 gab es 14 Tage nach einer Mond­fin­ster­nis, die am 25. März den Him­mel über Tei­len Ame­ri­kas und Euro­pas ver­dun­kelt hat­te, in Ame­ri­ka eine gro­ße Son­nen­fin­ster­nis, die von Mexi­ko über die USA bis nach Kana­da zu sehen war.

Eini­ge Mona­te zuvor, am 5. Novem­ber 2023, wur­de der Him­mel über halb Euro­pa von einem Polar­licht erhellt, das sogar in Ita­li­en bis hin­un­ter zur Adria­kü­ste beob­ach­tet wer­den konn­te. Am 25. März sorg­te ein neu­er magne­ti­scher Sturm für Nord­lich­ter, die in ver­schie­de­nen Brei­ten­gra­den auf unse­rem Pla­ne­ten zu sehen waren. Ein neu­es Polar­licht erhell­te zwi­schen dem 10. und 11. Mai 2024 nicht nur den Him­mel der nörd­li­chen Hemi­sphä­re, son­dern auch Süd­eu­ro­pa. Nord­lich­ter sind sehr sel­ten, doch in den ver­gan­ge­nen Mona­ten wur­den Mil­lio­nen von Men­schen in Ita­li­en und auf der gan­zen Welt drei­mal Zeu­ge die­ses beein­drucken­den Schauspiels.

Für die­se unge­wöhn­li­chen Ereig­nis­se gibt es sicher­lich eine natür­li­che Erklä­rung. Das Polar­licht ist ein opti­sches Phä­no­men, bei dem sich in der Atmo­sphä­re bewe­gen­de Bän­der in ver­schie­de­nen Far­ben zei­gen, die durch das Zusam­men­tref­fen von Teil­chen, die von den Son­nen­win­den getra­gen wer­den, und gas­för­mi­gen Teil­chen in der Erd­at­mo­sphä­re ent­ste­hen. Mond­fin­ster­nis­se tre­ten auf, wenn sich die Erde zwi­schen Son­ne und Mond schiebt, wäh­rend bei der Son­nen­fin­ster­nis der Mond zwi­schen Son­ne und Erde gerät und die Son­ne teil­wei­se oder ganz ver­deckt. Aber jen­seits der „wis­sen­schaft­li­chen“ Erklä­rung, die Natur­phä­no­me­ne auf eine Kom­bi­na­ti­on von Mate­rie­teil­chen redu­ziert, die mit­ein­an­der ver­bun­den sind und sich gegen­sei­tig bewe­gen, muß man sich fra­gen, ob es nicht eine tie­fe­re, unsicht­ba­re Bedeu­tung für die­se Ereig­nis­se gibt.

Auf die Unzu­läng­lich­keit einer rein quan­ti­ta­ti­ven Ana­ly­se der Natur­er­eig­nis­se hat bereits der hei­li­ge Augu­sti­nus hin­ge­wie­sen, der in sei­ner Rede 68 unter Beru­fung auf das Buch der Weis­heit die­je­ni­gen tadelt, die bei der Erfor­schung des Kos­mos den Einen, aus dem alles ent­stan­den ist, nicht fin­den konn­ten. „Wenn sie durch ihren Ver­stand schon fähig waren, die Welt zu erfor­schen, war­um fan­den sie dann nicht eher den Herrn der Welt?“ (Weish 13,9):

Sie „erforsch­ten die Bewe­gung der Ster­ne, die Ent­fer­nung zwi­schen den ver­schie­de­nen Ster­nen, die Bahn der Him­mels­kör­per; so gelang­ten sie, indem sie sich mit sol­chen Stu­di­en beschäf­tig­ten, zu einer sol­chen wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis, daß sie die Ver­fin­ste­run­gen der Son­ne und des Mon­des vor­aus­sag­ten, und wenn sie sie vor­aus­sag­ten, tra­ten die­se an dem Tag und zu der Zeit ein, die sie vor­aus­sag­ten, in dem Maß und an dem Punkt des Rau­mes, den sie vor­aus­sag­ten. Gro­ßes Geschick! Gro­ßes Geschick! Aber als sie sich auf­mach­ten, den Schöp­fer zu suchen, der nicht weit von ihnen stand, konn­ten sie ihn nicht fin­den; hät­ten sie ihn gefun­den, so hät­ten sie ihn in sich selbst gehabt.“

In der Anti­ke und im christ­li­chen Mit­tel­al­ter such­ten die Men­schen den Him­mel ab, um die Bedeu­tung außer­ge­wöhn­li­cher Ereig­nis­se zu ergrün­den, so wie es die Wei­sen aus dem Mor­gen­land taten, als der Komet/​Stern erschien und die Geburt des Hei­lands ankün­dig­te. Und als Jesus auf dem Kal­va­ri­en­berg starb, ver­fin­ster­te sich der Him­mel und die Erde beb­te (Mt 27,45–51). Die Kir­chen­vä­ter sagen, es sei pas­send, daß die Fin­ster­nis in dem Augen­blick über die Erde her­ein­bricht, in dem der gekreu­zigt wird, der gekom­men ist, um der Welt das Licht zu bringen.

Im Juli 1917 offen­bar­te die Got­tes­mut­ter den drei Hir­ten­kin­dern in Fati­ma, daß die Stra­fe, die über die Mensch­heit her­ein­bre­chen wür­de, wenn sie ihren Bit­ten nicht nach­kä­me, durch ein gro­ßes Zei­chen vom Him­mel vor­weg­ge­nom­men wür­de: „Wenn ihr eine Nacht seht, die von einem unbe­kann­ten Licht erhellt wird, dann wißt, daß dies das gro­ße Zei­chen ist, das Gott euch gibt, daß er sich anschickt, die Welt für ihre Ver­bre­chen zu bestra­fen, und zwar durch Krieg, Hun­gers­not und Ver­fol­gung der Kir­che und des Hei­li­gen Vaters.“

Dem Zwei­ten Welt­krieg, der am 1. Sep­tem­ber 1939 aus­brach, waren zwei Nord­lich­ter vor­aus­ge­gan­gen, am 25. und 26. Janu­ar 1938 und am 23. August 1939. Schwe­ster Lucia schien im Kon­vent der Doro­the­aschwe­stern in Tuy, Spa­ni­en, wo sie sich damals auf­hielt, die Polar­lich­ter von 1938 mit dem von der Mut­ter­got­tes pro­phe­zei­ten „gro­ßen Zei­chen“ zu identifizieren. 

„Gott benutz­te dies, um mir klar zu machen, daß sei­ne Gerech­tig­keit über die schul­di­gen Natio­nen her­ein­bre­chen wür­de, und ich begann dar­auf­hin, ein­dring­lich um die Kom­mu­ni­on zur Wie­der­gut­ma­chung an den ersten Sams­ta­gen und die Wei­he Ruß­lands zu bit­ten“ (Docu­ment­os de Fati­ma, Por­to 1976, S. 231).

Die Wor­te von Schwe­ster Lucia stim­men nach­denk­lich, aber da der Zwei­te Welt­krieg der Anfang und nicht das Ende der Stra­fen war, die die Mensch­heit wegen ihrer Untreue tref­fen wür­den, müs­sen die Nord­lich­ter von 1938 und 1939 als Vor­weg­nah­me und Vor­her­sa­ge ande­rer himm­li­scher Zei­chen betrach­tet wer­den, die noch kom­men wer­den, ohne daß der Ursprung, ob natür­lich oder über­na­tür­lich, klar wäre.

Wel­ches auch immer das von der Got­tes­mut­ter vor­aus­ge­sag­te Him­mels­zei­chen sein mag, es scheint wahr­schein­lich, daß es von der gött­li­chen Vor­se­hung gewährt wird, nicht so sehr, um die in Sün­de Ver­sun­ke­nen zu bekeh­ren, son­dern um den Glau­ben und die Hoff­nung derer zu stär­ken, die für die Errich­tung der in Fati­ma ver­hei­ße­nen Herr­schaft Mari­ens kämpfen.

Denn nach dem Evan­ge­li­um konn­te nicht ein­mal ein von den Toten auf­er­weck­ter Mensch den Unglau­ben der Brü­der des rei­chen Man­nes erschüt­tern, die das Wort der Pro­phe­ten ver­war­fen (Lk 16,19–31). Wie könn­ten jene, die dar­auf behar­ren, die pro­phe­ti­sche Bot­schaft, die die Got­tes­mut­ter der Mensch­heit in Fati­ma gege­ben hat, abzu­leh­nen, durch ein noch so spek­ta­ku­lä­res himm­li­sches Zei­chen über­zeugt werden?

Am 23. August 1939, dem Tag, an dem der sowje­ti­sche und der deut­sche Außen­mi­ni­ster, Wjat­sches­law Molo­tow und Joa­chim von Rib­ben­trop, den Nicht­an­griffs­pakt zwi­schen den bei­den Län­dern unter­zeich­ne­ten, der zur Tei­lung Polens führ­te, ver­sam­mel­te Hit­ler sei­ne eng­sten Mit­ar­bei­ter in sei­nem Refu­gi­um auf dem Ober­salz­berg im Berch­tes­ga­de­ner Land. Albert Speer, damals Hit­lers Archi­tekt, spä­ter auch Reichs­mi­ni­ster, schrieb wäh­rend sei­ner Festungs­haft nach dem Krieg sei­ne „Erin­ne­run­gen“ nieder:

„In der Nacht stan­den wir auf der Ter­ras­se des Berg­ho­fes und bestaun­ten ein selt­sa­mes Natur­schau­spiel. Ein über­aus star­kes Polar­licht über­flu­te­te den gegen­über­lie­gen­den sagen­um­wo­be­nen Unters­berg für eine lan­ge Stun­de mit einem roten Licht, wäh­rend der Him­mel dar­über in den ver­schie­den­sten Regen­bo­gen­far­ben spiel­te. Der Schluß­akt der Göt­ter­däm­me­rung hät­te nicht effekt­vol­ler insze­niert wer­den kön­nen. Die Gesich­ter und Hän­de eines jeden von uns waren unna­tür­lich rot gefärbt. Unver­mit­telt sag­te Hit­ler: ‚Das sieht nach viel Blut aus. Die­ses Mal wird es nicht ohne Gewalt abge­hen‘“ (Erin­ne­run­gen, Pro­py­lä­en Ver­lag, Ber­lin 1969).

Die NS-Hier­ar­chen waren erstaunt und beun­ru­higt, konn­ten aber die Sym­bo­lik des Ereig­nis­ses nicht begrei­fen, anders als es dem Schrift­stel­ler Adal­bert Stif­ter (1805–1868) ein Jahr­hun­dert zuvor ergan­gen war, der in Wien die gro­ße Son­nen­fin­ster­nis vom 8. Juli 1842 betrach­tet hat­te. Stif­ter sagt, er sei noch nie in sei­nem Leben so beein­druckt gewe­sen, die Hand Got­tes zu sehen: 

„Nie in mei­nem gan­zen Leben bin ich von einem so erha­be­nen Schrecken erschüt­tert wor­den wie in die­sen zwei Minu­ten“ (Die Son­nen­fin­ster­nis am 8. July 1842, Erst­ver­öf­fent­li­chung in: Wie­ner-Moden-Zei­tung und Zeit­schrift für Kunst, schö­ne Lite­ra­tur und Thea­ter, 1842 III. Quar­tal, ab dem 14. Juli 1842 in drei Teilen).

Gott hat nicht nur von Ewig­keit her gewollt, daß die­se außer­ge­wöhn­li­chen Him­mels­er­eig­nis­se statt­fin­den, son­dern er woll­te auch ein tie­fes Gefühl der Ehr­furcht und des Stau­nens in unse­re Her­zen legen, das den Wunsch weckt, ihren Sinn zu ent­decken. Die­ser Geist, der es uns ermög­licht, die „meta­phy­si­sche Sym­pho­nie des Uni­ver­sums“ zu betrach­ten, von der Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra spricht (Con­tem­pla­zio­ne sacra­le del­l’­uni­ver­so, Can­tag­al­li, Sie­na 2013), muß wie­der­ge­won­nen wer­den, um eine zutiefst hei­li­ge, auf Gott aus­ge­rich­te­te Gesell­schaft wiederherzustellen.

Der Ver­lust des tran­szen­den­ten Sinns der Geschich­te ent­spricht dem Ver­schwin­den einer meta­phy­si­schen Visi­on der Natur. In bei­den Fäl­len wird Gott, der Schöp­fer des Him­mels und der Erde, aus dem geschaf­fe­nen Uni­ver­sum ver­trie­ben. Rich­ten wir also unse­ren Blick auf das Him­mels­ge­wöl­be und ver­su­chen wir, jene geheim­nis­vol­len Bot­schaf­ten wahr­zu­neh­men, die die Astro­no­men nicht begrei­fen, die aber denen nicht ent­ge­hen, die im Uni­ver­sum „die Lie­be betrach­ten, die die Son­ne und die ande­ren Ster­ne bewegt“ (Dan­te: Para­dies, 23, 145).

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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