
Von Pater Paolo M. Siano*
In meinem Beitrag Walter Leslie Wilmshurst und die „Esoterische Schule“ (Gnosis) in der englischen Freimaurerei habe ich bereits die Figur von Ellic Howe (1901–1991) erwähnt. Ellic Howe war:
- Agent des britischen Geheimdienstes während des Zweiten Weltkriegs,
- Freimaurer der Vereinigten Großloge von England (UGLE) seit 1970 und Meister der angesehenen Forschungsloge Quatuor Coronati Nr. 2076 (UGLE) in London seit 1978
- und mindestens seit 1972 Verfechter der Theorie, daß die Magie nur einen Randbereich der Freimaurerei betrifft (daher der Begriff „Fringe Masonry“), vor allem aus dem 19. Jahrhundert…
Wie ich bereits geschrieben habe, wiederhole ich, daß diese Theorie nicht der Wirklichkeit entspricht.
Br. Ellic Howe (da sich Freimaurer als „Brüder“ ansprechen, behalten wir dies hier bei, um daran Freimaurer kenntlich zu machen) beschäftigte sich auch mit dem Hermetic Order of the Golden Dawn (Hermetischer Orden der Goldenen Morgenröte), einem Initiationsorden, der sich der Magie, der jüdischen Kabbala und der esoterischen Alchemie widmete und 1887/88 von einer Gruppe englischer Freimaurer, die Mitglieder der Vereinigten Großloge von England und der Societas Rosicruciana in Anglia (Rosenkreuzer) gegründet wurde. Ich finde es interessant, die „Goldene Morgenröte“ zu untersuchen, deren Geist, wenn nicht sogar einige Strukturen, in der Freimaurerei unter „regulären“ und „traditionellen“ Freimaurermeistern immer noch lebendig sind.
1. Eine kleine Geschichte des Ordens der Goldenen Morgenröte (1887– )
1972 veröffentlichte Ellic Howe im Verlag Routledge & Keagan Paul Ltd. die erste Ausgabe seines Buches „The Magicians of the Golden Dawn. A Documentary History of a Magical Order 1887–1923“. Im Jahr 1985 wurde das Buch von The Aquarian Press (Wellingborough, Northamptonshire, UK) neu aufgelegt und ist John Hamill (S. VIII), Freimaurer und (zu der Zeit) stellvertretender Bibliothekar der Vereinigten Großloge von England, gewidmet.

Ich zitiere die Ausgabe von 1985 und beginne mit Gerald Yorkes Vorwort (S. xiii–xxiii), in dem der Golden Dawn als die Krönung („the crowning glory“) der okkulten Wiedergeburt des 19. Jahrhunderts und als ein so umfassendes und kohärentes Einweihungssystem gepriesen wird, daß es mit keinem anderen okkulten Orden vor oder nach ihm verglichen werden kann (vgl. S. xiii): „The Hermetic Order of the Golden Dawn (G.D.) with its Inner Order of the Rose of Ruby and the Cross of Gold (R.R. et A.C.) was the crowning glory of the occult revival in the nineteenth century. It synthesised into a coherent whole a vast body of disconnected and widely scattered material and welded it into a practical and effective system, which cannot be said of any other occult Order of which we know at that time or since“ (p. xiii).
Yorke erklärt, daß es drei grundlegende Rituale („the three vital rituals“) des Golden Dawn gibt:
1) Die Einweihung in den Äußeren Orden („Outer“): Der Kandidat wird aus der Dunkelheit ins Licht geführt, um das Studium der okkulten Wissenschaften zu betreiben („occult sciences“).
2) Die Einweihung in den Inneren Orden, oder „der Innere Orden der Roten Rose und des Goldenen Kreuzes“ („the Inner Order of the Rose of Ruby and the Cross of Gold“).
3) Die Zeremonie zum Hochfest „Fronleichnam“: Einmal im Jahr beschwört der Oberste Adept eines jeden Tempels des Golden Dawn, in eine schwarze Robe gekleidet und an das Kreuz in der Krypta der Adepten gekettet, den Großen Racheengel Hua, um alle Adepten während des Sonnenzyklus zu stärken, das Licht zu suchen, ihre spirituelle Wahrnehmung zu steigern und ihr Selbst zum höheren Selbst zu erheben, Gott (vgl. S. xiii–xiv)
Das System der Esoterik und Magie des Golden Dawn umfaßt die hebräische Kabbala, die Verwendung des kabbalistischen Baumdiagramms der „Sephirot“, die dem Adepten den Weg zurück in die göttliche Welt zeigen, aus der er gekommen sei (vgl. S. xiv–xvi).
Im Inneren Orden des Golden Dawn („Rote Rose und Goldenes Kreuz“) bekräftigt der Adeptus Minor (Grad 5°=6°) seine Identität mit dem Unendlichen und seine Verpflichtung, das „Große Werk“ zu vollbringen… Der Golden Dawn beinhaltet auch „henochische“ Magie, die sich auf den berühmten Renaissance-Magier John Dee bezieht (vgl. S. xvii, xx). Im Golden Dawn finden sich auch ägyptophile Elemente (z. B. die Verehrung des Gottes Osiris und des Sonnengottes Ra), und sogar die Anrufung des Erzengels Michael, die allerdings im Sinne der jüdischen Kabbala verstanden wird (vgl. S. xix).

Der Hauptbegründer des Äußeren Ordens der Goldenen Morgenröte („the founder of the Outer Order“) ist Dr. William Wynn Westcott (1848–1925), forensischer Wissenschaftler, Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, Freimaurermeister der Vereinigten Großloge von England (UGLE), Mitglied des „Hohen Rates“ der Societas Rosicruciana in Anglia (SRIA) sowie Gelehrter des Okkultismus und der hebräischen Kabbala. Seine esoterischen Mottos sind Sapere Aude und Non Omnis Moriar.
Ich gehe auf den Text von Ellic Howe ein, der die Rituale des Golden Dawn nicht beschreibt, sondern sich (S. xxv, Text und Fußnote 3) auf Israel Regardies vierbändiges Werk „The Golden Dawn: An Account of the Teachings, Rites and Ceremonies of the Order of the Golden Dawn“, 4 Bände, 1937–1940) verweist.
Howe stellt darin fest, daß die Synthese von Hermetik und magischen Techniken im Golden Dawn („G.D.“) ein einzigartiges Phänomen darstellt; keine andere magische Bruderschaft hat einen solchen „Korpus“ von Lehren (kabbalistisch, hermetisch, astrologisch, alchemistisch, Tarot), Techniken, Ritualen, Symbolismus und Hierarchie entwickelt. Ab den 1890er Jahren stellt der Golden Dawn eine Art „hermetische Universität“ („Hermetic University“) dar, deren erfinderische Gründung vor allem Samuel Liddell MacGregor Mathers zu verdanken ist (vgl. S. xxvi).
Der Autor der Rituale des Golden Dawn ist Samuel Liddell MacGregor Mathers (1854–1918), ein UGLE-Freimaurer und SRIA-Mitglied. Er war es, der mit der Zustimmung von Westcott die Rituale des Inneren Ordens der Roten Rose und des Goldenen Kreuzes (R.R. et A.C.) erfand. Nach 15 Jahren zerfiel der Orden der Goldenen Morgenröte und machte verschiedene Abspaltungen durch. Mehrere Anhänger des Golden Dawn (MacGregor Mathers selbst und dann Annie Horniman, Florence Farr, Aleister Crowley…) folgten nicht mehr Westcott, sondern sahen sich von übermenschlichen Wesenheiten inspiriert… So brach Aleister Crowley 1904 mit Mathers und dem Golden Dawn, weil ihm dies von seinen „Secret Chiefs“ befohlen worden war, zu denen Crowley den Dämon „Aiwaz“ zählte, der Crowley das „Liber-Legis“ („Thelema“), das „Buch des Neuen Gesetzes“, diktierte, mit dem er das Christentum ersetzen wollte (vgl. S. xxi–xxiii)…
1. Golden Dawn und SRIA
Die Gründer des Golden Dawn sind Westcott, Mathers und William Robert Woodman (1828–1891), alle drei Meister der Vereinigten Großloge von England und Mitglieder der SRIA. Die SRIA, eine Gesellschaft für „christliche“ und „trinitarische“ Freimaurermeister (UGLE), die sich für den Okkultismus interessierten, wurde 1866 von dem Freimaurer Robert Wentworth Little (1840–1878), einem jungen Angestellten des UGLE-Sekretariats, gegründet (vgl. S. 26).
Zu den SRIA-Mitgliedern dieser Zeit gehören: Frederick Hockley (1809–1885), Francis George Irwin (1828–1892), William Carpenter (1797–1874), Robert Palmer Thomas (später ein prominentes Mitglied des Golden Dawn), der Rev. William Stainton Moses (1839–1892), der „eines der berühmtesten britischen spiritistischen Medien jener Zeit“ ist. Zwei der drei Adligen, die der SRIA in der Anfangszeit („early days“) angehören, sind stark am Spiritismus interessiert („deeply interested in spiritualism and its phenomena“): Der erste ist Lord Edward Bulwer-Lytton (1802–1873) und der andere ist „the Master of Lindsay, later the Earl of Crawford and Balcarres“, der 1871 Mitglied der SRIA wird. Er ist bei zahlreichen Sitzungen des berühmten „Mediums“ D. D. Home anwesend (vgl. S. 31f).
Die Anwesenheit von Spiritisten in der SRIA (z. B. Kenneth Mackenzie, Irwin, Carpenter, Hockley, Stainton Moses) zeigt, daß das Interesse am Spiritismus in der SRIA zu jener Zeit vorherrschte (vgl. S. 33).
Nun noch eine Erwähnung zum Tempel des Golden Dawn. Im Jahr 1888 hat der „Isis-Urania“-Tempel in London (der erste Golden-Dawn-Tempel) 32 Eingeweihte, davon neun Frauen; zwischen 1888 und 1896 sind es 189 Eingeweihte, davon 84 Frauen.

Der „Osiris“-Tempel in Weston-super-Mare, mit acht Männern im Jahr 1888, war nur kurzlebig, 1888–1895 (vgl. S. 49). Die führende Persönlichkeit dieses Tempels ist Benjamin Cox († 1895). Mit seinem Tod geht der „Osiris“-Tempel in den Niedergang (vgl. S. 54). Benjamin Cox war ein Freimaurer der Großloge von England, der SRIA-Rosenkreuzer und des 30. Grades des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus.
Im Jahr 1888 hatte der „Horus“-Tempel in Bradford elf männliche Mitglieder, und zwischen 1888 und 1896 zählte er 57 Mitglieder, von denen zehn Frauen waren. 1893 hat der „Amen-Ra“-Tempel in Edinburgh sieben Eingeweihte, darunter drei Frauen; weitere sieben Männer 1894; 14 Eingeweihte 1895, darunter acht Frauen; 20 Einweihungen (Männer) 1896 (vgl. S. 49).
Die Stadt Bradford war für den Golden Dawn ein lohnendes Zentrum für die Rekrutierung von Anhängern, da das dortige SRIA-College eine große Anzahl von Freimaurern umfaßte, die sich für den Golden Dawn vonWestcott interessierten. Thomas Henry Pattinson, 8. Grad der SRIA und Mitglied des Golden Dawn, war ein Freund von Westcott und Mathers. Neben der SRIA war die Theosophische Gesellschaft von Madame Blavatsky ein weiteres Reservoir von Kandidaten für den Golden Dawn (vgl. S. 54).
Howe widmet ein Kapitel Frederick Leigh Gardner (1857–1930), der 1884 Mitglied von Madame Blavatskys Theosophischer Gesellschaft wurde und dann von 1894 bis 1900 Mitglied des Golden Dawn war (vgl. S. 145). Im Jahr 1895 war Gardner Mitglied des Inneren Ordens des Golden Dawn Red Rose and Golden Cross (vgl. S. 88).
In dem Buch „The Alchemist of the Golden Dawn. Letters of the Revd. W.A. Ayton to F.L. Gardner and Others 1886–1905″ (The Aquarian Press, Wellingborough 1985) schreibt der Freimaurer Robert A. Gilbert [UGLE, SRIA, …], daß der junge Frederick Leigh Gardner ein Spiritist war wie seine Eltern (vgl. S. 13). Er wurde 1886 als Freimaurer in der Montefiore Lodge No. 1017 der Großloge von England initiiert, aus der er 1889 austrat (vgl. S. 14). Gilbert berichtet, daß auch Gardner 1890 der SRIA in Bristol beitritt (vgl. S. 15), weshalb (Gilbert sagt es nicht) Gardner zu diesem Zeitpunkt noch reguläres Mitglied einer UGLE-Loge gewesen sein muß. Gardner, 8. Grad der SRIA, war von 1901 bis 1905 auch Generalbibliothekar und Generalsekretär der SRIA (vgl. S. 15).
Zurück zum Text von Howe. Die Adepten des Golden Dawn sollten studieren: alchemistische und astrologische Symbolik, das hebräische Alphabet, den kabbalistischen Lebensbaum mit seinen 10 Sephirot und 22 Pfaden, die den Sephirot zugeschriebenen göttlichen Namen, die 22 Arkana des Tarot in Verbindung mit den 22 Pfaden des kabbalistischen Lebensbaums, Geomantie usw. Howe bezieht sich bei diesen Themen auf das bereits eingangs erwähnte Werk von Israel Regardie (vgl. Howe, op. cit., S. 59f). Das sind die gleichen kabbalistischen Interessen der SRIA.
Die Grade des Ordens der Goldenen Morgenröte (Golden Dawn) sind zehn oder elf. Es gibt einen Grad „0“, dann weitere neun, deren Titel an die 9 Grade der SRIA erinnern, und schließlich einen 10. bzw. 11. Grad:
Im Ersten Orden:
0°=0° Neophyt
1°=10° Zelator
2°=9° Theoricus
3°=8° Practicus
4°=7° Philosophus
Dann folgt der Zweite Orden:
5°=6° Adeptus Minor
6°=5° Adeptus Major
7°=4° Adeptus Exemptus
Dann der Dritte Orden:
8°=3° Magister Templi
9°=2° Magus
10°=1° Ipsissimus (vgl. Howe, op. cit, S. 16).
2. Golden Dawn am Hauptsitz der Mark-Freimaurerei (GLMMM, UGLE)

Maud Gonne (1866–1953), irische Schauspielerin und Feministin, die 1891 in den Golden Dawn eingeweiht wurde, schreibt in ihrer Autobiographie, daß die Einweihungszeremonien des Golden Dawn normalerweise im Salon eines Adepten abgehalten wurden, aber bei einer Gelegenheit wurde sie in Mark Mason’s Hall in Euston Road (London), dem Sitz der Großloge der Mark Freimaurermeister (GLMMM), gerufen. Daraus folgert Maud Gonne: Wenn sich der Golden Dawn in einer „Freemasons Hall“ trifft, dann bedeutet das, daß der Golden Dawn vielleicht eine esoterische Seite der Freimaurerei ist („an esoteric side of Masonry“, S. 70f). Ein anderes Mitglied des Golden Dawn, William Butler Yeats, erklärte ihr, daß der Golden Dawn mit den Rosenkreuzern, aber sicher nicht mit der Freimaurerei verbunden ist (vgl. S. 70f). Maud Gonne gibt den Golden Dawn auf, weil er ihr in der Tat eng mit der Freimaurerei verbunden zu sein scheint, und die Freimaurerei – in den Augen der Iren und von Maude Gonne – eine britische Institution ist, die schon immer politisch zur Unterstützung des britischen Empire eingesetzt wurde (vgl. S. 71).
Ellic Howe schreibt, daß die früheste bekannte Liste von Amtsträgern des Golden Dawn in einem von dem bereits erwähnten F. L. Gardner erhaltenen Verzeichnis zu finden ist, in der einige Initiationszeremonien in der Mark Masons‘ Hall am 16. Juni 1894 angekündigt werden (vgl. S. 102, Fußnote 2). Im Jahr 1898 fanden die Einweihungszeremonien des Golden Dawn nach wie vor in der Mark Masons‘ Hall statt (vgl. S. 193). Auch der Freimaurer Arthur Edward Waite, Mitglied der Goldenen Morgenröte und späterer Verfechter einer Abspaltungsbewegung, berichtet, daß um 1903 Einweihungen in (seine) Goldene Morgenröte in der Mark Masons‘ Hall stattfanden (vgl. S. 252).
3. Der interne Orden der Roten Rose und des Goldenen Kreuzes
Ellic Howe behandelt den Zweiten Orden oder Inneren Orden des Golden Dawn, den Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis (Orden der Roten Rose und des Goldenen Kreuzes), der mit dem 5.=6. Grad, Adeptus Minor, beginnt. Laut Howe ist die Geschichte des Golden Dawn ab 1892 fast ausschließlich die Geschichte dieses Zweiten Ordens, dessen wahrer Führer und Schöpfer Mathers ist. Die Zeremonien des Ordens der Roten Rose und des Goldenen Kreuzes finden nicht in der Mark Masons‘ Hall statt. Mathers behauptet, diesen Grad (5.=6.) oder Orden aus Paris mitgebracht zu haben und stellt ihn als Höhepunkt des Golden Dawn dar (vgl. S. 75f). Die Einweihung in den Inneren Orden beinhaltet die Legende von Christian Rosenkreuz (dem fiktiven Gründer der Rosenkreuzer): Der Kandidat betritt die Krypta (das Grab) von Rosenkreuz, die durch eine prächtige Ausstattung mit Gegenständen, Symbolen und Farben dargestellt wird (vgl. S. 77–84). Auf dem Boden ist der Rote Drache mit sieben Köpfen abgebildet (vgl. S. 84)… Das Grab von Rosenkreuz wird mit dem Grab des Osiris gleichgesetzt und als Heptagon (Siebeneck) mit Bezug auf die sieben unteren kabbalistischen Sephirot dargestellt. Das Ritual des 5.=6. Grades besagt, daß sich das Grab von Rosenkreuz symbolisch im Zentrum der Erde, im Berg der Höhlen, befindet, wobei das Zentrum der Ort des Gleichgewichts der Kräfte ist (vgl. S. 85). Der Kandidat verpflichtet sich, die Wege des Golden Dawn in der Praxis des Tarot, des Hellsehens, der Astralprojektionen usw. (vor Laien) geheimzuhalten (vgl. S. 86f). Außerdem verspricht der Kandidat, sich dem Großen Alchemistischen Werk („the Great Work“) zu widmen, um sich mit seinem höheren und göttlichen Genius zu vereinen („raise and unite myself to my higher and Divine Genius“, S. 87).
In dem Buch „The Golden Dawn. Twilight of the Magicians“ (Vorwort von Israel Regardie, The Aquarian Press, Wellingborough 1983) veröffentlichte der Freimaurer Robert Gilbert die Konstitutionen von Arthur Edward Waites (UGLE, SRIA…) des Independent and Rectified Order R.R. et A.C. vom 7. November 1903. Artikel 3 besagt, daß gemäß der Tradition des Ordens (der ursprünglichen Goldenen Morgenröte) die Oberhäupter des Zweiten Ordens (Rote Rose und Goldenes Kreuz bzw. RR. et A.C.) Meister der Großloge von England (UGLE) oder einer anderen von der UGLE anerkannten Großloge sein müssen:
„The Chiefs of the Second Order shall be Master Masons of the 3rd Degree in accordance with the tradition of the Order holding under the Mother Grand Lodge of England or some other Grand Lodge recognized by her“ (S. 138).
Waites Independent and Rectified Order R.R. et A.C. trifft sich zum ersten Mal am 7. November in der Mark Masons‘ Hall (vgl. S. 70).
In der Bibliographie („Select Bibliography“, S. 141) empfiehlt Br. Gilbert auch das Werk von Israel Regardie über die Rituale des Golden Dawn (‚The Golden Dawn‘, 4 Bände, Aries Press, Chicago 1937–1940) und bezeichnet das bereits erwähnte Buch von Ellic Howe als die endgültige Geschichte („The definitive history“) des Golden Dawn.
4. Krise, Spaltungen, ‚Wiedergeburt‘…
Ich möchte kurz die Krise des Golden Dawn in den frühen 1900er Jahren erwähnen: Aleister Crowleys Rebellion gegen Mathers, die Rivalitäten und Zwietracht zwischen den verschiedenen Mitgliedern, die Abspaltungen, darunter die von Waite (Independent and Rectified Order R.R. et A.C.) und die von Dr. Robert Felkin (Stella Matutina), der nach Neuseeland zog.
Westcott trat aus dem Golden Dawn aus, blieb Freimaurer [UGLE, SRIA, 30° Rose-Croix, etc.] und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in Durban (Südafrika), wo er Vizepräsident zweier Logen der Theosophischen Gesellschaft wurde (vgl. Howe, op. cit., S. 283).
Bezüglich der Situation des Golden Dawn nach 1923 verweist Ellic Howe auf Francis Kings Buch „Ritual Magic in England“ (vgl. Howe, op. cit., S. xxv, Fußnote 2; S. 283). Howe schreibt, daß derzeit (1984) zumindest einige britische Gruppen die Tradition des Golden Dawn fortführen und behaupten, vom ursprünglichen Golden Dawn abzustammen:
„Today there are at least two British Temples which perpetuate the G.D. tradition and claim an apostolic succession from the original Order» (p. xxv, nota 2).
Ich wende mich dem Buch von Francis King (1970) zu, dessen amerikanische Ausgabe (1971) ich konsultiert habe, die einen anderen Titel trägt. King beschreibt die Gründung eines Tempels des Golden Dawn in Bristol („Hermanubis Temple“) in den 1920er Jahren durch eine Gruppe ehemaliger Mitglieder von Felkins Stella Matutina. Der neue Golden Dawn in Bristol betonte die alchemistische Arbeit und gründete 1959 einen weiteren Tempel in London unter dem alten Namen „Isis Urania“, um seine Loyalität zum ursprünglichen Golden Dawn zu bekräftigen. Der Londoner Tempel praktiziert nur die fünf „Äußeren“ Grade, während er sich für den Inneren Orden auf den Bristol-Tempel stützt (vgl. Francis King, The Rites of Modern Occult Magic, The MacMillan Company, New York 1971, S. 168–175).
1999 schreibt der Baron und Freimaurer Michael J. Stayt (UGLE, Royal Arch, Mark Mason, Royal Ark Mariner, Allied Masonic Degrees, 8. Grad SRIA, 18. Grad Rose-Croix, Royal Order of Scotland usw.:,vgl. S. 89f) in seinem Buch „The Rungs of the Ladder“ (Flying Dragon Publication, West Glamorgan [Wales] 1999), daß die SRIA „the protector“ verschiedener (Initiations-)Orden ist, von denen viele von größter Bedeutung („very greatest importance“) sind; der bekannteste ist „The Order of The Golden Dawn“, von dem manchmal der Anfangsgrad 0°=0° praktiziert wird (vgl. S. 75).
(Fortsetzung folgt.)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. In seiner jüngsten Veröffentlichung geht es ihm darum, den Nachweis zu erbringen, daß die Freimaurerei von Anfang an esoterische und gnostische Elemente enthielt, die bis heute ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Bisher in der Reihe erschienen:
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 1)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 2)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 3)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 4)
- Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenräte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 5)