Von Roberto de Mattei*
Die Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) hat bekanntgegeben, daß sie Eigentümerin der bekannten Minoritenkirche in der Inneren Stadt (Erster Bezirk) in Wien geworden ist. Die Bruderschaft wird diese Kirche, die offiziell den Namen Italienische Nationalkirche Maria Schnee trägt, am 3. Juni 2022, dem Jahrestag ihrer Schenkung an die italienische Gemeinde durch Kaiser Joseph II. am 3. Juni 1784, zur alleinigen Nutzung in Besitz nehmen können.
Die Bedeutung dieser Nachricht entgeht dem katholischen Historiker nicht. Die Minoritenkirche ist nicht nur eine der schönsten und ältesten Kirchen Wiens, sondern war zwischen 1780 und 1815 auch das Herzstück des katholischen Widerstands gegen revolutionäre Ideen. In jener Zeit vereinten Jansenismus, Gallikanismus und Aufklärung – unterschiedliche und heterogene Kräfte, die jedoch ihr Haß auf die römische Kirche zusammenführte –, im Schatten der Freimaurerlogen ihre Bemühungen, die christliche Religions- und Gesellschaftsordnung zu zerstören. Pater Nikolaus Albert von Diesbach (1732–1798), ein ehemaliger Schweizer Offizier, der vor ihrer Aufhebung (1773) der Gesellschaft Jesu angehört hatte, gründete zwischen 1779 und 1780 in Turin unter dem Namen Amicizia Cristiana [Christliche Freundschaft] eine Organisation, die sich diesem subversiven Projekt widersetzen wollte, indem sie es mit dessen eigenen Waffen bekämpfte: der Verbreitung von Schriften und der Geheimhaltung, mit der sich die Mitglieder der Vereinigung umgaben.1
Wien, die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches, über das Joseph II. von Habsburg-Lothringen (1765–1790) regierte, war damals die europäische Stadt, in der das Netz der Kontakte und Irrtümer der Feinde der Kirche am dichtesten geknüpft war. „In Wien, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Hauptstadt des Antikurialismus geworden war, scheinen Freimaurerei und Aufklärung, Jansenismus und liberaler Katholizismus manchmal in ein und derselben Person zu verschmelzen, um denselben Kampf gegen dieselben Gegner zu führen“, schreibt der Historiker Carlo Francovich in seiner Geschichte der Freimaurerei in Italien2.
Als Papst Pius VI. (1775–1799) 1782 beschloß, als „peregrinus apostolicus“ nach Wien zu reisen, ging ihm Pater Diesbach in Begleitung seines wichtigsten Mitarbeiters, des ehrwürdigen Dieners Gottes Pio Brunone Lanteri (1759–1830), einen Monat voraus, um mit Predigten, Kontakten und der Verteilung von Flugschriften den Empfang des Papstes bei den österreichischen Katholiken vorzubereiten. Der Erfolg der Reise war so groß, daß Diesbach beschloß, den Mittelpunkt seines Apostolats von Turin in die habsburgische Hauptstadt zu verlegen.
In Wien hatte der katholische Widerstand sein Zentrum in der Minoritenkirche, deren Präfekt Freiherr Joseph von Penkler (1751–1830) war. Penkler, dessen Seelenführer Diesbach und später Lanteri war, hatte seine Ausbildung bei den Jesuiten am Theresianum in Wien erhalten und enge Beziehungen zu einigen führenden Persönlichkeiten des Jesuitenordens aufrechterhalten wie dem Hofastronomen Pater Maximilian Hell (1720–1792) und dem Theologen Luigi Virginio (1756–1805), der Rektor der Minoritenkirche wurde. Diese Kirche war auch Bezugspunkt für eine Gruppe italienischer Exilanten, darunter die Marchesa Maria Magdalena Capponi Frescobaldi (1771–1839), Gründerin der Passionistinnen vom Heiligen Paul vom Kreuz, die ebenfalls der Amicizia Cristiana angehörte. Über Herzog Ludwig Eugen von Württemberg (1731–1795) knüpfte Diesbach auch enge Beziehungen zum kaiserlichen Hof in der österreichischen Hauptstadt: Er erwirkte die Abschwörung und wurde Seelenführer der Prinzessin Elisabeth von Württemberg (1767–1790) und kümmerte sich um die Erziehung von Erzherzog Franz, dem späteren Kaiser Franz II., der 1788 Elisabeth, die erste seiner vier Ehefrauen, heiratete.
Als Joseph II. im Winter 1790 starb, überreichte Diesbach dem neuen Kaiser Leopold II. eine Denkschrift, die ein regelrechtes „Manifest“ der kulturellen und politischen Aktion darstellt. Der Historiker Ernst Karl Winter (1895–1959), der als erster deren Bedeutung erkannte, wollte in ihr die Linien jener Staatsromantik erkennen, die im 19. Jahrhundert das Modell des österreichischen politischen Katholizismus bilden sollte (Romantik, Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte, 21 (1927), S. 81–102).
Schließlich lernte Diesbach über Freiherr von Penkler in Wien den später heiliggesprochenen Redemptoristen Klemens Maria Hofbauer (1751–1820) kennen, dessen philosophische und theologische Ausbildung er vervollständigte. Hofbauer, der Diesbach seine Kenntnis der Werke des heiligen Alfons von Liguori verdankte, trat der Wiener Christlichen Freundschaft bei und gründete später in Warschau eine ähnliche Vereinigung, die Oblaten des Heiligsten Erlösers. Der heilige Klemens Maria Hofbauer, der heutige Schutzpatron Wiens, war von 1808 bis 1813 Kaplan der Minoritenkirche, weshalb ihm zu Ehren vor der dortigen Antoniuskapelle ein Denkmal errichtet wurde.
Kurz vor der Jahrhundertwende, am 2. Januar 1799, meldete die „Wiener Zeitung“ den Tod von „Nikola Freyherr von Diessbach, Weltpriester und Exjesuit am 22. Dezember 1798 im Alter von 60 Jahren in der Stadt, Seizergasse Nr. 460″. Der Tod des ehemaligen Jesuiten war geheimnisumwittert: Seine Schüler führten ihn auf die Folgen eines Überfalls auf dem Rückweg von Prag nach Wien zurück, wohin er sich im Oktober 1798 begeben hatte, um mit Erzherzogin Maria Anna (1770–1809), der Tochter Kaiser Leopolds II., die Pläne für eine neue Frauenkongregation im ignatianischen Geist zu besprechen. Die Erzherzogin bildete zusammen mit ihren beiden Cousinen Maria Luisa und Maria Leopoldine die erste Keimzelle der Dilette di Gesù (Die Geliebten Jesu), eines Instituts, aus dem drei Ordenskongregationen hervorgehen sollten: die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu (Sacré-Cœur-Schwestern) von Magdalena Sophie Barat (1779–1865), das Institut der Schwestern der Heiligen Familie von Leopoldina Naudet (1773–1834) und die Schulschwestern von Agathe Verhelle (1786–1838).3
Pater Diesbach fand schließlich seine letzte Ruhestätte auf dem Romantikerfriedhof von Maria Enzersdorf bei Wien, auf dem bereits die sterblichen Überreste seines Freundes Maximilian Hell lagen. Neben ihm sollten seine Wiener Schüler Virginio, Penkler und Hofbauer beigesetzt werden. Nach seinem Tod wurde das Erbe der Christlichen Freundschaft von Hofbauer erneuert, der nach seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1808 eine Gruppe angesehener Konvertiten um sich sammelte, darunter Friedrich Schlegel (1772–1829) und seine Frau Dorothea Veit geborene Mendelssohn (1763–1839), Adam Heinrich Müller (1779–1829), Zacharias Werner (1768–1823), Johannes (1790–1854) und Philipp (1793–1877) Veit, Söhne von Dorothea Schlegel.
Der Hofbauer-Kreis übte insbesondere während des Wiener Kongresses (1814/1815) erheblichen Einfluß auf die österreichische katholische Restauration aus. Der Historiker Rudolf Till bezeichnet 1808 als das entscheidende Jahr für diese katholische Restauration. Im August jenes Jahres traf Friedrich von Schlegel (1772–1829) in Wien ein, im September Hofbauer: „Schlegel“, schreibt Till, „war der Kopf, der Geist, Hofbauer das Herz dieses Kreises“ (Rudolf Till, Hofbauer und sein Kreis, Herold, Wien 1951, S. 68).
1810 übertrug Friedrich von Gentz (1764–1832), Sekretär und wichtigster Mitarbeiter des Fürsten Metternich, die Redaktion der Wiener Zeitung „Der Österreichische Beobachter“ dem Grafen Joseph Anton von Pilat (1782–1865), der enge Kontakte zwischen dem Kanzleramt und dem Hofbauer-Kreis herstellte. Die Schirmherrin dieser Zirkel war Prinzessin Karoline Auguste von Bayern, die 1816 Kaiser Franz I. (1792–1835), einen dreifachen Witwer, heiratete. Karoline sollte von der Partei der „Frommen des Hofes“ umgeben sein, deren religiöses und politisches Modell das von Pater Diesbach war: das Ideal einer Monarchie, das sich von allen Resten des Josephinismus befreit und zu den mittelalterlichen und gegenreformatorischen Quellen der Dynastie zurückkehrt.
Die Minoritenkirche stand im Mittelpunkt dieser Ereignisse. Die Übergabe dieser Kirche an eine Ordensgemeinschaft, die sich mit der gleichen Kraft gegen den Progressivismus wehrt, mit der sich vor zwei Jahrhunderten die Wiener Katholiken gegen die Irrtümer der Revolution gewehrt haben, erscheint symbolträchtig.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
1 Vgl. Roberto de Mattei: La Biblioteca delle „Amicizie“ : repertorio critico della cultura cattolica nell’epoca della rivoluzione 1770–1830 (Die Bibliothek der „Freundschaften“. Ein kritisches Repertorium der katholischen Kultur im Zeitalter der Revolution 1770–1830), Bibliopolis 2005. P. Diesbach, der einer der vornehmsten und reichsten Familien des reformierten Berner Patriziats entstammte, war zum katholischen Glauben konvertiert.
2 Carlo Francovich: Storia della Massoneria in Italia, La Nuova Italia 1979, S. 241.
3 Eva Fontana Castelli: Marianna D’Asburgo Lorena, protagonista di una storia rimossa, (1770–1809) (Maria Anna von Habsburg-Lothringen, Protagonistin einer verdrängten Geschichte), Gabrielli 2016.
Danke lieber Gott das Du die Bitten der gottesmutter immer wieder erhoerst.
Die kleine Herde lebt und hat Orte wo sie die Messe aller Zeiten feiern kann.
Deo gratias!
Gerade weil in Wien- angefangen beim Hohen Dom zu St. Stephan bishin zur altehrwürdigen Stadtpfarrkirche St. Peter am Graben- die Kirchen für unwürdige „Events“ und Kirchenclubbings entehrt werden („Electric Church“), setzt hier die Vorsehung unter der Führung der Gottesmutter im Gnadenbild von „Maria Schnee“ ein sichtbares Zeichen.
Gegenüber ist der Ballhausplatz und die Hofburg mit OECD-Sitz, alles masonistische Machtzentren der vermeintlichen „Herren der Welt“, jedoch unser Herr ist zugegen in der ehrwürdigen Minoritenkirchen.
Die Priesterbruderschaft zelebrierte am vergangenen Sonntag, Mariae Namen, ein Levitiertes Hochamt in der neu übernommenen Kirche. Es wurden an die 600 Teilnehmer gezählt. Bei der anschließenden, etwa anderthalb Stunden dauernden Prozession, die den Stephansdom weiträumig umrundete, waren es möglicherweise doppelt so viele.
Auch Gläubige, die nicht zum Kernbestand der Gemeinden der FSSPX gehören oder die möglicherweise überhaupt zum ersten Mal zu einer FSSPX-Messe oder Prozession kamen, waren erschienen. Es findet sogar eine gewisse Osmose mit den Orden, zumindest einem, statt.
Aufgrund des Vernichtungswerkes des Wiener Erzbischofs entfaltet die Bruderschaft zwangsläufig eine gewisse Anziehungskraft. Die Übergabe der Minoritenkirche wird man als spektakuläres Werk der Vorsehung deuten müssen, ein Zeichen von oben und Frucht der jahrelangen Bestürmung des hl. Josef. In Zeiten von Kardinal Schönborn und Papst Franziskus wird sie wohl eines der ganz wenigen Refugien in Wien sein.
Deo gratias.
Es war schon ein sehr erhebender Moment, vor allem der Weiheakt. Das Herz dieser im Untergang begriffenen Stadt schlägt noch, dies war während des „Großer Gott…“ eindeutig zu spüren. Noch gibt es Licht, noch gibt es etwas Hoffnung.
Wahrscheinlich wird auch die geschundene Petrusbruderschaft von dieser „Konkurrenz“ profitieren, denn die Tradition vollends aus dem Schoße der gefallenen Amtskirche in die offenen Hände der „Piusse“ zu vertreiben, wäre für Schönborn wohl keine taktisch vielversprechende Idee.
Den sehr verdienstvollen Artikel von Prof. de Mattei möchte ich nuancieren: Wien war in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur eine Hochburg der Freimaurerei, sondern auch ein gewaltiges Zentrum von intensiver wissenschaftlicher und erzieherischer Tätigkeit der Jesuiten.
Die „Topographie von Wien“ von De Luca (Bd. I) gibt auf S. 509 ff. für das erwähnte Königl. Theresianische Collegium 1773 insgesamt 334 Jesuiten an: 168 Priester, 49 Mag. scholast., 65 Coadjutores, 32 Novizen Schol. und 17 Novizen-Laienbrüder.
Eine gewaltige Menge Gelehrsamkeit, darunter auffallend viele aus Frankreich (Aufhebung und Vertreibung 1764) und den angrenzenden Niederlanden stammende und geflüchtete Jesuiten.
Sie lieferten einen Qualitätsunterricht und prägten große Scharen von Jugendlichen und waren nicht selten Erzieher der berühmtesten adligen Familien (z.B. P. Adrianus Leuridan (1738–1805 oder danach bei den Prinzen von Liechtenstein).
Hier wurde das geistige Fundament und der christliche Humus gelegt, auf dem, trotz und nach dem Jesuitenverbot von 1773, nur wenige Jahre später der Katholizismus in Wien aufblühte.
Qualität verleugnet sich nie und der Mensch ist von seiner Natur aus fast immer ein religiös orientiertes Wesen.