Von P. Paolo M. Siano*
3.6 Die Untersuchung von Martin Short über die Freimaurerei (1989). Vertiefungen
Martin Short (1943–2020), freier Journalist bei der BBC und später Fernsehautor und ‑produzent, wurde durch einige Reportagen über Korruption bei Scotland Yard (1977), über die amerikanische Mafia (1984) und über die britische Freimaurerei (1989) bekannt. Im Jahr 1989 veröffentlichte er die erste Ausgabe seines Buches „Inside the Brotherhood“. Ich werde die Ausgabe von 1997 zitieren.
In diesem Buch beleuchtet Martin Short verschiedene esoterische und initiatorische Aspekte der regulären englischen Freimaurerei. Ich zitiere nur wenige Fakten aus Shorts Text und füge einige meiner eigenen Erkenntnisse hinzu.
Short berichtet, daß die englischen Freimaurer die Anschuldigungen des Gnostizismus zurückweisen, die 1987 von einer Studiengruppe der anglikanischen Kirche („Church of England Working Group“) und davor von dem anglikanischen Pfarrer Walton Hannah (1912–1966) gegen sie erhoben wurden, der nach der Veröffentlichung zweier antifreimaurerischer Bücher, „Darkness Visible“ (1952) und „Christian by Degrees“ (1954), England verließ, nach Kanada ging und Priester der römisch-katholischen Kirche wurde. Die Vereinigte Großloge von England (UGLE) informiert die „profane“ Öffentlichkeit, daß die Freimaurerei kein Wissen oder keine Gnosis bietet, doch Martin Short ist nicht überzeugt davon und schreibt:
„Auch dies ist Unsinn. Durch unzählige Orden und Grade enthüllt die Freimaurerei einer immer elitärer werdenden Gruppe eine scheinbar endlose Folge spiritueller Geheimnisse: von der Dunkelheit zum Licht, vom Tod zur Auferstehung, vom Passwort des ersten Grades Boas zur Beschwörung von JAHBULON und darüber hinaus“ (Martin Short: Inside the Brotherhood, Harper Collins Publishers, London 1997, S. 110).
Über JAHBULON, das Heilige Wort und den Namen Gottes der Freimaurer des Royal-Arch-Grades in der Vereinigten Großloge von England, habe ich bereits früher geschrieben.
Was die Beziehung zwischen Freimaurerei und Gnosis betrifft, so stellt Martin Short fest, daß der Freimaurergelehrte Colin Dyer in seinem Buch über die Symbolik der englischen Freimaurerei die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts mit Gruppen gnostischer Richtung verbindet: die Pythagoräer, die Essener, die Kabbalisten, die Druiden:
„[…] Colin Dyer ist einer der angesehensten Freimaurer-Kenner unserer Zeit. In seinem Buch ‚Symbolism and Craft Freemasonry‘ (‚Symbolik und Freimaurerei‘) zitiert er viele Quellen, um zu zeigen, daß die Revisoren, die die Freimaurerei im achtzehnten Jahrhundert bewußt so umgestalteten, daß sie gnostischen Gruppen wie den Pythagoräern, den Essenern, den Kabbalisten und den Druiden ähnelte“ (Short, op. cit., S. 111).
Auch ich habe das Buch von Colin Dyer studiert, und ich kann sagen, daß Short recht hat.
3.6.1 Die Golden-Dawn-Tagung von 1987: Freimaurer, Esoterik, Magie…
Ich komme zum Thema, das Hauptgegenstand dieser meiner Abhandlung ist. Martin Short interessiert sich auch für die Zusammenhänge zwischen der Goldenen Morgenröte und der regulären Freimaurerei. Er stellt fest, daß die Goldene Morgenröte in ihren Ursprüngen enge Verbindungen zur Freimaurerei hatte. Tatsächlich fanden viele Jahre lang Treffen und rituelle Arbeiten in London am Sitz der angesehenen Großloge der Mark Master Masons statt, deren Mitglieder Freimaurermeister der UGLE sein müssen.
Short schreibt: „[…] Sicherlich hatte die Golden Dawn enge physische Verbindungen zur Freimaurerei. Viele Jahre lang hielt sie Treffen ab und führte Rituale im Londoner Hauptquartier der durchaus respektablen Mark Masons durch“ (S. 133).
Short enthüllt, daß ein Jahrhundert nach der Gründung des Ordens der Goldenen Morgenröte (1887–1987) Freimaurergelehrte so interessiert waren, daß sie eine Tagung über die Goldene Morgenröte abhielten! Diese Konferenz von 1987 wurde vom Hermetic Research Trust organisiert, zu dessen Mitgliedern, wie Short enthüllt, Lord Northampton gehörte, ein prominenter Freimaurer des Royal Arch und damit der UGLE. Unter den Experten, die über die Goldene Morgenröte sprachen, sind drei Freimaurer, deren Namen Short nicht nennt. Short wurde versichert, daß ihr Interesse an der Goldenen Morgenröte rein akademischer Natur sei. Allerdings gibt es auch unter den regulären Freimaurern (UGLE) solche, die sich nicht auf rein akademische Spekulationen beschränken… Short schreibt:
„Die Goldene Morgenröte war Freimaurerei ohne okkulten Deckel. Es ließ jene magischen Elemente im Ideenkessel des siebzehnten Jahrhunderts wieder aufleben, aus denen die Freimaurerei hervorgegangen war. 1987 fand in London eine Konferenz zum hundertsten Jahrestag der Gründung von Golden Dawn statt. Sie wurde vom Hermetic Research Trust organisiert, zu dessen Treuhändern der Marquess of Northampton, ein prominenter Royal Arch Freemason, gehört. Es nahmen auch drei Experten der Goldenen Morgenröte, die auch Freimaurer sind, an der Veranstaltung teil. Mir wurde versichert, daß ihr Interesse an dieser ‚Randfreimaurerei‘ rein akademisch ist“ (S. 135).
Einige Jahre später fand ich im Internet das Programm dieser Tagung von 1987: „Die Goldene Morgenröte: ihr Platz in der Kulturgeschichte. Eine Konferenz anläßlich des 100. Jahrestages der Gründung des Hermetic Order of the Golden Dawn, organisiert vom Hermetic Research Trust, die am Samstag, dem 25. und Sonntag, dem 26. April 1987 im Regent’s College, Regent’s Park, London, stattfinden wird“. Die wichtigsten Redner oder Kuratoren der Veranstaltung werden genannt: „R. A. GILBERT, Francis King related, Adam McLean, Ellic Howe“ (hier).
Heute findet man unter diesem Link nicht mehr die oben zitierten Informationen. Von den vier Rednern weiß ich mit Sicherheit von der Freimaurermitgliedschaft (UGLE) von Robert Gilbert und Ellic Howe, letzterer starb 1991.
Wie ich oben zitiert habe, sagt Martin Short, daß die Goldene Morgenröte die magischen Elemente übernommen hat, die in den Ideen des 17. Jahrhunderts zur Entstehung der modernen Freimaurerei beigetragen haben (vgl. Short, op. cit., S. 135).
An dieser Stelle verweise ich den Leser auf das, was der damalige Großmeister der Regulären Großloge von Italien (GLRI), Giuliano Di Bernardo, 2001 in einer Fernsehsendung sagte: „Wenn wir die freimaurerischen Rituale, die Rituale der englischen Freimaurerei, die die ältesten Rituale sind, lesen, finden wir Spuren dessen, was man okkulte Philosophie genannt hat. Die okkulte Philosophie ist diejenige, die in Pico della Mirandola einen ihrer größten Vertreter gefunden hat und die aus Hermetik, christlicher Kabbala, Alchemie, Magie und Rosenkreuzertum besteht. Die englische Freimaurerei wurde unter Einbeziehung all dieser Elemente geboren“.
3.6.2 Lord Northampton zwischen Golden Dawn, Esoterik, Gnosis und Freimaurerei
1993 wurde ein von den englischen Freimaurern John Hamill und Robert A. Gilbert herausgegebener Band zum 275. Jahrestag der modernen Freimaurerei (1717–1992) veröffentlicht, mit einem Vorwort des Großmeisters der UGLE, des Herzogs von Kent. Zu dieser Zeit war Hamill Bibliothekar und Kurator des UGLE-Museums; außerdem war er 1985–1986 Worshipful Master (Meister vom Stuhl) der Loge Quatuor Coronati Nr. 2076 in London. Der Band von Hamill und Gilbert enthält einen Beitrag von Spencer Douglas David Compton, Marquess of Northampton, einem der Mitglieder des Hermetic Research Trust, der die Golden-Dawn-Konferenz 1987 organisierte.
Hamill und Gilbert unterstreichen, daß die freimaurerische Initiation den Kandidaten verändert und es sich dabei um eine entscheidende Veränderung der Person in ihrem geistigen und sozialen Status handelt: „Auch die freimaurerische Initiation ist ein transformierendes Ereignis. Sie ist ein wahrer Übergangsritus, der jene ‚entscheidende Veränderung‘ des geistigen und sozialen Status des Betreffenden bewirkt, auf die Mircea Eliade in seiner klassischen Definition der Initiation verweist“ (John Hamill – Robert Gilbert: Freemasonry. A celebration of the Craft, Vorwort von HRH The Duke of Kent, The Grand Master of the United Grand Lodge of England, Salamander Books Ltd, London 1993, S. 78).
Schauen wir zu Lord Northampton, der zu jener Zeit in der UGLE Past Deputy Grand Director of Ceremonies und Past Assistant Provincial Grand Master for Northamptonshire & Huntingdonshire war (vgl. Hamill-Gilbert, op. cit., S. 150).
Lord Northampton präsentiert den Initiationsweg der Freimaurerei als Rückkehr zur Gottheit („back to the Godhead“): Spencer Douglas David Compton (Marquess of Northampton): Beauty, in Hamill-Gilbert, op. cit., S. 151), als einen Weg der Umwandlung der Seele: „Masonry is the story of the transformation of the Soul, and the ritual of its ceremonies is an allegory of that journey that all Masons must make in order to achieve their highest potential“ (S. 151).
Später, von 2001 bis 2009, ist Lord Northampton Progroßmeister der UGLE und setzt sich weiterhin für die Bedeutung der esoterischen Lehren („esoteric teachings“) der Freimaurerei ein. Um das Jahr 2017 herum, anläßlich der dritten Hundertjahrfeier der Freimaurerei (1717–2017), ist Lord Northampton Großrepräsentant der Regulären Großloge von Italien (GLRI) bei der UGLE (S. 9).
Ist Lord Northampton auch Mitglied der SRIA?
3.6.3 Hinweise zu Aleister Crowley, John Yarker, Memphis-Misraim…
Kehren wir zum Buch von Martin Short zurück. Aleister Crowley (1875–1947) schloß sich 1898 dem Golden Dawn von Mathers an, rebellierte später, verließ die Gruppe und erlangte Ruhm als Okkultist, als Anhänger der Sexualmagie und der schwarzen Magie, der die Gestalt des Teufels lobte… Ich beschränke mich vorerst auf einige Fakten über diese sehr wichtige Figur des britischen und amerikanischen Okkultismus.
Aleister Crowley, bereits ein berüchtigter Okkultist, soll Meister einer der ältesten und bedeutendsten britischen Logen in London (UGLE) geworden sein. Offenbar gibt es keine Aufzeichnungen über Crowleys Mitgliedschaft in der Freemasons’ Hall (UGLE), aber laut Short ist es nicht ausgeschlossen, daß die Beweise gelöscht wurden. In jedem Fall hatte Crowley zumindest eine gewisse (zumindest indirekte) Verbindung zur UGLE: Crowleys „Förderer“ in der sogenannten „Fringe Masonry“ war John Yarker (1833–1913), ein berühmter Gelehrter für freimaurerische und initiatische Altertümer und Freimaurermeister der UGLE. Yarker nahm einen „unechten“ Schottischen Ritus von 33 Graden an und wurde deshalb 1870 aus dem regulären Supreme Council 33°, Ancient & Accepted Rite for England and Wales, dessen Mitglied er war, ausgeschlossen. Yarker war jedoch weiterhin Mitglied der UGLE (also ein regulärer Freimaurermeister) und diente gleichzeitig weiterhin in deren „Fringe Freemasonry“ und war Mitglied, Gelehrter und Schriftsteller der berühmten Quatuor Coronati Lodge No. 2076 in London, der historischen Forschungsloge in der Obödienz der UGLE (vgl. S. 136f). Es ist erwähnenswert, daß Yarkers großes Interesse und Engagement für die „Rand-Freimaurerei“ unter den UGLE-Freimaurern wohlbekannt war.
Martin Short weist darauf hin, daß John Yarker den 95. und 90. Grad seines Memphis-Misraim-Freimaurersystems (vom alten Ägypten inspirierte hohe Freimaurergrade) Aleister Crowley verliehen hat. Dann enthüllt Martin Short eine weitere sehr wichtige Neuigkeit: Dieser Ritus von Memphis-Misraim existiert heute (1989ff) in der Person des Freimaurers Desmond Bourke, Großhierophant 97. Grades des Souveränen Imperiums der Mysterien. Short enthüllt, daß Desmond Bourke auch das Oberhaupt mehrerer druidischer Gruppen ist: Universal Druidic Order, Ancient and Archeological Order of Druids, Ancient Order of Druids Hermetists, The Order of the Holy Wisdom (vgl. S. 137).
3.6.4 W.Bro. Desmond Bourke: UGLE, Golden Dawn, SRIA…
Short stellt klar, daß auch Desmond Bourke (1918–2005) ein regulärer Freimaurer und Meister ist: „Diese Bestätigungen sind nur deshalb relevant, weil Bourke auch ein bedeutender Freimaurer ist. Im September 1984 berichtete Masonic Square, daß Worshipful Bro. Desmond Bourke Präsident des Arcadian Masonic Study Circle war, der eine Reihe von Treffen in der Freemasons‘ Hall in London abhalten würde“ (S. 138).
Zur Erinnerung: Die Freemasons’ Hall in London ist der Sitz der Vereinigten Großloge von England (UGLE).
Ich fand weitere Angaben zum freimaurerischen und initiatischen Curriculum von Desmond Bourke. Wie ein junger John Yarker war auch Desmond Bourke in fast allen Bereichen der britischen Esoterik: Golden Dawn, SRIA, usw. usf.
In seiner Biographie, die auf der Internetseite eines der verschiedenen heutigen Golden-Dawn-Ableger veröffentlicht ist, lesen wir:
„Desmond Bourke (1918–2005) war eine Schlüsselfigur in fast allen Bereichen der britischen Esoterik. Bourke wurde ein 7°=4° des Hermetic Order of the Golden Dawn, ein VIII. Waite’s Fellowship of the Rosy Cross, ein Adeptus Maximus von Madeline Montalbans Orden des Morgensterns, ein Erzdruide zahlreicher druidischer Orden, ein hochgradiger Freimaurer, ein IX. Grad der Societas Rosicruciana in Anglia, ein Martinist (Superieur Inconnu), Reaux Croix und Chief des Sovereign Imperium of the Mysteries.
Bourke wurde auch ein gnostischer Bischof (mehrere Zugehörigkeiten), gründete den Hermetischen Martinistenorden und leitete den Zusammenschluß des Alten und Archäologischen Druidenordens mit dem Literarischen und Archäologischen Druidenorden, um den Universellen Druidenorden zu bilden. (Die enge Verbindung zwischen dem Hermetic Order of the Golden Dawn und dem Druidentum, die mit den gegenseitigen Einweihungen von S. L. MacGregor Mathers und George Watson MacGregor Reid begann, wurde unter der Führung des Erzdruiden und Golden Dawn Adepten Desmond Bourke fortgesetzt und vertieft). Bourke, der mehrere Golden Dawn- und abgeleitete Linien innehatte, diente in den 80er und 90er Jahren als Praemonstrator des Serapis-Tempels des Hermetic Order of the Golden Dawn in London, England. Zusammen mit Gräfin Tamara Bourkoun und Marquis Nicolas Tereschenko war Desmond Bourke maßgeblich daran beteiligt, zahlreiche abgeleitete Linien des Golden Dawn trotz der Veröffentlichungen von Crowley und Regardie am Leben zu erhalten“ (Biographie von Desmond Bourke, in: Hermetic Order of the Golden Dawn. Outer Order of the Rosicrucian Academy of Alpha Omega).
Wie ich oben schrieb, war der Freimaurer Desmond Bourke unter anderem ein gnostischer Bischof, ein Mitglied der SRIA und eines Martinistenordens. In diesem Zusammenhang spricht der Freimaurer W.Bro. T. J. Hancock in den Proceedings der Masonic Study Society von 1984 (über die MSS schrieb ich im vierten Teil dieser Reihe) in dem Vortrag „Speculative Degrees in Freemasonry“ von zwei freimaurerischen Systemen „christlicher Grade“: der „Societas Rosicruciana In Anglia“ und dem „Martinist Order“.
Zu dieser Zeit ist Hancock Meister vom Stuhl einer UGLE-Loge, ist 7. Grad der SRIA und ist auch Mitglied eines Martinistenordens [vgl. W.Bro. T. J. Hancock: Speculative Degrees in Freemasonry, Abstract from Transactions of the Masonic Study Society – Christian Degrees, Volume 5°, 250th Meeting of the MSS held Friday 22 June 1984, London, S. 1 (S. 1–6)].
W.Bro. Hancock macht sehr deutlich, daß die grundlegenden Inhalte des Rituals der ersten fünf Grade der SRIA zur Welt der Magie, Kabbala, Alchemie gehören (vgl. S. 1–3), sowie daß Kabbala, Hermetik, Magie auch im Martinistischen Orden gegeben sind (vgl. S. 4–6).
Hancock spricht von der Schnur („The Cordelier“), einem martinistischen Symbol des Schutzes, der Verbindung, der kosmischen Kraft („PROTECTION“, „LINK“, „the Cosmic force“), und fügt hinzu: „Der magische Kreis ist als Schutz gegen böse Mächte bei Ritualen und Beschwörungen wohlbekannt. Es ist kein Zufall, daß der Mystische Kreis ein wichtiger Teil der Zeremonien der SRIA war“ (S. 5).
Die Magie betrifft also auch die SRIA, nicht nur den Golden Dawn…
Zur martinistischen Schnur schreibt Hancock: „Als LINK symbolisiert das Cordelier die Initiatische Kette, die jeden von uns mit dem Meister, der den Orden gegründet hat, und durch ihn, durch die Meditation des Unbekannten Agenten, mit dem Licht des Unsichtbaren Reiches verbindet“ (S. 6).
In den Veröffentlichungen der SRIA von 1983/1984 scheint Bourke als VIII. SRIA-Grad auf (vgl. Quarterly Convocation. Januar 1984, in: Societas Rosicruciana in Anglia, Metropolitan College – Transactions, SRIA, 1983 und 1984, London, S. 18).
3.6.5 Noch einmal W.Bro. Desmond Bourke: Memphis-Misraim, Swedenborg-Ritus
W.Bro. Desmond Bourke ist auch mit dem Swedenborg-Ritus verbunden, einem freimaurerischen Ritus, der von dem schwedischen Philosophen, Visionär und Medium Emmanuel Swedenborg (1688–1772) inspiriert ist. Dieser Ritus hat auch mit der Hermetik zu tun, mit der hermetischen Theorie der Entsprechung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, die als notwendig angesehen wird, um die okkulten Kräfte der Natur zu entdecken (vgl. Samuel Beswick: Swedenborg Rite and the Great Masonic Leaders of the Eighteenth Century, Masonic Publishing Company, New York 1870, S. 173f). Der Swedenborg-Ritus zielt darauf ab, die alte Wissenschaft [Gnosis], die Lehren der alten Freimaurerei, wiederherzustellen (vgl. S. 179f). Die Grade des Swedenborg-Ritus wurden 1859 an Giles Fonda Yates 33. Grad, ehemaliger Souveräner Großkomtur des Obersten Rates des 33. Grades des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (vgl. S. 180f), Northern Jurisdiction, Boston, USA, verliehen.
Ich habe einen kurzen Online-Artikel aus dem Jahr 2008 gefunden, in dem versucht wird, einen Nachruf zu korrigieren, der im Mitteilungsblatt „Erasmo notizie“ (Großorient von Italien – Palazzo Giustiniani) veröffentlicht wurde und in dem behauptet wird, daß Br. Lucio Trevisan (Freimaurer des Großorients von Italien) den Alten Noachitischen Ritus in Italien eingeführt hat. Ich zitiere einige Passagen, in denen der Freimaurer Desmond Bourke erwähnt wird: „Wir wollen uns weder mit Kleinigkeiten befassen, noch in eitle Polemik verfallen. Aber wir haben in einer alten Ausgabe von Erasmo, dem Online-Newsletter des Großorients von Italien, einen Nachruf auf den Rechtsanwalt Lucio Trevisan gelesen, in dem behauptet wird, er habe den Alten Noachitischen Ritus in Italien eingeführt. Das ist falsch. Die Aufgabe, den Ritus (der ursprünglich Ancient and Primitive oder Swedenborgischer genannt wurde) wiederzubeleben, wurde von Bruder Desmond Bourke im Dezember 1982 in einem Raum des Britischen Museums, wo Bourke angestellt war, Michele Moramarco anvertraut. Die Charta wurde dann von der R. L. ‚Heliopolis‘ Nr. 1 (Memphis-Misraim) in London ausgestellt und an denselben italienischen Bruder geschickt, der für die Übertragung und die Wiederbelebung verantwortlich war, was eine Berichtigung der Rituale und des Titels zur Folge hatte. Nach jahrelanger Wiederherstellungsarbeit verlieh Moramarco im Mai 1986 einer Gruppe von Brüdern, darunter Trevisan, die Noachiden-Grade. Trevisan hatte also – obwohl er zu den ersten Empfängern gehörte – keinen Anteil an der ‚schöpferischen Idee‘“ (E. Robbiati: Una svista (o una bugia?) sull’Antico Rito Noachita?, Mittwoch, 3. September 2008, in: Noach Mason).
Robbiati lieferte wichtige Details: Desmond Bourke (UGLE), Mitglied der englischen Loge Heliopolis des Memphis-Misraim-Ritus, übergibt Michele Moramarco (Großorient von Italien) die Lizenz zur Wiederbelebung des Swedenborg-Ritus, der den neuen Namen Alter Noachitischer Ritus annehmen wird. Doch Desmond Bourke und Michele Moramarco waren nicht die einzigen Protagonisten.
In der Zeitschrift des Großorients von Italien von 1991 wird „eine Gruppe regulärer Freimaurer in London, darunter Bruder Desmond Bourke, ein Funktionär des Britischen Museums“, erwähnt, die über die Autorisierung im Swedenborg-Ritus verfügen, die sie von John Yarker in England im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erhalten haben. Diese UGLE-Freimaurer übertrugen 1982 den Swedenborg-Ritus „an eine Gruppe regulärer italienischer Freimaurer“ (Großorient) und ermächtigten sie, diesen Ritus wiederzubeleben. Bruder Michele Moramarco (Großorient) überarbeitete die Rituale und der Ritus wurde unter dem Namen Alter Noachitischer Ritus wiederbelebt. Die Operation wird am 11. August 1986 „von den rechtmäßigen britischen Verwaltern“ genehmigt. 1988 unterzeichnet der Großorient ein Freundschaftsprotokoll mit dem Alten Noachitischen Ritus, dessen Mitglieder Freimaurermeister des Großorients sind [vgl. Alter Noachitischer Ritus, in: Hiram, Mitteilungsblatt des Großorients von Italien – Palazzo Giustiniani, Nr. 5/6–7/8, Mai–August 1991, Società Erasmo Editore, Rom, S. 135 (135f)]. Der Alte Noachitische Ritus gehört noch heute zu den Riten des Großorients von Italien.
(Fortsetzung folgt)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. In seiner jüngsten Veröffentlichung geht es ihm darum, den Nachweis zu erbringen, daß die Freimaurerei von Anfang an esoterische und gnostische Elemente enthielt, die bis heute ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/MiL
Bisher in der Reihe erschienen:
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 1)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 2)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 3)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 4)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenräte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 5)