Der Hermetische Orden der Goldenen Morgenröte, Freimaurerei und Freimaurer (Teil 1)

Magie ist in der Freimaurerei nicht nur ein "Randbereich"


Der Orden der Goldenen Morgenröte und seine Mitglieder
Der Orden der Goldenen Morgenröte und seine Mitglieder

Von Pater Pao­lo M. Siano*

Anzei­ge

In mei­nem Bei­trag Wal­ter Les­lie Wilmshurst und die „Eso­te­ri­sche Schu­le“ (Gno­sis) in der eng­li­schen Frei­mau­re­rei habe ich bereits die Figur von Ellic Howe (1901–1991) erwähnt. Ellic Howe war:

  • Agent des bri­ti­schen Geheim­dien­stes wäh­rend des Zwei­ten Weltkriegs,
  • Frei­mau­rer der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land (UGLE) seit 1970 und Mei­ster der ange­se­he­nen For­schungs­lo­ge Qua­tu­or Coro­na­ti Nr. 2076 (UGLE) in Lon­don seit 1978
  • und min­de­stens seit 1972 Ver­fech­ter der Theo­rie, daß die Magie nur einen Rand­be­reich der Frei­mau­re­rei betrifft (daher der Begriff „Frin­ge Mason­ry“), vor allem aus dem 19. Jahrhundert… 

Wie ich bereits geschrie­ben habe, wie­der­ho­le ich, daß die­se Theo­rie nicht der Wirk­lich­keit entspricht.

Br. Ellic Howe (da sich Frei­mau­rer als „Brü­der“ anspre­chen, behal­ten wir dies hier bei, um dar­an Frei­mau­rer kennt­lich zu machen) beschäf­tig­te sich auch mit dem Her­me­tic Order of the Gol­den Dawn (Her­me­ti­scher Orden der Gol­de­nen Mor­gen­rö­te), einem Initia­ti­ons­or­den, der sich der Magie, der jüdi­schen Kab­ba­la und der eso­te­ri­schen Alche­mie wid­me­te und 1887/​88 von einer Grup­pe eng­li­scher Frei­mau­rer, die Mit­glie­der der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land und der Socie­tas Rosi­cru­cia­na in Anglia (Rosen­kreu­zer) gegrün­det wur­de. Ich fin­de es inter­es­sant, die „Gol­de­ne Mor­gen­rö­te“ zu unter­su­chen, deren Geist, wenn nicht sogar eini­ge Struk­tu­ren, in der Frei­mau­re­rei unter „regu­lä­ren“ und „tra­di­tio­nel­len“ Frei­mau­rer­mei­stern immer noch leben­dig sind.

1. Eine kleine Geschichte des Ordens der Goldenen Morgenröte (1887– )

1972 ver­öf­fent­lich­te Ellic Howe im Ver­lag Rout­ledge & Kea­gan Paul Ltd. die erste Aus­ga­be sei­nes Buches „The Magi­ci­ans of the Gol­den Dawn. A Docu­men­ta­ry Histo­ry of a Magi­cal Order 1887–1923“. Im Jahr 1985 wur­de das Buch von The Aqua­ri­an Press (Wel­ling­bo­rough, Nort­hamp­tonshire, UK) neu auf­ge­legt und ist John Hamill (S. VIII), Frei­mau­rer und (zu der Zeit) stell­ver­tre­ten­der Biblio­the­kar der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land, gewid­met.

Ich zitie­re die Aus­ga­be von 1985 und begin­ne mit Gerald Yor­kes Vor­wort (S. xiii–xxiii), in dem der Gol­den Dawn als die Krö­nung („the crow­ning glo­ry“) der okkul­ten Wie­der­ge­burt des 19. Jahr­hun­derts und als ein so umfas­sen­des und kohä­ren­tes Ein­wei­hungs­sy­stem geprie­sen wird, daß es mit kei­nem ande­ren okkul­ten Orden vor oder nach ihm ver­gli­chen wer­den kann (vgl. S. xiii): „The Her­me­tic Order of the Gol­den Dawn (G.D.) with its Inner Order of the Rose of Ruby and the Cross of Gold (R.R. et A.C.) was the crow­ning glo­ry of the occult revi­val in the nine­te­enth cen­tu­ry. It syn­the­sis­ed into a coher­ent who­le a vast body of dis­con­nec­ted and wide­ly scat­te­red mate­ri­al and wel­ded it into a prac­ti­cal and effec­ti­ve system, which can­not be said of any other occult Order of which we know at that time or sin­ce“ (p. xiii).

Yor­ke erklärt, daß es drei grund­le­gen­de Ritua­le („the three vital ritu­als“) des Gol­den Dawn gibt:

1) Die Ein­wei­hung in den Äuße­ren Orden („Outer“): Der Kan­di­dat wird aus der Dun­kel­heit ins Licht geführt, um das Stu­di­um der okkul­ten Wis­sen­schaf­ten zu betrei­ben („occult sciences“).

2) Die Ein­wei­hung in den Inne­ren Orden, oder „der Inne­re Orden der Roten Rose und des Gol­de­nen Kreu­zes“ („the Inner Order of the Rose of Ruby and the Cross of Gold“).

3) Die Zere­mo­nie zum Hoch­fest „Fron­leich­nam“: Ein­mal im Jahr beschwört der Ober­ste Adept eines jeden Tem­pels des Gol­den Dawn, in eine schwar­ze Robe geklei­det und an das Kreuz in der Kryp­ta der Adep­ten geket­tet, den Gro­ßen Rache­en­gel Hua, um alle Adep­ten wäh­rend des Son­nen­zy­klus zu stär­ken, das Licht zu suchen, ihre spi­ri­tu­el­le Wahr­neh­mung zu stei­gern und ihr Selbst zum höhe­ren Selbst zu erhe­ben, Gott (vgl. S. xiii–xiv)

Das System der Eso­te­rik und Magie des Gol­den Dawn umfaßt die hebräi­sche Kab­ba­la, die Ver­wen­dung des kab­ba­li­sti­schen Baum­dia­gramms der „Sephi­r­ot“, die dem Adep­ten den Weg zurück in die gött­li­che Welt zei­gen, aus der er gekom­men sei (vgl. S. xiv–xvi).

Im Inne­ren Orden des Gol­den Dawn („Rote Rose und Gol­de­nes Kreuz“) bekräf­tigt der Adep­tus Minor (Grad 5°=6°) sei­ne Iden­ti­tät mit dem Unend­li­chen und sei­ne Ver­pflich­tung, das „Gro­ße Werk“ zu voll­brin­gen… Der Gol­den Dawn beinhal­tet auch „heno­chi­sche“ Magie, die sich auf den berühm­ten Renais­sance-Magi­er John Dee bezieht (vgl. S. xvii, xx). Im Gol­den Dawn fin­den sich auch ägyp­top­hi­le Ele­men­te (z. B. die Ver­eh­rung des Got­tes Osi­ris und des Son­nen­got­tes Ra), und sogar die Anru­fung des Erz­engels Micha­el, die aller­dings im Sin­ne der jüdi­schen Kab­ba­la ver­stan­den wird (vgl. S. xix).

Wil­liam Wynn Westcott

Der Haupt­be­grün­der des Äuße­ren Ordens der Gol­de­nen Mor­gen­rö­te („the foun­der of the Outer Order“) ist Dr. Wil­liam Wynn West­cott (1848–1925), foren­si­scher Wis­sen­schaft­ler, Mit­glied der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft, Frei­mau­rer­mei­ster der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land (UGLE), Mit­glied des „Hohen Rates“ der Socie­tas Rosi­cru­cia­na in Anglia (SRIA) sowie Gelehr­ter des Okkul­tis­mus und der hebräi­schen Kab­ba­la. Sei­ne eso­te­ri­schen Mot­tos sind Sape­re Aude und Non Omnis Mori­ar.

Ich gehe auf den Text von Ellic Howe ein, der die Ritua­le des Gol­den Dawn nicht beschreibt, son­dern sich (S. xxv, Text und Fuß­no­te 3) auf Isra­el Regar­dies vier­bän­di­ges Werk „The Gol­den Dawn: An Account of the Tea­chings, Rites and Cere­mo­nies of the Order of the Gol­den Dawn“, 4 Bän­de, 1937–1940) verweist.

Howe stellt dar­in fest, daß die Syn­the­se von Her­me­tik und magi­schen Tech­ni­ken im Gol­den Dawn („G.D.“) ein ein­zig­ar­ti­ges Phä­no­men dar­stellt; kei­ne ande­re magi­sche Bru­der­schaft hat einen sol­chen „Kor­pus“ von Leh­ren (kab­ba­li­stisch, her­me­tisch, astro­lo­gisch, alche­mi­stisch, Tarot), Tech­ni­ken, Ritua­len, Sym­bo­lis­mus und Hier­ar­chie ent­wickelt. Ab den 1890er Jah­ren stellt der Gol­den Dawn eine Art „her­me­ti­sche Uni­ver­si­tät“ („Her­me­tic Uni­ver­si­ty“) dar, deren erfin­de­ri­sche Grün­dung vor allem Samu­el Lid­dell Mac­Gre­gor Mathers zu ver­dan­ken ist (vgl. S. xxvi).

Der Autor der Ritua­le des Gol­den Dawn ist Samu­el Lid­dell Mac­Gre­gor Mathers (1854–1918), ein UGLE-Frei­mau­rer und SRIA-Mit­glied. Er war es, der mit der Zustim­mung von West­cott die Ritua­le des Inne­ren Ordens der Roten Rose und des Gol­de­nen Kreu­zes (R.R. et A.C.) erfand. Nach 15 Jah­ren zer­fiel der Orden der Gol­de­nen Mor­gen­rö­te und mach­te ver­schie­de­ne Abspal­tun­gen durch. Meh­re­re Anhän­ger des Gol­den Dawn (Mac­Gre­gor Mathers selbst und dann Annie Hor­ni­man, Flo­rence Farr, Alei­ster Crow­ley…) folg­ten nicht mehr West­cott, son­dern sahen sich von über­mensch­li­chen Wesen­hei­ten inspi­riert… So brach Alei­ster Crow­ley 1904 mit Mathers und dem Gol­den Dawn, weil ihm dies von sei­nen „Secret Chiefs“ befoh­len wor­den war, zu denen Crow­ley den Dämon „Aiwaz“ zähl­te, der Crow­ley das „Liber-Legis“ („The­le­ma“), das „Buch des Neu­en Geset­zes“, dik­tier­te, mit dem er das Chri­sten­tum erset­zen woll­te (vgl. S. xxi–xxiii)…

1. Golden Dawn und SRIA

Die Grün­der des Gol­den Dawn sind West­cott, Mathers und Wil­liam Robert Wood­man (1828–1891), alle drei Mei­ster der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land und Mit­glie­der der SRIA. Die SRIA, eine Gesell­schaft für „christ­li­che“ und „tri­ni­ta­ri­sche“ Frei­mau­rer­mei­ster (UGLE), die sich für den Okkul­tis­mus inter­es­sier­ten, wur­de 1866 von dem Frei­mau­rer Robert Went­worth Litt­le (1840–1878), einem jun­gen Ange­stell­ten des UGLE-Sekre­ta­ri­ats, gegrün­det (vgl. S. 26).

Zu den SRIA-Mit­glie­dern die­ser Zeit gehö­ren: Fre­de­rick Hock­ley (1809–1885), Fran­cis Geor­ge Irwin (1828–1892), Wil­liam Car­pen­ter (1797–1874), Robert Pal­mer Tho­mas (spä­ter ein pro­mi­nen­tes Mit­glied des Gol­den Dawn), der Rev. Wil­liam Stain­ton Moses (1839–1892), der „eines der berühm­te­sten bri­ti­schen spi­ri­ti­sti­schen Medi­en jener Zeit“ ist. Zwei der drei Adli­gen, die der SRIA in der Anfangs­zeit („ear­ly days“) ange­hö­ren, sind stark am Spi­ri­tis­mus inter­es­siert („deep­ly inte­re­sted in spi­ri­tua­lism and its phe­no­me­na“): Der erste ist Lord Edward Bul­wer-Lyt­ton (1802–1873) und der ande­re ist „the Master of Lind­say, later the Earl of Craw­ford and Bal­car­res“, der 1871 Mit­glied der SRIA wird. Er ist bei zahl­rei­chen Sit­zun­gen des berühm­ten „Medi­ums“ D. D. Home anwe­send (vgl. S. 31f).

Die Anwe­sen­heit von Spi­ri­ti­sten in der SRIA (z. B. Ken­neth Macken­zie, Irwin, Car­pen­ter, Hock­ley, Stain­ton Moses) zeigt, daß das Inter­es­se am Spi­ri­tis­mus in der SRIA zu jener Zeit vor­herrsch­te (vgl. S. 33).

Nun noch eine Erwäh­nung zum Tem­pel des Gol­den Dawn. Im Jahr 1888 hat der „Isis-Urania“-Tempel in Lon­don (der erste Gol­den-Dawn-Tem­pel) 32 Ein­ge­weih­te, davon neun Frau­en; zwi­schen 1888 und 1896 sind es 189 Ein­ge­weih­te, davon 84 Frauen.

Samu­el Lid­dell Mac­Gre­gor Mathers

Der „Osiris“-Tempel in West­on-super-Mare, mit acht Män­nern im Jahr 1888, war nur kurz­le­big, 1888–1895 (vgl. S. 49). Die füh­ren­de Per­sön­lich­keit die­ses Tem­pels ist Ben­ja­min Cox († 1895). Mit sei­nem Tod geht der „Osiris“-Tempel in den Nie­der­gang (vgl. S. 54). Ben­ja­min Cox war ein Frei­mau­rer der Groß­lo­ge von Eng­land, der SRIA-Rosen­kreu­zer und des 30. Gra­des des Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus.

Im Jahr 1888 hat­te der „Horus“-Tempel in Brad­ford elf männ­li­che Mit­glie­der, und zwi­schen 1888 und 1896 zähl­te er 57 Mit­glie­der, von denen zehn Frau­en waren. 1893 hat der „Amen-Ra“-Tempel in Edin­burgh sie­ben Ein­ge­weih­te, dar­un­ter drei Frau­en; wei­te­re sie­ben Män­ner 1894; 14 Ein­ge­weih­te 1895, dar­un­ter acht Frau­en; 20 Ein­wei­hun­gen (Män­ner) 1896 (vgl. S. 49).

Die Stadt Brad­ford war für den Gol­den Dawn ein loh­nen­des Zen­trum für die Rekru­tie­rung von Anhän­gern, da das dor­ti­ge SRIA-Col­lege eine gro­ße Anzahl von Frei­mau­rern umfaß­te, die sich für den Gol­den Dawn von­West­cott inter­es­sier­ten. Tho­mas Hen­ry Patt­in­son, 8. Grad der SRIA und Mit­glied des Gol­den Dawn, war ein Freund von West­cott und Mathers. Neben der SRIA war die Theo­so­phi­sche Gesell­schaft von Madame Blava­ts­ky ein wei­te­res Reser­voir von Kan­di­da­ten für den Gol­den Dawn (vgl. S. 54).

Howe wid­met ein Kapi­tel Fre­de­rick Leigh Gard­ner (1857–1930), der 1884 Mit­glied von Madame Blava­ts­kys Theo­so­phi­scher Gesell­schaft wur­de und dann von 1894 bis 1900 Mit­glied des Gol­den Dawn war (vgl. S. 145). Im Jahr 1895 war Gard­ner Mit­glied des Inne­ren Ordens des Gol­den Dawn Red Rose and Gol­den Cross (vgl. S. 88).

In dem Buch „The Alche­mist of the Gol­den Dawn. Let­ters of the Revd. W.A. Ayton to F.L. Gard­ner and Others 1886–1905″ (The Aqua­ri­an Press, Wel­ling­bo­rough 1985) schreibt der Frei­mau­rer Robert A. Gil­bert [UGLE, SRIA, …], daß der jun­ge Fre­de­rick Leigh Gard­ner ein Spi­ri­tist war wie sei­ne Eltern (vgl. S. 13). Er wur­de 1886 als Frei­mau­rer in der Mon­te­fio­re Lodge No. 1017 der Groß­lo­ge von Eng­land initi­iert, aus der er 1889 aus­trat (vgl. S. 14). Gil­bert berich­tet, daß auch Gard­ner 1890 der SRIA in Bri­stol bei­tritt (vgl. S. 15), wes­halb (Gil­bert sagt es nicht) Gard­ner zu die­sem Zeit­punkt noch regu­lä­res Mit­glied einer UGLE-Loge gewe­sen sein muß. Gard­ner, 8. Grad der SRIA, war von 1901 bis 1905 auch Gene­ral­bi­blio­the­kar und Gene­ral­se­kre­tär der SRIA (vgl. S. 15).

Zurück zum Text von Howe. Die Adep­ten des Gol­den Dawn soll­ten stu­die­ren: alche­mi­sti­sche und astro­lo­gi­sche Sym­bo­lik, das hebräi­sche Alpha­bet, den kab­ba­li­sti­schen Lebens­baum mit sei­nen 10 Sephi­r­ot und 22 Pfa­den, die den Sephi­r­ot zuge­schrie­be­nen gött­li­chen Namen, die 22 Arka­na des Tarot in Ver­bin­dung mit den 22 Pfa­den des kab­ba­li­sti­schen Lebens­baums, Geo­man­tie usw. Howe bezieht sich bei die­sen The­men auf das bereits ein­gangs erwähn­te Werk von Isra­el Regar­die (vgl. Howe, op. cit., S. 59f). Das sind die glei­chen kab­ba­li­sti­schen Inter­es­sen der SRIA.

Die Gra­de des Ordens der Gol­de­nen Mor­gen­rö­te (Gol­den Dawn) sind zehn oder elf. Es gibt einen Grad „0“, dann wei­te­re neun, deren Titel an die 9 Gra­de der SRIA erin­nern, und schließ­lich einen 10. bzw. 11. Grad:

Im Ersten Orden:
0°=0° Neo­phyt
1°=10° Zela­tor
2°=9° Theo­ri­cus
3°=8° Prac­ti­cus
4°=7° Phi­lo­so­phus
Dann folgt der Zwei­te Orden:
5°=6° Adep­tus Minor
6°=5° Adep­tus Major
7°=4° Adep­tus Exemp­tus
Dann der Drit­te Orden:
8°=3° Magi­ster Templi
9°=2° Magus
10°=1° Ipsis­si­mus (vgl. Howe, op. cit, S. 16).

2. Golden Dawn am Hauptsitz der Mark-Freimaurerei (GLMMM, UGLE)

Maud Gon­ne

Maud Gon­ne (1866–1953), iri­sche Schau­spie­le­rin und Femi­ni­stin, die 1891 in den Gol­den Dawn ein­ge­weiht wur­de, schreibt in ihrer Auto­bio­gra­phie, daß die Ein­wei­hungs­ze­re­mo­nien des Gol­den Dawn nor­ma­ler­wei­se im Salon eines Adep­ten abge­hal­ten wur­den, aber bei einer Gele­gen­heit wur­de sie in Mark Mason’s Hall in Eus­ton Road (Lon­don), dem Sitz der Groß­lo­ge der Mark Frei­mau­rer­mei­ster (GLMMM), geru­fen. Dar­aus fol­gert Maud Gon­ne: Wenn sich der Gol­den Dawn in einer „Free­ma­sons Hall“ trifft, dann bedeu­tet das, daß der Gol­den Dawn viel­leicht eine eso­te­ri­sche Sei­te der Frei­mau­re­rei ist („an eso­te­ric side of Mason­ry“, S. 70f). Ein ande­res Mit­glied des Gol­den Dawn, Wil­liam But­ler Yeats, erklär­te ihr, daß der Gol­den Dawn mit den Rosen­kreu­zern, aber sicher nicht mit der Frei­mau­re­rei ver­bun­den ist (vgl. S. 70f). Maud Gon­ne gibt den Gol­den Dawn auf, weil er ihr in der Tat eng mit der Frei­mau­re­rei ver­bun­den zu sein scheint, und die Frei­mau­re­rei – in den Augen der Iren und von Mau­de Gon­ne – eine bri­ti­sche Insti­tu­ti­on ist, die schon immer poli­tisch zur Unter­stüt­zung des bri­ti­schen Empire ein­ge­setzt wur­de (vgl. S. 71).

Ellic Howe schreibt, daß die frü­he­ste bekann­te Liste von Amts­trä­gern des Gol­den Dawn in einem von dem bereits erwähn­ten F. L. Gard­ner erhal­te­nen Ver­zeich­nis zu fin­den ist, in der eini­ge Initia­ti­ons­ze­re­mo­nien in der Mark Masons‘ Hall am 16. Juni 1894 ange­kün­digt wer­den (vgl. S. 102, Fuß­no­te 2). Im Jahr 1898 fan­den die Ein­wei­hungs­ze­re­mo­nien des Gol­den Dawn nach wie vor in der Mark Masons‘ Hall statt (vgl. S. 193). Auch der Frei­mau­rer Arthur Edward Wai­te, Mit­glied der Gol­de­nen Mor­gen­rö­te und spä­te­rer Ver­fech­ter einer Abspal­tungs­be­we­gung, berich­tet, daß um 1903 Ein­wei­hun­gen in (sei­ne) Gol­de­ne Mor­gen­rö­te in der Mark Masons‘ Hall statt­fan­den (vgl. S. 252).

3. Der interne Orden der Roten Rose und des Goldenen Kreuzes

Ellic Howe behan­delt den Zwei­ten Orden oder Inne­ren Orden des Gol­den Dawn, den Ordo Rosae Rubeae et Aureae Cru­cis (Orden der Roten Rose und des Gol­de­nen Kreu­zes), der mit dem 5.=6. Grad, Adep­tus Minor, beginnt. Laut Howe ist die Geschich­te des Gol­den Dawn ab 1892 fast aus­schließ­lich die Geschich­te die­ses Zwei­ten Ordens, des­sen wah­rer Füh­rer und Schöp­fer Mathers ist. Die Zere­mo­nien des Ordens der Roten Rose und des Gol­de­nen Kreu­zes fin­den nicht in der Mark Masons‘ Hall statt. Mathers behaup­tet, die­sen Grad (5.=6.) oder Orden aus Paris mit­ge­bracht zu haben und stellt ihn als Höhe­punkt des Gol­den Dawn dar (vgl. S. 75f). Die Ein­wei­hung in den Inne­ren Orden beinhal­tet die Legen­de von Chri­sti­an Rosen­kreuz (dem fik­ti­ven Grün­der der Rosen­kreu­zer): Der Kan­di­dat betritt die Kryp­ta (das Grab) von Rosen­kreuz, die durch eine präch­ti­ge Aus­stat­tung mit Gegen­stän­den, Sym­bo­len und Far­ben dar­ge­stellt wird (vgl. S. 77–84). Auf dem Boden ist der Rote Dra­che mit sie­ben Köp­fen abge­bil­det (vgl. S. 84)… Das Grab von Rosen­kreuz wird mit dem Grab des Osi­ris gleich­ge­setzt und als Hep­ta­gon (Sie­ben­eck) mit Bezug auf die sie­ben unte­ren kab­ba­li­sti­schen Sephi­r­ot dar­ge­stellt. Das Ritu­al des 5.=6. Gra­des besagt, daß sich das Grab von Rosen­kreuz sym­bo­lisch im Zen­trum der Erde, im Berg der Höh­len, befin­det, wobei das Zen­trum der Ort des Gleich­ge­wichts der Kräf­te ist (vgl. S. 85). Der Kan­di­dat ver­pflich­tet sich, die Wege des Gol­den Dawn in der Pra­xis des Tarot, des Hell­se­hens, der Astral­pro­jek­tio­nen usw. (vor Lai­en) geheim­zu­hal­ten (vgl. S. 86f). Außer­dem ver­spricht der Kan­di­dat, sich dem Gro­ßen Alche­mi­sti­schen Werk („the Gre­at Work“) zu wid­men, um sich mit sei­nem höhe­ren und gött­li­chen Geni­us zu ver­ei­nen („rai­se and unite mys­elf to my hig­her and Divi­ne Geni­us“, S. 87).

In dem Buch „The Gol­den Dawn. Twilight of the Magi­ci­ans“ (Vor­wort von Isra­el Regar­die, The Aqua­ri­an Press, Wel­ling­bo­rough 1983) ver­öf­fent­lich­te der Frei­mau­rer Robert Gil­bert die Kon­sti­tu­tio­nen von Arthur Edward Wai­tes (UGLE, SRIA…) des Inde­pen­dent and Rec­ti­fi­ed Order R.R. et A.C. vom 7. Novem­ber 1903. Arti­kel 3 besagt, daß gemäß der Tra­di­ti­on des Ordens (der ursprüng­li­chen Gol­de­nen Mor­gen­rö­te) die Ober­häup­ter des Zwei­ten Ordens (Rote Rose und Gol­de­nes Kreuz bzw. RR. et A.C.) Mei­ster der Groß­lo­ge von Eng­land (UGLE) oder einer ande­ren von der UGLE aner­kann­ten Groß­lo­ge sein müssen:

„The Chiefs of the Second Order shall be Master Masons of the 3rd Degree in accordance with the tra­di­ti­on of the Order hol­ding under the Mother Grand Lodge of Eng­land or some other Grand Lodge reco­gnized by her“ (S. 138).

Wai­tes Inde­pen­dent and Rec­ti­fi­ed Order R.R. et A.C. trifft sich zum ersten Mal am 7. Novem­ber in der Mark Masons‘ Hall (vgl. S. 70).

In der Biblio­gra­phie („Sel­ect Biblio­gra­phy“, S. 141) emp­fiehlt Br. Gil­bert auch das Werk von Isra­el Regar­die über die Ritua­le des Gol­den Dawn (‚The Gol­den Dawn‘, 4 Bän­de, Aries Press, Chi­ca­go 1937–1940) und bezeich­net das bereits erwähn­te Buch von Ellic Howe als die end­gül­ti­ge Geschich­te („The defi­ni­ti­ve histo­ry“) des Gol­den Dawn.

4. Krise, Spaltungen, ‚Wiedergeburt‘…

Ich möch­te kurz die Kri­se des Gol­den Dawn in den frü­hen 1900er Jah­ren erwäh­nen: Alei­ster Crow­leys Rebel­li­on gegen Mathers, die Riva­li­tä­ten und Zwie­tracht zwi­schen den ver­schie­de­nen Mit­glie­dern, die Abspal­tun­gen, dar­un­ter die von Wai­te (Inde­pen­dent and Rec­ti­fi­ed Order R.R. et A.C.) und die von Dr. Robert Fel­kin (Stel­la Matu­ti­na), der nach Neu­see­land zog.

West­cott trat aus dem Gol­den Dawn aus, blieb Frei­mau­rer [UGLE, SRIA, 30° Rose-Croix, etc.] und ver­brach­te die letz­ten Jah­re sei­nes Lebens in Dur­ban (Süd­afri­ka), wo er Vize­prä­si­dent zwei­er Logen der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft wur­de (vgl. Howe, op. cit., S. 283).

Bezüg­lich der Situa­ti­on des Gol­den Dawn nach 1923 ver­weist Ellic Howe auf Fran­cis Kings Buch „Ritu­al Magic in Eng­land“ (vgl. Howe, op. cit., S. xxv, Fuß­no­te 2; S. 283). Howe schreibt, daß der­zeit (1984) zumin­dest eini­ge bri­ti­sche Grup­pen die Tra­di­ti­on des Gol­den Dawn fort­füh­ren und behaup­ten, vom ursprüng­li­chen Gol­den Dawn abzustammen:

„Today the­re are at least two Bri­tish Temp­les which per­pe­tua­te the G.D. tra­di­ti­on and cla­im an apo­sto­lic suc­ce­s­si­on from the ori­gi­nal Order» (p. xxv, nota 2).

Ich wen­de mich dem Buch von Fran­cis King (1970) zu, des­sen ame­ri­ka­ni­sche Aus­ga­be (1971) ich kon­sul­tiert habe, die einen ande­ren Titel trägt. King beschreibt die Grün­dung eines Tem­pels des Gol­den Dawn in Bri­stol („Her­ma­nu­bis Temp­le“) in den 1920er Jah­ren durch eine Grup­pe ehe­ma­li­ger Mit­glie­der von Fel­kins Stel­la Matu­ti­na. Der neue Gol­den Dawn in Bri­stol beton­te die alche­mi­sti­sche Arbeit und grün­de­te 1959 einen wei­te­ren Tem­pel in Lon­don unter dem alten Namen „Isis Ura­nia“, um sei­ne Loya­li­tät zum ursprüng­li­chen Gol­den Dawn zu bekräf­ti­gen. Der Lon­do­ner Tem­pel prak­ti­ziert nur die fünf „Äuße­ren“ Gra­de, wäh­rend er sich für den Inne­ren Orden auf den Bri­stol-Tem­pel stützt (vgl. Fran­cis King, The Rites of Modern Occult Magic, The MacMil­lan Com­pa­ny, New York 1971, S. 168–175).

1999 schreibt der Baron und Frei­mau­rer Micha­el J. Stayt (UGLE, Roy­al Arch, Mark Mason, Roy­al Ark Mari­ner, Allied Maso­nic Degrees, 8. Grad SRIA, 18. Grad Rose-Croix, Roy­al Order of Scot­land usw.:,vgl. S. 89f) in sei­nem Buch „The Rungs of the Lad­der“ (Fly­ing Dra­gon Publi­ca­ti­on, West Glamor­gan [Wales] 1999), daß die SRIA „the pro­tec­tor“ ver­schie­de­ner (Initiations-)Orden ist, von denen vie­le von größ­ter Bedeu­tung („very grea­test importance“) sind; der bekann­te­ste ist „The Order of The Gol­den Dawn“, von dem manch­mal der Anfangs­grad 0°=0° prak­ti­ziert wird (vgl. S. 75).

(Fort­set­zung folgt.)

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. In sei­ner jüng­sten Ver­öf­fent­li­chung geht es ihm dar­um, den Nach­weis zu erbrin­gen, daß die Frei­mau­re­rei von Anfang an eso­te­ri­sche und gno­sti­sche Ele­men­te ent­hielt, die bis heu­te ihre Unver­ein­bar­keit mit der kirch­li­chen Glau­bens­leh­re begründen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons


Bis­her in der Rei­he erschienen:

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