(Rom) „Wenn Papst Franziskus wollte, könnte er Pius XII. noch heute seligsprechen, das geschieht aber nicht, weil die Juden entschieden dagegen sind.“ Dies sagte Kardinal José Saraiva Martins in einem am Samstag veröffentlichten Interview der Online-Tageszeitung FarodiRoma.
In dem Interview „enthüllt“ der portugiesische Purpurträger die „wahren Hintergründe“, so Farodi Roma, weshalb das Seligsprechungsverfahren für den Papst nicht vom Fleck kommt. Pius XII., mit bürgerlichem Namen Eugenio Maria Pacelli, regierte von 1939–1958 und damit auch während des Zweiten Weltkrieges, in dem es zur Judenverfolgung durch den Nationalsozialismus gekommen ist.
Seligsprechungsverfahren 1965 eingeleitet
Am 8. November 1965 gab Papst Paul VI. in der achten Session des Zweiten Vatikanischen Konzils die Eröffnung des Seligsprechungsverfahrens bekannt. Er tat dies ungeachtet der öffentlichen Kontroversen wegen des seit Februar 1963 auf zahlreichen Bühnen aufgeführten „christlichen Trauerspiels“ von Rolf Hochhuth: „Der Stellvertreter“.
Doch dann wurde es stiller um das Seligsprechungsverfahren. Hochhuths Stück löste Kritik an der Haltung von Pius XII. zur nationalsozialistischen Judenverfolgung aus. Seither lautet die Frage: Hat der Papst zur Verfolgung geschwiegen? Durch mediale Wiederholung verdichtete sich die Frage nach einem möglichen „Versagen“ des Papstes, zur vermeintlichen Tatsache, ja, der Papst habe geschwiegen und sich damit mitschuldig gemacht. Dem halten Historiker und die Kirche entgegen, daß der Papst keineswegs geschwiegen und Tausenden von Juden durch sein direktes Eingreifen das Leben gerettet hat. Vor allem müsse auch die Frage nach der Alternative gestellt werden. Welche Alternativen habe es gegeben, und was hätten sie konkret in dem kritischen Moment für die Opfer der Verfolgung gebracht?
1990 erhob Johannes Paul II. Pius XII. zum Diener Gottes. 1993 kam es zur Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel, das 1994 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten führte. Um die Frage der laufenden öffentlichen Anklagen zu klären, und auch auf jüdisches Drängen hin, stimmte Papst Johannes Paul II. 1999 der Errichtung einer katholisch-jüdischen Historikerkommission zu.
Das Klima rund um die Historikerkommission war aber nicht so gut wie erhofft. Den Vatikan irritierten immer neu vorgebrachte Unterstellungen, der Heilige Stuhl könnte „kompromittierende“ Dokumente unterschlagen wollen. Gleiches galt wegen der wiederholten Weitergabe von „verzerrten und tendenziösen Nachrichten“ an die Weltpresse.
Eine andere jüdisch-katholische Historikerkommission arbeitete in einem besseren Klima des gegenseitigen Vertrauens und erstellte eine Wanderausstellung, die das negative Bild über Pius XII. korrigieren sollte. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem änderte allerdings erst nach vatikanischen Protesten einen negativen Text zu einem Bild des Papstes. Nicht wenige Journalisten kühlten an der Figur von Papst Pius XII. ihr antikirchliches Gemüt.
Gary Krupp, der jüdische Gründer der Pave the Way Foundation, einer Organisation, die sich für den Dialog zwischen den Religionen, besonders den Juden und den Katholiken einsetzt, ermahnte 2012 in einem Zenit-Interview die Kritiker von Pius XII.:
„Jedesmal, wenn wir die Suche vertiefen, finden wir einen Diamanten. Es ist unglaublich, aber es gibt nichts auf der Gegenseite, weil es für keine ihrer Anklagen [gegen Pius XII.] in den Akten eine Grundlage gibt.“
2007 schienen die Historiker den Weg geebnet zu haben
Durch die Arbeit der Historiker schien 2007 der Weg für die Seligsprechung doch frei zu sein. In jenem Jahr empfahl die zuständige römische Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Pius XII. den „heroischen Tugendgrad„zuzuerkennen. 2009 folgte Papst Benedikt XVI. diesem Votum. Dann brach eine neue, an Fakten desinteressierte Anklagewelle gegen Pius XII., die Kirche und Benedikt XVI. herein. Scharfe Kritik hagelte es am „deutschen Papst“ von der jüdischen Gemeinde in Rom und von internationalen jüdischen Organisationen. Besonders der Zentralrat der Juden in Deutschland trat lautstark gegen Benedikt XVI. auf. In Medien und Kolumnen war von manchen Autoren sorglos die Unterstellung zur Hand, Benedikt XVI. würde, „weil“ er Deutscher ist, Pius XII. seligsprechen wollen, „weil“ die Deutschen letztlich eben „Antisemiten“ seien. Mit Bildern des angeblichen „Hitlerjungen“ Joseph Ratzinger – sie zeigten ihn in Wirklichkeit als Luftwaffenhelfer – wurde international Hetze betrieben.
Benedikt XVI. zog es daraufhin vor, die beabsichtigte Seligsprechung zurückzustellen. Stattdessen ordnete er eine neuerliche Überprüfung aller Archivbestände an. Eine Verlegenheitslösung, um zu signalisieren, daß es besser sei, auf einen günstigeren Augenblick für die Seligsprechung zu warten.
„Die Juden haben die russische Propaganda unterstützt“
Zu jener Zeit, von 1998–2008, war Kardinal Saraiva Martins Präfekt der Heiligsprechungskongregation, und daher direkt mit dem Fall betraut. Auf die Frage, warum Pius XII. auch 59 Jahre nach seinem Tod und 51 Jahre nach Eröffnung des Verfahrens noch nicht seliggesprochen sei, antwortete der Kardinal:
„Die Juden waren und sind entschieden gegen die Seligsprechung von Pius XII, weil sie ihn für einen Nazifreund halten, das aber ist eine Geschichtsfälschung.“
Es würde genügen, so der Kardinal, die erste Enzyklika Summi pontificatus von 1939 zu lesen, in der Pius XII. „so klar gegen“ den Nationalsozialismus und jede Form von Totalitarismus „Stellung genommen hat, daß Goebbels sie als ’sehr aggressiv gegen uns‘ bezeichnete“.
„Um seine Seligsprechung zu vermeiden, haben die Juden zuerst die russische Propaganda unterstützt, die vom Stück Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth von 1963 vertreten wurde, die dann mit einen Film neu aufgegriffen wurde, und schließlich haben sie ihren Botschafter beim Heiligen Stuhl direkt in den Vatikan geschickt, um alles zu blockieren und nicht zuzulassen, daß die Kirche ihre Arbeit tut.“
„Einige schwangere Frauen haben sogar in seinem Schlafzimmer in Castel Gandolfo entbunden“
Durch Hochhuths Stück, das „den Papst als nazifreundlich“ darstellt, seien „die Juden überzeugt“, daß Pius XII. „nichts unternommen habe, um die Juden während des Zweiten Weltkrieges zu retten.“ Das Gegenteil sei aber wahr.
„Es ist aber genau dokumentiert, daß Pacelli mitten im Krieg viele römische Juden vor dem Tod und vor den Nazis gerettet hat, indem er für sie die Türen der Klöster und Seminare und auch des Vatikans öffnen ließ, wo Tausende untergebracht waren, auch in Castel Gandolfo. Einige schwangere Frauen haben sogar in seinem Schlafzimmer in der Sommerresidenz entbunden.“
Der in Wien geborene israelische Diplomat und jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide (1922–1997) gelangte zum Schluß, daß durch die katholische Kirche während des Zweiten Weltkrieges zwischen 847.000–882.000 Juden gerettet wurden.
Nach dem Krieg wurde ihm gedankt, „dann hat sich mit Hochhuth alles geändert“
Pius XII. sei mitnichten nazifreundlich gewesen, „das belegt die Anerkennung durch Israel, die ihm nach Kriegsende zuteil wurde, als der Jüdische Weltkongreß den Papst zum Dank im Vatikan besuchte, darunter auch Golda Meir. Für sie war Pius XII. ein Freund.“ Golda Meir nannte ihn bei seinem Tod 1958 einen „großen Diener des Friedens“. Bereits 1940 hatte Albert Einstein, selbst Jude, im Time Magazine geschrieben: „Nur die Kirche hat sich offen gegen Hitlers Kampagne zur Unterdrückung der Wahrheit gestellt. Ich hatte bisher nie eine besondere Vorliebe für die Kirche, aber ich bin gezwungen, einzugestehen, daß ich nun vorbehaltlos schätze, was ich früher verachtet habe.“
Doch nach der Veröffentlichung von Hochhuths Stück und Buch habe sich, so der Kardinal, „wegen der Kommunisten alles geändert, und aus Freunden wurden Feinde des Papstes.“
Auf die Frage, wie Israel die Seligsprechung zu blockieren versuchte, sagte Kardinal Saraiva Martins:
„Vor einigen Jahren wurde an einem Augustnachmittag in einer römischen Zeitschrift die Nachricht veröffentlicht, daß Pacelli im September seliggesprochen werde. Am Morgen des nächsten Tages klopfte der damalige israelische Botschaft beim Heiligen Stuhl an die Tür meines Büros. Ich kann nicht verhehlen, daß mich dieser Besuch wegen seines Inhalts nicht wenig irritiert hat.“
Israels Botschafter versuchte mit allen Mitteln die Seligsprechung zu blockieren
Er teilte mir mit, über die beabsichtigte Seligsprechung informiert worden zu sein.
„ ‚Heute nacht‘ – sagte er mir – ‚haben sie mich aus Israel angerufen, um zu erfahren, ob die Nachricht wahr ist oder nicht‘. Ich habe ihm als Präfekt der Heiligsprechungskongregation gesagt, daß ich nichts davon wisse, daß die Kirche aber ihren Weg gehe und es nicht zulassen werde, daß Dritte sich in das Verfahren einmischen.“ Darauf sei der Botschafter ganz „rot“ geworden und habe gesagt: „Wir sind dagegen. Ihr Kardinäle, ihr Abendländer versteht uns Juden nicht. Ihr vergeßt, daß wir das auserwählte Volk sind.“
Es sei verlangt worden, die Seligsprechung mindestens 50 Jahre ruhen zu lassen. „Während meiner Zeit als Präfekt versuchte der [israelische] Botschafter mich auf jede nur denkbare Weise und mit jedem nur denkbaren Mittel zu überzeugen. Er lud mich sehr oft zu sich nach Hause und in der Umgebung des Vatikans in ein Restaurant an der Piazza Risorgimento zum Essen, damit ich die Seligsprechung des Papstes beiseite lege.“
Und weiter:
„Mein wirklich großes Wunder aber ist es, den Prozeß von Pius XII. zur offiziellen Proklamierung seines heroischen Tugendgrades durch die katholische Kirche gebracht zu haben. Wenn Franziskus heute wollte, könnte er ihn sofort seligsprechen. Auch schon morgen früh.“
José Kardinal Saraiva Martins CMF gehört dem Claretinerorden an. Nach seinem Studium an der Gregoriana und dem Angelicum in Rom lehrte er Metaphysik und Fundamentaltheologie an verschiedenen Hochschulen, darunter der Urbaniana. 1988 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Titularerzbischof und zum Sekretär der Kongregation für das katholische Bildungswesen. 1998 folgte die Ernennung zum Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse und 2001 seine Erhebung in den Kardinalsrang. Am Konklave von 2013 konnte er aus Altersgründen nicht mehr teilnehmen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: FarodiRoma/MiL (Screenshots)
Was sind Selig- und Heiligsprechungsverfahren noch wert, wenn Gläubige sich nicht mehr sicher sein können, ob sie nicht „nur“ auf politischer Opportunität und „Politik“ fußen? Allein der Name Pius steht doch Heute offensichtlich
für diejenige Generation, die man an den Spitzen „überwinden“ möchte. Selbst ein Heiliger mit diversen bezeugten Wundern würde dabei ausgespart. Das ist der bedrückende Vertrauensverlust in die kirchlichen Autoritäten heute.
Mit Verlaub, das konnte aber schon Papst Benedikt XVI., auch er unterließ es, doch wohl aus dem nämlichen Grund.
Dieser Papst würde eher Luther als Pius XII. seligsprechen.
Anknüpfend an die im Artikel erwähnte Enzyklika Papst Pius‘ XII. muss man sich fragen, ob heute nicht ein Totalitarismus am Werk ist, noch mächtiger und noch verderbenbringender als die Totalitarismen seiner Zeit.
Interessant ist, daß der deutsche Philosoph und Thomas von Aquin-Kenner Josef Pieper in seinem Traktat „Über das Ende der Zeit“ sinngemäß schreibt, daß die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts nichts sind im Vergleich zu der Zeit des Antichristen, die noch vor uns liegt. Es steht eine furchtbare Zeit vor uns; aber wir wisen ja auch, daß JESUS CHRISTUS den Diabolus schon besiegt hat. Suchen wir eine intensive Beziehung zu unserem Herrn!
Gerade auch die Traktate von Josef Pieper über die göttlichen und Kardinaltugenden sind lesens- und nachdenkenswert, natürlich auch alle seine anderen Werke.
Man sieht, wer die Konzilskirche regiert: Die Mörder Christi, denen sich deren Funktionäre ebenso anbiedern wie ehedem die Juden Pontius Pilatus!
Das ist nicht das Grab von Pius XII. sondern von Pius IX. in der Basilika S. Marmorsarkophag gegenüber der Kapelle mit dem Petrusgrab in den Vatikanischen Grotten!
Papst Franziskus zögert sicherlich deswegen, weil er nicht als „konservativ“ gelten möchte. Denn es gibt starke Kräfte, man denke an die deutschen Bischöfe, die man nicht unnötig aufwecken sollte.
Auch Kardinal Sarah wurde deswegen von Papst Franziskus mit seinem Vorstoß zur Richtungsänderung bei der Liturgie zurückgepfiffen. Es braucht eben alles seine Zeit. „Einbetten“ statt zu viel kritisieren, sollte die „Strategie“ bzgl. des Papstes Franziskus sein. Könnte das nicht besser sein?
Kardinal Saraiva Martins: „Papst Franziskus könnte Pius XII. sofort seligsprechen, aber die Juden sind dagegen“.
Was ist das für ein Zitat? „Weil die Juden dagegen sind?“
Ja, wenn die Juden dagegen sind, dann können sie gerne zum katholischen Glauben konvertieren. Und vielleicht in Positionen hineineifern, wo ihre Meinung zu solchen Dingen gefragt ist.
Wie kann da ein Papst nur Rücksicht auf die Meinung Konfessionsfremder nehmen, auch wenn es die Juden sind?
Und eine Seligsprechung 50 Jahre ruhen lassen? Was macht das für einen Unterschied? Diese hohle Symbolik die da als Geste gefordert wird, was soll das bringen? Es mutet schon sehr albern an, was die(ohnehin falsch gelebte) Ökumene an „Früchten“ bringt.
Einseitige Ökumene, muss man dazu sagen. Denn die unsäglichen, antichristlichen Texte jüdischer Tradition stehen dabei gar nicht zur Debatte.
Das ist leider auch keine Ökumene auf Augenhöhe.
Dass sich der israelische Staat selbst und nicht etwa bloß eine bedeutende jüdische Organisation in die inneren Belange der katholischen Kirche einmischt, ist ein starkes Stück.