
von Pater Paolo M. Siano*
Die freimaurerfreundliche Dissertation von Msgr. Michael Heinrich Weninger (veröffentlicht 2019 von der Päpstlichen Universität Gregoriana), der ich zwei kritische Artikel gewidmet habe (siehe hier und hier), hat mich veranlaßt, weitere Recherchen zur regulären österreichischen Freimaurerei anzustellen (siehe hier, hier, hier, hier, hier und hier). Entgegen den Behauptungen von Msgr. Weninger gibt es auch zwischen der österreichischen Freimaurerei und der katholischen Kirche eine Unvereinbarkeit.
In meiner neuen Studie konzentriere ich mich auf die „reine“ Freimaurerei, die in Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, also zur Zeit des Habsburgerreiches, praktiziert wurde.
1. Anmerkungen zur österreichischen Freimaurerei zur Zeit der Loge „Zur wahren Eintracht“
Die erste Freimaurerloge in Österreich geht auf das Jahr 1742 zurück und zählte einen Kirchenmann zu ihren Gründern und prominenten Mitgliedern: den späteren Fürstbischof von Breslau Philipp Gotthard von Schaffgotsch (1716–1795). Diese Loge verwendete für ihre rituellen Arbeiten und Protokolle die französische Sprache.1 Bestimmte kabbalistische Zeichen und Wendungen in den Protokollen der ersten Wiener Loge, die später Loge „Aux trois canons“ genannt wurde, weisen auf die rosenkreuzerische und alchemistische Mystik hin.2
Zumindest bis 1784 ist die österreichische Freimaurerei direkt mit der Freimaurerei in den anderen deutschen Staaten verbunden, insbesondere mit zwei neutemplerischen Hochgradsystemen: dem Ritus der Strikten Observanz und dem Zinnendorfer System oder Schwedischen Ritus, letzterer praktiziert von der um 1770 gegründeten Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLLFvD). 1784 schloß sich dann die österreichische Freimaurerei als Große Landesloge von Österreich zusammen.3
Zu dieser Zeit pflegten viele österreichische Freimaurer, insbesondere die Wiener Freimaurer, neben ihrer Mitgliedschaft in den gewöhnlichen Dreigrad-Logen (oder Johannislogen) die Zugehörigkeit zu einer der beiden großen initiatischen Strömungen der damaligen Zeit, in manchen Fällen sogar zu beiden: die rationalistische und antiklerikale Strömung der bayerischen Illuminaten (auch in Österreich präsent) und die mystisch-rosenkreuzerische, also alchemistische und kabbalistische Strömung, die den Orden der Gold- und Rosenkreuzer und die Asiatischen Brüder umfaßt.
Die Freimaurer Kuéss und Scheichelbauer geben an, daß die Wiener Loge „Zur wahren Eintracht“ unter Ignaz von Born (1742–1791) die Reine Freimaurerei praktizierte und die reguläre Freimaurerei von der rosenkreuzerisch-magisch-kabbalistischen Strömung befreien wollte. Für Born, Meister vom Stuhl der „Wahren Eintracht“, war diese Strömung keine echte Freimaurerei.4
19 Prozent (d. h. einer von fünf) der Freimaurer der Loge „Zur wahren Eintracht“, darunter Ignaz von Born, gehörten zu den Illuminaten, die auch in Wien und Innsbruck in Tirol stark vertreten waren.5
Im Jahr 1785 verordnete ein Edikt von Kaiser Joseph II. die Begrenzung der Logenanzahl. Die Loge „Zur wahren Eintracht“ löste sich am 27. Dezember 1785 auf und bildete mit zwei anderen Logen die neue Wiener Loge „Zur Wahrheit“.6
Erklärtes kulturelles Ziel der Illuminaten (wie von Born, Sonnenfels) unter den Freimaurern der „Wahren Eintracht“ war es, die österreichische Freimaurerei von Rosenkreuzern, Alchemisten, Asiatischen Brüdern und anderen der Magie verpflichteten Gruppen zu reinigen. Es sollte ihnen aber nicht gelingen.7
Sehr wichtige Würdenträger der österreichischen Freimaurerei jener Zeit gehörten nämlich rosenkreuzerischen oder magischen Gruppen an. Einige waren sogar Illuminaten, ohne ihre esoterische Erfahrung aufzugeben. Ich nenne nur einige wenige Namen:
- Johann Baptist Carl Walther Graf Dietrichstein-Proskau (1728–1808), persönlicher Freund von Kaiser Joseph II., wurde Anfang der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts in Kopenhagen als Freimaurer initiiert; 1777 war er „Provinzial-Großmeister der Großen Landesloge von Österr.“ und auch „Gold- u. Rosenkreuzer, Asiatischer Bruder, Illuminat“.8
- Otto Heinrich Reichsfreiherr von Gemmingen auf Hornberg und Treschklingen (1755–1836), Schriftsteller und Dramatiker, einer der bedeutendsten Freimaurer des 18. Jahrhunderts, Aufklärer, Antiklerikaler, Freimaurer ab 1781; 1784 ist er Großsekretär der Provinzial-Loge von Österreich; er ist ebenso „Tempelherr“, „Asiatischer Bruder“ und „Illuminat“.9
- Karl Hieronymus Graf Pàlffy von Erdöd (1735–1816), 1776 Vizekanzler von Ungarn, war ab 1782 Freimaurer; 1786 Provinzial-Großmeister von Ungarn, 1784 Großmeister der Großen Landeslogen von Österreich, Hauptprotektor der Asiatischen Brüder und zugleich im Illuminatenorden Provinzial von Siebenbürgen.10
2. Das Journal für Freymaurer der Loge „Zur wahren Eintracht“ (1781–1785) und ihre Aktualität
Das Journal für Freymaurer ist die Freimaurerzeitschrift, die von 1784 bis 1786 in zwölf Quartalsbänden die Veröffentlichungen von Freimaurern, Mitgliedern oder Besuchern, der Wiener Loge „Zur wahren Eintracht“ sammelte.11
Gelehrte der Großloge von Österreich stellen diese Loge des 18. Jahrhunderts als eine Loge der Wiener Elite dar, mit insgesamt 226 Freimaurern, darunter österreichische, böhmische und ungarische Adelige, Wissenschaftler, Künstler, Musiker, Publizisten, Bibliothekare, Archivare, Professoren, Lehrer, Priester, Ordensleute, Offiziere und Architekten.12
Die „Wahre Eintracht“ vertritt die Ideen der Aufklärung und wendet sich damit gegen den kirchlichen „Dogmatismus“ und die katholische Gegenreformation. Zu dieser Zeit waren viele Freimaurer Mitglieder bzw. ehemalige Mitglieder der Gesellschaft Jesu (Jesuitenorden), die 1773 von Papst Clemens XIV. aufgelöst worden war.13
Die philosophischen Beiträge in der Zeitschrift der Loge „Zur wahren Eintracht“ enthalten das aufklärerische Denken von Hume, Rousseau, Bayle, Kant und Lessing mit Goethes Pantheismus und Lord Shaftesburys Deismus.14 Die „Wahre Eintracht“ theoretisiert eine Reform der Gesellschaft im humanistischen und aufklärerischen Sinne.15

Diese 1781 gegründete Loge hatte nur ein kurzes, aber intensives Leben. 1785 aufgelöst, gründeten einige ihrer Mitglieder mit Freimaurern aus anderen Wiener Logen die neue Loge „Zur Wahrheit“, welche die Herausgabe des Journals für Freymaurer 1786, in seinem letzten Erscheinungsjahr, fortsetzte.
Der Geist des Journals für Freymaurer ist für die österreichischen Freimaurer der Großloge von Österreich (GLvÖ) noch heute wichtig.
Im Geleitwort16 eines 1984 von der Großloge von Österreich veröffentlichten Buches erklärt ihr damaliger Großmeister Alexander Giese (1921–2016), daß die Loge „Zur wahren Eintracht“ von 1782 bis 1785 auf Geheiß des Meisters vom Stuhl Ignaz von Born 21 schriftliche Übungen für Freimaurermeister durchführte, von denen ein Teil im Journal für Freymaurer veröffentlicht wurde. Giese stellt diese Schriften als Grundsteine auch für die heutige österreichische Freimaurerei dar:
„Diese 21 Übungslogen der ‚Wahren Eintracht‘ sind glatt behauene Steine, auf denen die maurerische Tempelarbeit aller österreichischen Logen fürderhin errichtet werden könnte. Sie sind die Basis. Es lohnt sich, sie zu kennen.“17
Dieses Buch der Großloge von Österreich enthält die ersten drei schriftlichen Übungen vom 4. November 1782 zu folgenden Themen: die altägyptischen Mysterien (1. Teil), die jüdische Kabbala (1. Teil) und König Salomon.
Bereits im ersten Teil des Berichtes „Über die Mysterien der Aegyptier“ gibt Stuhlmeister Ignaz von Born einen Einblick in die ideellen Verbindungen zwischen der regulären Freimaurerei und dem Alten Ägypten: die Verehrung der Natur, symbolisiert durch Isis; Hermes Trismegistos als Meister der Weisheit und der Wissenschaft; die Priester des Alten Ägypten als Hüter des Wissens usw.18 Dieser Bericht von Born wurde 1784 in voller Länge in der ersten Ausgabe des Journals für Freymaurer veröffentlicht.
Im ersten Teil der zweiteiligen Studie „Über die Kabala der Hebräer“ erklärt der Freimaurerbruder Anton von Scharf (1753–1807), Mitglied der „Wahren Eintracht“, daß das Wort Kabbala „Ueberlieferung“ bedeute, d. h. die mystische Erklärung der Heiligen Schrift. Moses habe von Gott nicht nur das Gesetz, sondern auch die Erklärung des Gesetzes erhalten, nämlich die Kabbala.19, während Adam die Kabbala bereits von den Engeln („Engel Zachiel“, „Engel Jedechiel“, „Engel Raziel“) vermittelt bekommen habe… Die Kabbala beinhalte das geheime Wissen, um Krankheiten zu entgehen, mit Engeln und Dämonen in Kontakt zu treten und Wunder zu vollbringen.20
Scharf hält es hingegen für wahrscheinlich, daß der Ursprung der „Kabala“ in der ägyptischen Philosophie zu suchen ist („der Ursprung der Kabala, den ich in der Philosophie der Aegyptier finde„21). Die Essener hätten ägyptische Lehren übernommen.22 Scharf unterscheidet eine wahre Kabbala von einer falschen Kabbala. Der Name Gottes („Jehova“) ermögliche Wunder. Durch die Kabbala habe Moses die Zauberer des Pharao herausgefordert.23 Die „philosophische Kabalistik“ lehre, daß alles Geist ist und dieser Geist Gott ist, aus dem die Welt hervorgeht:
„Die Hauptgrundsätze dieser seynsollenden Philosophie vereinigen sich darin, daß alles was ist, ein Geist ist, dieser Geist aber ein Eusoph, ein unendlicher Gott, von dem die Welt selbst ausfloß“.24
Scharf erwähnt die zehn Sephiroth, mit denen jeweils ein Name der Gottheit, ein Name der Engel, ein Planet, ein Teil des menschlichen Körpers verbunden ist. Das göttliche Licht habe Einfluß auf die Engel, diese auf die Planeten und diese auf den menschlichen Körper.25
Leider wurden in diesem Buch der Großloge von Österreich die Werke von Born (über die altägyptischen Mysterien und die Verbindungen zur Freimaurerei) und von Scharf (über die jüdische Kabbala) nicht vollständig veröffentlicht. Im Gegensatz zu Borns oben genannter Studie wird Scharfs kabbalistische Studie nicht im Journal für Freymaurer veröffentlicht. Auf alle Fälle ist es interessant, daß dieser GLvÖ-Band von 1984 die Aufmerksamkeit der Freimaurer auch auf die altägyptischen Mysterien und die jüdische Kabbala lenkt. (Fortsetzung folgt.)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MDZ/dbc.wroc.pl/Wikicommons (Screenhots)
1 Vgl. Gustav Kuéss/Bernhard Scheichelbauer: 200 Jahre Freimaurerei in Österreich. Zum 175. Geburtstag der Großloge, Verlag O. Kerry, Wien 1959, S. 18.
2 Vgl. ibid., S. 20.
3 Vgl. ibid., S. 27, 46–57.
4 Vgl. ibid., S. 46, 65f.
5 Vgl. Hans-Josef Irmen (Hrsg.): Die Protokolle der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ (1781 –1785), Verlag Peter Lang – Europäischer Verlag der Wissenschaften, Bern – Frankfurt am Main 1994, S. 15f.
6 Vgl. ibid., S. 19f
7 Vgl. ibid., S. 18.
8 Ibid., S. 348.
9 Ibid., S. 352.
10 Ibid., S. 364f.
11 Vgl. [Historische Forschungsgruppe der Großloge von Österreich], Journal für Freymaurer. Eine Festschrift der Großloge von Österreich zum 250. Jahrestag der Gründung der Englischen Großloge, Wien 1967, S. 34.
12 Vgl. ibid., S. 35.
13 Vgl. ibid., S. 35.
14 Vgl. ibid., S. 36.
15 Vgl. ibid., S. 59.
16 Erich Lessing (Hrsg): Die Übungslogen der gerechten und vollkommenen Loge Zur wahren Eintracht im Orient zu Wien 1782–1785, Großloge von Österreich, Wien 1984, S. 7f.
17 Ibid., S. 8.
18 Vgl. ibid., S. 56f, 60.
19 Vgl. ibid., S. 61.
20 Vgl. ibid., S. 61.
21 Ibid., S. 62.
22 Vgl. ibid., S. 62.
23 Vgl. ibid., S. 62.
24 Ibid. S. 64.
25 Vgl. ibid., S. 64.